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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 21.1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.48816#0349
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Hrst 15.
geblieben. Die Goldwüschereien werden theils dnrch Privat-
spekulanten und freie Arbeiter betrieben und zeigen dann ein
Bild, das ganz den kalifornischen und australischen Minen-
kamps gleicht, oder sind im Besitze der Regierung, die Tausende
von aus Lebenszeit in die Bergwerke Sibiriens verbannten
Sträflingen bei der Arbeit des Goldwaschens beschäftigt.
Diese Sträflinge werden nicht, wie inan fast allgemein in
Europa annimmt, unmenschlich behandelt, aber, da sie meistens
aus den schwersten Verbrechern bestehen, den ganzen Tag mit
Strenge zu harter Arbeit angehalten. Des Nachts sind sie in
einem großen Gebäude eingeschlossen und von zahlreichen
Soldaten bewacht; Morgens 4 Uhr werden sie zur Arbeit
geführt, die, mit Ausnahme einer Mittagspause, bis Abends
6 Uhr fortgeht. Sie haben die goldführende Erde und Steine
in Schubkarren zu schaufeln und diese nach einer der am
Flusse gelegenen Waschmühlen zu schieben. Ein Aufseher
sammelt während der Operation des Waschens alle zurück-
bleibenden Goldkörner in ein ledernes Säckchen, welches am
Schluß des Tages deni Oberinspektor übergeben wird. Dieser
legt die Ausbeute, nachdem sie gewogen worden, in einem
eigens zu dem Zwecke erbauten, sehr festen Häuschen, dem
„goldenen Zimmer", in ungeheuren eisernen Sicherheits-
schränken nieder. Alle drei Monate geht dann ein Gold-
Transport nach St. Petersburg ab. Unser Bild auf
Seite 348 und 349 zeigt uns einen solchen während der
Winterszeit die ungeheuren Steppen Sibiriens durchkreuzenden
Gold-Transport. Derselbe wird aus mehreren, mit je drei
Pferden bespannten Schlitten gebildet, deren vorderster eine
Flagge tragt. Das Gold befindet sich auf diesen Schlitten
in kleinen, eisernen Kisten, in denen es in Lederbeuteln von
ganz bestimmtem Geivicht aufgeschichtct liegt. Begleitet wird
ein solcher, oft einen ungeheuren Werth repräsentirender Gold-
Transport von einer starken Kosakenschaar, die jedem mög-
licherweise versuchten räuberischen Angriffe vollkommen ge-
wachsen ist. So bewegt sich die Karawane Wochen und
Monate lang, von Schneestiirmen und der grimmigen Kälte
bedroht, dnrch die Wüsten Sibiriens dahin, nm dem „weißen
Zaren" in Petersburg die Schätze zuzusllhrcn, welche die
Äusgestoßenen der Gesellschaft gesammelt haben.

Die neuen franMschen Minister.
(Sichc die k PoitrSts auf Seite 352.)
Am 6. April 1885 übernahm Eugene Henri Brisson
(siehe Heft 23 des Jahrgangs 1885) die Präsidentschaft des
von ihm gebildeten Ministeriums und das Justizministerium,
aber das neue Jahr sollte ihn schon nicht mehr im Amte er-
blicken. Am 30. Dezember überreichte er dem Präsidenten
der Republik, dem zuvor vom Kabinet gefaßten Entschlüsse
gemäß, die Abdankung sämintlicher Minister, indem er erklärte,
daß die Regierung bei der Abstimmung über die Tonkinkredite,
wenn auch nicht der Stimmenzahl, so doch der Sache nach
geschlagen worden fei und nicht mehr genügend Ansehen und
Bürgschaft der Taner besitze, um die Geschäfte weiter leiten zu
können. Der Präsident Grovy nahm das Entlassungsgesuch an
und beauftragte am Morgen des 31. Dezember den bisherigen
Minister des Aeußeren, Freycinet, niit der Bildung eines
neuen Kabinets, das am 7. Januar 1886 in Funktion trat.
