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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 24.1889

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.51129#0606
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Menschen macht, die Sonne eines neuen, wahrhaft
glücklichen Lebens, das ich nnn beginnen will."
Sein Ton war so warm, daß sie erkennen konnte,
sein Herz habe vollen Antheil an seinen Worten. Ein
seliges Roth überstrahlte das klare Antlitz der jungen
Braut, und innig erwiederte sie den Händedruck, mit
welchem er ihre zarten Fingerspitzen an die Lippen z^g.
„lind nicht wahr, Marianne," flüsterte er ihr zärt-
lich zu, „Du weißes ja auch, daß ich Dich treu und
vou ganzem Herzen liebe, wie man eben nur einmal
lieben kann?"
Er legte seinen Arm um ihre Schultern und drängte
das Helle Lockenköpfchen an seine Brust, aber ehe sich
noch ihre Lippen gefunden hatten, wurden sie durch
einen Schritt hinter ihnen auf dem Kieswege gestört.
Die Mundwinkel des jungen Mannes verzogen sich
etwas unmuthig, als er die Nahende erblickte, eine
kleine, ältliche Dame mit blassem, vergrämtem Gesichte.
Es war die Mutter der Braut, die verwittwete Kon-
sistorialräthin Grünow.
„Da steht ihr Beide nnd drinnen wartet das Früh-
stück," sagte sie mit leisem Vorwurf. „Und ihr wißt
doch, wir haben keine Zeit zu versäumen; der Zug
geht kurz vor zehn Uhr ab und wird Wohl nicht auf
uns warten."
„Wahrhaftig!" rief Emmerich, auf seine Uhr sehend.
„Marianne, wir haben uns verplaudert. Komm, wir
müssen uns sputen."
Mit der Miene des echten Salonhelden bot er der
^künftigen Schwiegermama den Arm und führte sie nach
dem einfachen Landhäuschen. Marianne, die den rechten
Arm der Mutter genommen hatte, warf noch einen
Blick zurück, , in der doppelten Absicht, noch einmal den
lieben alten Garten zu überschauen und die Thränen
zu verbergen, die unter ihren Wimpern hervorperlten.
„Mach' mir nicht auch noch das Herz schwer,"
flüsterte Frau Grünow ihrer Tochter zu, „Du weißt
ja, wie sehr ich mir Gewalt authue, um fest zu bleiben.
Ich verliere hier mehr als Du, denn Du hast Dein
Glück noch in der Zukunft, ich aber lasse es hier
zurück."
„Nun, gnädige Frau, haben Sie Alles zu Ihrer
Zufriedenheit geordnet?" unterbrach sie Emmerich.
„Wann ziehen die neuen Bewohner ein?"
„Uebermorgen, so viel ich weiß," sagte die Kon-
sistorialräthin etwas scharf. „Der Notar hat mir
gestern den Kaufschilling übermittelt."
„Verzeihen Sie, ich war Wohl etwas undelikat,"
begann Emmerich nach einer kleinen Pause, die ihn zum
Bewußtsein seines Schnitzers brachte. „Es ist Wohl
begreiflich, daß es Ihnen nicht sehr leicht wird, Ihr
langjähriges Heim zu verlassen, aber Sie bleiben ja
bei Ihrem Kinde, dessen Glück meine ganze Lebens-
aufgabe sein soll!"
Frau Grünow antwortete nicht, sondern stieg rasch
die paar Stufen zum Hausflur empor und eilte voraus
nach dem Speisezimmer.
Der Bräutigam blickte etwas verdutzt auf Marianne,
die sich an seinen Arm hing und ihn, ehe er noch
etwas sagen konnte, mit sich fortzog in das Hans
hinein.
Außer Frau und Fräulein Grünow und deren
Bräutigam befanden sich nur wenige Leute auf dem
kleinen Bahnhofe, um den Zug zu erwarten, der auf
seiner Fahrt nach der Hauptstadt nur auf einige Mi-
nuten an dieser abgelegenen Station anzuhalten pflegte.
Emmerich und Marianne wandelten Arm in Arm den
Bahnsteig entlang und sahen voll Ungeduld wiederholt
nach der Richtung aus, von wo der Zug angefahrcn
kommen sollte. Die Konsistorialräthin hatte sich in-
dessen in den Wartesaal begeben. Der junge, hoch-
gewachsene Mann erregte einiges Aufsehen unter den
Leuten, um so mehr, als dieselben hier ohnedies keinen
anderen Zeitvertreib fanden, als ihren Nebenmenschen
zu betrachten.
