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146

zweit haben, darüber machen Sie sich nicht einmal Bor-
würse!"
„Nein, denn wenn ich meinen Eltern gefolgt wäre,
hätte ich sie ja nie zu sehen bekommen."
„Rüthselhaft, sehr rüthselhaft! Aber was Sie sich
nicht vergeben können, ist geradezu unbegreiflich. Sie
verheirathen sich mit einer bildschönen jungen Schau-
spielerin; keine sechs Wochen sind verstrichen, da geht
sie mit einem Anderen ans nnd davon. Als nun der
Andere kommt und von Ihnen verlangt, Sie sollen Ihre
Einwilligung geben, daß Ihre junge Ehe dnrch eine
Scheidung wieder getrennt werde, da verweigern Sie
Ihre Einwilligung, und daß Sie nicht gleich Amen und
Ja gesagt haben zu dem Schurkenstreich, das machen
Sie sich jetzt zu einem schrecklichen Vorwurf, das raubt
Ihnen Tag und Nacht die Ruhe, das hat sich bei Ihnen
zu einer fixen Idee gestaltet. Und warum? Sie haben
sich in den Kopf gesetzt, daß Ihr junges schönes Weib
durch Ihre Weigeruug unglücklich geworden ist, daß sie
durch Ihre Schuld vielleicht, da sie nun keine legitime
neue Ehe hat eingehen können, in illegitimen Verhält-
nissen ihr Seelenheil verliert, oder was noch schlimmer-
wäre, nachdem man Sie durch eine heillose Infamie
ams Europa gejagt, daß jene auf's Neue durch Priester-
hand legitim verbunden sei und so ein scheußliches Ver-
brechen auf ihre Seele geladen habe. Ja, Sie bilden
sich fest ein, daß Ihre Gattin nun arm und verkümmert
im tiefsten Elend stecke; und was Sie die Gelegenheit
ergreifen ließ, nut mir zusammen die Reise nach Europa
zu machen, war der plötzlich entstandene Gedanke, Ihre
Frau aufzufuchen und wenn sie in Armuth sich befinde,
zum Dank für ihre Untreue Ihre sümmtlichen Erspar-
nisse ihr in den Schoß zu werfen."
„Ja, ja, fo ist es, das sind Gedanken, die mich
quälen und die ich los werden muß, soll ich nicht daran
zu Grunde gehen," sagte mit einem tiefen Seufzer der
Buchhalter.
„Und wenn es ihr nun gar nicht fo trübselig geht
und sie sich sehr glücklich fühlt, was dann?"
„Dann will ich sie nur noch einmal sehen und
dann — ?"
„Nnn, was dann?"
„Tas weiß ich nicht."
„Fangen Sie nur nicht an, Streckenbach, über ganz
neuen unsinnigen Gedanken zu brüten! Das fehlte noch
eines treulosen Weibes wegen. Ich an Ihrer Stelle hätte
sie mir längst aus dem Kopf geschlagen und vergessen."
„Vergessen?" rief Streckenbach erregt aus, „vergeßen,
fie, das schönste Weib der Erde? Wie kann man die
seligste Minute seines Lebens vergessen? O, wie lieb
war sic, und dann ihr Kuß — ! Ja, ihr Kuß — Feuer!
Feuer! — O, er hat mir die Seele verbrannt!"
Seine Augen funkelten bei diesen letzten Worten
unheimlich, fast wie die eines wirklich Irrsinnigen.
Seine gebückte Gestalt richtete sich in die Höhe und uni
die Lippen zuckte es konvulsivisch.
Wellbrandt sah mit einern gelinden Schrecken den
sonderbaren Ausdruck seiner Augen, der seiner früheren
Behauptung, daß sein Geist krank sei, kaum zu wider-
sprechen schien.
„Besinnen Sie sich doch, Streckenbach," sagte der
Fabrikant in ernstem, fast unwilligem Tone, „das sind
ja Schwärmereien, als wenn Sie noch ein Jüngling
von zwanzig Jahren wären."
„Ich bin auch seit meinem zwanzigsten Jahr nicht
älter geworden."
„Sie sprechen sehr sonderbare Sachen, ich glaube
wirklich, es wäre besser gewesen, wenn Sie in New-Pork
geblieben wären."
„O nein, o nein! Ich muß sie ja noch finden,
einmal noch mich in die Gluth ihrer Küfse tauchen und
dann in ihren Armen sterben."