Das Porträt des neuen Ministerpräsidenten, Charles Louis
Desaulses de Freycinet, der zugleich das Ministerium des Aeuße-
ren innehat, haben wir unseren Lesern bereits in Hest 14 des
Jahrgangs 1880 nebst einer ausführlichen Biographie vorge-
führt, auf die wir hier wohl verweisen dürfen. Wir fügen nur
noch ergänzend hinzu, das; er jetzt zum sechsten Male in ein
Kabinet eingetreten und zum dritten Male Konseilsprüsident
geworden ist. Im Jahre 1879 geschah dies zum ersten
Male, bis er im September 1880 zurücktrat. Nach dem
Sturze des Kabinets Gambetta wurde er ans's Neue zum
Ministerpräsidenten ernannt und blieb auf diesem Posten bis
zum Juli 1882. Im April 1885 endlich übernahm er das
Portefeuille des Auswärtigen im Kabinet Brisson. Von den
übrigen neuen Ministern finden unsere Leser die Porträts der
sechs einflußreichsten und am meisten genannten auf S. 352.
Der Minister des Innern Sarrien, Abgeordneter von Saone-
et-Loire, war in der vorigen Kammer Präsident des Budget-
ausschusses und trat 1885 in das Kabinet Brisson als Mi-
nister der Posten und Telegraphen ein. — Goblet, der Minister
des Unterrichts, Kultus und der schönen Künste, war ursprüng-
lich Advokat, später Untcrstaatssekretär im Justizministerium
unter Waddington, Minister des Innern im zweiten Kabinet
Freycinet im Jahre 1882 und Minister des öffentlichen Unter-
richts unter Brisson. — General Boulanger, der Kriegsminister,
ist am 29. April 1837 geboren und trat 1855 in die Offiziers-
schule von Saint-Cyr ein. Er hat eine Expedition gegen die
Kabylen, den italienischen Feldzug, die Expedition von 1860
in Cochinchina und den deutsch-französischen Krieg mitgemacht.
1874 wurde er Oberst, 1880 Brigade- und 1884 Divisions-
General; zuletzt war er Befehlshaber der Expeditionsdivision
in Tunesien. — Der Marineminister, Admiral Aube, ist 1826
geboren; er war eine Zeit lang Gouverneur von Martinique
und zuletzt von Senegambien. — Lockroy, der Minister des
Handels und der Industrie, ist eine im öffentlichen und poli-
tischen Leben von Paris sehr bekannte Persönlichkeit. Er hat
den Feldzug der „Tausend" unter Garibaldi mitgemacht und
später mit Renan eine Reise durch Syrien unternommen.
Während der Belagerung von Paris befehligte er ein Bataillon
der Mobilen. — Grauet, der Minister des Post- und Tele-
graphenwesens, war früher Präfekt des Departements Lozsre-
et-Vienne und wurde 1880 Kabinets-Direktor im Ministerium
des Innern unter Constans. — Von den übrigen Ministern
mar der neue Justizminister DemSle, Senator für Saone-et-
Loire, unter Brisson Bautenminister; der Finanzminister Sadi-
Carnot, Abgeordneter des Goldküsten-Departements, war zu-
erst Unterstaatssekretär und wurde im September 1880 Bauten-
minister im Kabinet Ferry. Unter Brisson übernahm er zuerst
dies Amt wieder, vertauschte es aber bald gegen das Porte-
feuille der Finanzen. Der Minister der öffentlichen Arbeiten,
Ba'ihaut, ivar Unterstaatssekretär im Bautemninisterium unter
Duclerc im Jahr 1882 und behielt diesen Posten unter J.Ferry;

Das B n ch für Alle.

Develle, der Ackerbauminister, war zuerst Advokat, dann Prä-
fekt des Anbc-Departements, hierauf Unterstaatssekretär beim
Ministerium des Innern unter Freycinet im Jahr 1882 und
verblieb unter Duclerc und FalNres bis Februar 1883 im
Amte; er war zuletzt Vicepräsident der Kammer.

Der Zulfikarpaß «Afghanistans.
(Siehe das obere Bild auf Seite 853.)
In Mittelasien sind in den letzten Jahren durch die rus-
sischerseits erfolgte Einverleibung von Turkestan, die Umwand-
lung von Chiwa und Buchara in russische Schutzgebiete und
die Besetzung von Merw Rußland und England einander
immer näher gerückt, so daß heute nur noch Afghanistan das
einzige neutrale Gebiet zwischen den russischen und englisch-
ostindischen Besitzungen bildet. Durch diplomatische Verhand-
lungen zwischen den beiden Reichen war nun ausgemacht
worden, daß das Reich des Emirs Abdurrahman für alle
Zeiten eine derartige neutrale Zone, eine Art Puffer zwischen
den beiden rivalisirenden Mächten bilden sollte, allein dies
Abkommen war praktisch nur von geringem Werth, da die
Nordgrenze von Afghanistan bisher durchaus nicht feststand.
