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218

Maria warf einen prüfenden Blick auf beide und
nachdem sie dieselben durchgelesen, entgegnete sie, die
wichtigen Papiere dem Vater znrückgebend:
„Es unterliegt keinem Zweisel, das ist von einer
Hand geschrieben."
„Nun wohlan, so will ich mich auf den Weg
machen. Ich weiß nicht — es ist mir gerade so, als
wenn ich mit dem Manne nicht in's Reine komme!
Jedenfalls kehre ich zu Dir zurück, um Dir über den
Ausfall unseres Gesprächs zu berichten."
„Möge es zu unser Aller Glück enden!"
Wellbrandt nahm seinen Hut und seinen Stock, doch
bevor er ging, sagte er:
„Du liebst Deinen Konrad also Wohl sehr, Maria?"
„Kannst Du fragen? Ach so sehr, daß meine Liebe
nur mit meinem Leben aufhört!"
„So muß es auch feiu, aber glückwüuscheu will ich
Dir zu Deiner Verlobung nicht eher, als bis ich es
von ganzem Herzen thnn kann. Leb' Wohl, mein Kind!"
„Glück auf den Weg, Vater!"
Wellbrandt drückte seine Tochter liebevoll an die
Brust und entfernte sich.
* -k-
*
Es war der erste Tag, an dem die Familie Boll-
heim in ihrer neuen Villa erwacht war. Der Besitzer
hatte es erreicht, ein Prachtgebände herzustellen, das in
der Residenz seines Gleichen! nicht hatte. Die innere
Einrichtung war so glänzend, strotzte so überreich von
Seide, Sammet und Vergoldung, daß sich nur die
Paradezimmer des königlichen Schlosses mit den Räumen
des Millionärs messen konnten, lind worin sie erstere
vielleicht noch übertrafen, war der ausgesuchte Geschmack,
womit sie dekorirt waren. Der ehemalige, mit bunten
Bändern, Federn und Putzsachen handelnde Kaufmann
war ein Meister in der Zusammenstellung der Farben,
in der Anordnung der Gardinen und Portieren und in
der Aufstellung uud Placirung der Kunstgegenstünde,
der Nippes und des statuarischen Schmuckes. Nirgends
war eine Ueberladung, nirgends ein Mißton; der schärfste
Geschmackskritiker fand keim Veranlassung zu irgend
einer Rüge.
Der gediegene Luxus, womit die lange Reihe der
Gesellschaftszimmer ausgestattct war, wiederholte sich in
den täglichen Wohnzimmern, sowie in den Privat-
gemächern der einzelnen Familienmitglieder.
Um dieselbe Zeit ungefähr, als Wellbrandt zu seiner
Tochter ging, saß der Freiherr v. Bollheim in einem
bequemen Lehnstuhl uud sah, wie er es jeden Morgen
zu thun Pflegte, mit flüchtigen Blicken das Tageblatt
durch. Es ward in der Nacht gedruckt und enthielt
meistens schon die Aufzählung aller besonderen Begeben-
heiten, die am Abend vorher sich zugetragen hatten.
Er befand sich in seinem Privatkabinet in der Bel-
Etage, einem Eckzimmer, von wo aus er eine herrliche
Aussicht auf einen Theil der Stadt, auf den Fluß und
auf die fernen Berge hatte.
Er war mit der Durchsicht der Anzeigen der täglich
erscheinenden Zeitung fertig uud wollte dieselbe bei Seite
legen, als er zufällig seine Augen auf das Feuilleton
warf und hier den Namen Bollheim mit gesperrten
Lettern gewahrte. Er fing nun an, den Artikel über
die gestrige Theatervorstellung zu lesen, und plötzlich
ertönte der Ausruf der Ueberraschung durch's Gemach:
„Nein, es ist nicht möglich!"
Er las die Stelle, die seine Verwunderung in so
hohem Maße erregt hatte, noch einmal und diesmal mit
lauter Stimme:
„Der junge talentvolle Komponist, der mit einem
Meisterwerk seine Künstlerlausbahn beginnt, hat bei der
zweiten Vorstellung sein Inkognito abgelegt, und es
wird den Lesern dieses Blattes interessant sein, zu er-
fahren, daß er der Sohn des allbekannten und allverehr-
ten Bankiers Freiherrn v. Bollheim ist."
