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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 20.1885

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Heft 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.61341#0005
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Ans höheren Legionen.
R o m ci n
von
Adolph Streckfnst.
(Nachdruck verboten.)
ei einer kränklichen Dame findet ein ge-
bildetes junges Mädchen aus guter Fa-
milie eine Vortheilhafte Stellung als
Gesellschafterin und Krankenpflegerin. —
Eine gute musikalische Ausbildung er-
wünscht. — Nur Bewerberinnen, welche
eine feste Gesundheit haben, finden Berück-
sichtigung. — Selbstgeschriebene Adressen, denen eine
kurzgefaßte Darstellung des Lebenslaufes der Bewer-
berinnen, sowie deren Zeugnisse beizu-
fügen sind, werden in der Expedition der
,Vossischen Zeitung' unter X. 25 ent-
gegengenommen."
In ein einfaches, mit der Adresse:
„An Fräulein Helene Müller, Oranien-
straße 208, Hof 4 Treppen, bei Seibel"
versehenes Couvert war der Zeitungs-
ausschnitt, der die wenigen gedruckten
Zeilen enthielt, verschlossen gewesen; das
Couvert hatte nichts Anderes, als eben
nur das kleine, aus einer Zeitung aus-
geschnittene Stück enthalten, keinen be-
gleitenden oder erklärenden Brief.
Wer mochte der Absender sein? He-
lene kannte die großen kräftigen Schrift-
züge nicht, sie erinnerte sich nicht, die-
selben je gesehen zu haben, und doch
mußte ein Bekannter sie geschrieben ha-
ben, denn die Adresse war ganz genau;
bei aller Findigkeit hätte sonst wohl
schwerlich die Post Helene Müller in dem
großen Berlin auffinden können.
Ein Bekannter? Das war eben das
Räthselhafte! Wer konnte wohl an der
armen Helene Müller, die vor etwa einem
Jahre ganz unbekannt nach Berlin ge-
kommen war, ein solches Interesse nehmen,
daß er ihr durch einen frankirten Stadt-
Postbries Nachricht von einer für sie viel-
leicht Passenden Stellung gab?
Der Bruder Fritz vielleicht? Nein,
seine Handschrift kannte Helene genau
genug. Er würde auch jedenfalls ein
Paar geschriebene Zeilen dem Zeitungs-
ausschnitte beigefügt haben. Er war der
Absender nicht, wer aber konnte es sein?
Helene sann vergeblich nach. Es war
ihr leicht, die wenigen Menschen, welche
sie in Berlin kannte, auszuzählen, von
denen war es sicherlich keiner.
Das junge Mädchen las noch einmal
die wenigen gedruckten Zeilen. Wer sie

auch geschickt haben mochte, sie enthielten einen be-
achtenswerthen Wink, der zwar nicht direkt ausge-
sprochen war, aber schon in der Uebersendung lag:
den Wink nämlich, sich um die „Vortheilhafte Stellung
als Gesellschafterin und Krankenpflegerin" zu bewerben.
Vortheilhaft mochte die Stellung Wohl sein, aber
einladend war die Form der Aufforderung nicht.
Helene besaß eine lebhafte Phantasie, und das Bild
der kranken Dame, die einer musikalischen Gesellschafterin
und einer kerngesunden Krankenpflegerin bedurfte, erschien
alsbald vor ihrem geistigen Auge. Ein recht ab-
schreckendes Bild war es. Sie sah sich am Bette der
alten häßlichen Person sitzen, die sie mit einem großen,
kalten, stahlblauen Auge scharf anschaute und nur
darauf wartete, daß die Pflegerin irgend einen kleinen
Fehler begehe, um sie dann mit spitzigen, kränkenden
Vorwürfen zu überhäufen. Dafür wurde ja die Pfle-
gerin bezahlt, daß sie jede Laune der Kranken erdulde!

Paul Heyse.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. lS.7)

Tag und Nacht mußte die „kerngesunde" Pflegerin am
Krankenbette sitzen, als solche mußte sie der alten
Dame alle die kleinen Dienste leisten, welche so leicht
sind, wenn sie aus Liebe geleistet werden, und so schwer,
wenn sie für Geld in Anspruch genommen werden; als
Gesellschafterin mußte sie ein lustiges Stück spielen oder
ein heiteres Lied auf Befehl singen, wenn ihr auch
das Herz recht schwer und sorgenvoll war, oder sie
mußte vorlesen, wenn ihr auch nach durchwachter Nacht
die Augen vor Müdigkeit zufielen.
Es war eine traurige Aussicht ! Sie hatte andere
Hoffnungen auf das Leben gehabt, als sie vor einen:
Jahre nach Berlin gekommen war. Ausgerüstet nut
einem Kapital von dreitausend Mark, welches ihr der
Vater wenige Tage vor seinem Tode als ihr Eigen-
thum übergeben hatte unter der Bedingung, daß sie
keinen Anspruch ans ein anderes Erbtheil mache,
sondern das gesammte übrige Vatererbe Fritz über-
lasse, glaubte sie reich genug zu sein,
um einige Jahre ganz ihrer musika-
lischen Ausbildung leben und dann
später als tüchtige Künstlerin sich eine
ehrenvolle Stellung schaffen zu können.
Es war anders gekommen. Ihr klei-
nes Kapital hatte sie verloren. Sie be-
reute es nicht, daß sie es für Fritz
geopfert hatte; das Bewußtsein, die
Schwesterpflicht treu und ganz erfüllt zu
haben, tröstete sie, aber hart hatte es sic
doch getroffen, daß sie nicht mehr die
Mittel besaß, die theuern Unterrichts-
stunden zu bezahlen, daß sie gezwungen
gewesen war, während sie selbst noch
lernen mußte, um nur das liebe tägliche
Brod zu verdienen, nach Unterrichts-
stunden zu suchen, die sie geben wollte,
noch härter, daß sie dieselben trotz aller
Mühe nicht zu finden vermochte. Welche
Demüthigungen hatte sie bei ihren vergeb-
lichen Anstrengungen erdulden müssen!
Der berühmte Professor, den: sie mit einer
Thräne im Auge erklärt hatte, ihre
Mittel seien zu Ende, sie könne keinen
Unterricht mehr nehmen, und den sie ge-
beten hatte, ihr mit seiner Empfehlung
zur Seite zu stehen, hatte mit kalten
Worten sein Bedauern ausgedrückt, ihr
nicht dienlich sein zu können, er habe gar
keine Gelegenheit zu Empfehlungen, denn
Anfänger wendeten sich nie an ihn. Sie
hatte dann versucht, durch Zeitungs-
Annoncen sich Unterrichtsstunden zu ver-
schaffen, aber sie konnte sich dabei auf
keine Empfehlung berufen, und die An-
noncen waren daher resültatlos, es melde-
ten sich keine Schülerinnen. Wie sparsam
sie auch leben mochte, einige Groschen
brauchte sie doch täglich für den Lebens-
unterhalt, und da sie nichts verdiente,
schrumpfte ihr kleiner Geldvorrath täg-
lich mehr zusammen. Sie konnte die
 
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