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2 —



Die Erbſchaft des Volkes.

Roman aus dem dentfch-Froamöftfchen Kriege.
* Von ;

*
— Bı V Heldrungen.

Fortſetzung)

Nachdruck verboten)
ettine drückte ſich, ſo gut und ſo raſch es ging,
m an der Mauer hin, vorbei. Endlich kam fie,
immer raſcher laufend, faſt athemlos an dem

und das „La
Katze) hieß, an.

chatte noire“ (die ſchwarze

; Einen Augenblick zögerte ſie
ängitlich. Hatte ſie ſich nicht doch zu viel zu-
gemuthet? Sie war allein. Wenn man ſie be-
_ letdigte, was konnte ſie thun? Das Haus lag
trübſelig-finſter da, nur mit elenden Oellämpchen da
und dort nothdürftig erhellt, wie auch die Straßen. Man
hatte feine Koͤhlen mehr, um Paris mit Gas zu verſorgen.
Welcher Unterſchied gegen früher, wo Alles in ſtrahlendem
Lichterglarz funkelte und glitzẽrte.

Endlich trat ſie mit rafchen, entſchloſſenen Schritten ein.
Im Hausgang war die Kaſſe. Sie müßte einen Franken
Eintrittsgeld bezahlen und erhielt dafür einen Zettel, worauf
Edruckt ſtand, daß fie „une consommation“ frei habe.
Loch heklommener wurde ihr, als ſie gleich darauf“den
Saal betrat, wo die Vorträge ſtattfanden. Es war ein
längliches Viexeck, das mit Tiſchen und Stühlen angefüllt
und oben mit einer Gallerie verſehen war, wo ſich die
„Stalles“, kleine, voneinander abgetrennte Räume oder Logen,
befanden. Die Bühne war ihr gegenüber. Der ganze Raͤum
war mit Tabaksqualm, mit Abſynthdunſt und 'einer Stick-
luft erfüllt, die ihr faſt den Athem benahm. Das Loͤkaͤl
war vall von Menſchen! Sie fühlte, wie freche Blicke von
allen Seiten auf ſie geworfen wurden. „Und hier hatte
er ſich als Kellner verdungen? fragte fie ſich ſchaudernd.

Hu ihrem Glück war das Publikum gerade von einem
Vortrag in Anſpruch genommen. Auf der Bühne ftand
ein derbes, robuſtes Frauenzimmer, im kurzen, kaum bis
zum Knie reichenden Röckchen, und ſang dié Marſeillaife
mit einer rauhen, abgeſchrienen Stimnie.
hielt ſie eine xieſige Tricolore, in die ſie ſich am Ende jedes
Verſes maleriſch drapirte, auf dem Kopfe trug ſie eine
phrygiſche Mütze.

Als der Vortrag zu Ende war, entſtand ein Höllen-
läym. Das Publikum ſchrie, trampelte mit den Füßen,
ſchlug mit den Stöcken auf die Tiſche und fing nun feiner-
ſeits an, den wilden Revolutionsgeſang zu fingen.

Bettine zitterte am ganzen Leibe. Sie war bleich ge-
worden und glaubte jeden Augenblick infolge der fchlechten
Luft in Ohnmacht zu fallen. Sie ſetzte ſich möglichſt abfeits
an ein kleines Tiſchchen, an dem noͤch Niemand faͤß. Sie
hätte weinen mögen bei dem Anblick, über ein Volk, das
ſich in dieſer Weiſe amüſirte, während draußen vor den
Wällen die Kanonen donnerten und Tauſende von Brüdern
und Söhnen, Vätern und Gaͤtten hilflos blutend im Winter-
froſt auf dem Boden lagen und elend zu Grunde gingen.

Ein Kellner ſtürzte auf ſie zu. Es war aber nicht der,


tiges, bleiches Trinkgeldergeſicht ſah fie an.




N

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Anerwartete Koſtgänger.
Originalzeichnung von D. Bluhm. (S, 239)
 
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