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Gch. Medicinalrath Professor v. Longenlirit.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 150.)

getretenen Alters konnte man an den regelmäßigen Zügen
doch sofort erkennen, daß sie, als noch die Jugend sie
umblühte, von einer ganz besonderen Schönheit gewesen
sein mußten.
„Ah, Herr Streckenbach, sind Sie da?" rief ihm
Wellbrandt entgegen, der seine eigenen Angelegenheiten
für einen Augenblick beim Anblick seines Buchhalters,
in dessen Begleitung er die Reise von Amerika nach
Europa zurückgelegt hatte, vergaß, und ihm näher tw-
tend freundlich die Hand reichte. „Nun, haben Sie
irgend eine Spur entdeckt?"
„Leider nicht die geringste, Herr Johnson," antwor-
tete mit einer etwas belegten und schwachen Stimme
der Gefragte.
„Das war zu erwarten, lieber Freund, wie ich es
Ihnen auch schon früher gesagt habe. Es sind seit
Ihrem Unglück mehr als zwanzig Jahre verflossen, was
kann in dieser Zeit sich nicht alles ereignet
haben. Diejenige, die Sie suchen, über
deren Schicksal etwas zu erfahren Sie be-
müht sind, kann schon längst nicht mehr
unter den Lebenden weilen."
„Wenn ich darüber nur Gewißheit er-
langen konnte! Ja, wenn ich erführe, daß
sie gestorben, dann, glaube ich, süude ich
meine Ruhe wieder, dann würde mein —
Geist wieder genesen."
„Ihr Geist ist nicht krank, Strecken-
bach, das bilden Sie sich nur ein! Wer
ein so ausgezeichneter Buchhalter ist, dem
täglich die verwickeltsten Zahlenverhültnisse
durch den Kopf gehen, ohne daß er sich
dabei jemals verrechnet, der hat ein ge-
sundes Gehirn. — Selzen Sie sich," fuhr
Johnson fort, „ich bin etwas aufgeregt, eine
Nachricht, die ich soeben erhalten, hat mein
Blut eiu weuig iu Wallung gebracht, und
bei dem Besuch, den ich noch in dieser
Stunde zu machen beabsichtige, muß ich
meiue Ruhe und meine Haltung bewahren
können. Erzählen Sie weiter, eine Unter-
haltung mit Ihnen, das weiß ich, wird
die aufgeregten Wellen meines Innern
wieder ebnen. Um aus Ihre Behauptung
wieder zurück zu kommen, Streckenbach, so
sage ich noch einmal, Ihr Geist ist nicht
krank; Sie haben höchstens eine fixe Idee,
einen Wahn, der jeder Begründung ent-
behrt, den Sie hegen und Pflegen wie
Ihren besten Freund."
„Ach, Herr Johnson!"
„Dem ist aber so. Gott im Himmel,
das Leben bringt doch jedem Menschen
Kummer und Trübsal genug, daß es doch
wirklich ganz überflüssig ist, sich mit sol-
chen Selbstguälereien das Dasein zu ver-
bittern. Die Vorwürfe, die Sie sich ma-
chen, sind wirklich höchst seltsamer Art.
Daß Sie Ihren Eltern entlausen sind, gegen
deren Willen die Bühne betreten und sich
dadurch mit Ihrer Familie für immer ent-

Die wilde Prinzeß.
Roma n
von
Kart Kartittailn-Zllöil.
(cz-ortselzung.) (Nachdruck verboten.)
cllbrandt dachte in diesem Augenblicke
zurück an allen Jammer, den er durch-
gemacht, an alle Noth und Bedrängniß
und namentlich an den furchtbaren
Schmerz, den er empfunden bei der
Todesnachricht seines Kindes. Und
dieses Alles hatte ihm ein einziger Mann zugesügt,
und dieser Mann lebte in Ansehen und Ehre, umgeben
von Glanz und Reichthnm. Nein! und nochmals nein!
Die Welt sollte den ungeheuren Betrug erfahren und
ihre Verachtung sollte seine Strafe sein!
Er warf abermals einen prüfenden
Blick aus die beiden Handschriften und
sprach halblaut vor sich hin:
„O, dieser Fund ist unbezahlbar, ich
würde mein ganzes Vermögen dafür geben
und klein wieder anfangen, wenn ich ihn
anders nichl hätte erlangen können! Dieses
Glück ist so groß, daß es gar nicht in
Worten anszndrücken ist! Und wenn das
Gericht, überzeugt durch diese Beweise,
meine Unschuld anerkannt hat, wenn der
Makel von meinem ehrlichen Namen ge-
nommen ist, dann, ja dann darf ich vor
Dich hintreten, Du schönes, liebes Kind,
dann darf ich Dir sagen, daß ich Dein
Vater bin, und Dich, meine Maria, an
die klopfende Brust drücken!"
Er setzte sich ans einen Stuhl, schloß
die Augen und malte sich mit glänzenden
Farben diese entzückende Scene noch weiter
aus.
Plötzlich, von einem Gedanken erfaßt,
öffnete er die Augen wieder, richtete sich
auf seinem Sitz empor und starrte einen
Augenblick mit strahlenden Blicken vor sich
hin. Endlich stand er auf, faltete die für
ihn so wichtig gewordenen Papiere zusam-
men, legte sie, als wenn es Banknoten
von höchstem Werth seien, behutsam in
sein Taschenbuch, steckte letzteres in die Sei-
tentasche seines Rockes und sagte:
„Brauche ich denn so lange zu war-
ten, bis mein Name öffentlich gereinigt
ist, wird sie bei Vorlegung dieser Zeug-
nisse ihrem Vater nicht schon jetzt Glauben
schenken? O, gewiß, sie wird es, ja, ja,
sie wird es!" jubelte er förmlich aus.
„Sie wird mir glauben! Nun hin zu ihr,
je eher, je lieber, hin zu meiner lieben, then-
ren Maria!"
In diesem Augenblick klopfte es fast
unhörbar an die Thüre; Wellbrandt, der
viel zu sehr mit den Gedanken an seine

Tochter beschäftigt war, vernahm es nicht. Gleich
darauf klopfte es noch einmal und etwas stärker. Nun
rief er: „Herein!"
Leise öffnete sich die Thüre und über die Schwelle
trat etwas schüchtern und verlegen ein ziemlich langer
magerer Mann mit einem bleichen Gesicht, träumerischen,
melancholischen Augen, einer weit hinausreichenden kahlen
Stirne und mit blondem, stark mit Grau untermischtem
Haupthaar und Backenbart. Ein unverkennbarer Lei-
denszug lag um die tief herabhäugenden Mundwinkel,
und wie er nun einen Schritt näher trat, mit gesenktem
Haupt, den Oberkörper etwas gebückt, da machte die
ganze Erscheinung den Eindruck einer personifizirten
Hoffnungslosigkeit. Trotz seiner eingefallenen Züge, der
gebückten Haltung, der Glatze und der vielen grauen
Haare war der Ankommende noch im Anfänge der vier-
ziger Jahre, und bei allen Zeichen eines frühzeitig ein-
 
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