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242

Ausdruck in ihrem Gesichte zu unterdrücken. „Du bist
reich und hübsch und glaubst Du, er wisse nicht, daß
ich die Tochter eines Hausdieners bin? Wenn er artig
gegen mich ist, so ist er es nur aus Rücksicht gegen Dich,
weil er sieht, wie freundlich Du mir stets entgegen-
kommst. Wie hast Du je an die Möglichkeit, Deine
Borzüge zu übersehen, glauben können? Mir konnte er
sich deshalb anfangs unbefangener nahen, weil er wußte,
daß ich seine Artigkeit nicht falsch deuten konnte."
„Johanna, Du bist nicht arm!" unterbrach Ina sie
fast unwillig. „Du bist meine einzige, wirkliche Freun-
din und mein Baker wird dasselbe für Dich Ivie für mich
thuu. Du weißt, Ivie lieb er Dich hat!"
„Ja, ich sage mir täglich, wie viel ich ihm zu ver-
danken habe," fuhr Johanna fort. „Um so weniger
werde ich je vergessen, wie wenig ich zu beanspruchen
habe."
„Du bist eine Närrin," unterbrach sie Ina lachend
nnd zog sie scherzend schneller mit sich fort. „Bist Du
nicht hübsch und klug? Glaubst Du, ich wisse nicht,
wie gern die Männer in Deine Augen blicken! Selbst
Rudolph sagte mir kürzlich, daß er schönere Augen als
die Deinigen nie gesehen habe!"
Unwillkürlich zuckte Johanna leise zusammen. Tie
glückliche Ina bemerkte es nicht, denn plaudernd fuhr sie
fort: „Ich begreife nicht, weshalb mein Vater meine
öffentliche Verlobung noch immer hinausschiebt! Er hat
Rudolph gern rind scheint sich wirklich zn freuen, daß ich
seine Gattin werde."
„Er scheint sehr von Geschäften in Anspruch genom-
men zu sein, denn schon seit Tagen ist er stiller als
gewöhnlich."
„Ich wünschte, er gäbe das Geschäft ganz auf und
gönnte sieh Ruhe, er ist ja reich," bemerkte das blonde
Mädchen.
„Er sorgt für Dich," führ Johanna fort. „Da er
Dich so innig liebt, wünscht er Deine Zukunft so glän-
zend als möglich zu gestalten!"
„Und sich selbst gönnt er deshalb kaum Ruhe. Ich
biu ja gern zufrieden mit dem, was er besitzt, ich wünsche
später kein anderes Haus als dies Landhaus. H^r habe
ich mich mit Rudolph verlobt, hier auf der Terrasse Null
ich, wenn wir verheirathet sind, des Abends mit ihm
auf- und abgehen, hier wollen wir Plaudern und spielen
Ivie zwei glückliche Kinder. Unser Hans in der Stadt
ist mir zu groß und düster, wie oft habe ich mich in
den hohen und weiten Räumen gefürchtet, es ist nur,
- als könne man sich dort nie so recht glücklich und heimisch
fühlen. Und auch Rudolph hat dies Haus hier so gern,
er sagte mir erst gestern, hier werde immer Blüthenduft
