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S 2*



Die Erbſchaft des Volkes.

Raman aus dem denkſch framöſiſchen Kriege.
22 Von
© B, v. Heldrungen.

Fortſetzung.)

Nachdruck verboten.)

ch will zu meinem Regiment, Herr Doktor,“
„ ermwiederte Heinrich mit einem gewiſſen ruhigen
Trotz.„Ich mag nichts vom Lazareth wiſfen.
Ich bin geſund und will zum Regiment.“

„Ich habe nichts dagegen,“ entgegnete
Max. „Aber nehmen Sie noch eine Mull-
binde mit, Heinrich. Hier. Heute Abend

2 erneuern Sie den Verband und kühlen die
Wunde tüchtig, und wenn Sie Wundfieber bekommen,
nehmen Sie das Pulver hier in einem Glas Waſſer.“

„Ja, 6, Herr Doktor, Waſſer. Wenn ich einen
Schluck Waſſer hätte.“

Auch dafür iſt geſorgt.“

Mar reichte ihm aus einer Feldflaſche
einen kleinen Becher voll Waſſer, in das er
einige Tropfen Cognak goß — man war ja
noch im Anfang, beim Vorſpiel; Truppen
und Ambulanzen noch wohl und intakt, wer
aber konnte wiſſen, wie der Tag endigte?
Wie die Nacht war?

Heinrich ſteckte die Mullbinde in die

Taſche, goß das Waſſer hinunter und lief
nach vielen Dankesäußerungen fort, um ſein
Regiment zu ſuchen, das wahrſcheinlich ſchon
wieder zum Dorfe hinausmarſchirt war. Denn
hier war ja kein Bleiben. Es war nur die
erſte Etappe zur feindlichen Centralſtellung
—_ in St Privat, die Blutarbeit nur das Vor-
ſpiel der erſte Akt des großen Dramas, das
die Weltgeſchichte die Schlacht von St. Privat

genannt hat. >
Außer Heinrich und dem jungen Häffel
ſah Max in Ste. Marie aux Chenes kein be-
fanntes Geſicht, weder Stock, noch ſeinen
Onkel, noch Dahlitz oder irgend einen an-
Deren Burgfaßhauſener. Beſonders darnach zu
ſuchen, hatte er keine Zeit. Ein Kollege von
ihm, ein Aſſiſtenzarzt Doktor Zeh, war beim
Werbinden eines Verwundeten durch den Kopf
geſchoſſen worden und ſofort todt. Es waren
aljo bei ſeiner Sanitätskolonne mur noch zwei
Aſſiſtenten und der Oberſtabsarzt Schurich,
und dieſe konnten ſich nicht damit aufhalten,
Bekannte aufzuſuchen. Das „fchönfte Regi-
ment! mußte ſchon wieder avancirt ſein, wäh-
rend Hendrich noch beſchäftigt war, die Ver-
wundeten von Ste Marie aux Chenes zu bergen.

3Bwölffes Kapitel.
Es war in der vierten Nachmittagsſtunde,
als die deutſchen Regimenter das eroberte

Ste. Marie aux Chenes wieder verließen, die Garden
in gerader Richtung über St. Ail nach St. Privat, die
Sachſen, ihrer Aufgabe gemäß, den äußerſten rechten
Flügel des Feindes zu faſſen, im Bogen über Roncourt
ebenfalls nach St. Privat. Nur war der letztere Weg
Ldeutend weiter, und Roncourt ebenfalls ſtaͤrk befebt.
Die Rekognoszirungen der Kavallerié hatten ergeben,
daß die Franzoſen unter allen Umſtaͤnden die Straße
nach Briey-Verdun offenhalten wollten. Sie war ihre
einzige Rückzugslinie, ſeitdem am 16. Auguſt die beiden
Linien über Mars la Tour und Etain nach Verdun
perloren gegangen waren. Deshalb waren ihre Stel-
lungen längs dieſer Straße in aͤller Eile befeſtigt und
Leſonders Roncourt und St. Privat feſtungsähnlich in
Vertheidigungszuſtand gebracht worden.

