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— —




irte


Die Erbſchaft des Volkes.

Roman aus dem deunkſch-franzöſiſchen Kriege.
Von

B, v. Veldrungen.

Fortſetzung.)

Nachdruck verboten.)
Jrau Weinhold ſah das Alles ohne Ekel,
S ohne SGrauen, aber ſie fühlte ſich unſagbar

2 4
— %L traurig und mehmüthig. Eine kleine ſchmale
— * Steintreppe mußten ſie hinaufſteigen, ſie

*
5 wußte nicht, weshalb. Die
8 Treppe war durch eine
8 Vetroleumlampe mit hellem
Reflektor faſt grell erleuch-
tet, und das Licht ſchien auf die noch
klebrigen, dunkeln Flecke. Was waren
denn das nur für häßliche, widerwärtige
Flecke? fragte ſie ſich, aber ſie war zu
ſchwach, zu müde, um ſich über ihre Um-
gebung klar zu werden. Dann befanden
ſie ſich plötzlich in einem ziemlich großen
Zimmer, wo zwei Reihen elender Betten
ſtanden, in denen Leute lagen, ſtill, bleich,
halb todt. Und in der Mitte des Zim-
mers ſtand ein nicht ganz zuverläſſiger
Tiſch mit einer grauweißlichen Marmor-
xlatte, die aber unter einer rothen Blut-
fluth faſt verſchwand. Auf dem Tiſche
lag ein Mann mit einem entblößten,
blutenden, arg geſchwollenen Fuß, und
vor ihm waren zwei Männer in Uniform
beſchäftigt, deren einer auf ein Haar wie
ihr Neffe Max Hendrich ausſah. Wenn
ſie nicht Alles das für einen ſchweren,
ſchrecklichen Traum hätte halten müſſen,
Io hätte ſie laut auffchreien mögen. So
ſtand ſie aber wie erſtarrt {till, um zu
ſehen, was das Alles noch werden würde.
„Es geht nicht anders, Küſter, der
Fuß iſt futfch. Nur Courage, in zwei
Ainuten iſt Alles geſchehen,“ ſagte der
Mann, der wie ihr Neffe ausſah; der
Andere hielt dem Patienten einen Lappen
vor die Naſe und ließ ihn daran rie-
hen, worauf er in kaum einer halben
Minute alle Glieder von ſich ſtreckte
und ruhig, wie todt dalag.
„Mein Gott, mein Golt, wie ſchreck-
lich! dachte Frau Weinhold.
Nachdem der Mann eingeſchlafen
— war, nahm ihr Neffe mit blitzähnlicher
Geſchwindigkeit ein funkelndes, offenbar
ſehr ſcharfes Meſſer und machte mit
“ einem Schnitt einen Kreis um das Bein
_ de8 Vermundeten, gleich unterhalb des
Knies. Dann klappte er mit einer außer-
| ordentlichen Geſchwindigkeit und Geſchick-
lichkeit die Haut etwa drei Centimeter

=


zurüd, wie wenn man etwa eine Hoſe aufkrempt. Das
Blut floß unaufhörlich auf den Tiſch. Nun reichte ihm
der Andere, der mit der Uhr in der Hand dabei ſtand,
eine kleine, ebenfalls blitzende und ſehr ſcharfe Säge,
womit Mar mit einer geſpenſterhaften Schnelligkeit das
Bein des Aermſten abſägte. Das Geräuſch, das die
Säge auf dem Knochen machte, ging der armen Frau
durch Mark und Bein. Ihr war, als könne ſie nie im
Leben wieder das Geräuſch vergeſſen. Dann wurde
etwas gemacht, was ſie nicht genau ſehen konnte, weil
ſich Mar ganz dicht über den Verwundeten herabbeugte.
Aber es ſchien, als ob die Blutung raſch aufhörte und


lappen wieder übergeſchlagen und zugenäht. Als Alles
fertig war, ſagte der Andere, der die Uhr in der Hand

}
!


hatte: „Siebenundfünfzig Sekunden! Hendrich, Sie ſind
ein Mordskerl.“ x

Frau Weinhold ſtöhnte laut auf. Ihr war zum
Brechen übel.

„Was wollen die Weiber hier?“ fuhr der Mann
mit der Uhr in der Hand laut und grob auf; er ſchien
ſie erſt jetzt zu bemerken. „Zum Henket mit den Weibern!
Hier iſt kein Ort für Weiber.“

„Herr Oberſtahsarzt — Max —“ ſtotterte Leonore.

„Fort damit. Wer iſt jetzt dran? Wir haben keine
Zeit. Wir ſind nicht da zum Flennen! Schockſchwere-
noth, den Nächſten her, ſage ich.“

Ich will zu meinem Mann!“ rief Frau Weinhold.

Das klang ſo ſonderbar, ſo verzweifelt, wie im
heiligen Schmerz ausgeſtoßen, daß Frau Weinhold felbſt

uber ihre Stimme erſchrak.

„Ach ſo,“ meinte der Oberſtabsarzt
etwas milder „find das Ihre Verwand-
ten, Herr Aſſiſtent?“

Mar, der noch immer mit dem Ver-
wundeten beſchäftigt geweſen, welcher
nun wieder von den Trägern in's Bett
zurückgebracht wurde, kam jetzt näher,
die Hände blutig, die große weiße Schütze,
die er über der Uniform trug, blutig,
das Geſicht bleich, überangeſtroͤngt, aber
feſt und entſchieden. —

„Tante! Leonore!“ rief er. „Oben
im zweiten Stock, Thür Nr. 3. Seh:
ring, führen Sie die Damen zum Haupt-
mann Weinhold. Ich komme nach, ſo-
bald ich kann. Aber keine Emotionen,
Tante, keine Aufregungen, Leonore, das
ſage ich euch. Der Onfel braucht Kuhe,
abſolute Ruhe.“

Ein Soldat führte ſie fort.

„War das Max?“ fragte Frau
Weinhold ihre Tochter leiſe.

„Natürlich, Mama. Du weißt doch,
daß er als Aſſiſtenzarzt mit ausgeruͤckt iſt.“

„Schrecklich, ſchrecklich! Ich hätte ihn
nicht wiedererkaͤnnt.“

Dann, wie ſich plötzlich beſinnend,
ſtürmte ſie haſtig voraus, ſo daß ihr
Leonore und der Soldat kaum zu folgen
vermochten.

„Sprach er nicht vom Hauptmann
Weinhold?“ murmelte ſie haſtig vor
ſich hin. „Alſo er lebt! Er lebt noch!
O, ich wußte es. Mein Gefühl betrügt
mich nicht. Nur raſch. Wo iſt er? Thuͤr
Yr 3, Wo iſt Thur Nr. 32

Leonore hielt ſie bei der Hand.
Mutter, vergiß nicht, was Mar fagte.
Der Vater verträgt keine Auftegung.
Wir müſſen ſo thun, als ob gar nichts
geſchehen wäre. Hörſt Du, Mutter?“

„So thun, ſo thun,“ murmelte dieſe
mechaniſch.

Dann ſtanden ſie eine Weile vor
einer Thür, in welche der Soldat, der
ſie führte, gegangen war, und lauſchten.
Es mochten nur Sekunden ſein, aber
 
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