sür ihn sein, weil er in der Blütheuzeit sich mit mir
verlobt. Dort kommt er!" unterbrach sie sich, ließ schnell
den Arm der Freundin los und eilte durch den Garten
dem Nahenden entgegen.
Einige Sekunden lang blieb Johanna stehen, ihr Auge
ruhte auf dem Kommenden, der mit der Hand winkend
freundlich grüßte. Galt dies ihr? Ina konnte er in
diesem Augenblicke nicht sehen, weil Gebüsch sie verbarg.
Wie leicht die schlanke Gestalt des Offiziers daher kam!
Sie erkannte sein leuchtendes Auge, seine hübschen Züge
und ihr Herz schlug fast hörbar laut. Wie glücklich Ivar
die, welche ihm entgegeneilen und sich an seine Brust
werfen konnte!
Schnell eilte sie in das Haus und auf ihr Zimmer,
die Thüre schloß sie hinter sich, warf sieh auf einen Stuhl
und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Weshalb
hatte Ina die Befürchtung, daß Rudolph sie geliebt habe,
ausgesprochen! Was sie sich selbst nicht zugestehen, was
sie kaum zu hoffen gewagt hatte, was wie der schönste
Traum ihres Lebens vor ihr gestanden, das sah sie mit
einein Male erfüllt und zugleich. vernichtet. Sie hatte
sich also doch in Brankow's Blicken, die so oft sinnend
ans ihr geruht, nicht getäuscht. Jedes seiner freundlichen
Worte, so manche seiner kleinen Aufmerksamkeiten rief sie
sich in die Erinnerung zurück — ja, er hatte sie geliebt.
Wäre sie reich gewesen, so würde er sich mit ihr verlobt
haben, nur ihre Armuth hatte die unübersteigbarc Kluft
zwischen ihm und ihr gebildet, denn auch er war ohne
Vermögen.
Sie liebte ihn zu innig, um ihm zu zürnen. Durch
ihn Ivar in ihrem jungen Herzen zuerst das Gefühl der
Liebe geweckt und wie ein stilles Heiligthum barg sie cs
in ihrer Brust.
Durfte sie den Verlobten ihrer Freundin, der sie so
viel verdankte, lieben? Diese Frage drängte sich ihr auf,
sie fühlte, daß sie ihr Herz nicht werde bezwingen können,
aber gleichzeitig festigte sich der Entschluß in ihr, der
Freundin und deren Verlobten nie zu zeigen, was in
ihrer Brust vorging. Und sic besaß den Charakter, um
einen einmal gefaßten Entschluß fest und getreu durchzu-
führen, mochte sic selbst auch dabei zn Grunde gehen.
Völlig gefaßt verließ sie das Zimmer wieder und
begab sich in den Garten. Allein schritt sie dahin, nm
die beiden glücklichen Menschen, welche noch auf der Ter-
rasse saßen, nicht- zu stören. Unwillkürlich drängte sich
ihr die Frage auf: Ivie wird Deine Zukunft sich ge-
stalten? Mit heiteren: Auge hatte sie stets iu dieselbe
geblickt, jetzt war es ihr, als ob es nie wieder eine wirk-