„Lassen wir vorläufig dieses Thema fallen," sagte
Wellbrandt, in der That besorgt, daß nicht, wie er ge-
glaubt, diese Reise den Unglücklichen von seinem Wahn
befreien würde, sondern im Gegentheil seine fixe Idee
zu einer wirklichen Geistesstörung steigern könne. „Sie
sind in einer Aufregung, Streckenbach, die mich in Ihren
Jahren, wo der Mensch doch nachgerade mit solchen
Gefühlen zur Ruhe gekommen sein muß, in Erstaunen
setzt, die mir, gradeaus gesagt, nicht gefällt. Solcher
Gedanken müssen Sie sieh entschlagcn. Erzählen Sie
mir lieber noch einmal die Geschichte, wie mail es an-
gestellt hat, Sie zu veranlassen, Knall und Fall das
Weite zu suchen, es ist schon so lange Zeit darüber ver-
flossen, seitdem Sie mir Ihre Leidensgeschichte anver-
tranten, daß ich die näheren Umstände eigentlich ganz
wieder vergessen habe."
Der Buchhalter hätte gern noch sich weiter in die
süßen Erinnerungen all seine verlorene Geliebte vertieft
und denselben Ausdruck gegeben, aber uun mußte er ja
den Wunsch des Prinzipals erfüllen und durfte die Ge-
fühle, die ihu beherrschten, nicht in dieser Weise ferner-
hin mehr lallt werden lassen, sondern sie, wie er cs
rorher gethan, in seinem Busen verschließen. Der är-
gerliche Toll, in dem Jener gesprochen, hatte seine Wir-
kung nicht verfehlt lind einen Dämpfer aus seine Er-
regung gelegt.

Das Buch für All e.

Streckenbach's flackernde Augen beruhigten sich wie-
der, ebenso seine Gesichtszügc, und er begann:
„Herr v. Lettow, mit dem meine Elfride entflohen
war, kam also zurück und verlangte voll mir die Ein-
willigung zur Scheidung. Er sagte mir, daß meine
Frau jede Liebe für mich verloren habe, gab mir aber
fein Wort, daß er sic nicht liebe und noch weniger sich
mit ihr zu vermählen gedenke, sondern daß ein sehr-
reicher Mann sich nm fie bewerbe, und bat mich, ihrem
Glück mich nicht in den Weg zu stellen. Seit rhrer
Flucht hatte mich eine tiefe Traurigkeit befallen, ich aß
und trank nichts und Nachts weinte ich niein Kissen
naß. Ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken kam,
daß meine Fran, wenn ich zur Scheidung meine Zu-
stimmung nicht geben würde, dereinst, wenn fie zur
Besinnung gekommen, wieder zu mir zurückkehren und
in alter Liebe für mich entbrennen würde. Je mehr
Herr v. Lettow auf mich eiudraug, desto mehr fetzte sich
diese Hoffnung in mir fest und desto hartnäckiger wurde
meine Weigerung. Selbst das Anerbieten einer großen
Summe konnte mich nicht bewegen. Sollte ich meine
Liebe verkaufen? O, Pfui! Pfui! pfui!"
Die letzten Worte hatte er wieder in erregtem Ton
gesprochen, er wurde aber sogleich wieder ruhig, als
Wellbrandt mit scharfer Stimme zu ihm sagte:
„Ich bitte Sie ernstlich, Herr Streckenbach, daß wenn
Sie mit mir sprechen, Sie sich zusammen nehmen, sonst
muß ich diese Unterredung enden!"
„Ich bitte um Verzeihung, Herr Johnson."
„Fahren Sie fort."
„Als Herr v. Lettow sah, daß er nichts mit mir
ansangen konnte, da wurde fein Benehmen plötzlich ein
ganz anderes. Er fragte mich, ob ich wirklich im Ernst
hätte glauben können, daß meine Frau sich habe von
mir scheiden lassen wollen. Als ich darauf erstaunt
frage, was diese ganze Geschichte denn zu bedeuten habe,
antwortet er mir, daß Elsridens Flucht und die Auf-
forderung zur Scheidung nur den Zweck gehabt habe,
meine Liebe zu prüfen, und daß fie in den nächsten
Tagen in meine Arme zurückkehren würde. Wer war
glücklicher als ich? Denn in meiner Harmlosigkeit und
Unerfahrenheit glaubte ich, daß es Wahrheit fei. In
der Freude ließ ich mich überreden, an einem Zechgelage,
wozu Herr v. Lettow alle Schauspieler und auch mich
eingeladen hatte, theilzunehmen. Es wurde stark gezecht
und ich, der ich sonst nie etwas trank und nichts ver-
tragen konnte, war bald so betrunken, daß ich nicht mehr
unterscheiden konnte, was Recht und Unrecht war. Trotz-
dem erinnere ich mich aber noch ganz deutlich, daß Herr
v. Lettow, als alle Anderen bereits das Zimmer ver-
lassen hatten und ich allein mit ihm zurückgeblieben
war, mir von einem großen Unglück erzählte, das mei-
ner Frau passirt sei, und daß nur eine bestimmte Summe
Geldes sie retten könne. Er bestürmte mich, einen Wechsel
zu unterschreiben, mit dem wolle er am anderen Mor-
gen zu einem Bankier gehen und sich den Betrag aus-
zahlen lassen; der Wechsel habe eigentlich keine Giltig-
keit, aber bis dahin, daß meine Frau zurückgekehrt sei,
ließe die Sache sich leicht vertuschen. Er, Lettow, wolle
sich verpflichten, das Geld auszutreiben, und wenn cs
dann nur sofort bezahlt würde, erführe Niemand von
dem eigentlichen Sachverhalt. In der Trunkenheit glaubte
ich ihm Alles, der Gedanke, daß meine Frau sich in
Noth befände, ließ mich den wahnsinnigen Streich aus-
führen, und ich schrieb meinen Namen unter den Wechsel.