Emmerich war aber auch wirklich das, was man
allerorten nut Fug und Recht einen „schönen Mann"
nennt. Wie gewisse Frauen auf den Mann geradezu
berückend wirken, ähnlich so gefiel dieses Männerantlitz
gleich beim ersten Anblick den Frauen, und Emmerich
verstand denn auch seine Rolle als verhätschelter Damen-
liebling allerorten nut siegesgewisser Selbstgefälligkeit
zu spielen.
Jetzt trat ein Bahndiener an die Signalglocke und
verkündete mit Hellen Schlägen das Nahen des mit
mehr oder weniger Ungeduld erwarteten Zuges. Ma-
rianne zog rasch ihren Arm aus dem des Begleiters
und eilte nach dem Wartezimmer, die Mutter zu holen.
Der Bräutigam blieb indessen mit den ihm anvertrauten
kleinen Gepäckstücken auf dem Bahnsteige. Dumpf brau-
send fuhr das Dampfroß heran. Emmerich blickte die
Wagenreihe entlang, um nach einer passenden Abthei-
lung zweiter Klasse auszuspähen. Plötzlich warf er
mit der Miene der Ueberraschung den Kopf empor,
dann machte er eine rasche, fast unwillkürliche Be-
wegung nach einem Fenster des letzten Schlafwagens
hin. Dort zeigte sich das herrlich gezeichnete Profil

Das Buch für Alle.
eines brünetten Frauenkopfes. Er hielt jedoch im
nächsten Moment inne, denn er hörte die Stimme der
Konsistorialräthin neben sich.
„Hier, hier, Herr Brauns — da haben wir ja,
was wir brauchen. Komm', Marianne!"
Mit vieler Geschäftigkeit half er den Damen in
den Wagen und reichte ihnen die beiden Handtaschen
und den in Riemen geschnallten Plaid hinauf. Ehe er
aber selbst das Trittbrett bestieg, warf er noch einen
raschen, scheuen Blick die Wagenreihc hinab nach dem
letzten Fenster. Dort war der Frauenkopf schon wieder-
verschwunden.
„Es kann doch nicht sein!" murmelte er im Auf-
steigen. „Eine flüchtige Achnlichkeit."
Marianne und ihre Mutter, deren Gedanken wohl
noch in der verlassenen Heimath weilten, blieben am
Anfang der Fahrt sehr schweigsam. Um so dankbarer-
waren sie daher ihrem Begleiter, der sie mit Scherzen
und Plaudern allmählig zur Heiterkeit zu stimmeu
wußte. Emmerich entfaltete eine Liebenswürdigkeit, der
man auf die Dauer nicht widerstehen konnte; er gab
sich alle Mühe, die Damen und — sich selbst trüben
Gedanken zu entreißen.
Von Zeit zu Zeit beugte er sich aus dem Wagen-
fenster, um angeblich nach dem Wetter zu sehen. Be-
sonders schien er den Wolken hinter ihnen eine große
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Bei diesen Beobachtungen
streifte sein Blick stets die schaukelnde Wagcnreihe
hinunter, die durch den bewußten Schlafwagen ab-
geschlossen wurde. Aus dem letzten Fenster flatterte
der Zipfel eines blauen Schleiers, ein allerliebstes
Signalfähnchen für Emmerich's spähendes Auge. Er
hatte diesen blauen Schleier vorhin auf dem grauen
Reisehütchen jener Dame bemerkt, aber von dieser selbst
war jetzt nicht das Geringste zu sehen.
Die Fahrt nach der Hauptstadt dauerte nicht lange.
Nach etwa zwei Stunden tauchten bereits die Thürme
der Riesenstadt am Horizonte empor, und kurz darauf
hielt der Zug unter dem hochgcwölbten Glasdache der
Bahnhofshalle. Mit nervöser Hast sprang Alles aus
den Wagen und drängte den Ausgängen zu.
Marianne und ihre Mutter, die das Gewühl mit
banger Unbehaglichkeit beobachteten, blieben etwas zu-
rück, um nicht in den ersten tollen Strudel gezogen zu
werden. Emmerich führte die Konsistorialräthin am
rechten Arm, mit der Linken die Gepäckstücke schleppend.
Auf dem Wege zur nächsten Ausgangsthür sah er
wiederum nach dem bewußten Schlafwagen zurück,
dessen Thüren standen weit offen; die Passagiere mußten
daS Coupö schon längst verlassen haben. Brauns seufzte
erleichtert auf, aber im Weiterschreiten mußte er sich
gestehen, daß es ihn doch intcressirt hätte, Gewißheit
darüber zu erhalten, ob er sich in seinen Vermuthuugen
über die Dame getäuscht habe oder nicht.