Das Buch für Alle.

er.

er.

Freundin.
gesucht," fügte
die Hand zum

sich rufen und
und Brankow

liehe Freude für sie geben könne. Au: fernen Horizonte
stiegen düstere und wild zerrissene Wolken empor — waren
sie das Bild des Lebens, welches sie erwartete? Tiescr
Gcdanke erschreckte sie, sie fühlte ihre Kniee zittern und
mn sich aufrecht zn halten, Preßte sie die heiße Stirne
an den Stamm eines Baumes.
Da hörte sie ihren Namen hinter
schnell raffte sie sich zusammen. Ina
kamen, um sie zu suchen.
„Johanna, wo bleibst Du?" rief die
„Wir haben Sie im ganzen Garten
der Lieutenant hinzu, indem er Johanna
Gruße cntgegenstrecktc. Wieder ruhte sein Äuge mit
einem fast glühenden Ausdrucke auf ihr; er hielt ihre
Rechte iu der seinigen fest. „Ihre Hand zittert," fuhr
cr fort. „Sind Sie unwohl?"
Mit aller Kraft rang das Mädchen nach Fassung.
„Blich hatte soeben ein Gefühl des Schwindels er-
faßt — deshalb, deshalb lehnte ich die Stirne an den
Baum."
Ina umfaßte die Freundin besorgt und innig.
„Ich werde Sie in das Haus geleiten!" rief Brankow.
„Nein, nein," entgegnete Johanna ruhig und richtete
sich fest empor. „Es war nur das Gefühl einer augen-
blicklichen Schwäche, die mich nicht zum ersten Male
überrascht hat. Jetzt ist Alles vorüber — ich fühle mich
wieder völlig Wohl."
Sie blickte die Freundin lächelnd an und dies Lächeln
beruhigte Ina, hatte sie doch keine Ahnung, welchen
Schmerz dasselbe verursachte.
Das Auge Brankow's blickte schärfer, zweifelnd schüttelte
er leise nut den: Kopfe.
Und wenn der Schwindel nun wiederkehrt?" sprach
„Ich bitte Sie, stützen Sie sich auf meinen Arm."
Thu' es, Johanna," bat Ina.
Ich fühle mich völlig Wohl," entgegnete Johanna.
„Nur Ruhe wünsche ich jetzt!"
Sie küßte die Freundin auf die Stirne und eilte
dann schnell fort in das Haus. —
Eine halbe Stunde später kau: Platener iu seiner
Equipage aus der Stadt angefahren. Johanna eilte ihm
entgegen und erschrak, als sie das bleiche nnd fast ver-
zerrte Gesicht des Mannes erblickte.
„Herr Platener, was ist geschehen?" rief sie bestürzt.
„Nichts — nichts, Kind!" entgegnete der Kaufmann
hastig, indem er ihren: Blicke ansznwcichen suchte. „Es
ist nichts geschehen!" wiederholte er noch einmal, als
liege ihn: Viel daran, diese Worte besonders zu betonen.
„Wo ist Ina?"
Johanna theilte ihm mit, daß sie mit ihren: Ver-
lobte:: ans der Terrasse sitze.
„Dann laß sie — laß sie," fuhr Platener fort, in-
dem er nut Blühe aus dem Wagen stieg. „Sage ihnen
noch nicht, daß ich zurückgckehrt bin," fügte er hinzu.
Er rafste sich gewaltsam zusammen und wollte schnell
die wenigen Schritte bis zum Hause zurücktegeu, dennoch
mußte er einmal stehen bleiben, um Athen: zu schöpfen.
„Sie sind krank," sprach Johanna besorgt.
„Ja, ich biu krank," erwicderte Platener, als ob er
gern an dieses Wort sich anllanimere. „Ich fühle mich
krank und hinfällig, aber sage es Ina nicht — sie darf
eS nicht wissen."
„Ich werde sofort zum Arzte senden," warf Johanna
ein und wollte in daS Haus eilen, um den Diener zn
rufen und zur Stadt zu schicken.
Der Kaufmann erfaßte ihre Hand nnd hielt sie fest.
,Bleib hier, Kind — ich will keinen Arzt!" sprach
„Auch er kann mir nicht helfen, denn es thnt niir
nnr Eins Noth: Ruhe, Ruhe!"
Er strich mit der Hand über die Stirne hin.
„Ich werde sie finden," führ er dann fort, „deshalb
verschweig Ina, daß ich heimgekehrt bin, ich bin ja
manche» Abend erst spät zurückgekonnnen, es wird ihr
deshalb nicht ausfallen. An der Seite ihres Verlobten
fühlt sie sich glücklich. Tics Glück will ich nicht stören,
sie soll es genießen, so lange — so lange es möglich ist!"
In seinem Zimmer angelangt, sank er erschöpft auf
einen Ltuhl. Johanna eilte fort, um ein Glas Wein
für ihn zu holen. Als sie zurückkehrte, saß er uoch
reguugslvS da, beide Hände vor das Gesicht gepreßt; er-
schien ihr Nahen gar nicht zu bemerken.
Erst als sie dicht an ihn herantrat und die Worte:
„bitte, trinken Sie!" zn ihn: sprach, ließ er die Hände
langsam sinken nnd sie fuhr erschreckt vor den: Ausdrucke
seines Gesichtes zurück. Einige Sekunden lang blickte er-
ste starr an, als ob er sie nicht erkenne, dann trank er
hastig den Wein. Ein schwerer Seufzer rang sich ans
seiner Brust.
„Ich habe meine Kräfte überschätzt und zu viel ge-
arbeitet," sprach er. „Jetzt sehne ich mich nach Ruhe.
Johanna, glaubst Du, daß Ina mit Brankow glücklich
werden wird?"
Durch diese Frage überrascht, blickte das Mädchen
ihn an.
„Glaubst Du, daß er in allen Lebenslagen fest und
treu zu ihr stehen wird?" fuhr er fort. „Daß er sie
nie verlassen wird, wie das Geschick sich auch tuenden
mag? Ina ist gut, ihr Herz ist jedoch zu weich für das

