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D i e


vorüber, da hatte ich

Olinbaiidirrktor Noüort Gerwig. Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (2. ^5.)

sehoit erkannt, daß der Mann, der mein Gemahl ge-
worden, außer seiner Schönheit nichts weiter als einen
schwachen, gntmüthigen Charakter besaß, der aus Energie-
losigkeit und weicher, weibischer Gefühlsseligkeit zusammen-
gesetzt war. Von deut Augenblick an, wo mir das Be-
wußtsein gekommen war, hatte auch seine Schönheit
jeden Reiz für mich verloren und stand der Entschluß
ill mir fest, diese Fessel unter allen Umständen wieder
abzustreifeil. Glücklicher Weise war mir in meinem
grenzenlosen Leichtsinn nicht der Stolz auf meine hohe
Geburt abhanden gekommen, ich hatte keinem Menschen,
selbst meinem Gatten nicht, es anvertraut, daß Fürsten-
blut in meinen Adern rollte und Niemand in der Stadt
ahnte, wer ich wirklich war und woher ich stammte.
Nur Frau Wilser, meine Kammerfrau, die mich nie
verlassen, wußte um dies Geheimniß und war ver-
schwiegen wie das Grab. Um diese Zeit war es — „
Hier senkte die Reichsgrüfin die Allgeil
und eine leichte Röthe ergoß sich über ihr
Gesicht.
„Um diese Zeit war es, als ein fremder
Schauspieler auf unserer Bühne gastirte.
Mit freudiger Ueberraschung begrüßte ich
ill ihm einen Bekannten ans meiner Ju-
gendzeit, dessen Vater, trotz seines zweifel-
haften Adels, ab und zu iu uuferem Haufe
verkehrte. Seitdem er zur Uuiversität ge-
gaugen, hatte ich ihn nicht wieder gesehen
und auch bis dahin nichts davon erfahren,
daß er zur Bühne gegangen. Es war Herr
v. Lettow."
„Der Hallnnke!" kam es über Andreas
Lippen.
Die Mutter achtete nicht daraus und fuhr
fort: „Ihm vertrante ich mich an, schilderte
ihm die furchtbare Ernüchterung, die mich
befallen, lind bat ihn, mir zu helfen,
das mir lästig gewordene Band wieder zu
lösen. Scham über meine Selbsterniedri-
gung erfaßte mich, zu gleicher Zeit be-
merkte ich mit Schrecken, daß mein Ver-
mögen sich seinem Ende näherte und ein
Rest von achttausend Thalern mir nur noch
zur Verfügung stand. Mein Stolz war
erwacht, angesichts der mir bevorstehenden
Armnth befiel mich eine trostlose Zag-
haftigkeit, ein Ausweg mußte gefunden
werden, und dieser Ausweg konnte unr-
eine wenn möglich standesgemäße Heirath
mit einem vermögenden Manne fein. Meine
damals allseitig anerkannte Schönheit sollte
mir, so hoffte ich, dazu die Wege bahnen.
Ich reiste nach der Residenz unseres öst-
lichen Nachbarstaates, wo die Gräfin Schar-
iner, die einzige, wenn auch weitläufige
Verwandte mich bei sich ausnahm. Herr
v. Lettow, der mich begleitet lind dem ich
die Hälfte meines noch disponiblen Geldes
übergebeli, reiste sogleich wieder zurück,
damit er die Scheidung von meinem ersten
Manne in aller Stille besorge.

dritten Ort näher mit ihm bekannt zu werden, da faßte
ich einen raschen Entschluß. Ich ging zum Direktor des
Theaters, erzählte ihm, ich sei aus einer entlegenen Stadt
hierhin gekommen, um meinem leidenschaftlichen Wunsche,
zur Bühne zu gehen, dem meine Verwandten sich seit-
her widersetzt hätten, genügen zu können, und ließ mich
von ihm unter dem Namen ,Fräulein Weldeck' engagiren.
Nun sahen wir uns täglich; was ich erstrebte, gelang,
nach kurzer Zeit liebte er mich wieder. Um das Blaß
der Thorheit voll zu machen, ließ ich mich kirchlich mit
ihm einsegnen, — die Fürstin Weldeck war die Gattin
eines Schauspielers geworden. Ich glaubte wahnsinnig
werden zu müssen, wenn ich ihn nicht ganz hätte mein
nennen können. Nur zu bald kam ich zur Besinnuug,
gelangte ich zu der Erkenntniß, welche fürchterliche
Thorheit in jeder Beziehung ich begangen hatte. Die
Flitterwochen waren noch nicht vorüber, da hatte ich

R oman
von
Kart Kartnrann-Hllön.
(Forisetzuna.) .
v (Nachdruck verbalen.)
^Ür einen Mann mag das zutreffen," er-
wiederte die Reichsgräfin, „ein junges Mäd-
O-chen darf keine Jugendstreiche zu verzeichnen
haben. Ich danke Dir übrigens für dieses
Wort. Was mich zu dem wahnsinnigen
Schritt bewog, die Bühne zu betreten, das
habe ich Dir noch nicht gesagt. Du magst es aber auch
jetzt erfahren; es war nicht die unbezwingliche Leidenschaft
für die Kunst, es war — meine erste Liebe. Sie brach
so Plötzlich über mich herein, so sinilverwirrend, daß ich
Alles darüber vergaß, meinen hohen Rang,
meinen Ruf, das Gerede der Welt. Als
mein Vater, der mich mit großer Liebe,
aber unerhörter Nachsicht erzogen hatte,
gestorben war, da war ich kaum sechzehn
Jahre alt. Meine Mutter, eine Italie-
nerin, eine geborene Marchesa Tapplio,
habe ich nie kennen gelernt, sie lebte von
meinem Vater getrennt, weshalb, habe ich
nie erfahren. Ich sah mich Plötzlich im
Besitz eines nicht unansehnlichen Vermö-
gens, lebte aber davon, als wenn ich viele
Millionen hätte — der Werth des Geldes
war nur gänzlich unbekannt. Nun wollte
ich die Welt sehen. Ganz allein, nur in
Begleitung meiner Kammerfrau machte ich
mich ans den Weg. Ich bereiste die
Schweiz, Italien — für den Winter lebte
ich in Paris und London. Im nächsten
Jahre durchstreifte ich Deutschland und kam
im Spätsommer nach Baden-Baden. Die
Saison war fast zu Ende, die letzte Vor-
stellung im Theater sollte gegeben werden.
Es wurde,Maria Stuart' ausgeführt, und
den ,Mortimer' gab ein junger Anfänger,
jedoch so stümperhaft und talentlos, daß
das Publikum lachte. Dieser Anfänger-
war aber von einer so idealen blonden
Männerschönheit, daß ich im ersten Akt
das tiefste Mitleid mit ihm fühlte und
im vierten bereits ihn liebte. Am anderen
Tage reiste die Theatergesellschaft ab, um
in einer sechs Meilen entfernten Provinzial-
stadt für einige Monate zu spielen. Auch
ich reiste dahin. In den ersten Tagen
sah^ich den Gegenstand meiner Liebe nur
im Theater, es war keine Möglichkeit, seine
Persönliche Bekanntschaft zu machen, der
junge Mensch war sehr solide, ging nur
von seiner Wohnung iws Theater und von
dort wieder in seine Wohnung zurück. Mit
jedem Mal, daß ich ihn auf den Brettern
sah, wuchs meine Leidenschaft. Als sich
keine Gelegenheit bieten wollte, an einem
 
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