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Fnihstiilkszeit. Nach einem Gemälde von A. Mülser-Schönhansen. (S. 7)

Begebenheiten ans schwerer Zeit, bis die Erinnerung
an dieselben endlich ganz erlischt.
Doch wie der Wind launenhaft einzelnen gestorbe-
nen Blättern ein geschütztes Plätzchen anwcist, wo sie
lange Zeiträume überdauern, um abermals launenhaft
aufgescheucht und mit jüngeren Leichen ihres Geschlechtes
durcheinander gewirbelt zu werden, ähnlich verfährt
der Zufall nicht selten mit den ausgerissenen Blättern
der Familiengeschichten. Und so trägt er sie zuweilen
auch dahin, wo sie mit ernster Theilnahme geprüft und
willkommen geheißen werden und zu lebhaften Nach-
forschungen anregcn. Mit jedem Erfolg, und wäre
es anfänglich nur ein Scheinerfolg, der das Beginnen
lohnt, wächst der Eifer, Zuverlässigeres zu erkunden.

Anstatt zu ermüden, steigern die sich cntgegenstellenden
Schwierigkeiten die Schaffenslust. Bilder, ursprünglich
nebelhaft verschwimmend, gewinnen schärfere Umrisse
und reihen sich verständlich an einander; als abgerun-
detes Ganzes entwindet sich dem chaotischen Gewirrc,
was der Vergessenheit anheimzufallen nicht verdiente.
Weiter blättere ich zwischen den alten Zeichnungen
und Aquarellen, und weiter erzählt das gedämpfte
Poltern des Ofens:
Die ersten Schlachten, gleichsam Schnlschlachten,
waren zwischen den beiden sich wild aufrüttelnden mäch-
tigen Gegnern mit wechselndem Glück geschlagen worden,
und bis in die entferntesten Gebiete der Union hinein
fanden Gefechte und Scharmützel von geringerer Be-
deutung statt. Am entsetzlichsten wüthete
die Kriegsfurie in ihrem jähen Erwachen
westlich vom Mississippi. Im Staate
Missouri zeugten brennende Ortschaften,
ausgeplünderte und verwüstete Farmen,
kühne Guerilla- oder vielmehr Räuber-
banden und obdachlose Flüchtlinge von
einer Erbitterung und Erbarmungslosig-
keit, wie sie eben nur in einem Bürger-
kriege gezeitigt werden können.
Auf Seiten des Nordens wie auf
Seiten der Rebellen fochten Indianer-
stämme. Die Tage des Unabhängigkeits-
krieges der Union schienen zurückgekehrt
zu sein. Sogar bereits halb civilisirte
Eingeborene griffen'zum Skalvirmesser und
huldigten altem barbarischen Brauch. Im
Staate Arkansas stießen die Rebellen unter
Cooper und die Cherokesen unter ihrem
Häuptling Opoth-lei-hoho auf einander.
Bald in größeren Abtheilungen, bald in
kleineren Gruppen stellten sie sich gegen-
seitig nach. Wo die Uebermacht auf
Seiten der Rebellen war, da glichen
Scharfsinn und Verschlagenheit der brau-
nen Krieger und Jäger das Mißvcrhält-
niß wieder ans.
Eine entscheidende Wirkung auf das
Ganze war von dem Treiben dieser nur
wenig zahlreichen Gegner allerdings nicht
zu erwarten; Wohl aber erhöhte es die
Unsicherheit des von ihnen beherrschten
Bodens. Gefährlich war es, dem Einen
oder dem Anderen zu begegnen. Als Spion
galt nur zu leicht, Wer sich nicht genügend
auszuweisen vermochte.
Ich suche und suche — halt — hier
ist cs.
Eine Zeichnung liegt vor mir, unter-
schrieben „Dardanell-Felsen, 24. Juni
1853." Es ist dies ein Punkt, etwa hnn-
dertundfünfzig englische Meilen oberhalb
der Mündung des Arkansas in den
Mississippi, also recht in der Mitte des-
jenigen Theils des Staates Arkansas,
welcher, in dichte Waldungen gekleidet und
von umfangreichen Sümpfen durchzogen,

Die Familie Melville.
Roman ans der Zeit des nordamerikanifchen Bürgerkriegs.
Von
F Balduin Möllhanscn.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Am Aardanesk-Acksen.
er Winter ist vor der Thürc; kürzer werden
die Tage, länger die Abende. Es ist die
Zeit des EinschachtelnS und Zusammen-
rückens; die Zeit, in welcher das Poltern
des Feuers im Ofen noch
neu und daher um so leb-
hafter aufmunternd zu re-
gem Schaffen. Wie behagliches Erzählen
klingt es aus dem eisernen Thürchcn.
Um dein dumpfen Murmeln Worte zu
verleihen, suche ich nach Anhaltspunkten
ui ferner Vergangenheit.
Vor mir liegt geöffnet eine stark ge-
füllte Skizzenmappe. Blatt auf Blatt
schlage ich um, Blatt auf Blatt, klein
und groß, und jedes trägt die Merkmale
^ines halben Menschenalters. Wehmüthig
betrachte ich die vergilbten Erinnerungs-
scheu, angefertigt in fernen fremden
fanden, in tiefer Wildniß wie im Bereich
der Civilisativn.
. Der Geist wandelt unterdessen seinen
eigenen Weg. Wenn in schwer bewegter
Veit Tausende und Hunderttaufende todes-
viuthiger Männer kampfgerüstet einander
gegenüberstchen, im blutigen Ringen die
Kriegswürfel entscheiden, dann schwirren,
ähnlich den vom Herbststurm entführten
welken Blättern, Gerüchte, Nachrichten und
Aufträge nach allen Richtungen. Viele
^'reichen ihr Ziel entstellt, viele erreichen
bs gar nicht, und wie dürres Laub im
-llialdesschattcn sich dem feuchten Erdboden
anschmiegt, um ungesehen zu verwesen,
w verhallt zusammen mit dem letzten
Dodesseufzer manch' banger Gruß, manch'
ksener Rath ungehvrt. Es sterben dahin
mr Zeugen tief einschneidender Ereignisse,
and spurlos ist verschollen ein Glied aus
Vieser oder jener Freundeskette, ausge-
vsssen ein Blatt aus dieser oder jener
Enmilicngeschichte. Wohl ziehen hier und
°a die geebneten Wogen des großen nord-
anicrikanischen Bürgerkrieges noch immer
st)re Kreise, allein im Allgemeinen un-
bemerkt, unbeachtet, oft genug unver-
standen, sogar ungeahnt. Man verlernte,
ans jene blutigen Tage entfallende Ur-
wehen in Beziehung zu späteren Wirkungen
M bringen; mehr und mehr sagenhaft
kauten die Schilderungen romantischer
 
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