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Heft 23.



Jahrg. 1.

Geachtet.

Roman

von

Tothar Brenkendorf.

Fortſetzung und Schluß)

Nachdruck verboten.)

Ziſt nicht möglich, ſuhr der Major zu Eliſabeth

fort, „das Geſchehene ungeſchehen zu machen,
und alle meine Selbſtvorwürfe vermögen
nichts mehr daran zu ändern.
Aber ich habe nun erſt recht
die Pflicht, Dich von meiner
verderblichen Gegenwart zu
befreien, bevor jener Andere
mich erkannt hat. Denn noch hat er mich
nicht erkannt. Was hätte ihn ſonſt ab-
halten ſollen, mich ſofort an die Soldaten
auszuliefern!“

„Gott gebe, daß Deine Vermuthung
zutrifft, Sixtus!“ verſetzte Eliſabeth „Aber

es iſt wahr, der Morgen darf Dich hier
nicht mehr finden, denn im hellen Tages-
licht könnteſt Du den Mißtrauiſchen ſicher-
lich nicht länger täuſchen. Noch weiß ich
nicht, wie ich Deine Flucht ermöglichen
ſoll, doch wir haben zum Glück faſt die
ganze Nacht vor uns. Es muß ſich, bis
zur Morgendämmerung ein rettender Aus-
meg gefunden haben, ohne daß Du ver-
ſuchen müßteſt, Dich gewaltſam zu befreien.“

Ein Laut wie ein qualvolles Stöhnen,
der aus den unteren Räumen des Hauſes
kommen mußte, drang in dieſem Augen-
blick zu ihnen herauf.

„Ich vergeſſe meinen armen Kamera-
den, Eliſabeth,“ ſagte der Major in ſchmerz-
licher Bewegung. „Vergib, wenn ich Dich
bitte, vor Allem meine Bruderpflicht
gegen ihn erfüllen zu dürfen.“

„Wie ſollte ich Dich daran hindern!
Ich gehe mit Dir, denn vielleicht kann
ich doch noch irgend etwas für den Un-
glücklichen thun.“

Sirtus geſtattete es nur ungern, denn
die Erkenntniß, durch ſeine Tollkühnheit
ihre theure Perſon gefährdet zu haben,
laͤſtete mit furchtbarer Schwere auf ſeiner
Seele, und er wollte durchaus Alles ver-
mieden ſehen, was eine Entdeckung ihrer
heimlichen Gemeinſchaft beſchleunigen
konnte. Erſt als er ſah, daß ihr Ent-
ſchluß unerſchütterlich war, und als ſie
ihm verſprochen hatte, die Kammer nach
furzem Verweilen wieder zu verlaſſen,
gab er alle weiteren Einwendungen auf.
Sie ſtiegen in das Erdgeſchoß hinab und
öffneten die Thür des kleinen, niedrigen
Gemaches, in das man den todwunden

Familien-3

Wachtmeiſter getragen. Es war ein kahler, unfreund-
licher Raum, den man bis dahin nur zur Aufbewah-
rung von allerlei Wirthſchaftsgegenſtänden benutzt hatte.
Ein Tiſch und ein hölzerner Schemel bildeten neben
dem dürftigen Lager jetzt ſeine ganze Ausſtattung.
Von einer wollenen Decke umhüllt, ruhte die muskulöſe
Geſtalt des Sterbenden auf dem roh gezimmerten Bette.
Er war noch immer nicht zum Bewußtſein erwacht,
und ſein blutloſes, verfallenes Antlitz wies bereits alle
Anzeichen des nahen Todes auf. Es war ſicherlich nicht
ſchön zu nennen, das harte, verwetterte Geſicht dieſes
rauhen Kriegsmannes, der wie ein Sechziger ausſah,
obwohl er in Wahrheit wohl noch um mehr als ein
Jahrzehnt jünger ſein mochte. Unter anderen Umſtän-

Photographie-Verlag der Photograph



den würde ſich Eliſabeth vielleicht ſogar vor ſeinem
Anblick entſetzt haben. Jetzt aber mar er für ſie nichts
Anderes als der heldenmüthige, opferwillige Lebens-
retter des Geliebten, und ohne jede Anwandlung ſchwäch-
lichen Grauens beugte ſie ſich über ihn herab, um ſeine
bleiche Stirn zu küſſen.

Gerade in dieſem Moment ſchlug wieder jenes qual-
erpreßte, ſchauerliche Stöhnen an ihr Ohr, das ſie ſoeben
in den oberen Zimmern vernommen. Aber es kam
nicht aus der zerſchoſſenen Bruſt des Wachtmeiſters, wenn-
gleich ſie es ſo deutlich gehört hatten, als müſſe ſich der
Aechzende durchaus in dem nämlichen Raume befinden.

„Was iſt das?“ fragte der Major. „Gibt es denn
hier unten noch einen anderen Kranken?“

Auch Eliſabeth war im erſten Augen-
blick heftig erſchrocken zuſammengefahten,
dann aber erinnerte ſie ſich, daß man ihr
geſagt hatte, der im Walde aufgeleſene
Taglöhner Jakubeit ſei in einem Verſchlage
neben dieſer Kammer untergebracht, und
ſie klärte Sixtus über die Herkunft des
räthſelhaften Stöhnens auf.

„Wir ſind nur durch eine dünne Bret-
terwand von ihm getrennt,“ fügte ſie hinzu.
„Aber ich werde Befehl geben, daß man
ihn anderswohin bringt, damit Dein Ka-
merad dieſe unheimlichen Laute nicht länger
zu hören braucht.“

Doch der Major ließ es nicht zu, daß
ſie ihre Abſicht zur Ausführung brachte.
„Mein Wachtmeiſter hört das Stöhnen
jenes Unglücklichen ſo wenig, als er Deine
liebe Stimme hören könnte. Und mir flößt es
kein Entſetzen ein. Der Krieg hat mich an
Schlimmeres und Grauſigeres gewöhnt.“

Nach einer Weile wurden die Klage-
töne denn auch ſeltener und ſchwächer.
Sixtus aber mahnte Eliſabeth an ihr Ver-
ſprechen und drängte ſie liebevoll, zu gehen,
damit ihr langes Verweilen bei ihm den
Hausgenoſſen nicht verdächtig werde. Schwe-
ren Herzens entſchloß ſie ſich endlich zu
gehorchen, *

„Wohlan, ich gehe. Aber ich komme
zurück, wenn Alles im Schlafe liegt, und
wenn ich einen Weg zur Flucht für Dich
ausfindig gemacht habe. Vertraue auf
mich, Geliebter, wie ich auf die Hilfe des
Allmächtigen vertraue, der uns nicht ver-
laſſen wird, nachdem er Dich bis zu dieſem
Augenblick ſo wunderbar beſchützt hat.“

Zärtlich küßte der Major ihre Lippen.
Aber er hatte keine Erwiederung auf ihre
letzten, hoffnungsvollen Worte, und als
er dann leiſe die Thür hinter ihr ge-
ſchloſſen, ſagte er, an das Lager des ſter-
benden Wachtmeiſters zurückkehrend, voll
ſchmerzlicher Bitterkeit vor ſich hin:
„Warum ſollte ich es ihr offenbaren, daß
dieſer kommende Tag mein letzter iſt? —
Die Gewißheit, denke ich, kommt ihr immer

noch früh genug.“
 
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