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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 10.1942

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Nr. 6 (21. März 1942)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6184#0063
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Zu* Difamaf iiif0le des Films

also möglich', von der Dichtung her Filme zu
gestalten, und daß dies kein Trugschiaß ist,
beweist Wolfgang Liebeneiner mit jedem Film
aufs neue.

Er selbst fordert eine strenge Unterscheidung
zwischen Autor und Spielleiter, d. h. zwischen
schriftlicher Festlegung der Handlung und prak-
tischer Gestaltung. Damit hört das Drehbuch
auf, „nur" einen flüchtigen Entwurf der Hand-
lung darzustellen, an dessen Angaben sich die
Verfilmung nicht zu halten brauche. In r der
Tat ist das heute noch vielfach so, denn die

„Der große König"

Der Staatsschauspieler Otto Gebühr In seinem letzten Film als Friedrich der Grolle,
der von der Tobis hergestellt und zum ,,Film der Nation" erhoben wurde. Der Regisseur
Veit Harlan erhielt für seine bedeutende Leistung den Filmring. Aufn.: Atlantic

Filmautoren überbieten sich' in der Festlegung
von Einstellungen, Einsatz technischer Mittel,
die für den Regisseur unverbindlich bleiben
müssen, weil sich im Lauf der Atelierarbeit er-
gibt, daß eine strenge Anlehnung, an, diese Vor-
schriften, die aus Mangel an Kenntnis des tech-
nischen Betriebs entstanden sind, nicht mög-
lieh ist. Der Spielleiter wird also gezwungen,
aus dem Drehbuch selbst noch ein Regiebuch ,
zu formen, weil das erstere aus lauter Respekt
vor den technischen Wundern des Films den
Handlungsablauf derart vernachlässigte, daß er
als Grundlage des Films kaum mehr in Frage
kam.

Da aber das Buch allein für die Handlung

verantwortlich ist, muß von ihm Höchstes ge-
fordert werden. Das heißt, daß der Dichtung
eine vorzügliche Stellung eingeräumt werden
muß. Denn nur dann, wenn das Drehbuch mit
dem strengsten dramaturgischen Gewissen ge-
formt, „gedichtet" wurde, wenn die Handlung
als das Wichtigste erkannt ist, sind die künst-
lerischen Voraussetzungen für den Film gege-
ben. Der Filmdichter also — er ist mehr als nur
Autor — hat der geistige Vater des Films zu
sein, er gibt den Rhythmus und den Weg an,
nach dem der Regisseur die technischen Mög-
lichkeiten, des Films
organisiert. Ohne eine,
Idee, die im Drehbuch
verankert sein muß,
kommt kein Film aus,
nicht einmal ein do-
kumentarischer, der
im übrigen von einer
Handlung absieht. Lie-
beneier sagt: ! „Der
Autor vertritt die Idee
und den Aufbau der
Handlung, die Szenen-;
folge, und die Einstel-;
lungen der Dialoge,
den Einsatz der Musik
und den dichterischen
Einsatz der optischen
Ausdrucksmittel, kurz:
den geistigen Gehalt
des Films."

Der Film soll „eine
leidenschaftliche Aus-
einandersetzung mit
dem Leben" sein, also
kann der Aufbau der
Handlung hur nach
dramatischen Gesetzen
erfolgen, die zumin-
dest die notwendige
unerhörte Dynamik
eines Geschehens ga-
rantieren. Daran müß-
ten sich unsere Film-
autoren halten und
nicht nach den Mög-
lichkeiten der „aufge-
lockerten" Filmhand-
lung arbeiten. Der
deutsche Autor ist nur
allzu leicht geneigt,
in einer ihm eigenen

Gefühlsbefangenheit
und lyrischem Gehalt
über die teste Not-
wendigkeit der bis ins
Letzte streng gemei-
ßelten dramatischen
Handlung hinwegzu-
täuschen. Gefühls-
mäßiger Ausdruck darf
nie das Primäre -im
Film sein, wohl aber
hieb- und stichfeste
Konstruktionssicher-
heit.