Kaum war ich am anderen Morgen mit den schreck-
lichsten Kopfschmerzen aufgewacht, da öffnet sich die !
Thüre und ein Polizeidicner tritt iu's Zimmer.
„Sind Sie Herr Streckenbach?" fragt er mich.
„Ja," antworte ich verwundert.
„Ein Herr v. Lettow hat soeben einen Wechsel beim
Bankier Stein prüsentirt, den Sie unterschrieben haben.
Dieser Wechsel ist gefälscht. Sie haben sich um zwölf
Uhr auf's Polizeibureau zu verfügen, um über diese
Sache vernommen zn werden. Haben Sie mich ver-
standen?"
Ein furchtbarer Schreck fährt mir durch die Glie-
der, nun erst besinne ich mich, was am gestrigen Abend
geschehen, und die furchtbare Ueberzeuguug, daß ich ein
Verbrecher geworden, raubt mir fast den Verstand.
Gleich darauf kommt Herr v. Lettow in furchtbarer
Erregung in's Zimmer gestürzt und ruft händeringend
aus:
„Wir sind verloren, man hat sofort entdeckt, daß
der Wechsel gefälscht war — um Gottes willen, wir
müssen fliehen, beeile Dich, ehe es zu spät ist!"
„Fliehen, wohin?"
„Nach Amerika, ich habe noch so Viel Baarschaft,
um für uns Beide ein Ueberfahrtsbillet bezahlen zu
können."
„O, mein Gott," jammere ich, „und was soll aus
meiner Frau werden?"
„Ich habe in Bremerhaven einen Frennd," antwortet
er mir, „der mir eine Summe leihen wird, diese schicke
ich Deiner Frau, damit sie uns mit dem nächsten
Dampfschiff nachfolgen kann."
Die Betäubung, in die mich diese Schreckensnach-
richt versetzt hatte, verhinderte mich, einen vernünftigen

M 7.
Gedanken zu fassen; mein Urtheil war getrübt, ich glaubte
ihm Alles, raffte zusammen, was ich'in der Eile finden
konnte, und fort ging es nach dem Bahnhof, wo wir
ungehindert den Zug bestiegen. Wir fuhren ohne Auf-
enthalt nach Bremerhaven. Herr v. Lettow's Freund,
der ihm das Geld leihen sollte, war verreist und wurde
erst nach einigen Tagen zurückerwartet. Ich aber sollte,
so drängte mich mein Begleiter, da ich der Haupt-
schuldige sei, sofort das Dampfschiff besteigen, was noch
denselben Tag in See gehen wollte, er aber müsse war-
ten bis zur Abfahrt des nächsten, damit er noch von
dem Freunde das Geld erhalten und es meiner Fran
schicken könne.
So fuhr ich denn ab., froh darüber, daß ich dem
Zuchthaus noch glücklich entronnen sei, und voll sroher
Hoffnung, daß ich nach kurzer Zeit mit meinem gelieb-
ten Weibe wieder vereinigt werden würde.
Wir waren nur noch eine Tagereise von New-Pork
entfernt, da finde ich zufällig mit nicht geringem Er-
staunen in der Scitcntasche meines Paletots einen an
mich adressirten Bries. Ich erkenne sofort Herrn von
Lettow's Hand. Eine Ahnung durchfliegt meine Seele,
mit Spannung zerreiße ich das Couvert uud finde fol-
genden niederträchtigen Inhalt. O, ich habe ihn meinem
Gedächtnisse eingeprägt, Wort für Wort!
„Lieber Streckenbach!