Hrft N.
Leben, wem: irgend ein Sturm an es heraniräte, so
würde cs unterliegen, wenn es nicht eine feste und treue
Stütze hat. Wird Brankow die Kraft dazu besitzen?"
„Ja, ich glaube es," gab Johanna zur Antwort.
Da sie ihn liebte, erschien er ihr nut all den Vorzügen
ausgcstattet zu jein, die der echte Mann nur besitzen
kann. „Welches Geschick könnte sie jedoch treffen, da sie
von Glück umgeben ist!" fügte sie hinzu.
Halb in Gedanken versunken blickte Platener einen
Augenblick lang vor sich hin.
„Weißt Tu nicht, wie wechselvoll das Glück ist!"
sprach er dann. „Scheint es nicht oft eine Freude daran
zu finden, Ten zu stürzen, den es erst so hoch empor-
gehoben hat. Hast Du nie gehört, daß denen, welche
von Tausenden beneidet wurden, das Glück Plötzüch den
Rücken zuwandte und daß diese dann doppelt elend da-
standen, weil sie verwöhnt waren und nicht die Krast
besaßen, gegen die Wogen, die sie bedrohten, anzu-
kämpfen! Haha! In Dichtungen wird uns oft ein sol-
cher Wechsel des Glückes geschildert, wir glauben cs
nicht, weil eS uns unnatürlich erscheint und doch ist das
Leben erfinderischer nnd grausamer als die Phantasie
aller Dichter! Das Leben ist die treueste Komödie, dem:
wenn in ihn: der Vorhang fällt, so ist daS Stück wirt-
lich zu Ende und die Todten hinter ihn: leben nicht
wieder auf!"
„Sie sind erregt!" rief Johanna besorgt. „Soll ich
nicht doch nach den: Arzte senden?"
Platener schüttelte ablehnend mit den: Kopfe.
„Ich will versuchen, ruhig zu werden," entgegnete
er. „Die Abspannung wird schwinden, wenn ich schlafe
— ja, ich Null schlafe::. Niemand — Niemand soll mich
stören, sage dies den: Diener. Und mm gehe zn Ina
und verrat'hc nichts durch Dein besorgtes Gesicht. Sage
zn ihr, ich habe einen Boten aus der Stadt geschickt
und melden lassen, daß ich erst spät — spät heimkehren
werde. Sie soll schlafen, wenn Brankow sie verlassen
hat. Nun geh' — geh' Johanna und sende nur durch
den Diener noch eine Flasche Wein, der Wein wird mir
ivvhlthun!"
Er hielt Johanna's Hand einen Augenblick in der
seinigen und drückte sie fest, er sah ihr in die Angen,
dann schob er sie sanft der Thüre zn.
Sic theilte dem Diener den Auftrag seines Herrn
mit, sie hörte, Ivie Platener, als derselbe ausgcführt
Ivar, die Thüre hinter den: Diener verschloß. Besorgt
blieb sie in dein Vorzimmer stehen, um zu lauschen,
denn sie hatte an den: Vater ihrer Freundin nie eine
solche Erregung wahrgenommcn. War derselbe dennoch
kränker als er selbst 'glaubte? Als aber iu Plateuer's
Zimmer Alles ruhig .blieb, da cutfernte sie sich leise,
weil sie glaubte, der Schlaf, nach dem er so sehr ver-
langt, habe sich bereits eingestellt.
Sie schritt durch den Garten hin und begab sich
dann zn Ina und Brankow, welche noch immer auf der
Terrasse saßen nnd in ihren: Glücke kau::: empfunden
hatten, daß Stunden geschwunden waren.
Der Abend Ivar längst hereingebrochcn, als Ina
nach ihren: Vater fragte,'erst jetzt theilte Johanna ihr
nut, daß derselbe erst spät aus der Stadt znrückkehren
werde.
„Er hat nur heute Mittag nichts davon gesagt,"
warf Ina ein.
„Vor einigen Stunden fandte er einen Boten nnd
ließ cs sagen," gab Johanna zur Antwort. „Ich habe
eS Dir nicht mitgetheilt, nm Dich nicht zn stören."
Ina warf der Freundin für diese Rücksicht einen
dankenden Blick zu.
Es war bereits ziemlich spät an: Abende, als Bran-
kow zur Stadt zurückkehrte. Bis an die Gartenpforte
gab ihn: Ina das Geleit, dann begab sie sich auf ihr
Ziuuner.
Johanna ging mit ihr, Ivar ihr bei::: Anskleiden
behilflich nnd setzte sich daun auf den Bettrand des
glücklichen Mädchens, welches noch lange von der Her-
zensgute und den Vorzügen des Geliebten sprach, ohne
zu ahnen, wie schwer es der Freundin dabei um das
Herz war.
„Du bleibst bei nur, wenn ich mit Rudolph verbunden
bin," sprach sie. „Ich lasse Dich nicht eher von mir,
als bis Du selbst einen: Manne Deine Hand reichst. Glück-
lich nnd heiter wollen wir leben. Ich habe nut Rudolph
heute Abend darüber gesprochen und auch er wünscht es,
weil er Dich gern hat!"
Halb traurig schüttelte Johanna mit den: Kopfe.
„Glaubst Du, daß ich dann Dir das noch sein werde,
was ich jetzt bin!" warf sie ein. „Dann ist ein Anderer
an Deine Seite getreten, den: Tn Alles anvertranen
kannst und ich möchte ihn: auch nichts von den: Rechte,
welches er an Dich hat, rauben. Voll und ganz muß
ihn: Dein Herz angehören, wie es ihn: jetzt gehört.
Wenn ich je einen: Manne meine Hand reichen sollte
nnd ich glaube uicht, daß dies geschehen wird, dann
werde ich cs mir thnn, wenn ich weiß, daß ich ihn:
Alles sein kann, Gattin und Freundin zugleich."
„Du glaubst nicht, daß es je geschehen wird?" unter-
brach Ina sie erstaunt. „Dn solltest Dich uicht darnach,
sehnen, glücklich zu werden! Johanna, auch Dein Herz
 
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