Nun war es am ſpäten Nachmittag, die Hitze er-
drückend, die Truppen ermüdet, ſeit ſechs Uhr in
der Frühe ohne einen Biſſen, ohne eine Stunde Ruhe.
Und doch mußte man noch vor Anbruch der Nacht in
St. Privat ſein, man mußte den Kameraden, die dort
auf den Feldern lagen, zu Hilfe eilen. Sollten die
Sachſen die Garden, die ſo pünktlich mit ihnen zu-
ſammen operirt hatten, in der höchſten Noth im Stich


laſſen? Kein Gedanke daran!
wieder laufen! Wer ſich
konnte, lief.

Etwa um ſechs Uhr war auch Roncourt in der
Hand der Sachſen. Hauptmann Weinhold war nach
dieſex neuen Blutarbeit, an einem Baumſtamm lehnend,
langſam an demſelben hinabgeglitten —er konnté nicht
mehr. Nicht nur die Strapazen des Tages, ſondern
hauptſächlich die Hitze hatte ihn ermattet. Es flimmerte
ihm vor den Augen vor Schwäche. Und wenn es mur
fünf Minuten waren, aber er mußte einmal ruhen.
Sein Hund, der ihn den ganzen Tag nicht verlaffen,
ſaß bei ihm und ſchaute ihn mit den guten treuen
Augen an, als wollte er ſagen: Iſt's denn noch nicht
genug für heute? Der Kanonendonner fchallte von
St Privat herüber, Adjutanten ſprengten auͤf ſchweiß-
bedeckten Pferden im raͤſenden Salop hin und her.

„Es muß gehen, es muß unbedingt gehen,“ hörte
Hauptmann Weinhold eine zornige Stimme fagen.
„Auf den Feldern vor St. Privat liegt die Hälfte des
Eardekorps. Mit Todesveraͤchtung häben die Garden
geſtürmt — vergebens! Sie wiſſen, was das heißt.
Die Preußen ſparen nicht mit ihrem Blut. Aber die

Franzoſen kämpfen wie die Löwen um St. Pri-
vat. Geben Sie ſofort Befehl zum Angriff
von Weſten her, ſonſt iſt Alles vergebens,
und die Garde geſchlagen!“

Und auf's Neue hieß es: „Vorwärts,
vorwärts! Marſch, marſch!“ Schon in Ron-
court erfuhren die Sachſen, daß die Garden
von Süden und Südoſten her zu früh an-
gegriffen hatten. Sie waren in ein verheeren-
des Feuer gerathen und, von den Sachſen
nicht unterſtützt, war der Sturm abgeſchlagen
worden. Trotz der Rieſenmärſche, die fie
ſchon zurückgelegt an dieſem Tag, trotz Er-
müdung, trotz Hungex und Durſt ging es
wieder vorwärts „Die Garde verblulet vor
St. Privat,“ hieß es in den Reihen, und
das war, als ob es die Leute elektriſirt hätte.
Sie fühlten ſich ſolidariſch, Blätter eines
Stammes, Glieder eines Körpers. Sie

durften, konnten ihre Kameraden nicht im
Stich laſſen.

„Vorwärts! Vorwärts!“

Und es ging. Auf den Schlachtfeldern
war es, wo die deutſche Einheit in das Be-
wußtſein der Menſchen trat, wie ein Blitz in
der Nacht, ſie antrieb, die letzte Kraft, den
letzten Blutstropfen dem großen gemein-
ſamen Ziel zu weihen, der Niederwerfung
des Erbfeindes.

Die Entfernung von Roncourt nach
St. Privat iſt nicht einmal eine Wegſtunde.
In möglichſter Eile ſchoben ſich die Regi-
menter vorwärts. An jeder Sekunde hing
das Leben braver, tapferer Kameraden. Das
riß auch die Müdeſten mit fort. Haupt-
mann Weinhold lief an der Spitze ſeiner
Kompagnie, keuchend und athemloͤs, aber
unaufhaltſam vorwärts, aber ſchon bald ge-
riethen ſie in ein mörderiſches Kleingewehr-
feuer. Der Adjutant hatte Recht gehabt. Die

Alſo — laufen und
nur noch fortſchleppen
 
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