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Das Aennchen von Plön.
Historische Novelle
von
^Ludwig Salomon.
1.
Ans den Fenstern eines stattlichen Hauses in
der alten Stadt Halle an der Saale fielen an
einem Herbsttage des
Jahres 1716 Helle Licht¬
wogen ans die bereits
völlig stille große Ulrich-
straße. Es galt aber
auch, ein freundliches
Fest zu feiern, nämlich
den Tag, an welchem vor
fünfundzwanzig Jahren
der würdige Herr Stifts¬
amtmann Brandis seine
Eheliebste heimgeführt.
Alle Verwandten und
Freunde des Hauses, und
es waren deren nicht
wenige, hatten sich zur
fröhlichen Feier eingefun¬
den, und so war es ge¬
kommen , daß in dem
sonst ziemlich stillen, wür¬
digen Hause heute noch
solch lustiges Leben in
die Nacht hinausklang.
Es war dies aber
auch für diesen Festtag
gar nicht anders zu er¬
warten gewesen. Der
Herr Stiftsamtmann war
eine wohlangesehene Per¬
son; er hatte dazumalen
in den neunziger Jahren
viel mit zur Gründung
der jetzt so segensreich
emporblühenden Univer¬
sität beigetragen, er
nannte sich mit dem hoch¬
geachteten, weltbekannten
Herrn Christian Thoma-
sius „Dn", ja der be¬
rühmte Professor Chri¬
stian Wolff hatte sogar
sein jüngstes, zartes

Töchterlein, die Marie, zur Gattin erwählt. Es
ging daher seit Jahren die gelehrte Welt in sei-
nem Hause aus und ein. Auch heute sah man
einen reichen Kranz von Männern, die, des Dog-
ma's, des Jus und der Therapie vergessend, be-
haglich im sogenannten Gelehrtenstübchen beim
Glase 84er saßen, während das junge Volk im
anstoßenden Saale sich lustig im Tanze schwang.

Nur der große, bereits alternde Rechtsgelehrte
Thomasius hatte sich aus dem lustigen Kreise
etwas zurück, in das Düster gesetzt. Er fühlte,
daß er alt geworden, er betheiligte sich darum
auch nicht an den lebhaften Gesprächen, die die
anderen Männer führten. Ein ruhmreiches, ar-
beitsvolles Leben lag ja auch hinter ihm. Die tiefen
Falten seiner von der mächtigen Staatsperrücke
umrahmten Stirn zeigten
das mühevolle Ringen
nach freier Bewegung in
der Wissenschaft, in der
Kirche, wie im Staate;
sie wiesen deutlich die
schweren Kämpfe gegen
das riesengroße Unge-
heuer des menschlichen
Wahns: gegen die Hexeu-
prozesse. Jetzt legte sich
der Lorbeer des Sieges
um seine Schläfe, er
durfte darum die Fragen
der Gegenwart getrost
den frischen jungen Kräf-
ten überlassen.
Sein geistvolles Auge
ruhte vertrauensvoll auf
den jüngeren Collegen, in
deren Händen der künftige
Glanz der Universität
lag, denn noch schlum-
merte der Keim jenes
mächtigen erbitterten
Kampfes, der bald zwi-
schen Theologie nnd Phi-
losophie losbrechen sollte.
Aber bereits war August
Hermann Francke, das
Haupt der theologischen
Fakultät, aus jenem kri-
tischen Mißtrauen, mit
welchem er das Wellleben
von seinem Waisenhause
aus betrachtete, bei dem
heutigen Feste nicht er-
schienen, schon wucherte in
den frommen Kreisen jenes
„leise Flüstern zu Gott",
jene Wundersucht, jenes
gottesfürchtige Glauben
F 87

Thrrise TirtirnS. (S. 599.)
 
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