Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Oie wilde Prinzeß.
R o m a n
von
Karl Kartmann-Hllött.
(Schluß.)
20. (Nachdruck verboten.)
illibälds Wunde war nach des Geheim-
raths Aussage zwar nicht gefährlich,
aber sie erforderte zu ihrer Heilung
immerhin eine längere Zeit, eine weit
längere, als des Kranken Ungeduld
ausharren mochte.
Das Attentat auf sein Leben,
die Ermordung Herrn v. Let-
tow's, der Tod Streckenbach's,
den man einige Tage später aus
dem Flusse gezogen, die Ver-
blutung seines Stiefbruders und
die Jnternirung der wilden
Prinzeß in eine Irrenanstalt
hatten plötzlich seine und seiner
Mutter Verhältnisse zur Kennt-
niß Aller gebracht. Die Polizei
hatte sich hineingemischt und sie
mußte das Wesentliche erfahren.
Willibald war ebenfalls, gleich
wie die anderen Zeugen, aber
weil er krank war, auf seinem
Zimmer verhört worden. Alle
Zeitungen waren voll von dieser
Geschichte. Zwar waren sümmt-
liche Blätter voll des Lobes
über Willibald und die Reichs-
gräfin Konradine v. Fclseck, die
vor vielen Jahren ein Opfer der
Jntrigue des Herrn v. Lettow
und der wilden Prinzessin ge-
worden war. Man wußte Plötz-
lich unbegreiflicher Weise Alles.
Die Aufdeckung all dieser Fa-
miliengeheimnisfe war den be-
treffenden Mitgliedern im höch-
sten Grade unangenehm, aber
es ließ sich nichts dagegen machen.
Es war für Willibald natür-
lich sehr erfreulich, daß das
Publikum sich so wohlmeinend
über seine Mutter äußerte und
sie für unschuldig hielt, aber es
sollte und mußte auch von ihrer
Unschuld überzeugt werden. Und
deshalb allein marterte ihn die
Ungeduld, daß er durch seine
Wunde verhindert wurde, die
ersten Schritte zu thun, um die
Beweismittel herbeizuschaffen,
und wenn er sich derselben ver-
sichert hatte, die Revision des
Scheidungsprozesses vornehmen

zu lassen. — lieber Langeweile konnte er im Allgemeinen
nicht klagen, denn Besuch hatte er geuug. Er wohute
noch immer bei Broockmann, hätte auch zur Zeit keinen
Platz in dem kleinen Häuschen auf der Schwaneninsel
gefunden, da Hermine zu der Mutter gezogen.
Klara und Konrad kamen täglich, bisweilen zweimal
am Tage zu ihm. Ebenfalls besuchten ihn häufiger seine
Mutter, Hermine und Doktor Fabricius, desgleichen
Isabella und ihr Verlobter. Auch Wellbrandt stellte
sich öfters ein. So verging ihm wenigstens die Zeit.
Am zweiten Tage nach dem verhängnisvollen Abend
war Konrad ohne seine Schwester bei Willibald einge-
treten. Seine Mienen hatten einen unverkennbar be-
kümmerten Ausdruck gehabt, uud auf die Frage des

Freundes, ob ihm etwas Unangenehmes begegnet sei,
hatte er geantwortet:
„Ich fürchte, der Roman in unserem Hause hat noch
nicht seinen Abschluß gesunden."
„Wie so? Wie meinst Du das, Konrad?"
„Mein Vater sagte mir vorhin, daß er morgen zu
verreisen gedenke. Er klagte mir, daß seine Nerven so
furchtbar angegriffen feien und er halte es für noth-
wendig, etwas Ernstliches dagegen zu thun. ,Es ist
jetzt noch Zeit", fuhr er fort, ,ein Seebad zu gebrauchen,
die Septemberbäder sind d-ie wirksamsten, und ich hoffe,
recht gestärkt zurückzukehren. Das beabsichtigte Ein-
weihungsfest der Villa schieben wir bis zn meiner Wie-
derkunft ans und verbinden damit dann zugleich Dein
und Klara's Verlobungssestü
Er geht nach Helgoland. Er
wird nicht wiederkehren, Willi-
bald !"
„Du glaubst — ?"
„Eiue Ahnung sagt mir, daß
eine mitleidige Welle dort ihn
begraben wird."
.„Das möge der Himmel ver-
hüten!"
„Glaube mir — es treibt ihn
von dannen — für immer. Er
sitzt schon seit mehreren Tagen
vor seinem Pult und ordnet alle
seine Papiere. Mein Anerbieten,
ihn zu begleiten, wies er zurück.
O, wenn meine Vermnthung
eine richtige wäre! Ihn jetzt
verlieren zu müssen, wo ich ihn
erst eigentlich gefunden und von
ganzem Herzen liebgewonnen —
es wäre hart, bitter hart!"
„Wenn Du Dich doch täusch-
test, Konrad!"
„Gott gebe es!"
Am andern Tage war der
Freiherr v. Bollheim mit dem
Hamburger Zuge abgereist, der
Abschied von seinen Kindern war
ein so stürmisch-herzlicher, ein
so bewegter, daß Konrads Sorge
nur noch wuchs.
Nachdem Willibald acht Tage
laug sich allen Anordnungen
Broockmann's gewissenhaft un-
terzogen, die Heilung zwar einen
guten Fortschritt gemacht hatte,
aber doch noch nicht vollendet
war, da riß ihm die Geduld,
er bedeckte die Wunde mit einem
Pflaster, setzte seinen Hut aus
und verließ ohne Erlaubniß sei-
nes Arztes seine Wohnung.
Er wanderte direkt in's alte
Kloster, und als er in die große
Halle trat, da mußte er un-
willkürlich an jenen Abend


Z. A. S. Dnsnure, Preunerminisicr der französischen Republik. (S. 322.)
 
Annotationen