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Heft 9. ARustvrrte Fmittlien-Dertrrng. Zahrg. im.


Im Amme der Camorra.
Roman
Woldemar Urban.
(Fortsetzung u. Schluß.)
--- (Nachdruck verboten.)
Girrunözwcrrrzigstes Kcrpitek.
rühling! Welcher Zauberklang auch für
die gesegneten Küstenländer Kampaniens
und Kalabriens. Wenn die regnerischen,
wüsten Sciroccostürme vorüber sind, wenn
die Lüste wieder lind und lau in den immer-
grünen Baumwipfeln flüstern, dann weckt
die Sonne mit ihrer schöpferischen glühen-
den Wunderkraft auf Höhen und in Thälern wieder
tausendfältiges Leben, dann tragen die Mandelbüume
ihre zartweißen und blaßrothen Blüthenschleier, und
aller Enden fproßt und leuchtet es hervo-r
in unendlicher Farbenpracht und Anmuth.
Wenn dann wie durch Zauberspruch aus
den Felsen die Anemonen ihre Sterne ent-
falten, die Veilchen duften, Narzissen, Nel-
ken, Rosen und tausenderlei Gras und
Kräuter sprießen als tagtäglicher Beweis
der schöpferischen Kraft unserer Mutter
Erde, dann regt sich's auch im Menschen-
herzen, dann werden Thrünen und Trauer,
Weh und Leiden der Vergangenheit wie
Schlacken abgestoßen, dann quillt und
schwillt es in der Menschenbrust wieder von
Neuem in Hoffnung und Sehnen, in Le-
benskraft und Thawnlust.
Glücklich sinnend und träumend saß
Herzogin Estella auf einem Balkon an der
Nordseite des Schlosses von Positano. Sie
war in großer Toilette, und obgleich die
steil aufstrebenden Felswände des Monte
Sant' Angelo ihr die Aussicht zum großen
Theil versperrten, und dieser Platz gar
nicht ihr gewöhnlicher waft nahm sie doch
häufiger das Fernglas zur Hand, um
eifrig die Felswege abzusuchen, die von
Castellamare herüberführten, und auf denen
sie offenbar großen Besuch erwartete.
Sie sah frisch und wohl aus. Sie
hatte sich von den fürchterlichen Aufre-
gungen des Winters, von den Sorgen
und Strapazen sehr gut erholt, und dazu
trugen nicht zum Wenigsten die Ereignisse
bei, die sich seitdem in ihrer Umgebung
abgespielt hatten.
Zunächst natürlich hatte die Pflege der
Kranken, des Herzogs Attilio und des
Grafen Tozzo, alle ihre Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. Der Letztere erholte sich
sehr rasch. Seine Schenkelwunde heilte
innerhalb drei Wochen vollständig. Da-
gegen flößte der Zustand Attilio's bis

weit in den Winter hinein große Vesorgniß ein. Erst
im Januar konnte er wieder das Bett verlassen. Und
auch dann ging die Genesung nur sehr langsam von
Statten. Unter solchen Umständen hatte natürlich Nie-
mand erwartet, daß er sein Examen machen würde.
Stillschweigend hatte man dieses aus nächsten Sommer
vertagt.
Dann hatte die Herzogin Estella eine große Genug-
thuung in der energischen Durchführung des Prozesses
gegen die Camorra von Neapel gefunden. Man hatte
einige zwanzig der gefährlichsten Mitglieder der Gauner-
bande eingekerkert und unschädlich gemacht. Don Gianino
Ceruzzi, Carluccio, die „Tante", sow-ie die in Agropoli
gefangenen Banditen waren in den Bagno geschickt
worden; eine ganze Anzahl namenloses Gesindel, Hehler
und Helfer, trafen leichtere Strafen.
Schon bald nach der Gefangennahme der Räuber
in den Felsen von Agropoli war auch der Advokat
Pietro Castaldi verhaftet worden. Es war nun für den
Staatsanwalt Ghilazzi keine große Aufgabe mehr, durch
Kreuz- und Querverhöre der Gefangenen den Zusammen-
hang der verschiedenen Verbrechen klarzulegen. Es er-

gab sich, daß Don Gianino schon seit Jahren Mitglied
der Camorra war, daß Don Luigi von seinem Vater
nach Positano gesandt worden war, nicht um seine an-
gegriffenen Nerven zu stärken, sondern um die Lebens-
gewohnheiten des Herzogs Cesare zu erforschen und
die Gelegenheit zum Ueberfall auszukundschaften. Nach
seinen Angaben war der Plan von seinem Vater ent-
worfen und vom „General" und seiner Bande aus-
gesührt worden. Selbst die guten Neapolitaner fanden
es etwas stark, daß Leute, wie Don Gianino Ceruzzi,
Don Luigi, und selbst ein Advokat, mit denen sie tag-
täglich verkehrt hatten, Geschäfte mit der Camorra ge-
macht hatten, ohne daß Jemand auch nur eine Ahnung
davon gehabt.
In den besseren Kreisen freute man sich allgemein,
daß diesen Leuten nun endlich einmal das Handwerk
gelegt worden war. Die größte Genugthung darüber
empfand aber natürlich die Herzogin Estella, deren
ganzes Lebensglück beinahe durch die Banditen zerstört
worden wäre.
Jetzt waren die Tage der Trübsal vorüber und die
Zukunft ließ sich rosig an. Cesina und Graf Emilio
Tozzo hatten sich endlich gefunden. Bald
nach seiner Heilung war der Graf vor
Herzog Cesare und Herzogin Estella hin-
getreten und hatte begehrt, eine längst ge-
hegte Liebe zu Cesina durch den Segen
der Kirche heiligen zu dürfen.
Das füllte nun heute geschehen. Es
war in keiner Hinsicht etwas dagegen ein-
zuwenden gewesen, um so weniger, als
auch Cesina den Grafen liebte.
Eben kam sie strahlend vor Glück zu
ihrer Mutter.
„Wo sie nur so lange bleiben!" rief
sie ungeduldig. „Ich begreife das nicht."
Ihre Mutter betrachtete sie lächelnd
und mit wohlgefälligen Blicken. „Aber
Kind, es ist ja noch nicht Zeit. Sie kön-
nen noch nicht da sein."
Cesina war etwas erregt. Sie blickte
zunächst etwas verlegen an ihrer Mutter
vorbei in die Landschaft, dann aber nahte
sie sich ihr mit hastigen Bewegungen und
küßte sie zärtlich auf beide Wangen.
„Wie Du aufgeregt bist, Cesina!"
flüsterte diese leise. „Warum hast Du
nicht den Schmuck angelegt, den ich Dir
für dieses Fest geschenkt habe?"
„Warum? Äch, er erschien für Emilio
zu schwer, zu ernst, ich — ich glaube —"
Sie stockte plötzlich.
„Was glaubst Du, Cesina?" fragte
ihre Mutter, sie immer noch aufmerksam
betrachtend.
„Laß mir mein kleines Geheimiß, Mut-
ter, Du wirst es vielleicht noch heute
wissen."
„Ein Geheimnis;?"
„Ein Geheimniß und auch kein Ge-
heimnis;, wenn Du willst. Bitte, sprechen
wir jetzt nicht davon."
„Cesina, Du weißt, wie schrecklich die


Merida, Kurin Mascha's Hochter, und Schwester Lies Mader. (S. 215)
 
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