„Es ist so," flüsterten leise seine Lippen, während
die Zeitung ihm ans der Hand glitt und auf den
Boden fiel.
„Ich bin der Letzte, der es erführt," fuhr er in
einem fast schmerzlichen Tone fort; „so wenig Vertrauen
dem eigenen Vater?"
Er erhob sich, trat an's Fenster, stützte die Hand
auf die Fensterbank und starrte lange hinaus, das Auge
wie in weite Fernen verloren.
Endlich wandte er sich wieder in's Zimmer zurück,
suchte seinen alten Platz auf uud nachdem ein tiefer
Seufzer seiner Brust entquollen, sprach er leise vor
sich hin:
„Kann denn ein Vater Vertrauen fordern, der seinen
Kindern nicht die Arme öffnet, sie an die Brust zu
drückeu? Der sie von seinem Herzen ausschließt, als
wären sie ihm fremde und gleichgiltige Wesen? Der
ihnen selbst nie das geringste Vertrauen geschenkt? Nie
in herzlichen Worten zu ihnen gesprochen? Nie sie aus-
geforscht nach ihren Wünschen und Gefühlen? Nie den
Versuch gemacht, ans eine Saite der Empfindung mit
ihm die bildsamen Seelen zu stimmeu?
„Aber kouute ich es?" fuhr er lauter fort, „durfte
ich es? Durfte ich die Reinen an die Sünderbrnst

Das Buch für Alle.
pressen, durfte der Kuß eines Verbrechers ihre Lippen
entweihen? O unglückselige Vergangenheit! Furchtbarster
Fluch meines Lebens, daß ich nicht würdig bin der Liebe
meiner eigenen Kinder! Schauervolles Bewußtsein! Nur-
weit hinweg, nur fern vom Vaterherzen, fern, so fern
wie möglich! Denn fühlte ich an meiner Brust die ihre
in Liebe für mich schlagen, o, dieser Schlag ihrer Herzen,
er würde alle Dämonen meines Innern aus ihrer Ruhe
klopfen, er würde den Stein erschüttern, den ich auf
meine Erinnerung gelegt, daß er herabrollte; und das
Gewissen, von der niederhaltenden Last befreit, würde
feine Krallen ansstrecken und mich zerren und zwicken,
daß ich ausrufen müßte: Rührt mich nicht an, ich bin
ein von Gott Gezeichneter! Und dieses Geständnis; wäre
das letzte Wort meines Lebens! Gott, mein Gott! Daß
ich verdammt bin, Kälte da zu zeigen, wo meine Liebe
sich verdurstend sehnt nach einem Trank der Labung!
Ich armer Tantalus!
„Aber was will ich denn? Ist das deine Liebe,
wenn du die Kinder zwingen nullst, nur deinen
Interessen zu dienen, sie mit dir hiuaufzureißen auf
die Höhen des Lebens, wo du dich sicher wähnst Vor-
einer Vergeltung? Tu glaubst, daß, wenn auch Jemand
daher käme und wüßte dein Vergehen, er es nicht wagen
würde, dort hinanfzureichen, nm dich zu erfassen, uud
wenn er's dennoch wagte, daß cs dir leicht sein würde,
ihn znrückzustoßen und ihn zum ewigen Stillschweigen zu
verdammen? Ha, mir schaudert! Hier wäre der Punkt,
Uw das erste Verbrechen mich zu einem zweiten führen
könnte, um meine Schuld zu verbergen vor aller Welt,
aber namentlich vor meinen Kindern. Wenn sie es er-
führen — es wäre mein Tod! Klara, Konrad — ich
kann euch nicht helfen, ihr müßt mit mir hinauf in die
Nähe des Thrones, um der Ruhe eures Vaters willen,
weil er sich dort geborgen fühlt. Wehe dem, auf dessen
reinem Gewissensgrunde ein schwarzer Fleck sich verbirgt!
Dieser Fleck wird zum heimlichen Despoten, zum un-
umschränkten Herrscher seiner Handlungen; tyrannisch
diktirt er ihm, Alles zu thun, auch das Kleinste, Un-
bedeutendste, was im Stande wäre, die Sicherheit zu
vermehreu, deu schwankenden Grund zu befestigen, vor-
dem Abgrund eine Barriere zu zieheu. Und wenn auch
diese Vortheile uur iu der Einbildung beruhen, sie wer-
den ergriffen mit beiden Händen, mag brechen darüber
was will, selbst das Herz der eigenen Kinder! O diese
Unnatur, sie zu fühlen und nicht bezwingen zu können!
