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Das Haus dos Othello.
Erzählung
von
C. N. Struwy.
1.
Wir befinden uns auf dem Platze vor dem Re-
fidenzschloß einer süddeutschen Hauptstadt. Die Sonne
leuchtet so hell und warm von dem tiefblauen wolken-
losen Himmel herab, daß man meinen könnte, der
wunderschöne Monat Mai stehe schon vor der Thüre.
Und doch verrieth die, Schneedecke auf den steilen
Giebeldächern !der altmodischen Häuser,
die den Platz auf der einen Seite ein-
fassen, und die weißen Tupfen auf dem
erzenen Standbilde in der Mitte des-
selben, daß der Winter noch^ nicht völlig
Abschied genommen habe. Der Föhn
war wieder einmal über die Alpen ge-
kommen und hatte ein Stück italienischen
Frühlings nach Norden mitgebracht.
Der Platz ist trotz der ziemlich weit
vorgerückten Morgenstunde wenig belebt
und die Leute, welche auf demselben
sichtbar sind, bewegen sich meist in Eile
auf eine breite Quergasse zu, die augen-
scheinlich in das Innere der Stadt
hinein führt. Von dort her tönt bald
näher bald entfernter ein dumpfer, ver-
worrener Lärm herüber, der bisweilen
wie ein Gelächter klingt und dann sich
wieder zu einem grellen Pfeisen oder-
gar zu einem wilden Geschrei steigert.
In den anliegenden Häusern hatte
sich hier und da ein Fenster geöffnet
und ein Weiberkopf schaute, nach den
Ursachen des Lärmens spähend, ver-
stohlen und vorsichtig hinaus. „Was
gibt's dennschonwieder, Herr Nachbar?"
fragte eine Stimme von oben herab.
„Was wird's denn geben," brummte
der Angeredete, ein stämmiger Schuster-
meister , welcher, einen halbseitigen
Stiefel in der Hand, an der Thüre seines
Ladens lehnte, „es gibt wieder einmal
'nen Krawall' Wir sollten eigentlich
schon daran gewöhnt fein, es vergeht
ja jetzt beinahe kein Tag mehr, an dem
nicht etwas los ist. Die Studenten
raufen wieder einmal mit der Polizei
und die spanische Hexe, die es unserer
Majestät angethan hat, ist mit ihrer
Reitpeitsche vermuthlich auch dabei.
S'ist halt alleweil die alte Geschichte; mit
Schreien und Skandalmachen fängt's an,
dann mischt sich die Polizei hinein und

zuletzt fließt Blut! Hol' der Satan die Tänzerin und
die Stndentcn und," fügte er, die Stimme ein wenig
dämpfend, hinzu, „die Gendarmen daneben!"
Es war kurz vor der Pariser Februarrevolution
und die drückende Schwüle der Pariser Atmosphäre
begann sich auch in Deutschland zu verbreiten. Selbst
der friedliche Staat, welcher der Schauplatz unserer
Erzählung ist, war der Ansteckung nicht entgangen.
Beinahe täglich kam es zu Reibereien, und solche
kleine Krawalle waren den Leuten bereits zur Ge-
wohnheit geworden, es mußte jeden Tag „etwas los
sein," wäre es auch nur eine Volksversammlung ge-
wesen, in der irgend ein Volksmann seine Zuhörer-
patriotisch zu begeistern suchte.

Der Residenzplatz füllte sich allmähüg mit den
abziehenden Teilnehmern des Krawalls. Zuerst
kamen Einzelne, die eiligst den Platz passirten, dann
immer Mehrere, die sich in Gruppen sammelten, um
in leidenschaftlicher Unterhaltung über das Erlebte
bald diese bald jene Meinung zu verfechten.
So war es denn kein Wunder, daß, als einer der
beliebtesten Volksredner der Hauptstadt schnellen Schrit-
tes über den Platz eilen wollte, die Menge ihm zujubelte
und ihm zurief„Doktor, eine Rede halten!" — Es
war ein kleines, beinahe verwachsenes Männchen, der
Herr Doktor, welchen! der riesige Heckerhut auf den
lang herabhängenden Haaren noch nicht eine mäßige
Manneshöhe zu geben vermochte, seines Standes ein
verkommener Literat und Reporter für
mehrere der neuen Blätter, die bei der
milder gewordenen Censur damals wie
Pilze aus der Erde schaffen.
Das Männchen grüßte, den Hecker-
hut schwenkend, nach allen Seiten hin
verbindlich, drückte auch hie und da
Einem der Habitues solcher Versamm-
lungen die Hand und wurde von der
schreienden und jubelnden Menge auf
einen Vorsprung des Erzstandbildes in
der Mitte des Platzes gehoben. Von
dort begann er, sich malerisch auf einen
der Löwen, die das Piedestal zierten,
stützend, seine Sprüche. Der Redner
verstand die Kunst des Auf- und Ab-
wiegelns, ohne mit der Polizei in
einen entschiedenen Konflikt zu kommen,
vortrefflich, und variirte den oft citirten
Ausspruch jenes hessischen Bäuerleins:
„Wir wollen die Republik aber auch
unseren Großherzog" in den mannig-
faltigsten Tonarten.
Wiewohl die Versammlung die näm-
lichen Phrasen schon recht oft gehört
hatte, lauschte sie denselben doch wieder,
theils mit stiller Andacht, theils mit
enthusiastischem Beifall, gleich einer
Offenbarung.
Nur hie und da wurde eine unlieb-
same Bemerkung laut.
„Das sind Dummheiten," rief Einer
dazwischen, „die Krawaller soll man
aufhängen, sonst werden wir keine Ruhe
haben."
„Und die Bräuer dazu, wenn sie
die Maß nicht wieder für vier Kreuzer-
geben," fügte ein Anderer bei.
„Ausreden lassen!" mahnte ein kräf-
tiger Schmiedegesell, indem er seinen
Hammer drohend erhob.
Endlich war der Redner zum
Schluffe gelangt. „Erinnert euch,"
sprach er mit erhobener Stimme,

Hermann Hendrichs, k. prenß. Hopchnuspieler.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. L26.)


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