Wir brauchen also F i 1 m d i c h t e r, die nicht
auf die Eingebung warten und dann, von einem
inneren Zwang getrieben, sich eine Idee vom
Herzen schreiben, sondern Handwerker, die
Meister ihres Faches sind und das, was sie zu .
.sagen haben, derart bauen und konstruieren
und letztlich in eine Form bringen, die allem
und jedem standzuhalten vermag. Dann wird
es möglich sein, die künstlerisch so unerfreu-
liche und doch nicht zu umgehende Synthese
aus Kapital und künstlerischem Wollen, „der
Spottgeburt aus Geschäft und Kunst", wie Lie-'
beneiner den Film bezeichnet, künstlerisch so
wirkungslos zu machen, daß tatsächlich die
Kunst siegt. , Scaevola

Was ist Atonalität?

Eine musikwissenschaftliche Betrachtung von Hellmut Haffner

Iii einer Übung an der Universität München,
'die heute schon Tradition besitzt — ihr Besuch
zählt zu den erfreulichen und dankbaren Erin-
nerungen all derer, die in den jungen Jahren
ihres künstlerischen Ringens um Stil und Form
dort zu finden waren —, gelangen Dinge zur
Sprache, die man früher einer wissenschaft-
lichen Diskussion für unwert erachtet hatte.
Seit langem wird dort nämlich erfolgreich ver-
sucht,, theoretische und praktische Fragen des
Theaters zu behandeln, um allen daran Interes-
sierten das nötige Rüstzeug, eine gültige Ein-
stellung zu allen künstlerischen Problemen des
Theaters zu vermitteln. Daß dabei mehr und
mehr auch der Film in den Aufgabenkreis ein-
bezogen wird, ist nicht nur begreiflich, sondern
begrüßenswert, weil man sich damit auf ein
Gebiet wagt, dessen Grenzen durchaus noch
nicht feststehen, das überhaupt gegenwärtig
noch ein einziger Kampfplatz der Theorien und
Meinungen ist. Auch hier werden. Meinungen
verfochten, behagliche und revolutionäre, und
wo sie unbehaglich werden, weil sie im Sturm
und doch mit Überlegung die gezeichneten
Grenzen sprengen, wird zur-Belehrung Stil-
kunde des Films dargetan und erläutert.

Das Gesetz des Films

Es geht um den Begriff filmisch', gewiß, um
einen sehr schwierigen Begriff, dessen Herkunft
und Bestimmung durchaus nicht klar und ge-
wiß sind. Das Bild, und zwar das bewegte Bild,
so lehrt man hier, sei das Element des Films,
und alles stilkundliche Forschen habe mit dem
bewegten Foto zu beginnen. Hier liege auch
der Schlüssel zur Kunst. Vom Optischen her
entstanden die ersten Filmkunstwerke, der
Stummfilm habe darin schon Zulängliches, ja
Erstaunliches geleistet. Ausschnitt, Beleuch-
tung, Aufnahmewinkel, Überblendung und
Montage, das waren die Mittel, die dem Fil-
mischen dienten. Da kam der Tonfilm, von der
Masse verschrien, von wenigen Einsichtigen
aber sorgsam behütet und gefördert! und wie-
derum entstanden Kunstwerke. Der Tonfilm'
hätte zunächst gar keinen Fortschritt in der
künstlerischen Entwicklung bedeutet, er zeigte,
so wird in der Stilkunde gelehrt, sogar Nach-
teile, niemals aber sei es möglich, daß damit
die errichtete Theorie des „Filmischen" ver-
nichtet oder auch nur erschüttert würde. Somit
sei auch die Lösung des Problems, ob der
künstlerische Film in epische oder dramatische
Bezirke gehöre, schon gegeben, und diese Fest-
stellung ist im Verlauf der Übung von Zeit zu'
Zei^ÄWier wieder zu ,vernehmen:., dsr Film ist
weder ein dramatisches noch ein episches
Kunstwerk. Wir sind dagegen um eine neue
Kunstform bereichert worden; die aber heiße
„filmisch".-

Die Geschichte des künstlerischen
Films beginnt da, wo man versuchte, die tech-
nische Spielerei des bewegten Bildes mit einer
Handlung zu verbinden. Aber es zeigte sich,
daß HLan dabei ohne Text nicht recht auskam.-•
Man behalf sich also und unterbrach den Fluß
der Handlung mit eingeschobenen Texten, die
den Dialog ersetzen sollten. Handelt es sich
etwa hierbei um kein Behelfsmittel? Gewiß, man
lernte sie später einzuschränken oder vollkom-
men wegzulassen. So wurde der Film Panto-
mime,: und durch reichlichen Einsatz von Mon-
tage gelang es auch, zusammengehörige Ge-
dankenketten optisch auszudrücken. Dies war
möglich im Rahmen der Szene, des Details, ließ
sich aber nie und nimmer auf die Länge eines
gesamten Films anwenden.