Abscheuliches Dasein, wucherndes Verbrechen, fressender
Krebs der armen Seele! Gibt es kein Mittel, die Ge-
danken zu tödteu, das Gehirn in Wahnsinn zu tauchen!
Das erst wäre Ruhe!"
In diesen: Augenblick wurde an die Thüre geklopft.
Bollheim hatte die Gegenwart vergessen und sich
ganz in seine quälenden Grübeleien vertieft, in die er
in der letzten Zeit häufiger verfiel, trotz der Aussicht
auf Erfüllung aller feiner glänzenden Hoffnungen. Er-
schrak förmlich zusammen, als er das Klopsen vernahm,
und dasselbe mußte sich erst wiederholen, ehe er „Herein"
rief.
Es war der neue Kammerdiener, der erst heute
Morgen seinen Dienst angetreten, welcher in's Zimmer
trat und ans einen: silbernen Teller ein duftendes Billet
seinem Herrn präsentirte.
Der Bankier nahm den Brief mit einen: Ausruf
freudiger Ueberraschung in die Hand und sagte:
„Wissen Sie, ob mein Sohn zu Hause ist?"
„Der junge gnädige Herr ist auf seinen: Zimmer,"
antwortete der etwas ältliche, sehr schön frisirte Kammer-
diener.
„Bitten Sie ihn in meinen: Namen, Rohde, er möge
einen Augenblick zu mir kommen."
„Sehr Wohl!" erwiederte Rohde und machte, bevor
er sich entfernte, eine regelrechte Kaminerdienerver-
bengnng.
Bollheini entfaltete den Brief nnd las ihn. Er
lautete:
„Wertster Herr Baron!
Ans Ihre lieben Zeilen erlaube ich mir zu erwiederu,
daß ich Ihren Antrag mit großer Freude gelesen und
mit Vergnügen Ihnen meine Hand reichen werde, wenn
zugleich mein Sohn, für den ich in aller Form hieinit
nm Ihre reizende Tochter anhalte, feinen sehnlichsten
Herzenswunsch erfüllt sehen wird. Seitdem er das lieb-
liche Klärchen kennen gelernt, ist er ein ganz anderer
Mensch geworden, eine seltsame Veränderung ist mit
ihm vorgegangen. Es wäre zu schön, wenn beide Ver-
lobungen an dem Fest, das Sie zu geben beabsichtigen,
deklarirt werden könnten. Eine baldige Antwort erwartet
Ihre Sie verehrende Elsride Fels eck."
„An die Annahme meines Antrags," sagte Bollheim,
„knüpft sie die Bedingung — es ist nicht anders zu
verstehen — daß Klara auch den ihres Sohnes annimmt.
So weist sie mich doch nicht zurück. Nun, das habe
ich anch nicht erwartet, ich Hütte ihr Entgegenkommen
denn schon durchaus mißverstanden haben müssen. Aber
wird Klara sich gutwillig meinem Wunsche fügen? Ich
hoffe es. Sie muß es," fügte er mit Nachdruck hinzu,
„denn die Verwandtschaft mit dem königlichen Hause ist
das Ziel, das ich erreichen will."

Heft 10.
Es klopfte jetzt abermals, und gleich darauf trat
Konrad über die Schwelle.
„Du hast mich zu sprechen gewünscht, Vater?" sagte
er, „es war gerade meine Absicht, Dich um eine Unter-
redung zu bitten."
„Du wolltest mir Wohl etwas anvertrauen?"
„Ja."
„Du kommst mit Deinem Vertrauen zu spät, die
Zeitung hat mich schon davon unterrichtet. Ich hätte
denn doch geglaubt, daß Du mir eine solche Sache früher
mitgetheilt haben würdest."
„Ich habe es aus der Erfahrung noch nicht ent-
nehmen können, daß Du Dich für meine Liebhabereien
interessirst, Vater. Es scheint Dir nicht lieb zu fein,
daß mein Name an die Oesfentlichkeit getreten?"
„O doch, zumal da Du einen so guten Erfolg ge-
habt und etwas Tüchtiges geliefert hast. Der berühmte
Name in Kunst und Wissenschaft scheint bisher ein
Privilegium der Bürgerlichen gewesen zu sein, es ist gut,
daß auch adelige Namen genannt werden."