In der Ausgangshalle herrschte ein schier undurch-
dringliches Gewirre, nur langsam rückte Emmerich mit
seinen Begleiterinnen vorwärts. Da rieselte plötzlich
ein gelinder Schauer über den Rücken des jungen
Mannes; er sah vor sich einen blauen Schleier auf-
tauchen, der ihn mit unbehaglichen Ahnungen erfüllte.
Dem ersten Antriebe folgend, wäre er am liebsten um-
gekehrt, aber er hätte, das nicht vor seinen Begleite-
rinnen zu rechtfertigen vermocht und überdies machte
der nachdrängendc Hansen die Ausführung eines solchen
Vorsatzes unmöglich. Unaufhaltsam ging es vorwärts,
der blaue Schleier auf dem Reisehütcheu rückte immer-
näher, sie mußten knapp an ihm vorbeikommen — und
es gab kein Entrinnen mehr.
Die Zähne in die Unterlippe gegraben, den Blick ge-
rade vor sich hin gerichtet, setzte Emmerich festen Schrit-
tes seinen Weg fort. Er behielt nur den Ausgang im
Auge, aber er sah doch, daß ihn: die Trägerin des
blauen Schleiers den Rücken zugckehrt hatte. Jetzt
war er nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt, da
wandte die Reisende sich um, so daß ihr Arm fast die
Schulter Emmerich's streifte. Dieser hielt den Athen:
an und drängte mit Hast vorwärts, als brenne ihm
der Boden unter den Füßen.
„In's Hotel Kaiserhof!" hörte er eine Stimme
hinter sich den: Träger befehlen; er erkannte diese
Stimme, ebenso wie er ihre Eigenthümcrin jetzt auch
auf's Bestimmteste erkannt hatte. Und auch sie mußte
ihn erkannt haben. Er hatte deutlich gesehen, wie sie
bei seinem Anblick zusammengcschreckt, und wie ein
tiefes Roth in ihrem kühn geschnittenen Antlitz auf-
getancht war.
„Dieses geräuschvolle Treiben ans den Bahnhöfen
fällt Einem wirklich auf die Nerveu," sagte er draußen
auf der Straße zu Frau Grünow, während er eine
Droschke herbeiwinkte. „Mir schwirrt förmlich der
Kopf davon."
Die Damen stimmten ihm seufzend bei und bestiegen
den Wagen, der sie in's Hotel du Nord fahren sollte,
wie Emmerich anordncte.
„Ich denke. Du hast uns den,Kaiserhof' empfohlen?"
meinte Marianne.
„Ja, aber es ist dort zu viel Verkehr, wie ich erst
nachträglich bedachte. Ihr werdet es wohl verziehen,

Hrst 25.
in einen: weniger besuchten Gasthofe der Rühe zu Pfle-
gen. Uebrigens werdet ihr in: Hotel du Nord nicht
weniger gut bedient werden."
Bei diesen Worten war er eifrig bemüht, den etwas
widerspenstigen Wagenschlag in's Schloß zu bringen,
welche Anstrengung cs Wohl war, die ein leichtes Roth
in sein Gesicht drängte.
Emmerich sorgte in dem Gasthofe mit sehr Viel Um-
sicht und Sorgfalt für die Bequemlichkeit der Damen,
die er-erst dann verließ, als er sie bereits in ihren
Zimmern untergebracht hatte. Er verabschiedete sich
mit der Zusicherung, gleich nach Mittig wieder vor-
zusprechcn, um sich zu überzeugen, ob die Dann:: sich
von den Beschwerden der kleinen Reise vollkommen er-
holt Hütten.
Als er den unten noch harrenden Wagen bestieg,
lag eine Wolke auf seiner Stirn, und die Lippen, die
eben noch so liebenswürdig und verbindlich gelächelt
hatten, waren fest aufeinander gepreßt. In: mürrischen
Tone rief er dem Kutscher die Weisung zu; „Börsen-
straße — Gebrüder Branns!"
Der Weg nach der Börsenstraße, den: Centralpunkt
des hauptstädtischen Handels, führte auch an dem Hotel
Kaiserhof vorüber. Emmerich sah mit scheuen: Blick
uach den Fenster» hinauf und schüttelte mißmuthig daS
schwarzlockige Haupt.
