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546

„Nun, was willst Tu eigentlich?" herrschte er sie
jetzt nu.
„Du sollst mit der Kvchiu und mit Charles sprechen,
natürlich auch mit Fräulein Marie! Warum soll
ich immer die ganze Last allein tragend" Und Fran
Wertner legte ihren Kopf mit dem Ausdruck entsetz-
licher Müdigkeit zurück. „Dort auf dem Büffet liegt
das Menu — sieh' es doch an."
Eben wollte Wertner vollends in Zorn ausbrechcn,
als die Thür zum Speisesalon nach kurzem, starkem
Pochen rasch geöffnet wurde. Ein junger, schlanker,
sehr eleganter Herr trat ein; mail erkannte auf den
ersten Blick an der Aehnlichkeit den Bruder der Fran
Wertner. Blond, blaß, zart, hübsch, nervös — nur
nicht mit dem apathischen Ausdruck, vielmehr lebhaft,
unruhig, das Gesicht von einigen derben „Schmissen"
gekennzeichnet.
„Ihr habt euch wohl wieder gezankt," sagte er
spöttisch. „Ich weiß gar nicht, woher ihr immer den
Stoff dazu nehmt!"
Beide leugneten lebhaft. Nicht einmal vor dem
Bruder, dem Schwager, wollten sie dergleichen zu-
gestehen. Es war doch unschicklich.
Engen v. Gersdorf hatte sich inzwischen auf eines
der Ledersophas geworfen. „Ich bitte Dich, Lucie,"
sagte er, „laß die Gänselebergeschichte da wegnehmen,
der Geruch ist mir zuwider!"
Fran Lucie klingelte. „Wir haben auch nicht da-
von gegessen," entschuldigte sie sich, „nur die Kinder
und das Fräulein mögen die Pastete — mir ist sie
zu fett — zu schwer im Magen."
Während der Diener mit den blüthenweißen Hand-
schuhen abräumte, seufzte Engen: „Ja, das Fräulein
und die Kinder, die haben Appetit!"
Frau Lucie seufzte gleichfalls, dann aber sagte sie
mit häßlicher Betonung: „O, diese Person! Es ist
gar nicht zu glauben, was das zusammenißt! Zwar,
es ist ja immer übergenug da, aber unbegreiflich bleibt
mir's doch - der schmeckt Alles!"
„Die Glückliche," ineinte Eugen lächelnd, „ich be-
neide die Leute, die Appetit haben! Ich habe nie
welchen!"
„Ich auch nicht," klagte Frau Wertner. „Hast Du
schon Pepsin versucht d"
„Nein, nein," wehrte der junge Mann ab, „daran
glaube ich nicht!"
Wertner, der schon wieder Miene gemacht hatte,
das Zimmer zu verlassen, war bei Erörterung des
Thema's Appetit stehen geblieben.
„Es soll gut sein," warf er jetzt ein, „ganz die
Kost zu ändern! Reisen — aber Nationalspeisen essen!"
„Du hast über diesen weisen Rathschlag nicht nach-
gedacht, lieber Schwager! Welche ,Nationalkost' willst
Du denn essen? Die englische und französische haben
wir ja; sollen wir etwa das gräßliche Oclzeug der
Italiener genießen oder die steinharten spanischen Gar-
banzos mit Knoblauch und Pfeffer, oder türkischen
Pillaw mit Hammelfett, oder böhmische Mehlspeisen
mit Pflaumenmus? Das können wir einfach nicht!"
„Also Wasser und Brod," meinte Wertner.
„Die Nationalkost des . Gefängnisses, und auch
nur des .verschärftem, das würde vielleicht helfen,
aber auch nur ans kurze Zeit. Nein, nein, mein Lieber,
glaube mir: Leute unseres Schlages haben überall so
ziemlich die gleichen Bedürfnisse. Und schließlich -
nicht essen wie ein anständiger Mensch, heißt auf alle.
Geselligkeit verzichten. Genug — verzeih' mir daS
ist Alles Unsinn! Reden Nur von etwas Anderem! Ich
finde, nichts verdirbt so sehr den Appetit, als das Re-
den über das Essen. Ich muß die Wohnung wechseln.
Wenn Du etwas Passendes für mich wüßtest, Lucie..."
Wertner ging jetzt; das Thema interessirte ihn
nicht mehr. Das Menu wollte er später noch ansehen.