„Ich nenne mich Konrad Bollheim, ohne unser
junges ,vow."
„Warum?"
„Ich bin nicht eitel."
Der Bankier biß sich ein wenig auf die Lippen und
sagte gleich darauf:
„Solche Liebhabereien sind aber, wenn man sich
ihnen so hingibt wie Du, nicht ungefährlich für Deine
künftige Carrwre, die leicht darüber vernachlässigt wer-
den kann."
„Es war der Zweck meiner Unterredung mit Dir,
Vater, Dir zu sagen, daß ich Deine Wünsche in Bezug
ans meine künftige Laufbahn nicht Wohl erfüllen kann."
Der Freiherr fuhr in die Höhe und fragte etwas
laut:
„Wie soll ich das verstehen?"
„Ich habe nie Lust zu der Jurisprudenz gehabt,
noch weniger zu deu krummeu Wegeu der Diplomatie."
„Nicht? Und wozu hast Du denn Lust?"
„Nur zu der Musik, und mit Deiner Erlaubnis;
werde ich mich dieser edlen und beglückenden Kunst in
Zukunft ganz hingeben!"
„Nein!" rief der Bankier mit starker Stimme, „dazu
gebe ich meine Erlaubnis; nicht! Es ist mein Wille,
das; Du in die Diplomatie eintrittst nnd dabei bleibt es!"
„Wie? Du willst mir befehlen, einen Weg ein-
znschlagen, den ich mit Widerwillen beschreite, auf dem
ich die Befriedigung, das Glück des Lebens niemals
finden werde?"
„Du wirst es finden!"
„Nein, ich werde es nicht."
„Du wirst es versuchen!"
„Der Versuch ist nutzlos."
„Ich gebiete es Dir!"
„Mit welchen: Rechte?"
„Mit welchem Recht? Unerhörte Frage! Mit dem
Rechte des Vaters."
„Des Vaters? Warst Du mir bis dahin ein Vater,
wie Du es den: Sohne hättest sein sollen? Wann hast
Du uns jemals Liebe gezeigt, die der geringste Proletarier
seinen Kindern nicht vorenthält? Mit schroffem Ernst
hast Du von jeher jede kindliche Annäherung zurück-
gewiesen, jedes herzliche Wort zurückgedrängt, bis wir
es nicht mehr wagten, Deine Nähe anfznsuchcn, bis sich
unsere Liebe, die trotz alledem nicht ganz verlöschen
wollte, scheu verkroch."
„Wer sagt euch, daß ich euch uicht liebe?" sprach
mit unsicherer Stimme der Bankier, der sich bei dieser
Sprache, wie er sie zum ersten Male von seinem Sohne
hörte, bei diesen Anklagen wie gerichtet vorkam.
„Die Annahme ist nur zu gerechtfertigt, denn wäh-
rend Du den Hausgenossen nnd namentlich uns in
strenger Zurückhaltung Dein Herz verschließest, bist Du
gegen Andere von einer bezaubernden Freundlichkeit, von
einer Herzlichkeit, auf die wir oft in früheren Jahren
thränenden Auges mit Neid geblickt. Warum nur uns
dieser Mangel an Liebe? Was haben wir gethan, nm
solche Behandlung zu verdienen?"
„Du siehst die Dinge anders an, als wie sie sind,
mein Sohn. Ich bin im Hause ein Anderer wie außer
demselben. Zwischen meinen vier Wänden bin ich ganz
Geschäftsmann, da gehen nur alle Sorgen eines so
großen Geschäftes durch den Kopf, da wühlen in meinem
Gehirn die ewigen Zahlen, die Berechnungen, die Spe-
kulationen, da gibt es keine Stunde, wo ich nicht davon
beansprucht würde."
„So sehr, daß nicht ein freundlicher Blick Deines
Auges uus treffen könnte? Daß nicht im Vorbeigehen
ein herzliches Wort uns daran erinnern dürfte, einen
liebenden Vater zu besitzen? Nein, diese Ursache kann
es nicht sein; längst schon habe ich über den Grund
Deines Wesens nachgedacht und bin zu den: Resultat
gekommen, das; es ein tieferer sein müsse."
„Ein tieferer?" sagte der Vater und sah den Sohn
mit einen: ängstlichen Blick an, „was Nullst Du damit
sagen?"
„Es muß ein tieferer sein, sonst wäre es un-
natürlich."
 
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