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Osman Pascha, Oberbefehlshaber der Armee von Plewna.
Originalzeichnung von C. Kolb. (S. 247.)

sie wieder betreten sollte, sofortige Verhaftung drohte.
Was hatte er hier auch noch zu thun, da ihm der
verhängnißvolle Brief, vermittelst dessen er seinen
Ruf wieder Herstellen konnte, durch ein glückliches Un-
gefähr entrissen worden? Nun blieb er für immer
der Dieb!
Als er in seinen Gedanken bei diesem „für immer"
angelangt war, da empfand er zum ersten Mal die ganze
Schwere dessen, was er abermals dem Unschuldigen ge-
than. Bisher waren seine erregten, von Entdeckungs-
angst gemarterten Sinne, waren alle seine Gedanken nur
darauf gerichtet gewesen, den fürchterlichen Sturm, der
sich Plötzlich gegen ihn erhoben, zu beschwören, einerlei
durch welche Mittel! Nun aber, nachdem die furchtbare
Gefahr, die sein Haupt bedroht, in die Ferne gerückt
war, nachdem das Gefühl der Sicherheit wieder mehr
Platz gegriffen, nun fing das Gewifscn, das nie bei ihm

zur Ruhe gekommen war, wieder an zu wühlen und
lmll brach er mit schmerzlicher Stimme in die Worte
aus:
„O, ich schlechter, schlechter Mensch! Damals,"
fuhr er fort, „als ich die Hand ausstreckte nach
fremdem Eigenthum, da geschah es in der bittersten
Noth, in der furchtbarsten Bedrängniß, denn der
Hunger mit seinen hohlen Augen stierte mich grauen-
erregend an. Ich dachte, als ich die That vollbrachte,
nicht einmal daran, daß der Verdacht nothwendig zuerst
auf den Schlosser fallen müsse. Als er auf ihn fiel,
da hatte mich noch der Wahnsinn der Eisersucht gefaßt,
da ließ die Furcht, mein geliebtes Weib an einen An-
deren zu verlieren, mich schweigen, und die ersten Auf-
wallungen meines Gewissens beruhigte ich mit dem
Vorsatz, dem Unschuldigen zur Flucht verhelfen zu
wollen. Seit jener Stunde hat kein unehrlicher Gedanke
in meinem Innern wieder Platz ergriffen,
mit Wohlthatcn suchte ich den Himmel
zu versöhnen. Ist es denn wahr, daß
jede böse That schon eine zweite in ihrem
Schoße birgt, die sich ihm ohne Gnade ent-
windet , und muß ich auch der Thäter
der zweiten werden? Ruhen die teuflischen
Mächte nicht eher, als bis sie gesättigt find?
Wehe dem, der einmal ihren Lockungen
folgt und die Warnungsstimme seines
Engels mißachtet, er ist ihnen unent-
rinnbar preisgegehen; und möchte er sich
auch gerne retten in das Land der Tu-
gend, noch auf der Grenze holen sie ihn
ein und reißen ihn zurück, stellen ihn vor
dieselbe That und zwingen ihn, sie noch
einmal zu vollführen. O, was hat dieses
eine Verbrechen aus mir gemacht! Ein
schwankes Rohr, das zwischen Gutem und
Bösem hin und her geworfen wird, das
Gute will, aber sich nicht scheuen darf, das
Böfe zu ergreifen, um alte Sünden zu ver-
decken !
„Und wenn ich bedenke," fo setzte er seine
Gedanken fort, „daß ich verloren, daß ich
für immer in die Gewalt Wellbrandt's
gegeben wäre, wenn der Präsident mir
seine Hilfe verweigert — lieber todt, lieber
denn doch die neue fchwere Last auf das
überlaute Gewißen gewälzt! Welch ein
Glück, daß ich mir den Chef der Polizei
verpflichtet hatte! Ha, eine Ahnung sagte
mir schon damals, daß ich einst einen Ge-
gendienst von ihn: verlangen würde!"
Der Wagen hielt vor seinen: Hause;
Bollheim's erster Weg war wieder in den
Garten, um noch einmal Alles nach dem
verschwundenen Brief genau zu durchsuchen
— aber er fand ihn nicht trotz aller Mühe
und grübelte vergeblich der Lösung dieses
Räthsels nach. —
Wellbrandt war in einer furchtbaren
Wuth und Aufregung davon gefahren.
Sein ganzer Körper zitterte und bebte,

Roma n
von
Kart Kartrnanil-Illön.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
ieber Herr Baron," erwiederte der Präsident,
„ich muß Sie darauf aufmerksam machen,
daß ickst dadurch in bedenklicher Weife gegen
die Gesetze verstoßen würde. So unbedingten
Glauben ich Ihren Angaben schenke, fo kann
ich doch Niemanden ohne Weiteres auf den Schub bringen,
ohne ihn verhört, ohne ihm Gelegenheit gegeben zu haben,
sich zu Vertheidigen."
„Ganz recht, Herr Präsident, Sie sollen eben in
diesem Falle eine Ausnahme machen, um meinen Sohn
und mich vor einer unangenehmen Ver-
wickelung mit dieser Sache zu bewahren —
Sie können Ihr Gewissen hiebei, scheint
mir, vollständig beruhigen."
„Wenn die Regierung es erführe —"
„Sie bedenken sich? Wie? Habe ich mich
vor zwei Jahren eine Minute bedacht, als
Sie zu mir kamen, mir/das Geständniß
machten, daß Sie vom Wege des Rechts
abgewichen und zwar in ganz anderer Weise,
als ich es jetzt von Ihnen verlange —
daß Sie verloren seien, wenn Sie nicht
viertausend Thaler zur Stelle hätten?
Habe ich da nur einen Augenblick gezögert
und Ihnen, damit Sie nicht bei der
nächsten Gelegenheit in dieselbe Kalamität
geriethen, die Summe sogar geschenkt?"
„Nun Wohl, Herr Baron, Sie sollen mich
nicht vergebens an Ihre großmüthige That
erinnert haben, die meinen Namen vor
Schmach bewahrt, meiner Familie den
Vater erhalten hat. Möge eine Rüge von
oben mich treffen, wenn irgend welche
Folgen sich daraus entwickeln sollten, ich
will sie hinnehmen ohne Murren. Ich
werde sofort den Beseht zur Verhaftung
erlassen und den Verbrecher so bald wie
möglich auf den: Zwangswege nach der
nächsten Hafenstadt spediren."
„So danke ich Ihnen, Herr Präsident,
ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie unan-
genehm es mir gewesen wäre, mich und
meinen Sohn wegen dieser Sache in den
Mund der Leute gebracht zu sehen."
„Leben Sie wohl," fuhr er fort, sich
zum Gehen rüstend, „auf meine Erkennt-
lichkeit können Sie zu jeder Zeit rechnen."
Bollhein: entfernte sich, um ein Bedeuten-
des durch das Versprechen des Polizeichefs
erleichtert, denn war Wellbrandt nur erst
fortgebracht, in dieser Weise, durch einen
polizeilichen Zwangspaß, so war die Wahr-
scheinlichkeit dafür, daß er eine Stadt für
immer meiden würde, wo ihm, sowie er
 
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