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410

den Muth besitzen, den Kopf cmpvr zu heben. Hielten
sie zusammen, so könnten sie die Gesetze vorschreiben.
Sie sind die Mehrzahl, deshalb sind sie auch die Macht.
Nur mit gauz kurzen Worten habe ich Ihnen die Idee
meines socialen Werkes, ja meiner großen Aufgabe ange-
deutet, ich hoffe, wir werden öfter darüber sprechen, und
dann werde ich Sie für mich gewinnen, ich weiß es.
Bis jetzt ist meine Idee noch daran gescheitert, daß ich
zu wenig Anhänger gefunden habe. Weil ich ein Ge-
lehrter bin, deshalb schenken nur die Arbeiter wenig
Vertrauen und doch opfere ich mich für sie. Einen kleinen
Kreis von Männern aus dem Arbeiterstande, welcher
meine Ideen weiter trägt, habe ich bereits gewonnen,
treten auch Sie diesem Kreise bei. Wenn Sie zu Ihren
Freunden so sprechen, werden sie Ihnen mehr Glauben
schenken als nur. Haben Sie den Muth dazu? Daß Ihr
Kopf die Fähigkeit besitzt, verräth mir Ihr kluges Auge."
Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit war Wenzel
den begeisterten Worten des kleinen Mannes gefolgt, seine
Wangen glühten, sein Blut floß schneller. Nur ganz
flüchtig und abgerissen hatte Brand seine Ideen ihn: mit-
gethcilt und doch hatten sie in ihm gezündet, denn er
war nicht im Stande, genau zu unterscheiden, wo sic
über die Grenze der Wahrheit und Möglichkeit hinaus-
gingen. Konnte Brand so begeistert sprechen, wenn er
von der Wahrheit seiner Ideen nicht fest überzeugt war,
wenn er sich nicht berufen fühlte, dieselbe in's Leben zu
rufen! Dieselben Wünsche hatte Wenzel längst gehegt,
sie lebten im ganzen Arbeiterstande, wenn auch weniger
klar, wenn auch nur wie ein Hoffen, das einst in Er-
füllung gehen werde. Brand erschien ihm wie ein Apostel
der Arbeitersache. Der Mann darbte und arbeitete, um
seine Ideen in's Leben zu rufen, obschon ihm ein anderer
Lohn, als die innere Geuugthuung, kaum in Aussicht
stand. War dies möglich, wenn er sich nicht wirklich
zu dem Werke berufen fühlte und auch dazu berufen war?
„Ich habe den Muth, auf Ihre Seite zu treten und
Ihnen zu helfen!" rief Wenzel erregt. „Zählen Sie
fest ans mich, ich werde mit Ihnen kämpfen und ringen!"
Die Angen des vr. Brand strahlten, in ihm trium-
Phirte es, denn er wußte jetzt, daß er Wenzel gewonnen
hatte; noch hielt er die Freude jedoch zurück.
„Ich glaube und vertraue Ihnen, ehe Sie sich jedoch
fest binden, will ich Sie noch auf Eins aufmerksam
machen," sprach er. „Wer mir sein Wort gibt, der ist
durch dies Wort und seine Ehre gebunden!"
„Sie können ans mich bauen, ich werde nicht zurück-
treten!" versicherte Wenzel.
„Ich darf Ihnen auch nicht verhehlen, daß die Auf-
gabe, die wir uns stellen, Arbeit und sogar Opfer ver-
langt. Das ruhige, stille Leben, welches Sie bisher ge-
führt haben, hört auf, Sie treten in eine bewegtere
Zukunft — sind Sie auch unter diesen Bedingungen
bereit?"
„Ja!" sprach Wenzel mit fester Stimme. Wie viel
er versprach, wußte er selbst nicht.
„Dann schlagen Sie ein!" rief Brand, ihm die Rechte
entgegenstreckend. „Wir wollen zusammenhälten, weil
ich fühle , daß wir zusammen gehören! Klar steht das
Ziel, welches wir zu erstreben haben, vor mir, ich sehe
die Hindernisse, welche uns entgegentreten, sie sind groß,
aber nicht groß genug, uni mich zurückzuschrecken oder
meinen Muth zu schwächen. Wer Großes will, kann
Großes erreichen, denn der feste Wille ist die mächtigste
Kraft, welche es gibt! Wir wollen siegen, wir wollen
die Idee, welche uns erfüllt, in's Leben rufen! Unser
Wahlspruch sei: Vorwärts! Vorwärts! Unser Ziel ist
hoch, wir müssen diese Höhe erklimmen, wir werden sie
erklimmen und wenn wir auch zuletzt über einer halb
zertrümmerten Welt als Sieger dastehen! Wir sind doch
Sieger!"