„Ich weiß nicht, weshalb Du umziehen willst, Dir
wieder unnütze Unruhe und Schererei machen," wider-
sprach die immer müde Frau Wertner ihrem Bruder.
Eugen hatte sich eine Cigarette angezündet und
lehnte behaglich in dem Schaukelstuhl, auf die pran-
genden Blumenbeete hinabblickend. Er verzog jetzt den
Mnnd zu spöttischem Lächeln.
„Das glaube ich, daß Du cS nicht begreifst! Wer-
tster haust, hier mitten im Grünen! Ich aber sehe von
den Fenstern meines Salons gerade die häßliche, graue
Seitenmauer von Kroll. Solche graue Blauer kann
mich ganz melancholisch machen, ich mag daS nicht
sehen!"
„Du siehst es ja auch nur. wenn Du direkt zum
Fenster trittst! Und wer sieht denn zum Fenster
hinaus!"
„Ich," versicherte er lebhaft, „ich und sehr ost!
Die Stube macht mich bedrückt, nervös, jede, Mar-
nie in Salon, denn in Deinen Zimmern könnte ich
überhaupt nicht Hansen, die sind nur zu konventionell!
Genug, ich sehe oft zum Fenster hinaus."
Jetzt lächelte Fran Lucie, wenn auch in ihrer
apatlstschen Weise. „Du bist wirklich gar zu excentrisch,
weißt schon nicht mehr, was beginnen! Eine passendere
Wohnung für Dich gibt es gar nicht als die am

Das Buch f ü r All c.
Königsplatz. Tn solltest Dich lieber verheirathen, um
endlich vernünftig zu werden,"
„Ich weiß nicht, warum Du mir die Ehe so sehr
empfiehlst. Bist Du denn so glücklich?"
„Ich — glücklich?" Sie blickte verwundert auf.
„Glücklich, welche Zumuthung! Wer ist glücklich? Mau
hat immer seine Sorgen, seinen Aerger, seine Plage.
Unser Windspiel, unser Kakadu, die sind glücklich;
nicht einmal die Kinder, die bald nicht mehr wissen,
was sie sich wünschen sollen, sich demgemäß überhaupt
über nichts mehr freuen können!"
„Vielleicht hast Du Recht," sagte Engen nachdenk-
lich; „ich habe aber um so weniger die Absicht, zu
heirathen!"
„Du mußt," erklärte Frau Lucie jetzt mit einem An-
fluge von Energie, „Du verzettelst Dein Vermögen.
Du hättest auch die Verpflichtung, zu repräsentiren -
bist ein Gersdorf! Du solltest wirtlich ein bischen zu
Vernunft und Ordnung kommen. Es ist eine gesell-
schaftliche Nothwendigkcit, besonders für Dich!"
Seit langer Zeit hatte Fran Wertner nicht so
Viel Wärme, so viel lebhafte Antheilnahme gezeigt.
Aber es schien vergebens.
„Gib Dir keine Mühe," sagte er gelangweilt, „ich
will nun einmal nicht!"
Er saß jetzt müde und gleichgiltig da, umspielt von
der Lichtfluth, die durch die offene Thüc hereindrang.
Die Sonne war ganz über die Bäume heraufgekommen,
während Lucie ihm die Schönheit, die guten gesell-
schaftlichen Beziehungen, den Takt der jungen Dame
schilderte, die sie ihm bestimmt hatte: die älteste Tochter-
einer Jugendfreundin ganz jung! Die Eltern reiche
Hamburger, die den Winter in Berlin verlebten, nm
die Tochter einznführen.
Eugen hörte kaum zu, während Lucie gerade jetzt
ganz warm wurde.
Da kam Annie, das achtjährige Töchterchen Wert-
ner's, hereingestürzt, laut lachend, gefolgt von dem
bellenden Windspiel. Sie stürmte jubelnd auf den
Onkel zu.
„Der Hurry — der Hurry" — es war der Name
des Hundes -- „denke Dir "
Lucie stieß das Kind unwillig fort.
„Du mußt auch immer stören," sagte sie fast hart,
„immer lärmen! Kannst Du nicht draußen bleiben,
wenn ich mit dem Onkel spreche, Du unausstehliches
Kind?"
Sie wollte die Kleine zur Thür hinaus schieben.
Eugen aber sprang mit jugendlicher Lebhaftigkeit auf
und fiel seiner Schwester in den Arni.
