L)aS Buch sur Alle.
Heft 4
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dazu Anlaß, zu welcher mau viele Steine brauchte. Denn
Wollte inan durch diese Maßregel den neugierigen Zu-
drang abhalten, so hätte man doch Wohl hohe Herrschaf-
ten ausgenommen. Wir finden auch die Sitte des Stein-
tragens noch anderwärts, wie z. B. in Böhmen kein
Pilger die Wallfahrtskirche auf dem Kbell betreten durfte,
wenn er nicht von dem Brunnen unter dem Berge aus
einen Stein mit hinauf gebracht und oben in einen Haufen
niedergelegt hatte. Bei anderen Burgen und Kapellen
war es Sitte, daß die Besucher ein Scheit Holz mit
hinaufnchmen mußten, und lag Wohl allen diesen Ver-
pflichtungen ein verwandter Zweck zum Grunde.
Zum Schluß noch einige seltsame Lehnsgebräuche,
die zum Theil höchst lästig, zum Theil höchst lächerlich
und schimpflich waren. So war in Franken ein adeliges
Gut, dessen Besitzer seinem Lehnsherrn um Martini einen
Zaunkönig schenken mußte. Ein Edelmann in Oester-
reich hatte zum Lehnsbekenntniß zwei Maß Fliegen zu
liefern. Andere Lehnspflichtige mußten alle Jahre ihre
Backen dem Lehnsherrn Hinhalten, um von ihm, wenn
er es thun wollte, einen Backenstreich in Empfang zu
nehmen; oder sie mußten sich vor der Frau des Lehns-
herrn betrunken stellen, wie die Bauern tanzen und ein
lustiges Lied singen. — Die Herren v. Dymerode muß-
ten dem Kaiser, wenn er nach Thüringen kam, einen
Heerwagen niit Schüsseln darbriugen.
Doch genug der seltsamen Sitten und Gebräuche aus
der Vorzeit, von denen wir noch eine ganze Menge an-
führen könnten, wenn es der Raune dieser Blätter und
die Geduld des Lesers gestattete.
Die Schleifung -er Citadelle von Antwerpen.
(Mit Abbildung.)
Mele unserer älteren Leser erinnern sich noch der Kämpfe,
welche zu Anfang der dreißiger Jahre zwischen den eben erst
zu staatlicher Selbstständigkeit gelangten Belgiern nnd den Hol-
ländern nm die Citadelle von Antwerpen stattgefunden haben,
welche von dem General Chafsö so hartnäckig vertheidigt wurde,
und wo es endlich nur dein französischen Hilsscorps von
61,800 Mann unter dein Marschall Gerard gelang, nach einer
sechswochentlichen Belagerung die Holländer in der Citadelle
unter General Chasse zur Kapitulation zu zwingen (30. Decem-
ber 1832). Dies^ alte Citadelle auf der Südseite der Stadt
und dem rechten Schelde-Ufer ist noch ein denkwürdiges Ueber-
bleibsel-Mls der Zeit des Abfalls der Niederlande von der
Krone Spanien, denn ihre Erbauung ward im Jahr 1567
durch den Herzog von Alba als Statthalter der Niederlande
veranlaßt und begonnen und erst 1571 vollendet nnd galt da-
mals für ein wahres Wunder von Festigkeit. Sie bildete ein
regelmäßiges bastionirtes Fünfeck mit sehr hohen Mauern und
soliden Escarpen von Quadern, hat in den kriegerischen Ereig-
nissen jenes langen Befreiungskampfs eine bedeutende Rolle ge-
spielt und sich auch in der späteren Kriegsgeschichte, besonders
1746 und 1791, einen Namen gemacht, "Seit 1833 aber war
nicht mehr viel für ihre Unterhaltung gethau worden, und war
sie schon früher und von Anbeginn an ein verhaßtes Twing-
Uri und ein Hemmnis; für die gedeihliche Entwickelung Ant-
werpens, der thätigsten und reichsten Handelsstadt Belgiens,
so war sie dies ganz besonders in neuester Zeit, wo Autwerpen's
kommerzielle Bedeutung einen solch gewaltigen Ausschwung nahm.
Ueberdem diente diese alte Citadelle eigentlich keinen strategischen
Tic Sprengung der Ringninuer Per CUndcllc von Antwerpen in Gegenwart des Königs nnd der Königin von Belgien.
