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heft 12.



Der Fund am Strande.

Roman

von

Fortſetzung.)

Nachdruck verboten.)
aria ward im Geſpräch mit Reinhard
allmählich munterer, ſie vergaß zeitweiſe
ihr Unglück und war dem gebildeten
Manne für die Unterhaltung dankbar,
obwohl ſie ſeine Perſon nicht ſehr an-
ziehend fand.

( So verging den beiden jungen Leuten

der Nachmittag und der Abend ſehr ſchnell.
Reinhard begab ſich dann auf ſein Zimmer und ging
naͤchdenklich mit ſtarken Schritten in dem kleinen Raum
auf und nieder. Das Mädchen hatte einen großen
Eindruck auf ihn gemacht, einen noch größeren jedoch
ihre Traumerzählung und die Unterſuchung der Taſche.
Dies haͤtte neben einem anderen Intereſſe auch ſeine
alte Vorliebe für das Kriminaliſtiſche erweckt. „Durch
keinerlei Umherwerfen, durch keinerlei Wellen-
ſchlag,“ ſo überlegte er, „konnte die Ledertaſche
von ſelbſt aufgehen. Es mußte ſie Jemand ge-
öffnet haben. Im Boote konnte dies nicht ge-
ſchehen ſein, alſo nur hier am Strande. Es
hatte alſo hier Jemand das Geld herausge-
nommen. Der Pfarrer hatte die Taſche ſchon
offen und leer gefunden, und zwar früh am
Morgen. Alſo ſchon in der Nacht war das
Geld entwendet worden. Die Inſelbewohner
hatten in jener Nacht keine Veranlaſſung ge-
habt, an die See zu gehen. Einzig von dem
Klaus Gehren war es bekannt, daß er des Nachts
ſein Haus verlaſſen hatte, und in derſelben
Nacht war er ſpurlos verſchwunden. Die Ver-
unglückte hatte außerdem eine Vorſtellung ge-
habt, als ob ſie unter einem Schiffe gelegen
habe, dort hervorgezogen und von einem Manne
weiter hinauf an den Strand getragen worden
ſei Das Alles zuſammen war doch höchſt ver-
dächtig.“

Wenn jener Mann wirklich die große
Summe genommen hätte,“ dachte Reinhard weiter,
„und ich ihn auffaͤnde und das Geld wieder
herbeibrächte, ſo müßte das Mädchen die größte
Dankbarkeit für mich haben. Könnte da nicht
mein Glück noch blühen? Ich legte meine
Stellung als Beamter nieder, wir gingen nach
Berlin, ich errichtete ein Advokatenbureau —“

Dieſe Vorſtellungen berauſchten ihn faſt, ſeine
kleinen Augen leuchteten und ſein bleiches Ge-
ſicht röthete ſich. „Unſinn, Unſinn!“ rief er
dann wieder faſt laut. „Ein Gebäude aus Muth-
maßungen, Folgerungen aus Phantaſien. Jener
Mann liegt vielleicht hundert Fuß unter flüſſigem
Sande, und die Brieftaſche mit dem Gelde
auf dem Meeresgrunde. Wie kann nur ein alter

Knabe, wie du, einem ſolchen Märchengebilde, einer
ſolchen Wunſchphantaſie nachhängen!“

Jedoch trotz allen Weglachens ſeiner Folgerungen
und Muthmaßungen drängte immer wieder ein gewiſſes
kriminaliſtiſches Etwas ſich ihm auf, das ſprach! „Das
Verſchwinden jenes Klaus Gehren iſt verdächtig, es ſteht
in Verbindung mit dem Verluſt der großen Summe,
welche in der Ledertaſche war.“ Seltſam hartnäckig erhob
ſich immer wieder dieſe innere Stimme und rief ihm
zu: „Spüre dem Geheimniß nach, ſpüre nach Fäden,
die zu jenem Klaus führen. Hier kannſt du dein Glück
erjagen und erringen!“

Unter ſolchen ſich bekämpfenden Gedanken ſuchte
erſt ſpät Reinhard ſein Lager auf und verfiel bald in
einen tiefen Schlaf, der allem Zweifeln und Sinnen
ein Ziel ſetzte.

Als er am nächſten Morgen erwachte und aus dem
Fenſter zu den weißen Dünenhügeln ſchaute, auf welche
die Herbſtſonne herablächelte, fiel ihm ſofort der Strand
ein, und vor ſeinem innexen Auge ſtand jetzt deutlich
wieder das Bild der Auffindung des Mädchens.

