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JUustrirte Famrlren-Zertung.

Zahrg. 1895. .


Roman

Unglück!

Vater

so, wie Sie es mir gegenüber gethan; ich habe ge-
schwiegen, als' Ihr kaltes, schneidendes Vorurtheil
zwei Herzen dort trennte, die Gott zusammengeführt;
wenn Sie aber nun von Gewalt reden, wenn Sie mit
Gewalt den Sohn von der Mutter reißen wollen, so
kann ich nicht mehr schweigen, so muß ich Ihnen zurufen,
daß auch Sie einst vor Gott zu verantworten haben
werden, was Sie an der Natur sündigen! Gewalt!"
„Ich werde es verantworten, Madame. Machen
Sie sich meinetwegen keine Sorgen, sondern sehen Sie
nach Ihrer eigenen Rechnung," antwortete Gras Tito.
Dann fuhr er, zu seinem Sohn gewendet, fort: „Und
nun komm, Severo, oder hörst Du mehr auf Deine
Mutter als auf mich? Muß ich wirklich mit Gewalt
Dich von Deinem Unglück zurückreißen?"
„Wer sagt Ihnen, Herr Graf," fuhr Frau Maria
wieder heftiger auf, „daß hier das Unglück auf Severo
lauert, und wer versichert Sie, daß das nicht vielmehr
im Palazzo d'Artignano, in der Dunstwolke von Dünkel
und Hochmuth, der Fall ist? Wenn Sie in der Ehe
mit mir nicht das gesuchte Glück fanden, wer sagt
Ihnen, daß Severo und Assunta auch unglücklich werden
müssen?"
„Wenn Sie glauben, Madame, daß ich hierher ge-

(Nachdruck verboten.)
habe hier weiter nichts zu thun," fuhr

kommen bin, um mich mit Ihnen zu unterhalten," ant-
wortete Graf Tito, „so irren Sie. Ich kenne Ihre
Künste und habe sie mit meinem Lebensglück und mit
dem Zwiespalt meiner Familie wahrlich theuer genug
bezahlen müssen. Aber meinen Kindern sollen sie nicht
gefährlich werden. — Du meinst vielleicht, Severo, daß
Deine Mutter aus lauter Liebe und Anhänglichkeit zu
Dir vergeht?" sagte er dann zu seinem Sohne; „armes
Kind, Du stehst in demselben Jrrthum, wie ich einst.
Deine Mutter liebt Dich nur, um ihrem Haß gegen
mich fröhnen zu können —"
„Sie lügen, Herr Graf d'Artignano," zischte Frau
Maria giftig heraus.
Graf Tito wurde plötzlich bleich bis in die Lippen,
und Don Pasquale hielt ihn kräftiger fest, da er in's
Wanken kam.
„Vater!" rief Severo erschrocken, „was ist Dir?"
Es entstand eine Pause. Röchelnd lag Graf Tito
in den Armen des Rechtsanwalts, der ihn langsam in
einen Sessel gleiten ließ, den Severo herbeischob.
„Nun gut," ächzte Graf Tito mühsam, „sie ist ein
Weib. Damit ist Alles gesagt. Eine Armee von
Feinden ist nicht so gefährlich, als eine Frauenzunge.
Hörst Du mich, Severo? Sie wird noch mein
Tod sein.^
„Und ich soll mich stumm und unterwürfig
wie ein Sklave beleidigen lassen, soll mich in
den heiligsten Gefühlen verletzen, verdächtigen
lassen?" rief Frau Maria heftig, „von ihm,
der das Unglück meines Lebens ist. Stumm
wie ein Fisch soll ich zuhören, wie er mir das
Herz des Kindes, des einzigen Gutes, das ich
auf dieser weiten Welt mein nenne, entfrem-
det und stiehlt, wie er mich verleumdet?"
Mit Aufbietung aller Kräfte richtete sich
Graf Tito wieder auf. Er wollte offenbar
nicht schwach vor ihr scheinen. „Hörst Du
sie, Severo, wie sie zischt und züngelt wie eine
Schlange?" fuhr er fort; „wenn ich Dir die
Weisheit, die uns die Welt lehrt, die den
Standesunterschied unter den Menschen ge-
schaffen und bis auf diesen Tag als einzig
mögliche Form unserer Gesellschastsgliederung
beibehalten, darlegen will, damit Du die Gren-
zen, die Stand und Bildung Dir ziehen, er-
kennen sollst, so nennt sie das Dünkel, Hoch-
muth und Vorurtheil; wenn ich Dich auf die
Gefahren einer ungleichen Ehe, auf ihre Klip-
pen und die Unmöglichkeit ihres Glückes auf-
merksam machen will, so redet sie von einer
Dunstwolke, in die der Palazzo d'Artignano
eingehüllt ist; und wenn ich sage, sie liebt
Dich aus Haß zu mir, so bin ich-ich
ein Lügner. — O, fort, fort von hier! Du
begleitest mich, Severo. Du wirst nicht wollen,
daß ich erst noch die Polizei rufen soll, damit
sie mir zu meinem Recht verhelfe. — Und,
bei Gott, ich thu's, wenn Du nicht gehorchst.
Fort, komm, fort von hier!"
Assunta stand allein und sah ängstlich nach
Severo. Frau Maria eilte auf sie zu und
schloß sie in ihre Arme. Unschlüssig stand
Severo da.

