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Bertuch, Friedrich Justin; Bertuch, Carl
Bilderbuch für Kinder: enthaltend eine angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Früchten, Mineralien ... alle nach den besten Originalen gewählt, gestochen und mit einer ... den Verstandes-Kräften eines Kindes angemessenen Erklärung begleitet (Band 11) — Weimar, 1824

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https://doi.org/10.11588/diglit.3218#0280
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Perm, Gegenst. CCCXXIF. Bd. XI, No. 95.

SCHÜMLA UND SEINE UMGEGEND.

Diese Tafel, die einen zwischen Haidhos und
Schumla, das jetzt die Augen von ganz Europa auf
sich zieht, liegenden Bergpafs darstellt, ist voll-
kommen geeignet, einen Begriff von der unwirth-
lichen und allen militairischen Operationen höchst
ungünstigen Beschaffenheit des obern Balkan zu ge-
hen. Die aufserordentlichen Schwierigkeiten, die
schon für hlofse Reisende diese wüste Berggegend
hat, ergeben sich aus fo'gender Mittheilung eines
neuem Reisenden, Hrn. Walsh {Narrative of a
Journey from Constantinople to England). „Von
fiaidhos aus, einer nicht unbedeutenden Ortschaft
am südlichen Fufse des obern Balkan, wo sich die,
schon im Alterthuxn berühmten, warmen Quellen
befinden, erstiegen wir" (TVahh und der ihn be-
gleitende Tartar) „die erste Kette des hohen Bal-
kan, wo wir sogleich eine Probe von dessen regne-
rischem Charader erhielten. Nach einer Stunde
ging der Weg wieder abwärts und wir gelangten auf
©ine andere von jenen fruchtbaren, aber sehr ein-
samen Ebenen, über die wir so häufig in diesem
Gebirge kamen. Wohin wir indefs auch blickten,
Waren «vir wegen der schroffen, scheinbar unüber-
steiglichen, uns umgebenden Berge dennoch nicht im
Stande, zu sehen, wo wir hereingekommen waren,
°der wie wir wieder herauskommen sollten. Wir
folgten indefs dem Laute des Flusses, bis wir an
den senkrechten Abfall der Bergkette auf der ent-
gegengesetzten Seite des Thaies kamen. Hier öff-
öete sich das Gebirge plötzlich, wie durch den
Schlag eines Zauberstabes, und wir traten in eine
enge Schlucht, in welcher wir dem Flusse folgten.
•Dieses Thal ist vielleicht eine der erhabensten und
Malerischsten Naturscenen in Europa. Die fast senk-
rechten Wände erheben sich zu einer, vom Fufs bis
zum Gipfel mit. Wald bedeckten unermefslichen Höhe,
Und lassen nur einen schmalen Streif des Himmels
durchblicken. Eine Zeit lang verfolgten wir das
+*ett des Flusses, indem wir immer tiefer in diesen
Abgrund hinabstiegen, alsdann aber stiegen wir all-
ftiälig wieder empor über schwankende Brücken von
Richten Brettern, die über die Abgründe geworfen
Waren, bis wir den Gipfel der zweiten Reihe er-
reicht hatten. Da der hereinbrechende Abend uns
daran erinnerte, dafs wir "Eile hätten, so ritten wir
^Uerauf einen steilen Abhang mit der, den Türken
eigenthümliehen Schnelligkeit hinab, und spreng-
en über eine der zerbrechlichen Holzbrücken, die
v.er eme tiefe Schlucht gelegt war, hinab, als sie
Plötzlich mit Krachen nachgab und mein Tartar mit
seinem Pferd vor uns verschwanden. Mustapha wur-
ue vorne über geworfen und kletterte, indem er sich
n den zerbrochenen Planken festklammerte, auf
>le andere Seite hinüber, aber sein Pferd brach
^urch und die Hinterfüfse desselben verwickelten

dafs es schwebend hängen hlieh. . Alle Mühe, das
erbärmlich ächzende Thier zu retten, war vergeb-
lich, als glücklicher Weise gerade der Courier nach
Silistria, den wir mit seinen Leuten zu Haidhos ver-
lassen hatten, uns einholte, mit dessen Hülfe wir
das Pferd retteten , das sich zu unserer gro-
fsen Freude unverletzt hefand. Erst in dem Dun-'
kel des Abends kamen wir das Thal hinab und er-
reichten in dessen Mitte das romantische, am Fufse
des hohen Balkan gelegene Dorf Lopenitza, wo wir*
in einem Bauernhause beifreundlichen Leuten, durch
Nässe, Kälte, Anstrengung und Hunger im höchsten
Grade erschöpft, gute Bewirthung fanden. Noch
vor Tages Anbruch verliefsen wir dieses gastliche
Nachtquartier wieder, und fanden nicht ohne Schwie-
rigkeit über viele Gräben und durch felsige Hügel,
bis der Morgen erschien, der aber von einem so
schneidend kalten Nordostwind begleitet war, dafs
wir uns kaum noch bewegen konnten, unsern Weg.
Dieser führte uns über die letzten Ketten des Bal-
kan und durch die ihn von Zeit zu Zeit unterbre-
chenden Ebenen, Auf einer derselben begegneten
wir dem Flusse wieder, mit dem wir in das Ge-
birge eingetreten waren, welcher Bujek Kamedschi
heilst, und dem Hauptrücken des Balkan parallel in
das Schwarze Meer fliefst. Nachdem wir diesen Flufs,
dessen wunderbarem Strome durch seine dunkeln und
unterirdischen Abgründe ich gern gefolgt wäre, über-
schritten hatten, ging es ohne weitern Aufenthalt
nach einem langen und beschwerlichen Ritte bis nach
Schumla, wo ich um 3 Uhr Nachmittags von der
ungewohnten Kälte dergestalt angegriffen, dafs ich
bewegungslos wie ein Mehlsack vom Pferde zu Bo-
den fiel, ankam» Schumla ist eine sehr grofse und
volkreiche Stadt mit 60,000 Einw., die aus einer tür-
kischen und christlichen Abtheilung besteht. Das
Merkwürdigste in ihr ist eine grofse Stadtuhr, welche
die Stunden , die sonst in allen mohamedanischeri
Städten nur durch Ausrufer, Muezzims genannt,
verkündet werden, angiebt. Diese aufserordentliche
Neuerung ist durch einen Pascha eingeführt worden,
welcher aus seiner Gefangenschaft in Rufsland, diese
Schlaguhr mitbrachte. Sonst habe ich in dem gan-
zen türkischen Gebiete keine andere gehört oder ge-
sehen, als die zu Athen, Wiche Lord Elgin als Er-
satz für die Zerstörung des Parthenons daselbst zurück-
liefs. Schumla bildet den Mittelpunct aller Verbin-
dungen zwischen Constantinopél und den Provinzen
an der Donau und ist, als militairischer Punct, von
hohen balbcirkelförmigen Gebirgenumgebenundsei-
ner, obscbon sehr unregelmäfsigen Festungswerke
wegen, für das türkische Reich-von der höchsten
Wichtigkeit, und schon 1774 unter Romanzow, wie
1810 unter Kamensky wurden die Russen hier zu-
rückzugehen genöthigt,
 
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