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— — 2*



Die Erbſchaft des Volkes.

Roman aus dem deutſch-franzöſiſchen Kriege.

8 Von
2 — 2
2 H. v. Heldrungen.
* 4 EFortſetzung)
1 Nachdruck verboten.)

7 ich möchte ſo gern einige von dieſen Preußen
” einmal in der Nähe ſehen,“ meinte Fräu-
lein Bettine. „Ich habe
noch nie welche geſehen.
Iſt es wahr, daß ſie
Talglichter eſſen und
Spiritus trinken?“

„Bah — und man-
ches Andere vielleicht noch,“ meinte
Lieutenant Saint-Roche leichthin,
vielleicht nur, um ſeiner ſchönen
Partnerin nicht Unrecht zu geben.
In Wahrheit wußte er über die
deutſchen Lebensmittel nichts, was
der Rede werth geweſen wäre, und
muſterte momentan ſeine weißen,
außerordentlich zierlichen und wohl-
gepflegten Hände, ſchnippste mit dem
Finger flüchtig-elegant ein Stäubchen
von ſeinem nagelneuen Uniformrock
und beſchloß ſeine kleine, maleriſch
gegenſätzliche Poſe, indem er mit
dem Fuß den blank geputzten Degen,
der einen vergoldeten Griff hatte,
hinter ſich warf.

Fräulein Bettine konnte nicht
umhin, die Abſicht dieſes Manövers
zu bemerken. Der kleine Lieutenant
wollte ſich nach der eben ſtattgefun-
denen Schilderung der deutſchen
Bärenhäuter in ein vortheilhaftes
Licht ſetzen, und das gelang ihm auch
vollſtändig. Er war wirklich ein
hübſcher junger Mann, mit vollen,
ſchwellenden Lippen, geſundem Teint,
feurigen Augen und einer ungeſuch-
ten, nachläſſigen Eleganz, die ſich
auch in der Uniform nicht verleugnete.
Die Stiefeln ſaßen ſo fein und prall,
die Hoſe fiel in ſo untadelhaften
Falten, die feine Wäſche glänzte ſo
friſch weiß, wie man das nur von
einem Pariſer Lieutenant verlangen
konnte. Fräulein Bettine hätte blind
ſein müſſen, wenn ſie den Gegenſatz
nicht hätte merken ſollen.

„Was iſt denn das für ein
Rollen?“ fragte die Marquiſe nach
einer kleinen zufälligen Stille, die
in dem Thurmzimmer entſtanden
war „Iſt denn ein Gewitter im
Anzuge?“

„Ein Gewitter? Warum nicht gar,“ antwortete ihr
Sohn, riß aber gleichzeitig raſch ein Fenſter auf, um
das Geräuſch beſſer zu hören.

Wie von einem geheimen Gedanken beherrſcht, den
auszuſprechen ſich aber Jeder fürchtete, lauſchten jetzt
Alle mit athemloſer Spannung hinaus in den Sommer-
tag. Das Geräuſch, das ſich anhörte, etwa als ob in
der Ferne ein ſchwerer Laſtwagen über eine Brücke gefahren
wäre, kam von Norden oder Nordoſten her, gerade aus
jener Himmelsrichtung, wo ihnen die Fernſicht durch vor-
gelagerte Hügelketten verſperrt war. Ein eigenthüm-
liches ſtampfendes Rollen, das vielleicht ſehr weit her-



Salon des Chateau rouge eın Ende machte und die
Herzen ſchneller ſchlagen ließ.

„Das iſt Kanonendonner,“ bemerkte plötzlich einer
der älteren anweſenden Offiziere.

„Um's Himmels willen, Herr Kapitän,“ fuhr die


in ſo unmittelbarer Nähe von uns ſchlagen?“

„O, nur keine Furcht! Das iſt noch meilenweit.“

„Aber das hört ja gar nicht wieder auf,“ liſpelte
Fräulein Bettine ſchmollend, „man wird doch nicht etwa
gar eine Schlacht ſchlagen?“

„Ich ſagte Ihnen ja hereits,“ entgegnete Lieutenant
Saint-Roche, „daß es erſt morgen eine Schlacht geben
wird. Das Korps de Failly iſt ja noch
nicht eingetroffen. Gegenwärtig kann
es ſich nur um ein kleines Schar-
mützel oder eine Rekognoszirung
handeln.“ -

Aber die Beruhigungen wollten
doch nicht mehr recht verfangen. Die
ſorglos heitere, übermüthige Stim-
mung, in der ſich die Tiſchgeſellſchaft
bisher befunden, war fort und machte
einer gewiſſen Unſicherheit und Be-
klemmung Platz. Plötzlich ſchmetterten
aus den etwas tiefer liegenden Kan-
tonnements der Truppen, zu denen
die Gäſte der Frau Marquiſe d Aulnay
gehörten, Alarmſignale herauf.

„Mein Gott, mein Gott, was
geht denn vor?“ rief die Marquiſe
entſetzt.

„Ei nun, meine Gnädigſte, das
iſt im Kriege einmal nicht anders,“
rief Kapitän Didier, „wir müſſen
eben aufbrechen. Vorwärts, meine
Herren! — Meine Damen, wir ſind
troſtlos, aber die Pflicht ruft. Haben
Sie keine Sorge, dieſe Herren Preußen
werden dieſe freche Störung theuer
bezahlen müſſen!“

In aller Haſt nahmen die Gäſte
der Frau Marquiſe Abſchied, nur ihr
Sohn blieb zurück. Er hatte bis
morgen früh fünf Uhr Urlaub erhalten.
In dieſer Zeit würde ſein Regiment
in der Nähe ſtehen und er zu ihm
ſtoßen.

„Vergeſſen Sie nicht, Herr Lieu-
tenant, was Sie mir verſprochen
haben,“ flüſterte Fräulein Bettine
noch haſtig und halblaut.

„Sie ſollen mit mir zufrieden
ſein,“ erwiederte der hübſche, elegante
Lieutenant mit einer tadellos korrekten
Verbeugung.

Wenige Minuten ſpäter ſah man
die Offiziere in aller Eile durch die
Weinberge, die das Chateau rouge
am Südabhange umgaben, hinab-
laufen zu ihren Truppentheilen.

In den Dörfern rings um das
Schloß, ſo weit man ſie von da aus
 
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