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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 23.1888

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.44084#0143
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der Polizei nicht entbehren

Um

in

freundlich, „und habe für der-
. Mein Grundsatz war
immer, die Thatsachen zu nehmen, wie sie vorlicgcn,
und sich resignirt in das Unabänderliche zu fugen. Ihr
armer Bruder hat seine Unvorsichtigkeit und Vertrauens-
seligkeit schwer büßen müssen — das ist aber einmal
geschehen, ein Unglück, wie dieses, läßt sich nicht rück-
gängig machen. Rechnen wir also mit dein Gegebenen:
unser ganzes Streben muß sich darauf richten, jenes
Verbrechers habhaft zu werden und ihn der Gerechtig-
keit zu überliefern, der aus schnöder Gewinnsucht Ihrem
Bruder William den Tod bereitet und Ihnen Ihr
Erbe gestohlen hat. Ich betrachte es trotz meiner skep-
tischen Weltanschauung gewissermaßen als eine Fügung
von höherer Hand, daß Sie in einer Familie Auf-
nahme gefunden haben, die zweifelsohne in gewissen
Beziehungen

zu dem Verbrecher steht."
„Wer — ? DieJllburgs? — Aber
das ist ja unmöglich'?" Mabel starrte
den Advokaten mißtrauisch an.
„Doch nicht unmöglich," entgegnete
dieser. „Jener Mr. Garder ist der ver-
lorene Sohn einer hochangesehenen deut-
schen Familie und führte im gesellschaft-
lichen Leben denselben Namen, den Ihre
Herrschaft tragt. In welchem verwandt-
schaftlichen Verhältnisse er zu dieser steht,
weiß ich heute noch nicht, ich denke aber,
mit Ihrer Unterstützung werden wir in
Bälde dahinter kommen. Und nun hören
Sie mir einmal aufmerksam zu, Miß
Mabel: Sie hatten mit Ihrer Äeußerung
von vorhin nicht Unrecht - cs ist ein
wahrhaftes Netz von Bosheit, das man
um Ihre Person gesponnen hat, ich Null
mich aber bemühen, die einzelnen Fäden
zu entwirren, damit inan nicht auch Sie
Ivie eiu armes Bögelchen einfängt. Ich
uotire Ihnen drei Namen, die ich fest im
Gedächtnis; zn behalten bitte. Der erste
derselben lautet .Basil v. Laczarowski' —
das ist jener polnische Abenteurer, der
als Chef der Genfer Anarchistenscktion
den Anstoß zu dem schmählichen Jn-
trigncnspiel gegen Sie und Ihren Bruder
gab, und der sich gegenwärtig in Neapel
aufhält. Gr steht in intimer-Geschäfts-
verbindung mit der zweiten Persönlichkeit,
die Sie sich merken müssen. Es ist eine
Dame der hiesigen Gesellschaft, die an
einen Russen verheirathct war, eine Frau
.Clelia Bulikoff' —"
„Ich keime sie," fiel Mabel in stei-
gender Aufregung ein, „ich sah sie neulich
während eines Besuches meiner Herrin bei
der Fürstin Cvrnigliano — und ich hörte
später eine in ziemlich heftigem Tone
geführte Aussprache zwischen Madame
Bulikoff und der Frau v. Jllburg an,
die ich aber leider nicht verstand, da man
russisch sprach."

dings auch wir die Hilfe
können i vorläufig trage ich mich aber mit der Absicht,
auf privatem Wege vorzugehcn, damit der geriebene
Schwindler nicht allzu früh aus seiner Sicherheit auf-
gerüttelt wird. — Haben Sie meine Ausführungen ver-
standen, Miß Mabel?"
Mabel nickte, Thränen in den Augen.
„Vollständig, Herr Doktor," sagte sie, „und mein
Herz zittert über dieses eng verstrickte Netz von Bos-
heit und menschlicher Niedertracht um wie Viel besser,
barmherziger Gott, wäre cs gewesen, wir hätten uns
gar nicht um diese unselige Erbschaft gekümmert, son-
dern unser Leben stillen Glückes im fernen Jamaika
weiter geführt!"
Nocera spielte mit dem vom Tische genommenen
Falzbein.
„Ich bin eine trockene juristische Natur, liebes Fräu¬

lein," erwiederte er ,
artige Reflenoucn wenig Sinn.

Ehre und Uamen.
Roman
von
F. v. Zobeltitz.
(Fortseüunq.) ,
(Nachdruck verboten.)
ähnliches Verbrechen, wie das von
Garder geplante," fuhr der Advokat fort,
„ist vor etwa fünfzig Jahren, wie ich
kürzlich in einer Sammlung interessanter
Kriminalfälle las, schon einmal verübt
worden, die Idee war also nicht neu, die
Ausführung mußte aber, wenn sie einigermaßen ge¬
wandt iuscenirt wurde, gelingen. Und sie gelang in
der Thal auf ganz unerwartete Weise.
Der.Marschall Pley' fiel einem Wirbel-
sturme zum Ibpfcr und ging unter; die
Menschenleben, die das schreckliche Unglück
gefordert hatte, waren zahlreich - auch
Ihr Bruder zählte zu den Ertrunkenem
Ich muß hier eine Lücke in meinem
Berichte frei lassen; cs ist nicht fest-
zustellen — bis jetzt wenigstens nicht - -
ob William Lupo wirklich verunglückt
ist, oder ob der Agent der Anarchisten
ihn getödtet hat. Fast glaube ich das
Letztere, da Garder sich in den Besitz der
gejammten Legitimatiouspapiere Ihres
Bruders zu setzen wußte. In Wahrheit
war jener Mann, der sich auf den Schifss-
bureanr in Marseille als William Lupo
vorstellte 'und der unter diesem Namen
das bewußte Telegramm an Sie absandte,
nm Sie in Sicherheit zu wiegen, also
kein Anderer als Garder. Mit Hilfe
kleiner, leicht bewerkstelligter Aenderungen
in der Personalbeschreibung des Lupo'-
scheu Passes und zufolge der gestohlenen
Legitimationen, die er bei sich führte,
fiel cs Garder, der sich in Frankfurt
eines sehr geriebenen Advokaten bediente,
nicht schwer, die Auszahlung der Erb-
schaft zu beschleunigen. Kaum aber war
diese Angelegenheit erledigt, so machte
sich Garder aus dem Staube. Er war
doch noch schlauer, als seine anarchistischen
Genossen, die das Nachsehen hatten. Der
Umstand, daß weder von Ihrer, noch
sonst von bctheiligter Seite über den
unverschämten Betrugsfall den zustän-
digen Gerichten Anzeige gemacht worden
ist, hat bisher eine polizeiliche Verfolgung
Garder's verhindert. Das ist ein großer
Vorthcil für uns, da eiu Aufgebot der
Polizeibehörden uothgcdrnngen immer
von mehr oder weniger Lärm begleitet
wird, der den Verbrecher gewissermaßen
warnt. In letzter Stunde werden aller-

---— -
Kardinal Mariano Ranipotta, der neue päpstliche Staatssekretär.
Nach einer Photographie gezeichnet don C Kolb. lS. I w)
 
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