Es. wurde nun eine englisch-russische Kommission ernannt, um
diese Linie festzustellen, aber bevor dieselbe noch ihre gemein-
schaftlichen Arbeiten begonnen hatte, erscholl im Juli 1885
plötzlich die Alarmnachricht von dem angeblichen Vorrücken
der Russen auf Herat (vergl. Heft 22 des Jahrgangs 1885)
und dem Zusammenstoß zwischen diesen und den Afghanen
am Knschkflusse, wodurch der englisch-russische Konflikt ent-
stand, der beinahe zu kriegerischen Verwickelungen geführt
hätte. Es gelang auch diesmal der Kunst der Diplomaten,
eine friedliche Einigung herbeizuführen, die jedoch, nachdem
alles Uebrige schon vereinbart war, lange Zeit hindurch an
der Zulfikar-Frage zu scheitern drohte. Dieser Streit drehte
sich um die Ziehung der Grenze zwischen Nordafghanistan
und dem jetzt russisch gewordenen Turkmenengebiet am Zul-
fikarpaß zwischen Sserachs und Kussan, im Nordwesten von
Herat, dem „Schlüssel Indiens". Nördlich vom Paropamisns
zieht sich zwischen den Flüssen Kuschk und Herirud ein Höhen-
zug von Osten nach Westen, von dem nach Norden eine An-
zahl schmaler Ausläufer in ziemlich parallelen Linien geht.
Der westlichste derselben begleitet auf eine kurze Strecke das
Thal des Herirud auf dessen östlicher Seite, welches sich ge-
rade dort verengt und das der erwähnte Höhenzng somit be-
herrscht. Dies ist der wichtige Zulsikarpaß, von dem wir
oben ans Seite 353 eine vom Ufer des Herirud ans aufge-
nommene Ansicht bringen. Derselbe trägt seinen Namen von
dem Schwerte Mohammed's, Zualfekar, ist 3 bis 4 Kilo-
meter lang, an der schmälsten Stelle etwa 30 Meter breit,
und seine ans Sandstein bestehenden Seitenwände steigen bis
zu 120 Meter Höhe steil empor. Inmitten seines Ein-
ganges am Herirud erhebt sich ein Wachtthurm. Bei den
Verhandlungen hatte sich Rußland von vornherein willig
gezeigt, den Paß selbst den Afghanen zu überlassen, und
ebenso den Höhenzug, soweit er diesen im Osten begleitet.
Die Schwierigkeiten der Einigung wurden dadurch herbei-
geführt, daß England für die Afghanen den ganzen, weit
in die Ebene hinaus verlaufenden Höhenzng auch nord-
wärts von dem Passe forderte, so daß das afghanische Gebiet
den direkten Verkehr zwischen den Bewohnern der Ebene unter-
brochen haben würde. Dies wollten die Russen nicht zuge-
stehen, sondern verlangten für sich den nördlichen Theil des
Höhenzuges sainmt den dortigen Einsattelungen. Im Sep-
tember 1885 wurde dann aber ein gütliches Uebereinkommen
zwischen England und Rußland abgeschlossen, worin die ge-
nauere und beide Theile befriedigende Abgrenzung der 770
Kilometer langen Linie vom Zulfikarpasse nach Kodja Saleh
einer von beiden Mächten zu ernennenden Grenzkommission
vorbehalten wurde, die am 10. November an Ort und Stelle
zusammentreten sollte. Diese hat nunmehr ihr Werk größten-
theils bereits vollendet, und daher konnte die Königin von
England bei der Eröffnung des Parlaments am 21. Januar
1886 die begründete Hoffnung aussprechen, die Arbeit der-
selben werde dazu angethan sein, die Aufrechthaltung des
Friedens in Mittelasien zu sichern.

Badenweiler.
(Siche das untere Bild auf Seite 353.)
