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8 Alluſtrixte Familien Zeitung.


Die Erbſchaft des Volkes.
Roman aus dem denkſcheframöſiſchen Kriege.
Von
5 - B, v. Veldrungen.

; 2 — Nachdruck verboten.)

\ — Erſtes Kapitel.


Fiteten Burgſaßhauſen — eine Minute Aufent-

Z ä}y halt! ſchrie dex Schaffner. .
©3 Aus einem Wagen vierter Klaſſe ſtieg ein

junger Mann von etwa ſechsundzwanzig bis

* y ebenundzwanzig Jahren, ziemlich reduzirt

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* gekleidet. Man ſah ihm an, daß er den
beſſeren Ständen angehörte. Auf der linken
Waͤnge hatte er zwei dunkelrothe Narben, ſo-
genannte Renommirſchmiſſe, wie ſie ſich die Studenten
auf der Menſur beibringen. Aus ſeinen ſtark gebräunten,
etwas verwegenen und ziemlich verwetterten Geſichtozügen
blitzten zwei lebhafte, hübſche Augen, aus denen Leichtſinn,
Uebermüth, aber auch Gemüthsinnigkeit und geiſtiger
Schwung ſprachen. Gleichwohl ſah er mehr aus wie
ein Vagaͤbond als wie ein ordentlicher Staatsbürger. Die
Stiefeln waren durchlöchert, der abgenützte, ſchäbige Filz-
deckel auf die Seite gedrückt, der Rock verſchoſſen und an
den Rändern ausgefranst — kurz, ſein ganzes Aeußere
machte einen heruntergekommenen Eindruck. Er mochte
ſehr weit herkommen, vielleicht aus einer noch wenig kulti-
virten Weltgegend, wo man auf die äußere Erſcheinung
des Menſchen keinen Werth legt. Seine Kleider ſahen
durchaus nicht europäiſch aus.

Eine Minute!“ ſeufzte er ironiſch, indem er ſich
neugierig auf dem kleinen Bahnhof und in der ganzen
Gegend umſah, „komme ich tauſend Meilen weit her —
in die Heimath, in das alte liebe Vatexland, um hier
eine Minute Aufenthalt zu haben? Hol' der Kukuk die
Faͤhrerei! Ich hab' ſie ſatt. Hier bleibe ich, mag kommen,
was da wWil. D ſeufzte er aus tiefſter Seele, „Burg-
ſaßhauſen, Burgſaßhauſen! Wie oft biſt du mir in den
wilden Steppen des amerikaniſchen Weſtens als das Para-
dies der Erde erſchienen! Wie viel heiße Thränen habe
ich um dich geweint! Da liegt mun das alte Neſt wieder
vör mir, ſo traut, ſo altbekannt, ſo gemüthlich, als ob ich
erſt geſtern fortgezogen wäre. Die Menſchen da drinnen
freilich werden mich von der Seite anſehen, mir ſcheu
aus dem Wege gehen, wie einem Ausſätzigen, werden
mich als warnendes Exempel den Kindern auf der Straße
zeigen, als räudiges Schaf in der Heerde bezeichnen, mit
den Fingern auf mich weiſen — —“

Er hatte einige Schritte gemacht, um nach dem Aus-
gang des Bahnhofs zu gehen. Der Zug war wieder weiter-
gefahren. Nun zögerte er wieder, und in ſeinen Augen

- glänzten dicke Thränen. Dann aber wiſchte er ſich mit
einer energiſchen Bewegung die Thränen wieder ab und
fuhr murmelnd fort: Laß ſie thun, was ſie wollen —
Heimath iſt Heimath! Und wenn alle Stränge reißen,
ſo kann ich mich doch nun wenigſtens in der Heimath
aufhängen!“

Eben wollte er den Bahnhof verlaſſen, als ein Be-
amter mit der rothen Dienſtmütze, der ihn ſchon lange


Zuſterthalerin. Nach einem Gemälde von € v Müller. (S. 7)

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