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Lertha's Gehei m n i ß.

N o m a n
von
Levin Schücking.
(>Ichlos„) (Nachdruck verboten.)
ch Weiß es," sagte Rudolph auf die väter-
lichen Worte des Barons, „Berthens und
Ihre Güte — sie sind wir geblieben auf dieser
Welt — alles Andere habe ich verloren, ver-
loren mit dem Mnthe zu leben..."
„Reden Sie nicht so, Rudolph — Muth ist des
Mauues Pflicht. Einem Charakter wie Ihnen braucht man
das ja nicht zu sagen! Aber Sie find zu rasch in
Allem — auch in dieser Verzweiflung an Ihrem Leben."
Bertha legte wie beschwichtigend und mit feuchtem
Blick zu Rudolph aufschaueud ihre Hand


wegen der wunderlichen Sorge, die er sich nm Ihr Wohl-
ergehen macht, zu beruhigen. Uud dann, dann werden
Sie mir mit der Waffe in der Hand Rede stehen."
„Ich habe Ihnen keine Rede zu stehen, Rudolph
Merk," versetzte er, sich fassend, und mit einer Gefaßt-
heit, die, wie ich bekennen muß, großer war als die
meinige; „wer Rede zu stehen hat, das sind Sie, den
Gesetzen, den Gerichten."
„Ich werde das, verlassen Sie sich darauf! Aber
Sie werde ich zu zwingen wissen, nur Genngthuung zu
geben."
„Sie können keinen Offizier zwingen, sich mit einem
Verbrecher zu schlagen," sagte er achselzuckend und schritt
rasch an mir vorüber.
Da stand ich allein mit meiner unsäglichen Wnth und
Verzweiflung. Wollte dieser Mensch mich zwinge)!, an ihm
das zu werden, wofür er mich hielt, zum Mörder?

Ich schlich lange verzweifelnd umher in den einsamen
unbebauten Gegenden, deren die alten Mauern der ewigen
Stadt so weite Strecken enthalten. Als ich spät in meine
Wohnung zurückkam, wurde mir gesagt, daß einMonsignore
da gewesen, der nach mir gefragt und mich sehr zu sehen
gewünscht habe. Auf der znrückgelassenen Karte fand
ich Derschau's Namen; er hatte Wohl im Laufe des Ta-
ges ebenfalls Spesfer gesehen — zu seiner Beruhigung
heil und gesund, und war nun gekommen, um mir zu
sagen, daß er wenigstens von einem meiner schwarzen
Verbrechen mich lossprechen müsse! Mir war nicht viel
an dieser Lossprechung gelegen! Für mich handelte es
sich sür's Erste nur um das Eine, nur darum, wie ich
meinen Feind zwingen könne, mir zu begegnen. In
den Willen, mich an Spesser zu rächen, verloren, ver-
bohrten sich alle meine Gedanken, ich war wie von dem
einzigen Gefühle beherrscht, es müsse Alles wieder gut
werden können, wenn ich nur Rache an

auf seinen Arni.
„Denken Sie an Bertha," fuhr der
Baron fort, „mit welcher Seelenstürkc
und Ausdauer sie so lange die peinigendste
Lage ertrug!"
Rudolph nahm die Hand seiner Schwester
und drückte sie mit den beiden sinnigen.
Dann ließ er sich in einem Sessel nieder
und sagte:
„Wie viel sie gelitten hat, das weiß
ich ja jetzt — doch was sie erlitt, das
liegt in ihrer Vergangenheit; mir ver-
nichtet dasselbe Schicksal meine Zukunft. .."
„Als ob Deine vernichtete Zukunft nicht
auch die meinige zerstörte," flüsterte Bertha
mit weinenden Augen.
„Lassen wir für jetzt die Zukunft, Kin-
der," sagte der Baron weich, „wir werden
ja Alle suchen, darin unsere Pflicht zu thun
gegen Andere und gegen uns. Sehen wir,
ob für den Augenblick uns eine Aufgabe
bleibt! Sie wollten reden, Rudolph, er-
zählen — sprechen Sie — Ihre Schwester
sagte mir von Ihrer Abreise von Rom,
von Ihrer Rückkehr dahin, von den Ge-
ständnissen, die Derschau Ihnen machte,
und Ihrer Begegnung mit Spesser bald
darauf... Sie trafen ihn auf der Straße?"
Rudolph nickte. „Ich traf ihn," sagte
er, „ich stieß auf ihn beim Wenden um
eine Straßenecke — ich schlich vernichtet und
ziellos wandernd an der Häuserzeile her
— bei seinem Anblick aber begann mein
Blut zu kochen, um so mehr, weil ich
ihn erblassend zurückfahren sah, als ob ich
wie die Gestalt feines bösen Gewissens
vor ihm anstauche.
„Sie, Losfeld!" sagte ich ihm mit all
der Ruhe, dereu ich mächtig war, „Sie
begreifen, daß für Einen von uns neben
dem Anderen kein Raum mehr auf der
Erde ist. Aber zunächst, von dieser Stelle
fort, werden Sie zu Derschau gehen, ihn


Kardinal Franchi, Staatssekretär Tr. H. des Papstes.
Nach einer Photographie gezeichnet von C .Kolb. (S. 607.)

Spesser nehmen könne! Vielleicht klammerte
ich mich auch an diesen Gedanken so fest an,
nm mich all den verzweiflungsvollen an-
deren zu entziehen, um mich festzuhalten
wie an einem Zweig über der wüsten Flnth
zur Verzweiflung treibender Thatsachen,
damit ich nicht versinke darin!
Ein paar Freunde, ein redlicher Bild-
hauer uud ein mit kuustgeschichtlichen Stu-
dien beschäftigter deutscher Doktor, über-
nahmen, nachdem ich ihnen die nöthigen
Erklärungen gemacht, sich Tags darauf
zu Spesser zu begeben und ihn nochmals
nach allen Regeln zu fordern. Sie kehr-
ten mit der Antwort zurück, daß er sich
nun einmal mit mir nicht schlagen werde,
daß er Gründe dafür angeführt, die besser
unerörtert blieben, aber daß sie mir nicht
rathen könnten, weitere Schritte in der
Sache zu thun, sondern daß ihnen am
besten scheine, ich reise nach Deutschland
heim. Ich sah, sie waren von Spesser mit
jedein Verdacht gegen mich erfüllt — mir
blieb in der That nichts Anderes, nichts
Besseres zu thun übrig, als aus dieser
Welt, die sich überall gegen mich erklärte,
zu Weichen und heimwärts zu gehen, um
zuerst der Verantwortung vor den Gerich-
ten, womit Spesser mir gedroht hatte, die
Stirn zu bieten. Aber ich konnte es nicht
— die entflammte Leidenschaft war zu
stark — ich mußte an Spesser mich
rächen! Es war der Gedanke daran, das
Verlangen danach, dieser ausschließliche
Drang, ja das, was mich rettete vor dem
Untergehen in den Abgrund, den ich
unter meinen Füßen ausgehöhlt sah —
mich zu rächen war wie ein letzter Zweck,
den ich im Leben noch hatte, nm dessent-
willen ich weiter leben konnte. Gott
verzeih micks, es war ein Stück Wahn-
sinn, das sich meiner bemächtigt hatte,
ja, ich habe gefühlt, wie einem Wahn-
 
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