Zwecken mehr, da sie mehr gegen die Stadt als gegen einen
äußeren Feind gerichtet war, und da bei der Umänderung der
fämmtlichen Befestigungen von Antwerpen, das noch immer
die Basis der belgischen Landesvertheidigung bildet, eine Reihe
von vorgeschobenen Korts und eine, Schelde-abwürts auf der
Nordseite der Stadt angelegte neue Eitadelle die hauptsächlichste
Stütze der Vertheidiguug gegen einen äußeren Feind abgebeu
werden. Die Schleifung der alten Citadelle ward also schon
vor einigen Jahren beschlossen und nur noch eine Frage der
Zeit, denn sie konnte erst nach Vollendung der neuen Befesti-
gungen vorgenommen werden. Allein schon 1879 wurde der
durch die Schleifung der alten Citadelle freiwerdende Raum
von etwa 98 Hektaren um 14 Millionen Fraukeil an den
Ur. Stroußberg aus Berlin mit der Bedingung abgetreten, daß
etwa die Hälfte des Flächenraums zur Errichtung eines ganzen
Komplexes von Werften, Hasenbassins, Docks, Lagerhäusern rc.,
ein anderer Theil zur Anlage eines neuen Bahnhofs, der Rest
zur Erbauung von neuen Stadtvierteln verwendet werden sollte.
Mit den erlösten 14 Millionen Franken sollten dis neuen Be-
festigungen vollendet werden. Nachdem dies geschehen war, er-
schien unter dem 17. April 1874 eine königliche Verordnung,
welche die von den belgischen Ständen genehmigte Schleifung
der alten Citadelle verfügte, und diese begann an: 17. August,
wobei der König, die Königin und der Finanzminister Malou
die ersten Spatenstiche an der Abtragung thaten. Unmittelbar
darauf ward unter Hornsigualen, Trommelwirbel und Kanonen-
donner das Signal zur Sprengung gegeben, und die Mine
unter der Bastion Nr. 1 flog auf (vergl. unser obiges Bild
und die Wirkung des Dynamits und der Flatterminen ver-
wandelte in unglaublich kurzer Zeit den alten festen Bau in
einen Haufen formloser Trümmer.
Die Belagerung von Puycerda.
Diehe das Bild aus S. 8S.)
Hart an der französischen Grenze, südlich vom Innern des
Departements der Ostpyreuäen, liegt die kleine spanische Grenz-
festung Puycerda oder Puygcerda, welche in der jüngsten Zeit
durch ihre kleine Garnison und Einwohnerschaft so heldenmüthig
gegen die Angriffe der Karlisten vertheidigt worden ist, daß
sie die Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Welt auf sich ge-
lenkt hat. Puycerda ist eigentlich ein kleines gewerbsames Land-
städtchen von etwa 2600 Einwohnern mit einer alten und sehr
festen Citadelle, welche auf dem Unterbau alter römischer Be-
festigungen stehen soll. Erwiesenermaßen haben die Römer
feiner Zeit hier gehaust und die zu jener Zeit berühmte Station
Julia Livia gegründet, über deren genaue Lage die Gelehrten
noch nicht mit sich einig sind, indem die Einen in dem Heuligen
Puycerda die Stelle der römischen Kolonie Julia Livia finden
wollen, während Andere die Trümmer von Julia Livia auf
einem benachbarten Berge, etwas nordöstlich von Puycerda ge-
funden zu haben behaupten. Wie dem nun aber auch fei,
thatsächlich ist, daß die Stadt Puycerda nur zwei Kilometer
oder eine halbe Wegstunde von der französischen Grenze ander
großen Heerstraße von der französischen Grenzfeste Mont-Louis
nach Belver und Seo de Urgel liegt und den Zugang zu dem
schmalen Thale des Segre-Flusses wirksam sperrt, daher für
die Verbindung der Karlisten mit Frankreich, wo diese ihre
besten Hilfsquellen haben, von unschätzbarer Wichtigkeit wäre.
Puycerda ist die frühere Hauptstadt der Cerdana^oder Cerdagne,
eines Gaues, der ehedem sich einer gewissen Selbstständigkeit
erfreute nnd nun zwischen Frankreich und Spanien getheilt ist.
