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Heft 2Z. Ilkulckrivte FamiUen-Zeitnng. Zahrg. 1894.


Irfste's Vormund.
Roman aus der englischen Gesellschaft.
> Von
M Hans v. Hrldvungen.
(Fortsetzung.)
W M »D - (Nachdruck verboten.)
DM W Miß Jessie wurde offenbar irre an sich selbst
bei den wohlberechneten Worten ihres Oheims.
Sie wußte nicht recht, was sie glauben sollte.
„Onkel —" sagte sie unschlüssig.
„Du mußt nicht vergessen, Jessie," fuhr ihr
Onkel im Tone fa-
miliärer Vertraulich-
keit, aber doch nicht
ohne Ernst und
Schärfe fort, „daß
Du es warst, die
mich als Vormund
beantragte, und daß
ich glaubte, es mei-
nem theuren Bruder-
schuldig zu sein, die
Sorge für sein Kind
und sein Vermögen
zu übernehmen. Ich
versichere Dich, diese
Sorge ist nicht klein
rind braucht einen
ganzenMann. Wenn
Du nun den Ein-
flüsterungen eines
uns Fremden Gehör
gibst, und mir offen
den Krieg erklärst —
was glaubst Du, Jes-
sie, was ich mir da-
bei denke?"
„Ich — ich weiß
es nicht."
„Ich deirke mir,
daß Du eben noch
ein halbes Kind bist,
und ich also um so
weniger Grund, mich
zurückzuziehen und
um so größere Ver-
pflichtung habe,sorg-
sam fürDeine Wohl-
fahrtzuwachen. Nun
machst Du mir solche
Schwierigkeiten, Jes-
sie ! Weshalb machst
Du mir mein Amt
absichtlichso schwer?"
Wie ihr Onkel so
sprach, mit der ruhi-
gen, väterlichen
Stimme, die ihm in

! gewissen Augenblicken eigen war, glaubte Jessie wirklich,
daß sie eine arge Sünderin sei, daß sie sich habe be-
schwatzen lassen.
Simon Jefferson fuhr sich, laut aufseufzend, über
den kahlen Kopf und setzte sich bequem in einen Sessel.
„Und wenn ich nun einmal," fuhr er fort, „einige
hundert Pfund aus Deiner Kasse genommen hätte —
ich sage nicht, daß es der Fall sei — aber wenn ich es
nun einmal thäte, um in Deinem Interesse nach meinem
Gutdünken darüber zu verfügen — was wäre denn nun
auch so Großes dabei?"
„Das ist mir ja ganz gleichgiltig, Onkel."
„Nun also, warum denn trotzdem dieses Mißtrauen,
diese Anträge?"
„Aber es ist doch nichts Böses, was geschehen ist."
„Du hast gewiß nicht die Absicht gehabt, 'etwas

Böses zu thun, aber es wird zu etwas Bösem unter
der Gewalt der Ereignisse. Wenn Finding noch lebte,
wäre mir diese Revision eine Kleinigkeit. Er muß für
seine Rechnung hasten. So ist sie mir eine Unmöglichkeit."
„Nun, so nehmen wir den Antrag zurück, Onkel,
und damit gut," sagte Jessie, froh, einen Ausweg ge-
funden zu haben.
„Liebe Jessie, Du stellst Dir Alles so furchtbar einfach
vor. Ich versichere Dich, dergleichen ist verwickelter,
als Du denkst. Du stellst einen Antrag und nimmst
ihn wenige Tage später zurück, Du verlobst Dich und
lösest die Verlobung fünf Tage später wieder aus, Du —"
„Und mit Recht, Onkel. Hugh ist ein Elender,
frage Miß Tapperday," unterbrach ihn Jessie hitzig.
Simon Jefferson lächelte überlegen. „Nun, sei so
gut, Jessie, und beruhige Dich. Du hast ja Recht!
Ich müßte doch ein
rechter Narr sein,
wenn ich mich in
solche Liebesgeschich-
ten mischen wollte.
Wenn Du Hugh nicht
heirathen willst, ei,
so laß es meinethal-
ben bleiben! Was
liegt denn mir da-
ran? Mußt Du denn
aber deshalb gleich
einen öffentlichen
Skandal machen?
Wie steht Hugh nun
da? Ich erkläre offen,
er hat's verdient. Er
hat an Ihnen, meine
theure Miß Tapper-
day, schlecht gehan-
delt. Gut. Ich bin
bereit, Ihnen jede
Entschädigung zu be-
willigen, und bitte
Sie, mir dieselbe zu
nennen. Aber was
Du, Jessie, aus die-
ser Sache für Kapi-
tal schlagen nullst,
das ist mir uner-
findlich."
„Ich mag nicht
von einem Manne
geheirathet sein, der
so etwas thut."
„Dann sürchte
ich, Du wirst eine
alte Jungfer werden,
denn wie ich die Welt
kenne, machen sie es
Alle so. — Nein,
Jessie, erwiedere
nichts, Du kennst die
Welt nicht. Sie ist
anders, als sie sich
ein achtzehnjähriger
Mädchenkops träumt.


Worgengetwt. Nach einem Gemälde von Oswald Stieger. (S. 598)
 
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