So brachte der Tonfilm den gewaltigen Fort-
schritt, den anfangs nicht einmal die gewieg-
testen Fachleute erkennen wollten, so sehr
standen sie unter dem Eindruck der Leistungen
des Stummfilms, die tatsächlich so tief dem
Optischen verhaftet waren, daß damit die Voll-
endung bereits erreicht schien. Der Kampf um
das Gesetz des Films entbrannte fanatischer
denn je, Theorie schlug auf Theorie. Derweilen
aber redeten die Leute vom Film nicht, sondern
drehten und filmten, und siehe da, es ent-
standen Leistungen, die wiederum mit Recht
Anspruch auf Kunst erhoben.

Das ist bis auf den Tag so geblieben, und es
ist nur zu fragen: Wann werden endlich jene
Theoretiker sich einigen oder still werden, die
heute noch mit ihrer unaufhörlichen Untersu-
chung des Urphänomens „Film" den kühn 'vor-
stoßenden Praktikern hemmend im Wege
stehen?

Der Film braucht Handlung und nicht nur
einen „roten Faden", und dazu ist ein Konflikt
notwendig, der eine Lösung erfordert. Diese
Lösung hat auf dramatische Weise zu ge-
schehen, also hat sich der Film, oder besser
seine Handlung, dramatischer Mittel zu be-
dienen. Das müßte eigentlich nicht allzu schwer
begreiflich sein.

Autor und Spielleiter

Was hier verkannt wird, ist dies: In dem Au-
genblick, da das Wort. Gestaltungsmittel, des
Films wurde, begann eine vollkommene stili-
stische Verschiebung; der . Film begann dra-
matisch zu werden. Denn sobald sich eine
Kunstform des gesprochenen Wortes bedient,
kann die Sprache ja nicht mehr entbehrliche
und untergeordnete Zugabe bleiben, Das Kunst-
werk gehört nunmehr in den dramatischen Be-
reich. Schon deshalb kann der Film nicht auf
die Kräfte und Möglichkeiten des künstlerisch
vollwertigen Schauspielers verzichten. Es wird

Die gegenwärtige Musikwelt mit all 'den
an ihr Interessierten (wer zählt sich schon
nicht dazu!) gerät in plötzliche Verwirrung,
wenn eine Auskunft über atonale Musik ge-
fordert wird. Dennoch erfreut sich dieser
Ausdruck einer ungeheuren Beliebtheit, man
gebraucht ihn im wissenschaftlichen Ge-
spräch und fast in jeder musikalischen Aus-
einandersetzung über die Stilbegriffe unseres
Jahrhunderts. Ein Rankenwerk üblen Bei-
geschmacks ist um den Begriff „Atonalität"-
herumgewachsen. Es erscheint demnach am
richtigen Ort, "wenn die Frage nach seiner
Herkunft und ein Bemühen, ihn von den gröb-
sten Schrecken zu befreien, Wieder einmal
auftaucht.

Was . ist „Atonalität"?

Es muß vorangesetzt werden, daß bereits,
'die Bezeichnung, die nun schon' als Terminus
technicus in die Musikwissenschaft, eingegan-
gen ist,, falsch formuliert ist. Denn „atonal"
heißt. nichts .anderes als tonlös,' und tonlose
Musik ist natürlich Widersinn.. Das-Wort ist
darum zu verstehen von seinem'Gegenteil her,
von dem es abgeleitet, ist: tonal.

Mit „Tönalität" kommt man nun schon weit
eher zurecht. Tonal ist jede Musik, die sich
den Gesetzen der Harmonie, der Lehre von
Konsonanz und Dissonanz unterwirft und diese
Regeln nicht überspringt, von den bestätigen-
den Ausnahmen freilich abgesehen. Solche
Musik vollzieht sich also innerhalb der acht-
tonigen Tonleiter (mit ihren 5 Zwischentönen),

verändert sich nach den Geböten der Tönika,
der Ober- und Unterdominante, und genügt
somit unserem, hörenden Empfinden als kon-
sonant, als harmonisch, als „tonal".