Dein Eigensinn, Dich von Deiner Frau nicht scheiden
lassen zu wollen, trügt die Schuld, daß wir andere
Mittel ergreifen mußten, um Dich für immer aus dem
Wege zu räumen. Elfride kann nicht mehr mit Dir
zusammen leben, sie liebt Dich nicht mehr. Wenn ich
Dich vom Gegentheil zu überzeugen suchte, so geschah
es nur, um Dich eine That begehen zu lassen, die Dich
zwang, das Weite zu suchen und Dir die Rückkehr un-
möglich zu machen. Der falsche Wechsel, den Du ge-
macht, liefert Dich dem Zuchthaus aus, wenn Du zurück-
kehrst. Deine Ehe mit Elfride ist ungiltig, da sie sich
mit Dir unter einem falschen Namen hat trauen lassen." —
Das war der schändliche Brief, der nicht einmal
eine Unterschrift hatte. Als ich ihn gelesen, sank ich
ohmnüchtig zu Boden; ein hitziges Fieber befiel mich,
und erst nach Wochen fand ich meine Besinnung in
einem New-Porker Krankenhaus wieder. Als ich ge-
nesen —"
„Ihr fernerer Lebenslauf," fiel ihm Wellbrandt in
die Rede, „ist mir hinlänglich bekannt, Sie haben sich
ebenso wie ich in der ersten Zeit Ihrer amerikanischen
Laufbahn mit Noth und Sorgen herumschlagen müssen,
bis Sie zu mir als Packknecht kamen. Später, als ich
Ihre Fähigkeiten durch Zufall entdeckt hatte, versetzte ich
Sie vom Lager in mein Comptoir, wo ich durchaus mit
Ihnen zufrieden gewesen bin und auch ferner zufrieden
sein werde, wenn Sie vernünftig sind und Ihren Träu-
mereien, die bisher unschädlich waren, keine größere Ge-
walt über sich einräumen."
„Ich werde New-Pork nicht Wiedersehen, Herr John-
son," sagte Streckenbach mit dumpfer Stimme.
„Was ist denn das wieder für eine neue Grille?"
„Ob ich meine Frau, die sich mit nur unter einem
falschen Namen verheirathet hat, jemals wieder finden
werde, ist mir noch zweifelhaft, obgleich ich sie suchen
werde durch ganz Deutschland, denn ich bin überzeugt,
sie bedarf meiner. In der Residenz, wohin sie sich ge-
wandt, nachdem sie mich verlassen, sagte man mir, daß
eine Prinzessin Wcldeck dort früher existirt, aber keine
Frau Streckenbach, geborene Weldeck. Auch in den um-
liegenden Städten wußte man mir keinen Fingerzeig »zu
geben. Aber das weiß ich, Herr Johnson, ja, ich weiß
es, als wenn es mir der Himmel offenbart hätte, daß
ich dem Herrn v. Lettow noch einmal begegnen werde,
und dann, Herr Johnson, ja — dann —"
Er hielt Plötzlich inne und erhob sich von seinem
Sitz; bis dahin hatte er ruhig, ohne sichtbare große
Erregung gesprochen. Noch einmal schien die Vernunft
bei ihm zu siegeu, dcnu er setzte sich gleich wieder nie-
der. Unmittelbar daraus sprang er aber mit einem
unartikulirten Schrei abermals in die Höhe, und indem
er einen Dolch zog, schrie er wild:
„Dann, ja dann werde ich ihn ermorden und
mich hinterher!"
Er machte dabei eine Bewegung, als wenn er die
letztere That schon gleich ausführen wolle.
„Den Dolch her!" rief Wellbrandt, ebenfalls auf-
springend, „geben Sie mir den Dolch, auf der Stelle,
oder wir sind getrennt noch in dieser Minute!"
„Nein, er ist noch nicht warm von seinem Blut,
erst muß ich ihn tödten!" quoll es iu Zischlauten von
des Buchhalters krampfhaft bebenden Lippen. Dabei
fuchtelte er mit der Mordwaffe in der Luft umher uud
seine Augen kreisten in ihren Höhlen wie kleine Rüden.
Der Fabrikant war ein Riese an Kraft. Mit einem
raschen Sprnnge stand er neben ihm; sein Handgelenk
mit seiner nervigen Fanst umspannen, ihn ans seinen
Stuhl uiedcrdrücken nnd mit seiner anderen Hand ihm
den Dolch entwinden, war das Werk eines Augenblicks.
Dieser Angriff, die gewaltsame Berührung bewirkten,
daß Streckenbach wieder zur Besiuuung kam und der
Paroxismns ebenso rasch verflog, wie er gekommen war.
 
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