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Heft 5. JUustvwte Famrlien-Deitung. Iahrg. 1894.




Im Aanne öer Camorra.
R o m a n
Wo ldrumr Ard an.
(Fortsetzung.)
ie dürfen sich auf mich verlassen," ver-
sicherte der Advokat Castaldi. „Ich spiele
nicht falsch. Und wenn Sie herausfin-
den, wo der Schmuck sich
befindet — er wird jeden-
falls irgendwo versetzt sein
—- werden Sie sich auch nach
der Person erkundiget), die
ihn versetzt hat?"
„Natürlich," erwiederte der „General".
„Sie begreifen, daß sehr viel darauf
ankommt, das zu wissen."
„Selbstverständlich."
„Und nun noch Eines! Sie müssen
darauf bedacht sein, daß der Staatsan-
walt Ghilazzi, der ja auch Nachforschungen
nach dem Schmuck und dein Dieb an-
stellt, von unseren Nachforschungen nichts
erfährt und jedenfalls keinen Nutzen dar-
aus ziehen kann. Denn wenn er sich der
Sache bemächtigt, haben wir natürlich das
"Nachsehen."
„Ohne Sorge. Ich verstehe mich auf
mein Geschäft."
„So sind wir also vorläufig fertig?"
„Noch nicht. Sie haben zwanzig Lire
Spesen zu bezahlen."
Mit einem etwas langen Gesicht zog
Castaldi seine Brieftasche hervor und
händigte dem Mann das Geforderte ein.
Der General gab die Hälfte davon
an Carluccio, die andere Hälfte steckte er
ein.
„Jetztsind wirfertig. Auf Wiedersehen
heute Abend."
Damit ging der „General" in den
etwas finsteren Hintergrund der Kneipe
und sprach heimlich mit dem Wirth, mit
dein er gleich darauf durch eine Thür im
Hintergrund des Lokals verschwand. Ca-
staldi trank langsam den Wein aus, den
er sich hatte geben lassen, und sah etwas
verblüfft vor sich hin. Was war das
nun Alles? War er zwei Gaunern in
die Hände gefallen, die sich über ihn
lustig machten und sein Geld theilten.
Oder hatte er wirklich vor dem berüch-
tigten Chef der Camorra von Neapel ge-
standen? War dieser Mann wirklich in
der Lage zu leisten, was Herr Ghilazzi an
der Spitze eines ganzen Heeres von Po-
lizeileuten sich nicht zu leisten getraute?

„Du triffst mich also heute Abend am Molo, Car-
luecio?" fragte er.
„Wo Sie wollen."
„Am Molo. Verstanden? Und nun wollen wir
gehen."
„Noch nicht. Sie müssen noch warten."
„"Auf was?"
„Bis er fort ist."
„Wer?"
„Der General."
Nach einigen Minuten, während welcher Castaldi
am Fenster stand und mißmuthig an die Scheiben
trommelte, lief ein Franziskanermönch draußen über
den Platz, der aus dem Hause gekommen zu sein schien,

in dem die Weinkneipc Pietro's sich befand. Der Mönch
eilte in seinen Sandalen barhäuptig mit gesenktem Kopf
davon und verschwand in der Menge. Er wäre Castaldi
gar nicht aufgefallen, wenn nicht unmittelbar darauf
der Wirth wieder zurückgekommen wäre, worauf Car-
luceio sofort sagte: „Wir können gehen."
„Ist er schon fort?"
„Kommen Sie," sagte Carluccio statt aller Antwort.
Nachdenklich schritt Castaldi davon. Was hatte er von
all' dem zu halten? War der Mönch vielleicht iden-
tisch mit dein General? Wer war denn überhaupt der
Mann, und was würde er leisten? Durfte Castaldi
darüber beruhigt sein, daß er sich nicht etwa ganz un-
nützer Weise mit zwei gewöhnlichen Halunken kom-
promittirte.
Castaldi war ein vorsichtiger Mann
und nahm sich vor, unter keinen Um-
ständen weiter zu gehen, als er verant-
worten konnte, tröstete sich dann aber
wieder mit der Hoffnung, daß er ja
heute Abend Näheres erfahren würde und
in jeden: Augenblick die begonnene Parthie
wieder fallen lassen könnte, wenn sie ihm
bedenklich, oder gar gefährlich zu werden
schien. Bis jetzt war das ja noch nicht
der Fall.

Dreizehntes Knpitet.
Herzog Attilio hatte nach seiner ersten
Begegnung mit Elvira de Vries eine sehr
unruhige und schlaflose Nacht, und als
er gegen Morgen endlich einschlief, war
sein Schlaf mit Traumbildern erfüllt,
wie er sie beängstigender und phantasti-
scher noch nie gehabt. Er sah im Traum
Elvira als lustige Lichtgestalt vor sich her-
schweben, so schön und zart wie einen
Engel. Ihre blonden Haare flatterten im
Winde, ihr Gesicht war mit ängstlichem,
furchtsamen: Ausdruck auf ihn gerichtet
und mit ihren: weißen Arn: deutete sie
auf eine Schaar schwarzer, laut kreischen-
der Raben, die ihn mit gierigem Schna-
bel und laut mit den Flügeln schlagend
umflogen. Er suchte sich mit aller Kraft
der schwarzen Feinde zu erwehren, blieb
aber endlich hilflos und ermattet auf
einen: scharfkantigen Felsen liegen, wäh-
rend sein Engel immer höher und höher
schwebte und im blauen Azur des Him-
mels zu verschwinden drohte. Und er
lag auf seinem Felsen wie gefesselt, halb
ohnmächüg und laut keuchend.
Als er darüber erwachte, zeigte es sich,
daß er aus den: Bett gefallen war und
mit den: Rücken auf den Absätzen seiner
Stiesel lag.
Die Sonne stand schon hoch, und er
kleidete sich rasch an. Es fiel ihm ein,
daß Graf Tozzo ihn: versprochen hatte,
heute zu ihn: zu kommen in der bewußten
Angelegenheit, die er zu enthüllen ihm

Jer erste Aang. Nach einem Gemälde von Hans Pöck. (S. 115)
 
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