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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 21.1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.48816#0007
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folgen, um die zurückgelassenen Knochen zu benagen,
so umkreist Jene das hungrige Heer der Werftschakale.
Zu dieser Innung zählen in erster Reihe Agenten, deren
Geschäft, die Schiffe mit Mannschaft zu versehen, dazu
benutzt wird, um Arbeitnehmer wie Arbeitgeber nach
besten Kräften schamlos zu besteuern. Es zählen zu
derselben Kneipwirthe, welche den abgemusterten Ma-
trosen so lange ein Unterkommen gewähren, als diese
noch einen Pfennig in der Tasche oder ein Stück Zeug
zu versetzen haben. Es zählen zu derselben die Han-
delsleute und Schacherer, welche wenig haltbare, oft
unbrauchbare Ausrüstungsgegenstände zu hohen Preisen
an Unerfahrene und Trunkene verkaufen. Es zählen
zu derselben endlich jene Verworfenen, welche sich an
die nach langer Fahrt abgelohnten Mannschaften heran-
drängen und in deren einfältiger, nur zu hald in Zügel-
losigkeit ausartender Genußsucht ihren besten Bundes-
genossen finden. Bereitwilligst zeigen sie den durch das
Bewußtsein schrankenloser Freiheit Be-
rauschten und mehr oder minder den Land-
fährnissen Entfremdeten die Wege dahin,
wo sie, wie von den Armen eines Polypen
umschlungen, bis auf das Mark ausge-
sogen werden. Und keine Rettung winkt
den auf schlüpfriger Bahn Einhertaumeln-
den ! Kein warnendes Wort begegnet den
Neulingen, die von bereits verwilderten
und vexhärteten Genossen in's Schlepptau
genommen werden! Keine strenge Maß-
regel wehrt den Aermsten, das, was sie
im Laufe vieler Monate in aufreibender
Arbeit den tückischen Elementen und dem
ewig dräuenden Tode abrangen, in ebenso
vielen Tagen den Werftschakalen blind-
lings in den Rachen zu werfen, dann
aber jenen Piraten auf's Neue ihr Wohl
und Wehe anzuvertrauen. Nur gering ist
die Zahl der Menschenfreunde, die auf
Seiten der Matrosen tritt, deren Lage
zu verbessern und ihnen Gelegenheit zur
nothdürftigen Sicherstellung der Zukunft
zu geben sucht! Kein wohlthätiger Zwang
wird ausgeübt, um die hie und da als
Stadtzierde errichteten Institute reicher
mit feiernden Seeleuten zu bevölkern.
Die Waare kreuzt, Gold und Schätze
rollen! Was liegt daran, ob Dieser oder
Jener darunter zermalmt wird? Wen
kümmert es, ob eine junge Kraft, die
Stühe einer Mutter, die Freude und
die Hoffnung eines Vaters dahinsinkt, ob
ein in schwerem Dienst ergrautes Haupt?
Auf dem Meeresboden ist Platz für Viele!
Glücklich Diejenigen, die in einem Ko-
rallenhain eine Stätte fanden, auf der
sie aller Noth, allem Verrath entrückt sind,
wo Seerosen und Seelilien um sie her
in zarten Farben dauernder blühen, als
die Immortellen auf den Friedhöfen.
Sie traf ein besseres Loos, als die ar-
beitsunfähigen Invaliden, die kaum noch

Joseph v. Radowitz, deutscher Botschafter in Konstantinopel.
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 7)

Das Loggbuch -es Kapitains Eisenfinger.
Roman
Von
Balduin Möllhausen.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Das Loggöuch.*)
n allen Erdtheilen, wo Mündungen schiff-
barer Flüsse und seewärts geschützte Meeres-
einbuchtungen die Anlage großer Städte
begünstigten, wo Tausende und Abertausende
aus allen Bevölkerungsschichten, von dem
elendesten Bumbootweibe bis hinaus zu dem
fürstlich begüterten Rheder und Handelsherrn, gewinn-
suchend in das gewaltige Räderwerk des Weltverkehrs
eingreifen, da findet sich auch die Innung
der Piraten im reichsten Maße vertreten.
Der Piraten! Doch nicht mit Pieke
und Entermesser, nicht mit Karronade
und Drehbasse verfolgen diese ihre Opfer;
nicht in einem Kampfe, zu welchem Muth
und Todesverachtung die erste Bedingung.
Nicht ringend mit den erzürnten Ele-
menten trachten sie, die Hand an frem-
des Leben und fremdes Eigenthum zu
legen, sondern in Verhältnissen, welche
ihnen den ungestörten Genuß der Beute
sichern, zu deren Erlangung sie nicht ein-
mal die Sohlen ihrer Stiefel zu netzen
brauchen. Hier durch einen Federstrich,
dort im persönlichen Verkehr mit den
auserkorenen Opfern wird geplündert;
bald auf dem Wege betrügerischer Lie-
ferungen, bald unter hinterlistiger Aus-
beutung der zwischen Himmel und Wasser
verwilderten Sitten und zügellos ge-
wordenen Leidenschaften.
Und wer sind die Opfer? Knaben
und Jünglinge, Männer in der Blüthe
der Kraft und selbst Greise, so lange deren
Sehnen und Knochen noch einen letzten
Rest von Widerstandskraft besitzen, Leute,
die, gleichviel ob Neigung oder Noth-
wendigkeit sie dem Gewerbe eines See-
fahrers in die Arme führten, nicht über
den Rang eines Bootsmannes hinaus-
gelangten.
Von ihnen, den eigentlichen Meer-
arbeitern, zehren Alle: Jener gewissen-
lose reiche Rheder, der sein verfaultes,
frisch übertünchtes, jedoch hochversichertes
Schiff immer wieder hinaussendet und
seinen Einfluß für die Herabsetzung der
ohnehin schon elenden Monatsheuer einsetzt,
wie der gewissenlose Kapitain, welcher die
") Loggbuch: Schiffsjournal, von Loggen (Messen
der Schnelligkeit der Fahrt).

Schiffsbesatzung auf die geringste Zahl beschränkt
und im Verein mit schurkischen Lieferanten Lebens-
mittel verwerthet, die, als „zu Schiffszwecken geeignet",
zu den billigsten Preisen öffentlich ausgeboten werden,
obgleich sie bereits den Keim zum Skorbut, zu schleichen-
dem Siechthum und verfrühtem Tode in sich tragen.
Zu deren Mitschuldigen aber sinken herab jene revidiren-
den Kommissionen, die mit dem Anblick der Schau-
gerichte sich begnügen und es für überflüssig halten,
das Innere der jauchig gefüllten Fleischfässer zu unter-
suchen und mit der Hand bis auf den Boden der ekel-
haft belebten Brodbehälter hsnabzugreifen.
Das sind Piraten, wie sie in den alten Korsaren-
zeiten nicht grausamer mit gekaperten Schiffen und
deren Bemannung verfuhren, und die sicherlich ebenso
wohl wie jene verdienten, mittelst einer um den Hals
geschlungenen Leine zur Raanocke emporgehißt zu werden.
Doch wie Geier und Raben den jagenden Hyänen
 
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