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38

Antler der Dornenkrone.

Roman in drei Büchern.
Von

z Fedor v. Zobeltit.

t Is (Fortsetzung.)




(Nachdruck verboten.)

it den Rennen dürfte es vorderhand vorbei

|! sein, “ bemerkte Dolores, ein leichtes Gäh-

IF nen verbergend.

„Es. iſt mix auch lieb ſo,“ ſagte der

Ê Haciendero, „ich habe bei Gelegenheit ande-
reg und beſſeres mit dem „Montezuma“ vor.

Es soll mir recht sein, wenn er ein wenig in Ver-

geſſenheit gerät. .. . Was iſt ſonſt neues? Iſt Diaz
zurück?“

“ „Ja, Herr, er iſt vor wenigen Minuten eingetroffen,

aber nach dem, was er berichtet, ſcheint mir's, als ob

Ihre Meinung, daß wir vorläufig nichts zu fürchten

haben würden, irrig wäre.“

Palacio ſchaute überraſcht empor, und auch Dolores
richtete ſich neugierig auf.

„Hat Guaymas kapituliert?“ !

„Nein ~ o nein, in Guaymas iſt alles ruhig, aber
Taori, mag ihn der Himmel verderben, hat die von
General Morales vertriebenen Yaquis wieder geſam-
melt, mit seinen Opatas vereinigt und sich mit der
ganzen Bande zu den Kaiserlichen geſchlagen. Ge-
naueres hat auch Diaz nicht erfahren können, do
meint er, dem Hörensagen nach, daß Taori ſich der
Diviſion der Generale Frascalan und Langberg an-

_ geſschloſſen habe, die mit starker Truppenmacht von

Sinaloa aus anrücken. “

Palacio war aufgeſprungen.
„Das wird ernſt, Parforio !“ .
/ „Um so ernſter, als auch Mr. Fleeps wieder von

sich reden macht. Nicht nur, daß er auf eigene Rech-
nung Geld prägen ließ, die Kaiserlichen reich unter-
sſtütk – man will sogar wiſſen, daß er ein Freicorps
gegründet hat, lauter gut bewaffnete, tüchtige Burſche
von der h;teyze. und damit dem General Frascalan zu

ilfe geeilt iſt. “ -
ht ſe uait UM ihre Zigarette achtlos zu Boden und
trat mit der Fußſpite das glimmende Ende aus. Dann
ſtand auch sie auf. / ,
„Dieser Fleeps iſt doch ein Nordamerikaner?" fragte
ſie ihren Stiefvater.

Palacio nickte. :

„Wie kommt es, daß er nicht wie die meiſten an-
deren ſeiner Landsleute, wie selbſt die Regierung in
Waſhington, auf seiten von Juarez steht?"

„Du fragſt mich zu viel, Kind. Meines Wissens
u vu zun
Uebrigens iſt er nicht Unterthan der Vereinigten Staaten
~ seine Bergwerke liegen noch im Merxikaniſchen.
Gleichviel – der Mann iſt gefährlich für uns !“

„Sehr gefährlich, Herr,“ bestätigte der alte Mayor-
domo mit bedächtigem Kopfnicken.

Palacio schritt einigemal mit nachdenklichem Geſicht
im Zimmer auf und ab und blieb dann vor ſeinem
{tuteltte ſiehen. „Du weißt, wen ich erwarte?“
ragte er.

„Ich weiß es.“

„Sonst niemand im Hauſe —~ niemand, außer uns
beiden und Dosa Dolores?“ :

„Es kann kein anderer darum wiſſen.“

_ JoHaben die Wachen das Loſungswort?“"

„Es iſt ihnen anbefohlen worden, niemand durch

die Gehege zu laſſen, der nicht die Loſung kennt.“

„Gut! Meine Gäſte werden nicht lange bleiben;
vielleicht reiſen sie noch im Laufe der Nacht weiter.
Für den Fall jedoch, daß wir angegriffen werden
sollten, ſolange ſie noch im Hauſe weilen, bürgst du
für ihr Fortkommen. Der Gang durch den Felsen
nach der Eſtancia del Cerro iſt lange nicht benutzt wor-

„Teufel!“ rief er,

„Das letzte Mal bei dem Ueberfall der Comanchen.
Das sind an die acht Jahre her –

„Schadet nichts, “ fiel Palacio ein, „es iſt nur not-
wendig, daß du die Schlöſſer revidierſt und den Schacht
öſfnen läßt, um friſche Luft in den Gang zu führen.
Im übrigen glaube ich an keine nahe Gefahr ~

Er brach plötzlich ab und lauſchte. Vom inneren

| Hofe aus wurde Wiehern und Hufgeſtampf von Pfer-

den und Stimmengewirr vernehmbar. Fackelſchein
leuchtete durch die Fenſter. Oberhalb der Zimmerthür
ſchlug ein Läutewerk an.