„Laß das Kind in Ruhe!" rief er zornig, „waS
hat es Dir qethan? Es ist heiter, das ist sein gutes
Recht!"
Lucie war anfangs ganz starr; eS kostete sie Mühe,
sich aufzuraffcn. Endlich sagte sie, wie zu ihrer Ent-
schuldigung: „Du weißt nicht, um was es sich handelt!
Ich hatte schon vorhin wiederholt verboten, daß die
Kinder so laut seien sic fortgesclstckc, und jetzt ist
Annie genau so ungezogen wie zuvor ... Du gehst auf
der Stelle!"
Das Kiud ging, nachdem der bittende Blick, den
es auf Eugen geworfen, nicht erwiedert worden war.
„Entschuldige meine Einmischung," sagte Eugen jetzt
trocken, „aber Du bist thöricht und ungerecht. Ich
kann das nicht mit ansehen. Kinder sind nur wegen
wirklicher Charakterfehler zu schelten, nicht wegen na-
türlicher Lebensäußerungen. Ohne Annie's Munter-
keit käme mir euer Haus gräßlich vor."
„Du bist nicht nervös," vertheidigte sich Frau Lucie,
„ich kann den Lärm nicht ertragen. Auch darf ein
Mädchen nicht so wild, so ungeberdig sein. Genug —
gestatte, daß ich mit einer Deiner Lieblingswendungen
sage: das ist Unsinn!"
Er zuckte die Achseln, als lohne es nicht der Müh-,
zu widersprechen; er war aufgestandeu und wollte gehen.
Was konnten sie Beide einander beweisen!
Da trat sein Schwager wieder ein. Wertner hatte
telephonisch mit seiner Bank gesprochen und die Ver-
sicherung erhalten, daß man eine beträchtliche Anzahl
Bruchmühl-Aktieu noch zum gestrigen Kurse für ihn
gekauft. Das hatte ihn einigermaßen beruhigt, nun
tonnte er sich wieder um andere wichtige Dinge kümmern.
Das Menu fand im Wesentlichen seine Billigung:
er würde ja doch keinen Hunger haben. Auch mochte
er sich nicht auf's Erperimentiren cinlassen; so wie
man es bisher stets gegeben, so würde es auch dies-
mal recht sein. Jetzt hatte er die Liste der Einge-
ladenen zur Hand genommen.
„Ich vergaß. Dir zu sagen, liebe Lucie, daß es nun
doch fünfzig Personen werden, zehn der hervorragend-
sten Mitarbeiter unserer Zeitung mit eingerechnet."
„Das macht ja keinen Unterschied," meinte Frau
Wertner gleichgiltig; „vierzig oder fünfzig — einerlei.
Verständige Dich nur mit dein Koch; bisher hat nur
Marie mit ihm gesprochen."
Wertner konnte eine mißbilligende Bemerkung nicht
unterdrücken. Aber er hielt auf Form, wenigstens in
Eugen'« Gegenwart. „Man sollte doch glauben, daß

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dieser Theil der Angelegenheit Dich auch iuteressire,
bemerkte er.
„Ich habe noch mit meiner Toilette zu thun," er-
klärte Frau Lucie. „Das fehlte noch, sich um die
Küche kümmern!"
„Nun meinetwegen," brummte Wertner.
„Also Schriftsteller gibt es diesmal bei euch?" be-
gann nun Eugen, der es ganz besonders verstand,
einem Gespräch im rechten Augenblick die ihm gefällige
Wendung zu geben. „Da ist doch wenigstens ab und
zu Jemand dabei, mit dem man reden kann!"
„Wer ist denn Irina Wallow ?" fragte jetzt Lucie,
die während dieses für sie völlig interesselosen Gesprächs
nach der Liste gegriffen hatte.' „Es ist doch komisch,
Du setzest mir da Damen auf die Liste, die ich gar
nicht kenne."
„Natürlich eine Schriftstellerin," berichtete Wertner;
„wir begannen ja in der letzten Nummer eine Novelle
von ihr."
„Ich sehe die Zeitung nicht an."
Auch das konnte Wertner nicht beleidigen; er mußte
derlei gewöhnt sein. „Weiß ich," sagte er, „aber ich
hatte Dir die Nummer eigens hingelegt — da liegt
sie noch Du solltest auf die Dame aufmerksam
werden."
„Ach, mein Gott, ja," meinte Lucie nuu, „ich habe
schon etwas von ihr gehört, aber wo — wo?"