13.
Ein neues und bewegtes Leben brach für Wenzel
herein. Fast jeden Abend kam er mit Brand zusammen
und dieser ihm geistig so weit überlegene Mann übte
eine immer größere Gewalt über ihn ans. Er hielt die
Ideen desselben für die allein richtigen, weil er verstand,
sie in begeisterter und verlockender Weise vorzutragen, er
wagte nicht einmal an ihnen zu zweifeln, denn wenn
Brand in einem kleinen Arbeiterkreise anftrat und sprach,
stimmten ihm alle begeistert bei und priesen seine Ideen.
Sie verhießen ja den Arbeitern eine goldene und ver-
lockende Zukunft, und mit dem Rufe" wir werden jedes
Hinderniß, das uns entgegentritt, niedcrwerfen und be-
siegen, — verscheuchte er zugleich die aufsteigenden Be-
denken.
Der Mensch glaubt ja so leicht das, was ihm an-
genehm und Wünschenswerth ist.
Mit stiller Trauer hatte Johanna es ertragen, daß
ihr Mann jetzt selten des Abends heimkam. Bald war
er mit Brand und dessen Freunden zusammen, bald
fand eine Versammlung statt, in der die Lage der Ar-
beiter besprochen wurde und in welcher nicht fehlen zu
dürfen er vorgab.
Wo waren die stillen, glücklichen Abende geblieben,
in der sie Wenzel zur bestimmten Stunde erwartete, an
denen er bei ihr blieb, an ihrer Seite saß, ihr erzählte
oder auch mit ihr las! Diese kurzen Stunden waren

Das Buch für Alle.

für sie eine reichliche Entschädigung gewesen für den
langen Tag, an dem sie immer allein saß.
Wie oft hatte sie diese Abende, an denen sie sich so
glücklich fühlte, mit denen verglichen, die sie in Platener's
Hause zugebracht. All' der Luxus, der sie dort umgeben,
die glänzenden Gesellschaften, in denen sic von Herren
umschwärmt gewesen war, hatten ihr nicht die innere
Wärme und Befriedigung zu geben vermocht. Ina
hatte nach langer Zeit ihr geschrieben und ihr als ver-
trauteste Freundin die Frage vorgelegt, ob sie ihren
Entschluß noch nie bereut habe, ob ihr kluger und ge-
bildeter Geist in dem engen und beschränkten Wirkungs-
kreise seine volle Befriedigung finden könne? Ob sie
sich nicht doch in einsamen Stunden wieder hineinsehne
in das Leben der rauschenden Freude und des Reich-
thnnis, der doch nicht allein auf Verblendung beruhe,
sondern so viele und auch edle Freuden ermögliche, die
ihr jetzt abgeschnitten seien?
Mit vollster und freudigster Ueberzeugung hatte sie
geantwortet, daß sie sich glücklicher fühle, als sie je ge-
ahnt, daß sie noch nicht einen Augenblick lang das
frühere Leben zurückgesehnt und daß sie in ihrem kleinen
Wirkungskreise volle Befriedigung finde. Sie hatte be-
tont, daß sie ihren Gatten innig liebe und von ihm nut
derselben Tiefe der Empfindung geliebt werde, daß sie
überzeugt sei, er werde ihr jedes Opfer bringen, daß sie
deshalb für immer an ihrem Entschlüsse fcsthalten werde,
die Ehre ihres Mannes zu wahren und ihm das zu
sein, was eine getreue Gattiu ihrem Manne nur sein könne.
Sie wußte, daß Wenzel sie auch jetzt noch ebenso
innig liebte wie früher, allein was sie bereits mehr als
einmal befürchtet hatte, war eingetreten, Anderen war
es nicht schwer geworden, auf seinen guten, aber schwa-
chen Charakter bestimmend und verführend einzuwirken.
Sie blickte zu scharf, als daß sic sich hätte verhehlen
können, wohin eine solche Schwäche führen kann.
Wo ist die Grenze, von der man sagen kann: bis
hieher reicht sie. Alles, was durch Grundsätze seit Jah-
ren aufgebant, ja die mühsamen Errungenschaften eines
ganzen Lebens können durch Schwäche über den Haufen
geworfen werden. Der schlaueste und gewissenloseste
Kopf ist zu berechnen, nur Dummheit und Schwäche
sind unberechenbar.
Johanna hatte lange schweigend geduldet, endlich
hielt sie es für ihre Pflicht, Wenzel Vorstellungen zu
machen und es ihm offen zu sagen, daß er sich auf einer
gefährlichen Bahn befinde.