Atonalität kennt keine Tonarten und keine
Tongeschlechter (dur und moll); somit berück-
sichtigt sie keinerlei vorgeschriebene Funktio-
nen der tonalen Musik, Kadenzen, Leitton, Vor-
halt, Auflösung, Alteration usw., und die Be-
griffe Konsonanz und Dissonanz als harmonie-
technische (nicht psychologisch-ästhetische!)
Bewertung. Das Material der Atonalität besteht
nicht mehr aus den herkömmlichen Tonlei-
tern, sondern aus einem System von 12 be-
ziehungslosen und selbständigen, 'Tönen. Die
Grundlage des. atonalen Tongefüges ist also
nicht eine Folge .von Tönen, . sondern einfach
eine Zahl von Tönen, ein Tonkomplex, und
zwar die überhaupt mögliche Zahl von, ver-
schiedenen Tönen, das sind also zwöjf.. Jeder
dieser Töne übt neben dem ; anderen seine
gleichberechtigte Funktion aus. So fallen (theo-
retisch) auch alle Erhöhungen und Erniedrigun-
gen: fis etwa ist nicht mehr als- erhöhtes f
und zu diesem gehörig aufzufassen.

Es ist wohi leicht, zu ersehen, daß diese Re-
gel ungeheuere Folgen hat. Denn nun werden
ja mit einem Male alle Akkordbildungen, die
wir bisher als dissonant und unharmonisch
empfanden, konsonant und können in jeder be-
liebigen Weise eingesetzt und verwandt wer-
den. Praktisch gesehen, würde dann der Weg-
fall von Versetzungszeichen eine neue No-

tation notwendig machen. Aber daß wir davon
noch weit entfernt sind, zeigt eben, wie wenig
wir gewillt sind, die Atonalität als musikali-
sches Gesetz bis in seine letzten Konsequen-
zen' anzuerkennen.

Denn diese Konsequenzen liegen so weit
entfernt, daß man sich landläufig kaum eine
Vorstellung davon macht. Die letzte Möglich-
keit des neuen Systems ist der Akkord oder'
die Melodie aus zwölf verschiedenen Tönen,
und daraus ergibt sich die etwas befremdliche
Tatsache, daß sich ein bisher durchaus inspi-
rativer und aus künstlerischen Intentionen ge-
borener musikalischer Satz nunmehr in eirt
vollkommen unkünstlerisches und nüchternes
Rechenexempel zwingen läßt.

In der Praxis sieht das so aus, daß ein Ton-
intervall, etwa wie die Sekunde, das die Tö-
nalität als dissonant erklärte, nunmehr kon-
sonant wird. Die entstehenden Harmonien kön-
nen unendlich vielfach werden, und die Melo-
dien nicht weniger. Das elementargeschulte
menschliche Ohr nimmt aber nun in seiner
physikalischen Natürlichkeit die Grundtöne
und die darauf fundierten Intervalle als ewig
feststehenden Begriff der reinen Konsonanz
auf. So müssen alle davon abweichenden.
Neuerungen zunächst notwendig als unnatür-'
lieh und befremdlich empfunden werden. Erst
bei gründlicher Beschäftigung mit solchen,
dissonanten Intervallen wird sich die anfäng-;
liehe Ablehnung wohl ausgleichen; das Ohr'
nämlich gewöhnt sich langsam an die frem-
den Zusammenklänge, die es dann eines Tages;
wahrhaftig als konsonant und keineswegs-
mehr unbefriedigend oder gar erregend an-'
erkennt.

Hier mag man einwenden, daß diese Folge-i
rung zu weit getrieben sei und nicht mehr;
stimmen könne; denn was sei Atonalität schon,
anderes als eine Modeerscheinung, eine Ent-
gleisung im Widerstreit unserer Gegenwart,
die man,nur beherzt aberkennen müsse, um
ihren Untergang vorzubereiten?