„Sie hat einen großen Erfolg gehabt mit einem
Buche .Die Frau der Gegenwart', das wirst Du,
solltest Du gehört haben. Derlei muß man wissen,
liebe Lucie, wenn man einen Salon hat, wie den unseren."
„Ja, ja, ich habe davon gehört. Aber, mein Gott,
diese Erfolge, was will da« sagen! Ilebrigens jetzt
füllt cs mir ein, die Gräfin Wanderström, die Schrift-
stellerin, erzählte mir von dieser Wallow. Ihr Vater
sitzt im Znchthanse. glaube ich."
Lucie hatte sich jetzt aus ihrer apathische» Haltung
nufgerichtet. „Nein, höre," fuhr sie nicht ohne Er-
regung fort, „das geht nickst! Diese Wallow darf nicht
kommen, unter keinen Umständen!"
„Ach, mache nicht solche Sachen," antwortete Wert-
ner, aus der Rolle fallend, „die Wallow hat einen
großen Erfolg gehabt und das macht hentzutagc salon-
fähig. Wer weiß denn auch, ob an der ganzen Ge-
schichte ein Wort wahr ist!"
„Aber Bernhard," beharrte Fran Wertner, „Tu
wirst mich doch nicht zwingen, eine Person zu empfangen,
die ich nicht sehen will! Ich bin's der Gräfin schuldig!"
Wertner befand sich in einer schlimmen Lage.
Eigentlich billigte er die Anschauung seiner Gattin
durchaus; andererseits aber. . .
„Liebes Kind," sagte er schwankend, „Fräulein
Wallow ist doch nun einuial eingeladen, was sollen
nur denn thun?"
„Nun, das muß rückgängig gemacht werden!
Warum hast Du mich nicht vorher gefragt!"
„Ja, wenn ich nur wüßte, wie? Uebrigens, Du
kümmerst Dich sonst gar nicht darum, wen ich einlade."
Eugen las die bezeichnete Novelle nnd hörte nur
mit halbem Ohre zu. Die beide» Gatten stritten
weiter, und Lucie erklärte schließlich, die Sache bei der
Gräfin entschuldigen zu wollen, dafür aber Fräulein
Wallow mit Ostentation abfallen zu lassen.
Wertner seufzte; Eugen aber fuhr plötzlich auf.
„Du wirst artig gegen die Dame sein. Lucie," herrschte
er die Schwester an, „oder Du hast es mit mir zu thun!"
„Du kennst sie?" stammelte Frau Wertner verblüfft.
„Ich habe sie nie gesehen, ihren Namen nur
dnrch die Zeitungen kennen gelernt. Aber es wäre
feige nnd jämmerlich, sie durch eine Einladung hier-
herzulocken, sie in Sicherheit zu wiege» und dann über
die völlig Wehrlose herznsällen. Abgesehen davon, daß
an der Geschichte Deiner Gräfin vielleicht keine Silbe
wahr, oder die Tochter an dem Verbrechen des Vaters
unschuldig ist — ganz abgesehen davon, hörst Du,
Lucie!"
Mit gebieterischer Geberde trat er auf seine Schwe-
ster zu.
„Es ist unerhört, wie Du es heute treibst," sagte
diese ausweichend, „Du bist ja doch nicht auf dem
Paukboden! - Deine Nerven müssen wirklich sehr ange-
griffen sein, obwohl Du unempfindlich bist gegen Kin-
derlärm. Du beträgst Dich heute ganz sonderbar!"
„Ich betrage mich wie ein anständiger Mensch,"
antwortete er entschieden, „das hat mit meinen Nerven
nichts zu thun!"
Lucie fuhr heftig auf, e« wurde ihr nachgerade
zu viel. „Du hast keinen Grund, mir irgend welche
Vorschriften zu machen, noch Dich für eine Person
von nicht zweifelloser Stellung in's Zeug zu legen!
Bist Du doch selbst nicht ganz zweifelsohne. . ."
Eine dunkle, flammende Röthe stieg auf dem Gesicht
deS jungen Mannes auf, seine Züge verzerrten sich
und er hielt nur mit äußerster Anstrengung an sich,
„Wie kannst Du Dich unterstehen . . . ivie kannst
Du so etwas wagen!" schrie er außer sich.
„Kinder, laßt doch die alte Geschichte ruhen!" be-
schwichtigte Wertner.
 
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