Die Cerdagne war zu Cüsar's Zeit der Wohnsitz der Ceretani,
eines tapferu unabhängigen Völkchens, welches sich schon damals
durch bedeutende Vieh-, namentlich Schweinezucht und durch aus-
gedehnte Ausfuhr von Schinken, geräuchertem Fleisch u. s. w.
auszeichuete und welchen Cäsar das römische Bürgerrecht re
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dazu Anlaß, zu welcher mau viele Steine brauchte. Denn
Wollte inan durch diese Maßregel den neugierigen Zu-
drang abhalten, so hätte man doch Wohl hohe Herrschaf-
ten ausgenommen. Wir finden auch die Sitte des Stein-
tragens noch anderwärts, wie z. B. in Böhmen kein
Pilger die Wallfahrtskirche auf dem Kbell betreten durfte,
wenn er nicht von dem Brunnen unter dem Berge aus
einen Stein mit hinauf gebracht und oben in einen Haufen
niedergelegt hatte. Bei anderen Burgen und Kapellen
war es Sitte, daß die Besucher ein Scheit Holz mit
hinaufnchmen mußten, und lag Wohl allen diesen Ver-
pflichtungen ein verwandter Zweck zum Grunde.
Zum Schluß noch einige seltsame Lehnsgebräuche,
die zum Theil höchst lästig, zum Theil höchst lächerlich
und schimpflich waren. So war in Franken ein adeliges
Gut, dessen Besitzer seinem Lehnsherrn um Martini einen
Zaunkönig schenken mußte. Ein Edelmann in Oester-
reich hatte zum Lehnsbekenntniß zwei Maß Fliegen zu
liefern. Andere Lehnspflichtige mußten alle Jahre ihre
Backen dem Lehnsherrn Hinhalten, um von ihm, wenn
er es thun wollte, einen Backenstreich in Empfang zu
nehmen; oder sie mußten sich vor der Frau des Lehns-
herrn betrunken stellen, wie die Bauern tanzen und ein
lustiges Lied singen. — Die Herren v. Dymerode muß-
ten dem Kaiser, wenn er nach Thüringen kam, einen
Heerwagen niit Schüsseln darbriugen.
Doch genug der seltsamen Sitten und Gebräuche aus
der Vorzeit, von denen wir noch eine ganze Menge an-
führen könnten, wenn es der Raune dieser Blätter und
die Geduld des Lesers gestattete.
Die Schleifung -er Citadelle von Antwerpen.
(Mit Abbildung.)
Mele unserer älteren Leser erinnern sich noch der Kämpfe,
welche zu Anfang der dreißiger Jahre zwischen den eben erst
zu staatlicher Selbstständigkeit gelangten Belgiern nnd den Hol-
ländern nm die Citadelle von Antwerpen stattgefunden haben,
welche von dem General Chafsö so hartnäckig vertheidigt wurde,
und wo es endlich nur dein französischen Hilsscorps von
61,800 Mann unter dein Marschall Gerard gelang, nach einer
sechswochentlichen Belagerung die Holländer in der Citadelle
unter General Chasse zur Kapitulation zu zwingen (30. Decem-
ber 1832). Dies^ alte Citadelle auf der Südseite der Stadt
und dem rechten Schelde-Ufer ist noch ein denkwürdiges Ueber-
bleibsel-Mls der Zeit des Abfalls der Niederlande von der
Krone Spanien, denn ihre Erbauung ward im Jahr 1567
durch den Herzog von Alba als Statthalter der Niederlande
veranlaßt und begonnen und erst 1571 vollendet nnd galt da-
mals für ein wahres Wunder von Festigkeit. Sie bildete ein
regelmäßiges bastionirtes Fünfeck mit sehr hohen Mauern und
soliden Escarpen von Quadern, hat in den kriegerischen Ereig-
nissen jenes langen Befreiungskampfs eine bedeutende Rolle ge-
spielt und sich auch in der späteren Kriegsgeschichte, besonders
1746 und 1791, einen Namen gemacht, "Seit 1833 aber war
nicht mehr viel für ihre Unterhaltung gethau worden, und war
sie schon früher und von Anbeginn an ein verhaßtes Twing-
Uri und ein Hemmnis; für die gedeihliche Entwickelung Ant-
werpens, der thätigsten und reichsten Handelsstadt Belgiens,
so war sie dies ganz besonders in neuester Zeit, wo Autwerpen's
kommerzielle Bedeutung einen solch gewaltigen Ausschwung nahm.
Ueberdem diente diese alte Citadelle eigentlich keinen strategischen
Tic Sprengung der Ringninuer Per CUndcllc von Antwerpen in Gegenwart des Königs nnd der Königin von Belgien.