Vorstoß gegen die Tradition

Solcherlei Meinung erweist die Unkenntnis
'des Begriffes „Atonalität", gegen die hier ja
angegangen werden soll. Es wurde bereits ge-
zeigt, daß heute schon Bemühungen vorhan-
den sind, die tatsächlichen Gesetze der Atona-
lität zu bestimmen. Unter diese Gesetze fallen
aber schon Werke, die längst der Musik-
geschichte angehören. Bereits bei Bach sind
die Probleme der Konsonanz und Dissonanz,
die erlaubte oder unerlaubte Wandlung der
Melodik durch Chromatik und Enharmonik ge-
nau zu erkennen, und diese Entwicklung schritt
über Mozart und Spohr fort, um von Wagner
und Reger entscheidend beeinflußt zu werden.
Richard Wagner zum Beispiel beanspruchte
die Modulation als melodiebildende- Kraft bis
zum äußersten; bei ihm wird die Sept konso-
nant. Man erinnere sich hierzu nur an den
ersten Tristanakkord, über den eine ganze
Spezialliteratur existiert. Reger offenbarte uns,
daß jeder Dreiklang durch seine Nebenfunk-
tionen vertreten werden kann, und dies war
ein gewaltiger Vorstoß gegen Tradition und
Herkommen. .Die ...genial-atonalen_„Kjilyih.eitpn
eines Richard Strauß aber empfinden wir
heute fast schon als, klassisch.

So ist Atonalität heute längst ein Faktor, mit
'dem, sich die gegenwärtige Musik auseinan-
dersetzen muß. Und. man darf hierin keinen
Stilverfall erkennen, sondern höchstens einen
Stilwandel, das Ergebnis einer typisch aus-
geprägten Entwicklung, die man in den Rah-
men der Geschichte eingefügt etwa folgender-
maßen erfassen kann:

1. Die klassische Anschauung eines zentra-
len Vorgangs (Grundton, Tönalität),

2. die romantische Auffassung der Töne als
nach Erlösung strebende Kräfte (Leitton,
erweiterte Tönalität) und

3. die Lockerung der tonal organisierten Har^
monik , im Impressionismus (beziehungsr
lose, atonale Klänge).

Daß die theoretische Forschung nur zögernd
'diesen Wandlungen auf den Grund ging, liegt
auch daran, daß man sehr lange übersah, daß es
nicht um diese oder jene aus den Fugen ge-
ratene Formel ging, sondern um das Funda-
ment selbst. So liegen denn alle Erkenntnisse
noch im Anfang und harren einer gültigen
Formulierung. Freilich muß man sich dabei vor
einem streng hüten: nämlich in theoretischen
Festlegungen zu erstarren, wo die Praxis —
und das ist die lebendige Musik — noch ein
gewaltiges Wort zu reden hat.

Es ist aber erwiesen, daß sich die Fähigkeit
des menschlichen Gehörs, Zusammenklänge zu
erfassen, im Laufe' der Zeit wesentlich erwei-
tert hat. Und hier liegt der Schlüssel zur ato-
nalen Musik; hat man nicht einmal ausgerech-
net einem Gluck barbarische Kakophonie vor-
geworfen? Warum könnte es nicht eines Tages
möglich sein, daß das hochentwickelte mensch-,
liehe Ohr all das als klar und verständlich
hinnimmt, was ihm heute noch unbegreiflich
und kaum mehr zur Musik gehörig erscheint?

Man mag, aus all dem erkennen, wieviele
und große Probleme historischer, ästhetischer, :
psychologischer und technischer Art durch
solche Betrachtungen ans Tageslicht gefördert
werden. Zeit und Entwicklung mögen das ihre -
tun und sich um Bewahrung aller gültigen
Ewigkeitswerte des Wunders „Musik"' mühen.

Hier sollte nur eindringlich an Vorsicht im
Gebrauch eines äußerst gefährlichen und
schwierigen Begriffes gemahnt werden, an dem
jeder Interessierte teilhaben solL Und das war
der andere Sinn: Diesem Begriff s/ainen
Schrecken zu nehmen und ihn in ein anderes
Licht zu rücken, damit er in seiner Wirklich-
keit erscheint und zur gründlichen Beschäfti-
gung, nicht aber zu Verachtung und unwissen-
schaftlichem Mißbrauch herausfordert.

Folge 6 / Die Bewegung / Seite 7
 
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