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Heft 29.


2


Zahrg. 1896.

Das heilige Recht.

Roman von Friedrich Larobfen.

(FortjeBung und Schtuß)

(Nachdruck verboten.)

dolph Körner hatte das Urtheil ſtehend angehört;
er legte beide Hände vor ſich auf das Holz der
Schranke, und man ſah es ihm an, daß er ſich
nur mühſam ſtützte; in dieſer Stellung öffnete
er die Lippen, ſchloß ſie wieder und ſagte endlich mit
undeutlicher Stimme. „Ich unterwerfe mich dem Urtheil
und verzichte auf ein Rechtsmittel.“
Damit war die Strafe rechtskräftig, und Adolph
Körner von dieſer Sekunde an ein Zuchthäusler.
Der Schwurgerichtsſaal begann ſich langſam zu
leeren, das Publikum drängte hinaus in die Freiheit,


Richter und Staatsanwalt gingen nach Haus. Zuletzt
blieb Niemand zurück als der Angeklaͤgte und ſein
Vertheidiger, während der Gerichtsdiener zögernd im
Fintergrund ſtand, und dann, als ob er nach einer
Beſchäftigung ſuche, langſam die Gasflammen auszu-
löſchen begann.

Der Saal war allmälig immer dunkler geworden,
und zuletzt brannte nur noch eine einzige Gasflamme an
dem äußerſten Ende des großen, hochgewölbten Raumes.

Sie reichte gerade hin, um ein trübes, troſtloſes Dämmer-
licht zu verbreiten, und dieſer kleine Stern konnte nicht
als das Symbol der Hoffnung gelten, ſondern er mahnte
unwillkürlich an jene letzte Stunde, die einſtens für
uns Alle eintritt, an jene ernſte Stunde, wo rings um
uns der Glanz des Lebens erliſcht, wo unſer Daſein
in einen ſchwebenden Funken zuſammenſchmilzt, den
die Dämmerung zu erſticken droht, und wo dann
eine Geſtalt an uns herantritt, die zu uns ſpricht:
„Komm mit.“

Und auch an den Verurtheilten trat eine Geſtalt
heran. Es war der Gefangenenwärter, der ſeine ſchwere

Vruno Schmitz.

Nach einer Photographie von Erich Sellin E Co, in Berlin! (S. 671)



Hand auf den Arm Adolph Körner's legte und einige


Cr haͤtte den ſeiner Obhut übergebenen Gelehrten
bis zu dieſem Augenblick mit jenex Achtung behandelt,
die der niedrig ſtehende Menſch unwillkürlich dem
Höhergeſtellten und Gebildeten zu exweiſen pflegt; er
hatte ihn ſtets „Herr Doktor“ angeredet und feine An-
ordnungen in die Form der Bitte gekleidet; aber in
dem langjährigen Verkehr mit den Gerichten waren
ihm einige Paragraphen des Strafgeſetzbuchs zu Geſicht
gekommen, und er glaubte — wenn auch irrthümlich —
annehmen zu müſſen, daß eine erkannte Zuchthausſtrafe,
auch wenn ſie nicht mit Aberkennung der buͤrgerlichen
Ehrenrechte verbunden ſei, den Verluſt eines jeglichen
Titels zur Folge habe.

Er legtẽ deshalb ſeine Hand auf den Arm des
Gerichteten und ſagte einfach: „Kommt mit, Körner.“

Es mar gegenüber dem Verluſt der Freiheit, im
Angeſicht einer ſchimpflichen Strafe ſo gleichgiltig, ob

in dieſem Moment jene Hezeichnung gebraucht wurde,
die ebenſowohl der Freundſchaft wie der Geringfchäßung
entſpringt, aber ſie traf den jungen Arzt mitten in das
Lerz. Denn ſie war der Anfang einer Kette von
Demüthigungen.

Adoalph Körner hörte ſeinen Namen ohne jene ehren-
volle Bezeichnung! die er einſt vor Jahren als Lohn
für Arheit und Opfer ſeinen Eltexn zu Füßen gelegt
hatte; ſein ganzes verfloſſenes Leben drängte ſich mit -
unerbittlicher Klarheit in dieſe eine ſchreckliche Sekunde
zuſammen, und mit dem Ausruf: „Meine armen,
armex Eltexn!“ legte er den Kopf auf das harte Holz
der Schranke.

Dann aber hörte er ein leiſes Klirren, er ſah in
der halb verborgenen Hand des Gefangenenwärters etwas
blitzen und ſtreckte ſeine beiden Haͤnde aus: „Nicht
feſſeln; o bitte, nicht feſſeln!“



Nikolaus Geiger.
Nach einer Photographie von Ludwig Fröhlich in Berlin. (S. 671)

und Stille fiel von draußen ein Schein und kam von
außen ein Ton. Das ſanfte Licht des Abendhimmels
trat hinter ſturmzerwehten Wolken hervor, ſtahl ſich
ſacht durch die Bogenfenſter des Schwurgerichtsſaales
und haftete flimmernd an einem großen Deckengemälde,
welches den Engel der Barmherzigkeit, das Symbol
der Enade darſtellte. Und von dem nahen Thurme
des Domes läutete in tiefen, ſummenden Tönen eine
Glocke; denn morgen war Feiertag.
 
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