„Nein, das Geld iſt nicht verſunken, nicht verloren,
ſondern geraubt, geſtohlen,“ ſtieß er faſt laut hervor,
„entwendet von dem Menſchen, den ſie in ihrer Be-
wußtloſigkeit traumhaft wahrnahm. Dieſer Menſch iſt
Niemand anders, kann Niemand anders ſein als jener


Klaus Gehren, der von der Inſel entflohen iſt, vielleicht
gar mit jenem Boote, welches die Schiffbrüchige auf
die Inſel brachte!“

Er kleidete ſich ſchnell an, nahm eilig den Kaffee
ein und begab ſich zu den zerſtreuten Häuſern des
Dorfes, um ſich überall nach den Vorgängen der Auf-
findung des Mädchens und dem Verſchwinden des
Klaus Gehren genau zu erkundigen. Durch dieſe Nach-
forſchungen im Dorfe erlangte er die Gewißheit, daß
Niemand von den Einwohnern der Inſel in der frag-
lichen Nacht das Haus verlaſſen und ſich nach dem
Strand begeben hatte. Es Iag auch hierzu gar kein
Grund vor, da keinexlei Nachricht von einer Schiffs-
ſtrandung an die Inſel gelangt und daher eine etwaige
Anſchwemmung von Gütern nicht zu erwarten war.
Ueber Klaus Gehren ſagte man ihm übereinſtimmend,
daß dieſer ein ſeltſamer Menſch geweſen ſei, der nie
in das Wirthshaus ging, ſtets einſam und abgeſondert
ſich verhalten, gezeichnet, gemalt, allerhand Thiere be-
obachtet, die Flöte und Geige geſpielt und immer mit
dem Wunſch ſich getragen habe, die Inſel verlaſſen zu
können. Man hielt ihn für nicht ganz richtig im Kopfe
und glaubte, daß er in ſeiner Verruͤcktheit den Tod im
Saugſand gefunden.

Der Aſſeſſor machte nun auch der Mutter des Ver-
ſchwundenen einen Beſuch, und was er hier erfuhr, be-
ſtätigte nur ſeinen Verdacht und entwickelte in

ihm die Anſicht, daß Klaus Gehren ein findiger,
kluger Menſch ſei, der an Geiſtesgaben wohl
über den Durchſchnittsinſulanern ſtehen mochte.
Die Angaben der Mutter befeſtigten ſeine Ueber-
zeugung noch mehr, daß Klaus in jener Nacht
an dem Strande geweſen ſei, das Mädchen ge-
funden, die Taſche geöffnet, das Geld an ſich
genommen habe und mit Hilfe des Bootes in
das Meer hinaus entflohen ſei. Und es bemäch-
tigte ſich des leidenſchaftlich nach Geld und Be-
haglichkeit ſtrebenden Mannes eine wahre Wuth
gegen Klaus Gehren, er empfand den Verluſt
des Geldes gerade ſo, als ob er ihn betroffen hätte.
Er ſchwor ſich zu, alle ſeine Kräfte daran
zu ſetzen, ſelbſt ſeine mühſam errungenen Er-
ſparniſſe dafür aufzuwenden, dem Verſchwun-
denen nachzuforſchen und die große Summe
wieder herbeizuſchaffen. —

Das Fährboot brachte vom Feſtlande die
Poſt auf die Inſel. Dieſe enthielt einen ſchwarz
geränderten Brief für Maria Ribera. Er kam
von Hamburg und betraf die Tante. Der Sohn
derſelben meldete der Verwandten, daß ſeine ſchon
längere Zeit kränkelnde Mutter in der vergange-
nen Nacht ganz unerwartet an einem Herzſchlag
verſchieden fei. Das Hausweſen der Verſtorbenen
würde aufgelöst werden, und man wiſſe jetzt
nicht, wohin man die Verwandte bringen ſolle.

Dieſe Nachricht verſetzte Maria Ribera in
die ſchmerzlichſte Betrübniß und drückte ſie auf
das Tiefſte nieder. Das Schreiben war ſo kalt
und förmlich und abweiſend in Ton und Wor-
ten, daß es ſie wahrhaft durchfröſtelte. Sie
war keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß
ſie von ihren Verwandten in Hambuͤrg keinerlei
Unterſtützung und Hilfe zu hoffen habe und
 
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