Am westlichen Fuße des Schwarzwaldes, eine starke Weg-
stunde von der badischen Eisenbahnstation Müllheim (an der
Bahn von Freiburg nach Basel), liegt auf einem Vorberge
des Blauen der Kurort Badenweiler mit seiner lauen Quelle
und prächtigen landschaftlichen Umgebung, welche Justinus
Kerner nicht mit Unrecht „ein Stück Italien in Deutschlands
Gauen" genannt hat. Schon die Römer kannten die herr-
liche Quelle eines beinahe chemisch-reinen Wassers, welche dort
in einer Temperatur von 22 ° U. aus dem Granit des Blauen-
bergs entspringt, und errichteten daher eine Niederlassung
und ein großes Badegebäude, dessen noch vorhandene statt-
liche Ueberreste im Jahre 1784 entdeckt wurden. Und die
wohlthätige Quelle, die herrliche Lage und köstliche Lust sind
es, welche noch heute den; kleinen Badenweiler seine Bedeu-
tung als Kurort geben und es zu einem der schönsten und
anmuthigsten Punkte in ganz Deutschland machen. Der Flecken
Badenweiler liegt in dem badischen Kreise Lörrach am west-
lichen Fuße des Schwarzwaldes 427 Meter über dem Meere,
226 Meter über dem Niveau des Rheinthals, auf einem der
Vorsprünge des Blauens, welchen die Ruine der alten, 1688
von den Franzosen zerstörten Burg Badenweiler krönt. Von
diesem hochgelegenen Punkte aus ist unsere Ansicht von Baden-
weiter auf Skizze 1 des unteren Bildes S. 353 ausgenommen,
auch hat man von hier aus eine prachtvolle Aussicht über das
Rheinthal und die Vogesen. Unter den Bade-Einrichtungen
ist besonders erwähnenswerth das hübsche Kurhaus (Skizze 3
und 4) mit prächtigen Parkanlagen und das bedeckte Schwimm-
bad, das sogenannte Marmnrbad (Skizze 2). Badenweiler

351
hat in neuerer Zeit ein beinahe durchaus städtisches und ele-
gantes Ansehen gewonnen und zählt eine Reihe freundlicher
Villen, in welchen die Kurgäste, deren sich jährlich gegen
3500 einstellen, Unterkommen finden. Eine gute Kurkapelle
gibt täglich zweimal öffentliche Konzerte und ein Lesesalon
sorgt für Unterhaltung. Allein der größte Reiz und Werth
von Badenweiler besteht in seiner Lage, dem milden Klima,
der schönen und lieblichen Umgebung, der Berg- und Wald-
frische und dem heilsamen Mineralwasser, der köstlichen Luft,
den mannigfaltigen Spaziergängen und Ausflügen und der
idyllischen Ruhe, welche es zu einem allbeliebten und von
Jahr zu Jahr stärker besuchten Kurort und Sommeraufent-
halt machen.

Die Besitzergreifung des Königreichs Birma
durch die Engländer.
(Siche das Bild aus Seite 35S und die Karte auf Seite 357.)
Während im November 1885 die Aufmerksamkeit aller
kontinentalen europäischen Mächte auf die serbisch-bulgarische
Verwickelung gerichtet war, hat sich England in aller Stille
und mit größter Schnelligkeit des schon in Heft 12 erwähnten
blühenden hinterindischen Königreichs Birma bemächtigt, von
dem unsere Leser aus S. 357 eine Karte finden, die zugleich,
durch etwas andere Schraffirung, die schon früher von Birma
losgerissenen Gebietstheile, das sogenannte Britisch-Birma,
und das angrenzende Bengalen hervorhebt, während die west-
lichen Nachbarländer Siam und die chinesische Südprovinz
Jünnan weiß gelassen worden sind. Das Königreich Birma
umfaßt ein fruchtbares, an Naturschätzen aller Art reiches
Gebiet von 457,000 Quadratkilometern Flächeninhalt und
nahezu vier Millionen Einwohnern indochinesischer Rasse, die
klein, gut proportionirt, von hellbrauner Farbe, lebhaft, gast-
frei und Anhänger der buddhistischen Religion sind. Haupt-
verkehrsader ist der Jrawadi, der das ganze Land von Norden
nach Süden durchströmt und bei gewaltiger Breite herrliche,
unserem Rheine ähnliche Uferlandschaften besitzt. Die Eng-
länder hatten bereits zweimal — 1824 und 1852 — gegen
Birma Krieg geführt und es durch Abtrennung der Küsten-
länder, die unter dem Namen Britisch-Birma annektirt wur-
den, nicht nur auf die Hälfte reduzirt, sondern auch gänzlich
vom Meere abgedrängt. Jetzt nun, wo Birma Miene machte,
sich an Frankreich anznlehnen, schien es ihnen an der Zeit,
auch den Rest einzustecken, was bei dem unkriegerischen Sinn
der Bevölkerung und dem Mangel an jeder nennenswerthen
Truppenmacht ein ganz ungefährliches Beginnen war. Den
Vorwand zum Kriege gab eine Streitigkeit zwischen dem König
Thibo von Birma und der Handelsgesellschaft Bombay-Birma,
die von der anglo-indischen Regierung geschickt ausgebeutet
wurde, um den längst geplanten und vorbereiteten Schlag zu
führen. Da König Thibo, wie vorauszusehen war, sich den
Forderungen der Engländer nicht sofort fügte, so fiel Mitte
November eine Streitmacht von 10,000 Mann anglo-indischer
Truppen unter dem Kommando des Generals Prendergast in
Birma ein. General Prendergast ging von Rangun aus in
Dampfschiffen den Jrawadi aufwärts; ein ernster Widerstand
von Seiten der Birmanen wurde nirgends versucht, und wo
sich eine kleine Schaar derselben hinter ihren Psahlverhauen
dem Vordringen der Engländer zu widersetzen wagte, da
brachten die Schiffskanonen derselben schnell den'Kampf zu Ende.