von
Woldrmar Urban.
(Fortsetzung.)

Kcrmann Ludwig Kerdirrand v. Kekmhokh f.
Nach einer Photographie von Fritz Lehde L Co., tzofphoiographen in Berlin. (S. 167)

für Dich die einzig gangbaren sind. Dieser,
auf dem Du stehst, führt in Schande und
- Komm, mein Sohn, folge mir!"
Severo rührte sich nicht. Er hielt noch immer
Assunta umfangen, als müsse er sie schützen vor feind-
seligen Angriffen, aber er antwortete seinem
nichts.
„Komm, Severo!" rief dieser nochmals.
Sein Sohn warf einen fragenden Blick
zu seiner Mutter hinüber, allein diese stand
ruhig und anscheinend theilnahmlos am Ka-
min und rückte gleichgiltig mit dem Fuß den
Feuerschürer hin und her. Sie schien sich bei
diesem Familienauftritt in der Rolle der stum-
men Beobachterin zu gefallen. Gleich als
Graf Tito eingetreten war, hatte sie auf dessen
Gesicht den starren, unbeugsamen Willen, den
strengen Adelstolz gelesen, und wußte auch
sogleich, daß er damit an solcher Stelle und
unter solchen Umständen verletzen würde und
verletzen mußte. Sie wartete nun ruhig ab,
bis das geschehen sei. Sie hütete sich wohl,
den Riß, der sich da vollzog, durch Unter-
brechungen hinauszuschieben oder zu vertuschen.
„Ich bleibe hier," antwortete Severo
plötzlich.
Graf Tito zuckte zusammen, als ob er
einen Schlag empfangen hätte, und stützte sich
noch kräftiger auf Don Pasquale.
„Severo, Du weißt doch wohl," ant-
wortete er dann mit zäher, energischer Stimme,
„daß ich Dich zwingen kann, mir zu folgen,
und daß ich Dich zwingen werde, wenn Du
nicht gutwillig folgst? Komm, sage ich, sonst
brauche ich Gewalt!"
Jetzt endlich schien wieder Leben in Frau
Maria zu kommen. Sie machte eine rasche
Bewegung und wandte sich nach Graf Tito
um, als ob sie überrascht sei.
„Gewalt!" wiederholte sie mit klarer, etwas
vorwurfsvoller Stimme, „Herr Graf, ich habe
geschwiegen bisher, trotzdem ich wohl Vieles
zu sagen gehabt Hütte; ich habe meinem Herzen
Gewalt angethan, als Ihr Adelsstolz eine
junge Menschenblume mit Füßen trat, genau

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Wve Pier weuer mcyrs zu ryun, qupr
Tito dann mit seiner erkünstelten Ruhe
„als Dich aufzufordern, Severo, mit
mir nach Haufe zurückzukehren. Ich würde
meine Pflichten als Vater zu verletzen glau-
ben, wenn ich nicht Alles aufbieten wollte,
um Dich auf den Wegen zu erhalten, die
 
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