„Du vernichtest unser Glück und Deine Zukunft,"
fügte sie hinzu. „Welcher Wechsel ist mit Dir vorge-
gangen! Was Dich noch vor wenigen Wochen glücklich
machte, die stillen und friedlichen Abende, welche Du
bei mir zubrachtest, genügen Dir nicht mehr. Karl, Du
vergißt, daß Du eine Frau hast, daß ich ein Anrecht
auf Dich besitze und daß Du Dich Deinem eigenen
Herde, der einst Dein ganzes Glück ausmachte, immer
mehr entfremdest. Untergrabe Deine eigene Zufrieden-
heit nicht!"
Wenzel fühlte, daß Johanna Recht hatte, er konnte
und durfte es ihr nicht zugesteheu.
„Du verkennst mich," entgegnete er. „Meine Liebe
zu Dir ist dieselbe geblieben, allein andere Pflichten sind
an mich herangetreten. Der Mann kann nicht allein
seiner Familie angehören, weil das Leben Anforderungen
an ihn macht. Du weißt nicht, welchen Werth der
Doktor Brand auf meine Ansichten legt, ich würde einen
Verrath an unserer gemeinsamen Sache begehen, wenn
ich mich jetzt zurückziehen wollte."
Ein trauerndes und schmerzliches Lächeln glitt über
das bleiche Gesicht der jungen Frau hin.
„Karl, der Doktor Brand ist Dein Unglück!" sprach sic.
Diese wenigen Worte regten Wenzel auf. Es war
fast, als ob sie eine geheime Empfindung oder Ahnung
berührt hätten, nie würde er dies jedoch zugestanden
haben, denn er verehrte den kleinen Gelehrten und war
jeden Augenblick bereit, ans dessen Worte zu schwören.
„Ich begreife Dich nicht, Johanna!" entgegnete er.
„Hältst Du Brand nicht für ehrlich? Er opfert sich
selbst für seine Ideen auf, denn er wird nie einen äußeren
Lohn davon tragen. Für uns arbeitet und kämpft er,
uns will er eine Zukunft erringen und müßte -er den
Sieg unserer gerechten Sache mit seinem Leben be-
zahlen!"
„Ich halte ihn für ehrlich, ja ich weiß, daß er es
ist!" gab die junge Fran ruhig zur Antwort. „Aber,
Karl, er ist ein Schwärmer und durch die Idee, welche
ihn erfüllt, ein Fanatiker! Er kennt das Leben nicht
und will doch neugestaltend in dasselbe eingreifen. Gerade
weil er an die Wahrheit seiner Ideen so fest glaubt, ist
er so gefährlich, denn dieser Glaube gibt ihm Begeisterung,
welche so manchen Unbefangenen mit hinreißt!"
„Ich zähle nicht zu den Unbefangenen, sondern zu
den entschiedenen Anhängern und Vertretern seiner Ideen,
die uns eine ganz neue Zukunft anbahnen und eröffnen
werden," warf Wenzel ein.
Johanna schwieg einen Augenblick lang, sie wußte,
daß ihre Worte ohne Eindruck Verhallen würden, und
doch hielt sie es für ihre Pflicht, sich offen und mahnend
ausznsprechen.

Lscst 18.
„Karl," sprach sie und trat an ihren Mann heran,
„manchen Abend habe ich schweigend den Auseinander-
setzungen des Doktor Brand zugehört, ich besaß nicht die
Gewandtheit und den Muth, ihm zu antworten, denn
mein ganzer Lebens- und Jdeenkreis ist ja ein anderer als
der Deinige, allein eine Ueberzeugung hat sich mir auf-
gedrängt, ein Mann, und fände er noch so zahlreiche
Unterstützung, wird nimmermehr Umstürzen, was seit
Jahrhunderten durch die Verhältnisse aufgebaut und fest
begründet ist. Es ist ein Phantom, dein er nachjagt
und für welches er euch zu eurem Nachtheile mit hin-
reißt!"
„Es ist kein Phantom!" rief Wenzel eifrig. „Wir
wollen nicht länger Sklaven der Reichen sein, welche
unsere Arbeitskraft für sich ansnützen, welche schwelgen,
während die Arbeiter Noth leiden!"