Der Kriegszug glich einer Spazierfahrt. Als sich General
Prendergast mit seinem Geschwader am 26. November bis auf
50 Kilometer der Hauptstadt Mandalai genähert hatte, kam
ihm eine vergoldete Staatsbarke entgegen, dis eine Waffen-
stillstandsflagge führte und den birmanischen Minister der aus-
wärtigen Angelegenheiten an Bord hatte, welcher um Ein-
stellung der Feindseligkeiten bat. General Prendergast for-
derte jedoch bedingungslose Unterwerfung, die auch, als er
weiter vorrückte, am nächsten Tage erfolgte, so daß der eng-
lische General am 28. November in die Hauptstadt Mandalai
einziehen konnte. Noch am selben Tage wurde König Thibo
als Gefangener an Bord des englischen Dampfers „Thooreah"
gebracht, der darauf nach Rangun abdampfte. Von dort
führte man den hohen Gefangenen nach Madras, um ihn in
dem kleinen indischen Städtchen Arcot zu interniren. Den so
schnell seines Reiches und seiner^Herrschast beraubten Mon-
archen zeigt uns das Bild auf Seite 356 mit seinen beiden
Frauen nach einer letztes Jachr in seinem Palaste zu Man-
dalai aufgenommenen Photographie. König Thibo ist der
Sohn Mendug-Men's, des verstorbenen Königs-von Birma,
und im Jahre 1858 geboren. Er war ursprünglich nicht
zur Nachfolge bestimmt, sondern gelangte dazu im Jahre 1873
durch die Jntriguen der Künigin-Wittwe Alainam Daw Pyah,
deren zweite Tochter Soo Pyah Lat er zur Frau nahm. Dieser
sehr hübschen, intelligenten und wie ihre Mutter intriganten
Prinzessin, die wir links neben dem Könige ans dem
Lager ruhen sehen, und dem mit ihr verbündeten ersten Mi-
nister werden jetzt die an des Königs Verwandten verübten
Mordthaten zur Last gelegt, welche die Engländer fälschlich
Thibo zuschrieben. Der junge, wohlgestaltete Monarch, dessen
etwas schläfrige Züge aber wenig Geist und Energie ver-
rathen, scheint von diesen Beiden und der Königin-Wittwe
in steter Abhängigkeit gehalten worden zu sein. Im Jahre
1883 heirathete er noch die jüngere Schwester seiner Gemahlin,
Soo Pyah Glay, welche als zweite Königin im Range der
ersten nachsteht und links, etwas entfernt vom Könige, auf
unserem Bilde sichtbar ist. Der entthronte Monarch wird jein
Vaterland wohl nie wiedersehen, denn schon am 1. Januar 1886
wurde durch den Vicekönig von Indien die Einverleibung des
Königreichs Birma in das indische Reich der Königin von
England und Kaiserin von Indien proklamirt. Die Birmanen
selbst stehen dem Wechsel der Herrschaft anscheinend mit großer
Gleichgiltigkeit gegenüber, denn nur im Norden des Landes
führen noch kleine Trupps von Freischärlern einen Guerilla-
krieg gegen die Engländer, während das ganze Land sonst
ruhig ist und sich bedingungslos dem Sieger unterworfen hat.
 
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