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Das eiserne Kreuz.
Erzählung aus der Gegenwart
von
L. Heinrichs.
(Fortsetzung.)
2.
Der alte penüonirte Lieutenant Heldberg be-
wohnte ein Gartenhäuschen am äußersten Ende
des Städtchens. Es war sein Eigenthum seit
fast 30 Jahren, er hatte es mit dem kleinen
Vermögen seiner Frau bezahlt.
Der joviale Bürgermeister
nannte es „Villa Heldberg",
weil es mit einer kleinen
Veranda versehen, von Wein-
laub umrankt, mitten im Gar-
ten lag und im Sommer wirk-
lich ein kleines Paradies ge-
nannt zu werden verdiente.
Es war am nächsten Mor-
gen nach dem Feste im „Lämm-
chen". Der Himmel war mit
grauen Wolken bedeckt, als
wolle er nach dem Sieges-
jubel sich in Trauer hüllen
über die blutigen Opfer dieser
Tage.
In der freundlichen Wohn-
stube der „Villa Heldberg"
stand der Kaffeetisch schon
seit einer halben Stunde be-
reit und wartete auf den Haus-
herrn, der wider seine Ge-
wohnheit, mit dem Glocken-
schlag 7 Uhr zu erscheinen,
noch immer auf sich warten
ließ.
Ein junges Mädchen saß
am offenen Fenster mit einer
Näharbeit emsig beschäftigt.
Es war Pauline Erichs, die
Verwandte des alten Lieute-
nants, welche sich jetzt schon
seit fünf Jahren in der klei-
nen Villa als Haushälterin
befand.
Der Bürgermeister hatte

Recht mit seiner Behauptung: man konnte in der
That nichts Lieblicheres sehen als dieses junge,
anspruchslose Mädchen mit der schlanken Gestalt
und dem herzensguten, lieben Gesichtchen, das im
Grunde auf keine eigentlich regelmäßige Schönheit
Anspruch machen konnte und doch auf den ersten
Blick das Herz gewann.
Pauline war denn auch, ohne sich ihrer Vor-
züge bewußt zu sein, der gute Engel des alten,
einsamen und in der Tiefe seiner Seele mit der
Welt zerfaNnen Mannes, dem jede Freude des
Lebens im Erblühen schon verweilt war, und der

deshalb auch so leicht zum Jähzorn und zum be-
ständigen Mißtrauen geneigt war.
Mit ihrer wunderbaren Sanftmuth und Milde,
ihrer unverwüstlichen Heiterkeit wußte sie die zor-
nigen Falten auf der finsteren Stirn des Onkels,
wie sie ihn nannte, zu glätten und ost ein Lä-
cheln auf das grämliche Antlitz zu zaubern.
Ihr Hauptmittel dazu bestand jedoch in der
Musik. Wenn auch keine Künstlerin, so spielte
sie doch recht hübsch Klavier und besaß eine höchst
angenehme Stimme zum Liedervortrage. Es war
dem Lieutenant nun freilich nicht möglich gewesen,
ein Instrument herbeizuschaf-
fen, aber der Bürgermeister
hatte mit Hilfe einiger Freunde
diese Lieferung übernommen,
allerdings nur leihweise, wie
der alte, wunderliche Mann sich
energisch ausdrückte, da sein
Ehrgeiz das drückende Gefühl
eines Geschenks nimmer er-
tragen hätte.
Seitdem die kleine Villa
von dem Zauber der Musik
und des Gesanges belebt war,
stellten sich die bösen Geister
viel seltener ein und schienen
endlich sogar sich ganz ver-
bannen zu lassen, bis die Rück-
kehr des Sohnes sie wieder
herausbeschworen und ihnen
auf's Neue freien, ungehin-
dertenEingangverschafft hatte.
Am heutigen Morgen glich
ihr reizendes Antlitz dem trü-
ben, wolkenbezogenen Himmle;
kein sonniger Strahl heiterer
Jugendlnst erhellte es mit
jenem unnachahmlichen Zau-
ber, der selbst das Greisen-
herz zu erwärmen vermag.
Ängstlichkeit und tiefe Be-
sorgniß prägte sich in ihren
Zügen aus, sie horchte auf
bei jedem Geräusch, das sich
hören ließ.
„Warum der Onkel nicht
kommt?" flüsterte sie, „sollte
ihm etwas zugeftoßen sein?"

Emil Rittcrshaus. (S. 347.)


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