„Welch' ein Satan sie nur hergeführt habe:: mag?"
murmelte er, sinnend iu die Wagenkissen znrückgelehnt.
„Uud sic hat mich erkannt, das steht außer allem
Zweifel. Fatale Geschichte! Aber hübsch, ganz ver-
teufelt hübsch ist sie immer noch!"
2.
Als Emmerich durch die Comptoirräume schritt, be-.
grüßte:: die Angestellten ihren jüngeren Chef mit schul-
diger Achtung, aber hinter ihm wurde manches heim-
liche Lächeln bemerkbar. Man flüsterte sich zu, stieß
sich gegenseitig an und zuckte die Achseln. Hier im-
ponirte der siegesgewohnte Mann augenscheinlich nicht
mit seiner glänzenden Erscheinung.
Leopold Brauns verließ seinen Schreibtisch, als er-
den wohlbekannten Schritt des Bruders vernahm, und
eilte ihn: entgegen. Auf seinen: sonst so gelassenen,
etwas bleichen Gesichte lag der Ausdruck einer rühren-
den Freude, als er dem Ankömmling beide Hände ent-
gegenstreckte.
„Ja, alter Schwede, da hast Du mich wieder!"
rief Emmerich, mit etwas erkünstelter Heiterkeit. „Ich
dtnke, das Geschäft hat mich nicht vermißt, hahaha!"
„Wofür wäre denn ich da?" erwiederte der Aeltere
und zog den Bruder in's Privatromptoir, wo er ihn
in einen Sessel drückte, ihn: Hut und Mantel abnahm
und sich ihm gegenüber in einen Stuhl warf. Daun
drückte Leopold nochmals die Hände des Anderen und
sah voll Zärtlichkeit in das hübsche Gesicht.
„Ich kann Dir's wahrhaftig gar nicht sagen, wie
ich mich freue, Dich wieder hier zu haben, und noch
dazu so! Ich bin bis an die Decke gesprungen, als
ich Deinen Brief erhielt. Und wie prächtig Dl: aüs-
fiehst, mein Goldjunge! Ja, ja, das Glück leuchtet
aus Deinen Augen. Aber jetzt erzähle, erzähle! Ich
bin fürchterlich neugierig, von ihr zu hören, sie zu
sehen. Sie ist doch schon da, nicht wahr? Du hast
sie doch mitgebracht?"
„Sie ist da, ja, sie ist da!" sagte Emmerich etwas
zerstreut und fuhr sich nachdenklich über die Stirn-
Dann aber ging er mit Eifer daran, den: Bruder die
verlangten Mittheilungen zu machen.
Emmerich BraunS war wieder einmal mehrere Mo-
nate ans Reisen gewesen, „theilweise auch in Geschäfts-
interessen", wie es nebenher hieß, in Wirklichkeit aber
ging der junge Chef bei solchen Touren lediglich seinen
Privatvergnügnngcn nach. Es bestand ja zwischen den
beiden Brüdern längst die stillschweigende Verabredung,
daß der Aeltere nut seiner in der ganzen kaufmännischen
Welt angesehenen Tüchtigkeit das von: Vater über-
kommene Geschäft leitete, während der Andere, den
Neigung und Gewohnheit mehr zum „Kavalier" ge-
modelt hatte::, die Firma im In- und Auslande nur
dadurch vertrat, daß er in seiner Lebensweise ein glän-
zendes Zengniß von den: gediegenen Wohlstand des
Hauses gab. Leopold, der sich nirgends Wohler fühlte,
als zwischen seinen Eomptoirwänden, und den: Bruder
eine geradezu schwärmerische Liebe entgegenbrachte, fand
das ganz selbstverständlich; so war es ja schon von
jeher gewesen, und Beide hatten sich wohl dabei be-
funden. Nur etwas hatte. bisweilen den schlichten,
redlichen Sinn Leopold's unangenehm berührt- das war
des Bruders Flatterhaftigkeit den Frauen gegenüber.
Um so freudiger hatte er daher die Nachricht begrüßt,
daß Emmerich endlich die „Rechte" gefunden habe und
entschlossen sei, in den Hafen einer friedlichen, gut
bürgerlichen Ehe einzulanfen. Das war der erste wirk-
liche Erfolg der sogenannten Geschäftsreisen des jungen
Kaufmanns, „aber der galt", wie Leopold voll Freude
ausrief, als ihn: der Bruder davon schrieb. Jetzt war
das Glück, das er iu seiner Bruderliebe empfand, erst
vollkommen, denn jetzt trübte kein Schatten mehr das
 
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