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*

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geft 24.



— — — —


Jahrg. 1896.


Roman

ven

Friedrich Iarvbſen.

1

Landgerichtsgebäudes.

C6 |
\ Bureau zu begeben, um die

der Morgenpoſt zu erledigen. Unter dem
kühlen ſteinernen Vorbau des alten Gebäudes
traf er mit dem Landgerichtsdirektor Held
zuſammen, und die beiden Männer wechſelten
einige Worte miteinander, die auf das
Herannahen der Gerichtsferien Bezug hatten.
Vor den Beginn derſelben fiel noch eine
Schwurgerichtoͤperiode, und der Staatsan-
walt fruͤg, ob ſchon eine Beſtimmung über
den Vorſitz in derſelben eingegangen ſei.

„Geſtern Abend,“ entgegnete Held ge-
meſſen. „Es hat faſt den Anſchein, als ob
man höheren Ortes geneigt ſei, die zahl-
reichen bedenklichen Freiſprechungen der letzten
Sitzung auf meine Prozeßleitung zurückzu-
führen, denn ich bin diesmal nicht mit dem
Vorſitz betraut worden.“

Wilde zuckte leicht die Schultern. „Ich
bedaure das um ſo mehr,“ ſagte er höflich,


ausſetzungen beruhen würde. Im Intereſſe
der Staatsanwaltſchaft iſt Ihr Vorſitz immer
erwünſcht, Herr Direktor. Nebrigens ſtehen
diesmal keine bedeutenden Sachen an.“

„Auch nicht in Ausſicht?“ frug Held raſch,
und der Andere lächelte über den ehrgeizigen
Eifer des eingefleiſchten Kriminaliſten.

„Verbrechen kommen über Nacht, Ver-
ehrteſter. Indeſſen — wenn auch in dieſem
Augenblick eines begangen ſein ſollte, dann
müßte der Thäter doch ſehr begierig auf ſein
Recht ſein, wenn er in der bevorſtehenden
Schwurgerichtsperiode noch den Anſchluß er-
—— — /

„Iſt Ihnen ein ſolcher Fall aus Ihrer
Praxis bekannt?“

Nein, Herr Direktor, das geht im Allge-
meinen gegen die menſchliche Natur. Denk-
bar wäre er indeſſen —“

Wilde antwortete zerſtreut und ſah, ſeinen
Klemmer aufſetzend, über den freien Platz.




Der hat es eilig,“ brummte Wilde mißvergnügt,
„vielleicht iſt das unſer Fall.“
Und dann riß er das übergebene Papier ausein-


Da ſtand es in dem Lapidarſtil geſchrieben, mit
welchem folgenſchwere Begebenheiten gemeldet zu werden
4* bevor ſich über ſie ein Meer von Tinte er-
gießt:

„Holzknecht Binder in Steinberg verfloſſene Nacht
ermordet. Thäter Schäfer Rottmann verhaftet. Obduk-
tion heute Nachmittag drei Uhr.“

Wilde riß ein Blatt aus ſeiner Brieftaſche, ſchrieb
auf daſſelbe die noch kürzere Antwort: „Komme zum
Termin. Staatsanwalt.“ und übergab die Antwort
dem wartenden Boten.

Dann kehrte er vor dem Gericht um und begab
ſich geradeswegs nach dem Bahnhof. Er wußte, daß


währte in ſeiner nüchternen Faſſung nicht die Ausſicht
auf eine beſonders intereſfante Unterſuchung.
Es lag vielleicht nichts weiter vor, als der unglück-
liche Ausgang einer Schlägerei, wie ſie unter den
rauhen Bexgbewohnern auf der Tagesordnung ſteht,


hatte dann aus dem einfachen Thatbeſtande jenes Wort
geformt, das mit ſeinen wenigen Buchſtaben ſo ſchwer-
wiegend in die Wagſchale der Gerechtigkeit fällt.

Exſt als Wilde in den Polſtern des Wagens ſaß,
und die reizloſe Gegend ſeine Gedanken nach Innen
wandte, begann er ſich des einen der beiden Namen
zu entſinnen, die in dem Telegramm genannt worden
waren.

Franz Binder — der Staatsanwalt wußte jetzt
plötzlich auch den Vornamen — hatte bereits einmal
vor den Schranken des Gerichts geſtanden, und zwar
in einer Anklageſache wegen Meineids. Es war auch

der Verdacht gegen ihn erhoben worden, daß
er den Nachtwächter von Steinberg durch


einen Stoß in's Waſſer umgebracht habe,
allein die einzig belaftende Ausſage ſeines
Schwiegervaters — nun kam Wilde auch auf
den Namen des Letzteren, und das mußte
eben der Schäfer Rottmann ſein — dieſe
Ausſage hatte nicht zu einer Verurtheilung
hingereicht, und Binder war nur wegen
eines gleichzeitig begangenen Meineids mit
zweijähriger Zuchthausſtrafe belegt worden.

Er haͤtte dieſe Strafe auch in der Anſtalt
zu Waldheim verbüßt, und mußte dann wohl
in ſein Heimathsdorf entlaſſen worden fein. ...

„Station Waldheim!“

Der Staatsanwalt verließ den Zug und
blickte ſich um.

Vor ihm hob ſich das Gebirge in dunkeln
Umriſſen aus der Ebene; der Schienenſtrang
lief am Fuße desſelben weiter, und dié
Station beſtand nur aus wenigen Gebäuden.
Rechts von der kleinen Empfangshalle lag
ein Wirthshaus, links von derſelben in einiger
Entfernung ein großer würfelförmiger Bau
aus rothen Backſteinen, der mit einer gleich-
farbigen hohen Mauer umgeben war. Das
war das Zuchthaus, welches dem Ort ſeinen
Namen gab; die fenſterloſe Rückwand des-
ſelben. war dem Gebirge zugewandt, die
zahlreichen vergitterten Fenſter der mächtigen
Front gingen auf den Hof, und gewaͤhrten
in ihrer oberen Lage einen Blick in das reiz-
loſe, flache Land.

Es hatte wohl bei der Anlage die Er-
wägung obgewaltet, daß jene Ausgeſchiede-
nen nicht werth ſeien, ihr Auge an dem An-
blick einer großartigen Natur zu erfreuen,
aber man hatte vergeſſen, den Direktor der

Anftalt von dieſer Maßregel auszunehmen.

Waldheim galt in der Gegend auch als eine
Strafe für den Leiter des Zuchthauſes.
Der Staatsanwalt begab ſich zunächft in das Wirths-

3 fam ein Telegraphenbote eiligen Schrittes durch ſich daher keineswegs; auch ſonſt zeigte er keinerlei l
die Sonnengluth! * ** — — — Spuren von Spannung oder Gemüthsaufregung, denn haus und beſtellte einen Wagen nach Steinberg; dann
ſchon von Weitem zu erkennen, denn er winkte mit | ein Mord war in ſeiner langjährigen Beamtenlaufbahn ging ev, bis die Fütterung der Pferde beendigt war,
einem Telegramm. | feine Seltenheit, und das überſandte Telegramm ge: | in die Anſtalt hHinüber. 2
 
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