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1.
In dein stattlichen aber altersgrauen Erker-
hause nahe dem Stadtthore — seit undenklichen
Zeiten im Besitze der angesehenen Familie Wol-
ters — hatte sich in den zwei letzt-
verstossenen Wochen eine außergewöhn-
liche Regsamkeit bemerklich gemacht.
Die auf den Hausgarten gehenden
Zimmer des zweiten Stocks, welche
seit dem Tode der Mutter des jetzigen
Hausbesitzers, Kommerzienrath Wol¬
ters, fast nur geöffnet worden waren,
nm frische Luft und den Staubbesen
einzulassen, sollten aus dem langjäh-
rigen Schlummer nun zu einem ver-
jüngten und verschönten Dasein er-
wachen!
Die abgebleickten Tapeten mit
ihren steifen Blumenbouquets, ihren
Bäumen und ruinenartigen Mauer-
resten, den Flöte blasenden Hirten
und Kränze windenden Schäferinnen
— wurden sämmtlich mit solchen
neuesten Geschmackes überkleidet, Gar-
dinen von rothem Wolldamast an
Fenstern und Thüren aufgehestet und
über die, vom Zahn der Zeit nicht
verschont gebliebenen Böden jene dich¬
ten, kunstreichen Teppiche gebreitet,
deren elastische Weichheit und frische
Farbenpracht leicht die Täuschung
hervorrnft, als wandle der Fuß über
eine blumenreiche Matte hin. Doch
nicht genug damit: die zwar massiven,
jedoch längst veralteten Möbel, welche
seit der Zeit, da sie mit der alten
Mama in's Haus eingezogen, kaum
von der Stelle gerückt worden waren,
mußten nun moderneren, jenen an
Solidität gleichwohl nicht nachstehen¬
den, weichen; die Spiegel, deren
prachtvoll geschnörkelte, allein ihres
Glanzes längst beraubten Goldrahmen

! auf die Zeiten der Urahne hinwiesen, neuen, aus
dem Spiegelmagazin bezogenen Platz machen; ja
selbst verschiedene hochehrsame Damen und Herren,
die mit ihren wohlfrisirten und gepuderten Häup-
tern, den goldgestickten Miedern und Westen so
gravitätisch niedergeblickt hatten aus dis weit
schmuckloseren Enkelkinder — sie wurden ausge-
wiesen, um einigen, bisher in des Kommerzien-
raths Privatgemächern plazirt gewesenen Land-
schasts- und Genrebildern, die so lange nnd

mit so vieler Würde behauptete Stelle zu über-
lasten.
Herr Wolters überwachte diese Neuerungen
persönlich mit scharfem Kennerblicke. Er war in
der That ein Mann von gebildetem Geschmack,
und keine jener kindischen Tändeleien, welche die
Mode heutigen Tages gutheißt, durfte in die
neue Schöpfung sich einschleichen, die einfach aber
gediegen bis zum Kleinsten herab nach und nach
vor seinen Augen entstand. Und als nun alles
fertig und vollendet vor ihm lag, da
lächelte das ganze runde, und trotz
der darüber hingezogenen achtund-
sechszig Jahre noch so rosige Angesicht
wie von Sonnenstrahlen überglänzt,
und die kleinen fleischigen Hände in-
einander reibend sagte er halblaut:
„So — ganz englisch! Ich denke,
es soll ihr gefallen."
Seit vierzig Jahren, also genau
seit der Verheiratung des Kommer-
zienraths, waren keine bemerkens-
werten Veränderungen im Hause
vorgenommsn worden; er für seine
Person war jeder Neuerung abhold,
so lange das Alts ihm bequem und
anständig erschien, die Kommerzien-
räthin aber hing mit einer Art von
Pietät an allem, was sie als junge
Frau in's Haus gebracht oder darin
angetroffen, und es würde sie schwer
angekommen sein, sich nur von einem
der Möbel zu trennen, die mit ihr
jung gewesen und alt geworden wa-
ren. Was die hierin gleichgesinnten
Ehegatten zu jenen Umwälzungen in
den erinnerungsreichen Gemächern der
seligen Mama vermocht, darüber gibt
vielleicht ein Brief Aufschluß, welchen
der alte Herr seiner Frau an dem-
selben Abend vorlas, da er geschaut,
daß alles gut war:
Bath, England, den 2. Mai18—
„Theurer Pathe!"
„Endlich komme ich, Ihnen zu
melden, daß mein Haus bestellt ist,
und wenn nicht unvorhergesehene
Hindernisse mein Vorhaben durch-
kreuzen, icb schon übermorgen dem
F 35

Eduard Lasker- (S. 255.)
 
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