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Hest 8. IRustrrvte FamrUen-Dertung. Zahrg. 1894.


Im Hanne öer Camorra

Roman

dafür sorgen,

Briganten keine Spur mehr zu entdecken mar, wurde
er sich der Pflicht bewußt, so rasch als möglich nach
dem Schloß zurückzukehren und Alles, was in seiner
Macht stand, in Bewegung zu setzen, um zunächst die
Befreiung feines Vaters zu erreichen.
Diese Pflicht wurde ihm unendlich schwer. Er war
zum Tode erschöpft, und an vielen Stellen des nicht
ungefährlichen Weges mußte er, auf Händen und Füßen
kriechend, sich vorwärts Helsen. Er war den Weg oft
in einer Stunde gegangen, jetzt brauchte er deren fast drei.
Es schlug gerade neun Uhr auf dem Schloßthurm,
als der junge Herzog dei Tibaldi bleich, verstört, halb
nackt durch das Portal wankte. Einigen Dienern, die
erschrocken über seinen Anblick herzusprangen, fiel er
wie leblos in die Arme.

Arthur Graf Z?osadt)ivskr>-Wehuer,
der ncuernannte Staatssekretär des Reichsschatzamtes. (S. 190)

Werin zehntes Knpitet.
Die Entführung des Herzogs Eesare geschah an
einem Freitag früh und am gleichen Tage Abends stand
sie schon in allen neapolitanischen Zei-
tungen zu lesen. War schon die Nach-
richt an sich eine sensationelle, so wurde
sie unter der außerordentlich lebhaften
Phantasie der neapolitanischen Reporter
zu einem Roman. Diese Herren ergingen
sich in Darstellungen, wie sie wohl dem
sensationslüsternen Publikum gefielen, im
klebrigen aber mehr ihrer Phantasie, als
ihrer Wahrheitsliebe Ehre machten.
Da war von wüthenden Kämpfen die
Rede, von Hinterhalten, von maskirten
Verrüthern, von geheimnißvollen Liebes-
abenteuern, wie es kein Romanschriftsteller
besser hätte erfinden können. Die Zei-
tungsjungen liefen durch alle Straßen
und brüllten unter den verlockendsten
Titeln ihre Neuigkeiten aus. „Il ratto
äkl äwoa äei Mbaläi!« oder: „I driAavti
äi Uomtamo!« und ähnliche Ausrufe
klangen mit einer Ausdauer und mit
einer dröhnenden Kraft durch die nächt-
lichen Straßen, wie sie eben nur die
Lungen der neapolitanischen Zeitungs-
verkäufer entwickeln können.
Es war ein wunderschöner Abend.
Fräulein Elvira de Vries lag auf ihrem
Balkon und lauschte auf das so eigen-
thümliche, träumerische Rauschen der
Palmen im Parke ihres Onkels, betrach-
tete sinnend die flüssige, hüpfende, schau-
kelnde Silberfluth, mit welcher der etwas
südlich stehende Mond das Meer vom Ufer
des Posilippo bis weit hinaus in den
Golf überzog. Am anderen Ufer des
Golfes sandte der nie rastende Vesuv
von Zeit zu Zeit eine dunkelrothglühende
Rauchwolke zum Himmel hinauf, und ein
milder, weicher Meerwind fuhr der jungen
Dame kosend und kühlend durch das Haar.
Mit dem ganzen Enthusiasmus der
nordischen Jugend versenkte sich das junge
Mädchen in das zauberhafte Bild. „Welch'
schönes Land!" murmelte sie unwillkürlich

-z o merken Sie sich das, Herr Herzog,"
fuhr der Brigant fort. „Wir lassen nicht
mit uns spielen. Schickt man uns das
Militär auf den Hals, so wird man dort
nichts vorfinden, denn unsere Leute werden
Zeit haben, zu entwischen. Sie aber
werden einen solchen Ueberfall mit dem
Tode büßen. Ich werde
daß Ihre Frau Gemahlin das ganz ge-
nau erfährt."
Dann wandte sich der Brigant wie-
der an einen seiner Leute und sagte:
„Hier ist der Zettel. Steckt ihn dem
Ohnmächtigen in die Hand oder in den
Mund, so daß er ihn finden muß, wenn
er erwacht. Und nun fort. Es ist hohe
Zeit. Es wird Heller, wir können nicht
in alle Ewigkeit hier schwatzen."
Daraufhin nahmen die Briganten den
Herzog in ihre Mitte und wenige Mi-
nuten später waren sie, gelenkig und flink
die Felsen hinunterspringend, mit dem
Gefangenen vom Schauplatz ihrer That
verschwunden.
Eine tiefe Stille herrschte in der groß-
artigen Einöde. Ein sanfter Morgen-
wind machte sich auf und spielte leicht
mit den gelben Ginsterbüschen, die da und
dort aus dem Fels hervorwuchsen, vom
Meer heraus tönte fern und räthselhast
das Rauschen der Wogen, die sich an den
steilen Ufern brachen, man Hütte meinen
können, das Athmen der Natur zu ver-
nehmen.
Und doch lag da ein Mensch in seinem
Blute; in seiner höchsten Noth erbar-
mungslos seinem Schicksal überlassen.
Welch' schreiender Gegensatz zwischen der
hohen, allwaltenden Natur und den wil-
den Leidenschaften der Menschen!
Die Sonne ging auf. Glänzend und
goldig malte sie zuerst die höchsten Gipfel
der Felsen und stieg dann strahlend,
wärmend und belebend immer tiefer, in
ruhiger, gemessener Majestät. Endlich er-
reichte sie mit ihren Strahlen auch den
Ort, wo Herzog Attilio noch immer be-
wußtlos, nur hin und wieder schwer stöh-
nend, lag, und in die bleichen Lippen und
Wangen kam allmälig wieder Farbe und
Leben. Er schlug die Augen auf, er
fühlte einen stechenden Schmerz in seiner

von
WoLdrmar Urban
(Fortsetzung.)

Schulter, er sah, daß er halb nackt war und einen rohen,
kunstlosen Verband trug. Dann kam ihm auch die Er-
innerung zurück. Hastig, zitternd vor Angst und Sorge,
fuhr er in die Höhe und sah sich um. Weit und breit
war keine Menschenseele! Was war geschehen? Wo
war sein Vater?
Da fiel sein Blick auf den Zettel, den man ihm in
den Mund gesteckt hatte. Er näherte ihn mühsam
seinen Augen. Jede Bewegung schmerzte ihn, daß er
hätte ausschreien mögen, und als er die ganze traurige
Wahrheit erfuhr, ass er den fürchterlichen Zettel ge-
lesen hatte, schrie er wirklich in wilder Verzweiflung
auf. Sein Vater — entführt von Briganten!
Er horchte mit angehaltenem Athem nach allen
Richtungen, aber er vernahm nichts als das Säuseln
des Windes und das Rauschen des Meeres, aus dem sich
jetzt unter dem Strahl der Sonne die weißen Nebelwol-
ken wie im wilden Kampf wogend hin und her wälzten.
Nachdem Attilio sich überzeugt hatte, daß von den
 
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