„Karl, Du leidest keine Noth," warf Johanna ein,
„wir lebten glücklich, bis Du Brand und dessen Freunde
kennen lerntest, bis sie den Samen der Unzufriedenheit
in Deine Brust süeten. Das, was Du verdientest, reichte
für unsere Bedürfnisse vollkommen aus, Du hast sogar
gespart und freutest Dich über jeden Thaler, den Du
zurücklegen konntest. Du sagst, ihr wolltet nicht länger
Sklaven sein — bist Du denn ein Sklave? Freiwillig
bist Du in Fröbel's Fabrik eingetreten, er bezahlt Dich
für Deine Arbeit, er kann Dich nicht zwingen, bei ihm
zu bleiben, heute noch kannst Du ihn verlassen, wenn
Du willst!"
„Johanna, Du kennst die Verhältnisse zu wenig,
deshalb bist Du auch nicht im Stande, sie zu bcur-
theilen," entgegnete Wenzel. „Wir sind Sklaven. Wenn
ich heute Fröbel verlasse, so muß ich morgen in einer
änderen Fabrik Arbeit suchen, um zu leben. Ist es
nicht gleichgiltig, ob wir von diesem Manne oder von
einem' anderen abhängig sind? Sie Alle haben nur das
eine Streben, den Arbeiter auszubeuten und sich durch
seine Kraft zu bereichern!"
„Dann kann ich ebenso gut sagen: Fröbel ist der
Sklave seiner Arbeiter. Wenn ihr ihn heute verlaßt,
ist er morgen genöthigt, sich andere Arbeiter zu suchen,
um seine Fabrik nicht still stehen zu lassen, denn durch
sie lebt er."
„Er ist reich genug, um ohne die Fabrik leben zu
können!"
„Der Einwurf ist nicht richtig, Karl," fuhr Johanna
fort. „Du selbst hast mir gesagt, daß er sein Vermögen
durch die Fabrik erworben habe, und es gibt Tausende
von Fabrikanten, welche kein Vermögen besitzen, welche
von ihrer Arbeit so gut leben müssen, wie Du vou der
Deinigen."
„Sie verdienen Hundertmcfl mehr als wir, welche für
sie arbeiten."
„Und wenn sie es thun, sind nicht auch ihre Sorgen
nm so viel größer? Können sie nicht selbst Verluste
erleiden, während sie doch euch deu vollen Lohn aus-
zahlen müssen!"
Immer mehr fühlte sich Wenzel durch die einfachen
Einwürfe seiner Frau in die Enge getrieben, es fehlten
ihm die Worte, um sic zu widerlegen.
„Du vertheidigst die Fabrikanten und Arbeitgeber
gegenüber den gerechten -Ansprüchen der Arbeiter, zu
denen doch auch Dein Mann gehört!" rief er. „Du
stellst Dich auf ihre Seite, während ich gerade von Dir
hoffte, daß Du mir beistimmen würdest. Liegt mein
Interesse Dir nicht näher? Ich muß fast das Gegen-
theil glauben!"
Ein schmerzliches Gefühl zuckte um den Mund der
jungen Fran.
„Karl, habe ich diesen Vorwurf verdient?" entgegnete
sie. „Seitdem ich die Deinige bin, habe ich kein anderes
Interesse gekannt, als das Deinige, all' meine Gedanken
und Sorgen sind ja nur ans Dich gerichtet. Weil ich
Dich in einer Gesellschaft sehe, welche Dein Unglück
werden wird, deshalb möchte ich Dich von ihr trennen;
ich bin ganz offen gegen Dich, weil ich es für meine
Pflicht halte. Du jagst einem Trugbilde nach, ohne daß
Du cs je erreichen wirst!"
„Und Du glaubst, daß alle die Männer, welche
meine Ueberzeugung theilen, irren?"
„Ja, ich glaube es!"
Wenzel schritt in dem kleinen Zimmer auf und ab,
nm seine Erregung nicderzukämpfen. Er wußte, daß
Johanna ihn liebte und um ihn besorgt war, allein sie
begriff sein Streben nicht, ihr Blick reichte nicht weit
genug, sie. klammerte sich an Ideen fest, welche bereits
abgethan waren.
„Du begreifst mich nicht, sonst würdest Du erkennen,
daß mein ganzes Streben darauf gerichtet ist, die Lage
der Arbeiter und auch die meinige zu verbessern," sprach
er endlich. „Ich selbst will die Früchte meiner Arbeit
genießen, ich will mehr verdienen, nm Dir das Leben
zu erleichtern und angenehm zu machen. An Dich denke
ich und Du mißbilligst meine Bemühungen!"
Mit voller Liebe ruhten Johanna's Augen auf ihrem
Manne. Nicht einen Augenblick lang hatte sie daran
gezweifelt, daß sein Streben aus einer edlen Absicht her-
vorging, denn sein Herz war gut; nur das bekümmerte
sie, daß er einen falschen Weg eingeschlagen, daß er vou
 
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