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D —



die Erbſchaft des Volkes.

Roman aus dem deutſch-franzöſiſchen Kriege.
Von

H. v. Heldrungen.

Fortſetzung.)

Nachdruck verboten.)
Siebzebrrtes Kapiftel.
Zer junge Marguis Georges d'Aulnay lag
in heftigem Fieber. Während draußen die
Schlacht tobte, und die Kanonen donnerten,
zählte die Nonne, der ſeine Pflege oblag,
ſeine Pulsſchläge. Er erſchien ſich ſelbſt
wie ein erbärmlicher Feigling. H
wieder bewegten ſich in der
Fieberhitze ſeine Lippen, und dann kamen
Worte hervor, die etwa lauteten: „Mein
theures Frankreich! Du wirſt ſiegen,
ſiegen gegen die Barbaren, die Dich ver-
wüſten und verderben. Du mußt ſiegen.
Ich will es. Du biſt unbezwinglich.
Unſere Stellungen ſind uneinnehmbar!“
und Aehnliches. -

Man hatte das Zimmer künſtlich
verdunkelt, aber den Kanonendonner
konnte man nicht durch rothe Vorhänge
ausſperren, und er ſchallte immer ſtärker
und ſtärker herein.

„Ich muß fort!“ rief er endlich
und richtete ſich auf, um das Bett zu
verlaſſen.

„Was wollen Sie, Herr Marquis?“
rief die Nonne in Todesangſt. „Sie
dürfen nicht fort. Sie können nicht
hinaus. Sie ſind krank. Sie werden
ſterben, wenn Sie fortgehen.“

Damit drückte ſie ihn mit Gewalt
wieder in die Kiſſen zurück, und röchelnd
lag der halb bewußtloſe Mann wieder
einige Zeit ruhig. Da geſchah etwas
Furchtbares. Ein ungeheurer praſſeln-
der Lärm, wie das Aufſchlagen einer
Granate, erfüllte das Haus. Eine
dicke Wolke war plötzlich im Zimmer.
Die Decke ſtürzte theilweiſe herab und
uüberſchüttete den Boden des Zimmers
mit Steinen, Mörtel und Sand. Die
arme Nonne rief alle Heiligen an und
ſtürzte davon, um Hilfe zu holen.

Plötzlich war Alles wieder ruhig,
nur draußen rollte und grollte der
Donner der Schlacht weiter.

Durch die Sprengladung der Gra-
nate war das Haus in Brand ge-
rathen, bald erfüllte erſtickender Rauch
das Zimmer, in dem Georges lag.

Er richtete ſich mit glitzernden,
fiebernden Augen auf.

„Seid ihr da?“ murmelte er. „Gut.


Da bin ich. Nur vorwärts. Die Stunde iſt da. Wo
iſt der Feind? Raſch. Wo iſt mein Pferd?“ —

In zitternder Eile ſprang er aus dem Bette, fuhr
in ſeine Kleider und griff nach ſeiner Waffe. Das
Haus brannte lichterloh! Alles rannte kopflos durch-
einander, Kinder und Weiber ſchrien, Gebälk und
Mauertrümmer ſtürzten nach, Jedes ſuchte ſich ſo ſchnell
wie möglich zu retten. }

In dieſer Verwirrung gelang es d Aulnay, aus dem
Hauſe zu entkommen. Nur die Nonne ſtellte ſich ihm
noch einmal ſchreiend und ihn beſchwörend entgegen.
Er drängte ſie zur Seite und ſtürzte hinaus.

Es war heller Tag draußen, aber er hatte keine Idee
davon, ob es Morgen, Mittag oder Nachmittag ſei. Er
jah nur flüchtig in den Häuſern, auf den Gaͤſfen und
Plätzen das dichte Gewimmel von Soldaten und Ein-
wohnern, beſtürzte, ängſtliche Geſichter; hörte Jammern
und Schreien, Fluchen und Beten.


N

Als er etwa hundert Schritte gelaufen war, ſah er
in einer Tragbahre einen verwuͤndeten Offizier der
Kavallerie, den man nach der Stadt brachte, in der
Hoffnung, hier Hilfe und Aerzte zu finden.

„Wo ſteht das Regiment, mein General?“ rief er
den halbtodten Offizier an. „Wo finde ich es?“

Der Kavalleriegeneral ſah mühſam auf. „Bei
Floing, rechts am Walde,“ antwortete er dann, und
etwas leiſer ſetzte er dann hinzu: „Wenn noch Jemand
davon ührig iſt.“ Das Letzterẽ hörte Georges d Aulnay
ſchon nicht mehr. Er lief weiter. Noch voͤr dem Thore
fing er eines der vielen herrenloſen Pferde, die ber-
ſprengt und vom Kanonendonner erſchreckt in der Irre
herumliefen, und jagte wie ein Wilder zum Thore hin-
aus in nördlicher Richtung nach Floing.

Auch im Norden der Stadt war der Kampf ſchon
ſo gut wie entſchieden, und obgleich man die ver-
zweifeltſten Anſtrengungen machte, um das Vordringen
; der Deutſchen zu verhindern, ſo war es
doch nur der letzte hoffnungsloſe Vor-
ſtoß, unternommen, um den Rückzug
nach der Stadt zu decken. Man focht
nur noch um die Ehre Frankreichs, nicht
um den Sieg. Noch ehe Georges d'Aul-
nay nach Floing kam, begegneten ihm
ſchon aufgelöste Soldatenhaufen, welche
die Waffen weggeworfen hatten und ſich
in wilder Flucht auf die Stadt ſtürzten,
in der Meinung, dort geborgen zu ſein
oder doch Unterkunft und Pflege zu
finden.

„Feiglinge! Elende Wichte!“ ſchrie
ihnen Georges zu. Sie hörten nicht
auf ihn, und das war ſein Glück, denn
die Soldaten, die tage- und wochen-
lang unter den höchſten Entbehrungen
wie an einem Narrenſeil im Lande
herumgeführt worden waren, um zu-
letzt in dieſer Weiſe „zur Schlachtbank
geſchleppt zu werden“, wollten nichts mehr
von ihren Offizieren wiſſen und be-
dachten ſich nicht lange, ihre Waffen
gegen ſie zu kehren, wenn ſie die Vor-
geſetzten herauskehren wollten.

Nach wiederholtem Hin- und Her-
fragen fand Georges endlich ſein Re-
giment, das an einem Waldfaum, halb
geborgen vor dem feindlichen Geſchütz,
aber doch ſchon in deſſen Feuerbe-
reich, hielt. Das Regiment mochte kaum
noch die Hälfte ſeines Beſtandes zählen,
trotzdem es noch gar nicht zur Attacke
gekommen war! Aber Viele waren
„krank“ gemeldet und nicht mit aus-
gerückt, Andere hatten Verwundete zu-
rückgetragen und waren nicht wieder-
gekommen, wieder Andere waren auf
dem Felde an geſchützter Stelle liegen
geblieben und hatten die „Todten“ ge-
ſpielt.

Viele der Uebriggebliebenen waren
wüthend, ſo unthätig im feindlichen
Feuer aushalten zu müſſen. Wenn
 
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