Zwecken mehr, da sie mehr gegen die Stadt als gegen einen
äußeren Feind gerichtet war, und da bei der Umänderung der
fämmtlichen Befestigungen von Antwerpen, das noch immer
die Basis der belgischen Landesvertheidigung bildet, eine Reihe
von vorgeschobenen Korts und eine, Schelde-abwürts auf der
Nordseite der Stadt angelegte neue Eitadelle die hauptsächlichste
Stütze der Vertheidiguug gegen einen äußeren Feind abgebeu
werden. Die Schleifung der alten Citadelle ward also schon
vor einigen Jahren beschlossen und nur noch eine Frage der
Zeit, denn sie konnte erst nach Vollendung der neuen Befesti-
gungen vorgenommen werden. Allein schon 1879 wurde der
durch die Schleifung der alten Citadelle freiwerdende Raum
von etwa 98 Hektaren um 14 Millionen Fraukeil an den
Ur. Stroußberg aus Berlin mit der Bedingung abgetreten, daß
etwa die Hälfte des Flächenraums zur Errichtung eines ganzen
Komplexes von Werften, Hasenbassins, Docks, Lagerhäusern rc.,
ein anderer Theil zur Anlage eines neuen Bahnhofs, der Rest
zur Erbauung von neuen Stadtvierteln verwendet werden sollte.
Mit den erlösten 14 Millionen Franken sollten dis neuen Be-
festigungen vollendet werden. Nachdem dies geschehen war, er-
schien unter dem 17. April 1874 eine königliche Verordnung,
welche die von den belgischen Ständen genehmigte Schleifung
der alten Citadelle verfügte, und diese begann an: 17. August,
wobei der König, die Königin und der Finanzminister Malou
die ersten Spatenstiche an der Abtragung thaten. Unmittelbar
darauf ward unter Hornsigualen, Trommelwirbel und Kanonen-
donner das Signal zur Sprengung gegeben, und die Mine
unter der Bastion Nr. 1 flog auf (vergl. unser obiges Bild
und die Wirkung des Dynamits und der Flatterminen ver-
wandelte in unglaublich kurzer Zeit den alten festen Bau in
einen Haufen formloser Trümmer.
Die Belagerung von Puycerda.
Diehe das Bild aus S. 8S.)
Hart an der französischen Grenze, südlich vom Innern des
Departements der Ostpyreuäen, liegt die kleine spanische Grenz-
festung Puycerda oder Puygcerda, welche in der jüngsten Zeit
durch ihre kleine Garnison und Einwohnerschaft so heldenmüthig
gegen die Angriffe der Karlisten vertheidigt worden ist, daß
sie die Aufmerksamkeit der ganzen gebildeten Welt auf sich ge-
lenkt hat. Puycerda ist eigentlich ein kleines gewerbsames Land-
städtchen von etwa 2600 Einwohnern mit einer alten und sehr
festen Citadelle, welche auf dem Unterbau alter römischer Be-
festigungen stehen soll. Erwiesenermaßen haben die Römer
feiner Zeit hier gehaust und die zu jener Zeit berühmte Station
Julia Livia gegründet, über deren genaue Lage die Gelehrten
noch nicht mit sich einig sind, indem die Einen in dem Heuligen
Puycerda die Stelle der römischen Kolonie Julia Livia finden
wollen, während Andere die Trümmer von Julia Livia auf
einem benachbarten Berge, etwas nordöstlich von Puycerda ge-
funden zu haben behaupten. Wie dem nun aber auch fei,
thatsächlich ist, daß die Stadt Puycerda nur zwei Kilometer
oder eine halbe Wegstunde von der französischen Grenze ander
großen Heerstraße von der französischen Grenzfeste Mont-Louis
nach Belver und Seo de Urgel liegt und den Zugang zu dem
schmalen Thale des Segre-Flusses wirksam sperrt, daher für
die Verbindung der Karlisten mit Frankreich, wo diese ihre
besten Hilfsquellen haben, von unschätzbarer Wichtigkeit wäre.
Puycerda ist die frühere Hauptstadt der Cerdana^oder Cerdagne,
eines Gaues, der ehedem sich einer gewissen Selbstständigkeit
erfreute nnd nun zwischen Frankreich und Spanien getheilt ist.
Die Cerdagne war zu Cüsar's Zeit der Wohnsitz der Ceretani,
eines tapferu unabhängigen Völkchens, welches sich schon damals
durch bedeutende Vieh-, namentlich Schweinezucht und durch aus-
gedehnte Ausfuhr von Schinken, geräuchertem Fleisch u. s. w.
auszeichuete und welchen Cäsar das römische Bürgerrecht re