„Da ſind ſie ſchon!“ rief Palacio mit einer Un-
ruhe, die man ſonſt nicht an ihm kannte. „Geh ihnen
entgegen, Parforio, und führe die Herren hierher. Auch
sorge für Wein und Erfriſchungen und halte gegen
zehn Uhr die Mahlzeit bereit ~ wie ich beſtimmt habe,
in der unteren kleinen Halle!“



D a s B u < f ür Alke.

Der Mayordomo neigte ſtumm den Kopf und ging.

Dolores hatte nach einer neuen Zigarette gegriffen.
„Du wünſcheſt alſo meine Anwesenheit?“ fragte ſie.

„Es wäre mir angenehm – aus mancherlei Grün-
den – auch Aſawoums wegen .... Er hat seine
Tochter vergöttert und –~

Elin leichtes Auflachen unterbrach ihn. „Ich finde
es gar zu köſtlich, “ sagte Dolores mit unverhohlenem
Spott im Ton, ,„daß dir dieſe indianiſche Verwandt-
ſchaſt, nachhem du sie jahrelang nicht beachtet haſt,
plötzlich ſo warm am Herzen liegt!“

Palacio, der an das Fenſter getreten war, wandte
ſich mit brüsker Bewegung um. Eine Falte des Zorns
lag auf seiner Stirn. „Du würdest mich verbinden,“
entgegnete er ſcharf, „wenn du fürderhin mit deinen
ironiſchen Bemerkungen etwas vorsichtiger sein wolltest.
Du weißt, um was es ſich handelt!“

„Gewiß + um die ,heilige Sache der Republik“ ~
du haſt es mir hundertmal wiederholt!“

„Nicht allein um das! Nicht nur um einen Kampf
auf Leben und Tod gegen den Usurpator Mexikos,
sondern auch um die Vernichtung desſſen, der deinen
Vater auf die Galeeren ſchicken ließ und deine Mutter
mordete!"

Palacio hatte dies mit erhobener Stimme geſprochen.
Die schönen Augen Dolores’ vergrößerten ſich; ihre
Lippen bebten. Sie trat dicht an den Haciendero
eran. P
h „Iſt das wahr?“ fragte sie halblaut, mit ziſchendem
Klang der Stimme. „Es gilt auch Napoleon? Ihm,
a

Die Hand Palacios umſspannte mit festem Griff

< | das Armgelenk ſeiner Nichte. „Schweig jetzt!“ herrſchte

er ſie an. „Du haſt gehört, was auf dem Spiele ſteht,
g1h0 7§ sei klug und auch liebevoll gegen den Häupt-
ing !

tau klopfte leicht an die Thür. Palacio öffnete.
Der Mayordomo stand draußen und ließ zwei Männer
herein, wie mexikaniſche Farmer gekleidet, mit hohen
Reitstieseln, um den Kopf eine Art Kapotte aus Leder,
die tief über ihr Gesicht fiel.

Der Haciendero verneigte sich mit Unterwürfigkeit
vor dem zuerſt Eintretenden. „Gott und die heilige
Jungfrau mögen die Stunde segnen, da Eure Ercellenza
unter mein Dach treten,“ begann er.

Doch der andere fiel ihm haſtig ins Wort. „Keine

| Förmlichkeiten, Eſtobal, “ sagte er, ſeine Kappe löſend;

„haben wir uns auch lange nicht geſehen, so ſind wir,
denke ich, doch noch die alten Freunde von früher –
du und ich, Eſtobal!“ .

Seine Hand ſchlug feſt in die des Haciendero ein.

Inzwiſchen hatte auch der zweite Gaſt die ver-
hüllende Kapotte vom Haupt genommen. Jetzt erſt
sah man, daß es ein Indianer war, nach dem Schnitt
des Gesichts und der ſchönen Gliederung seines Körpers
freilich einer reinſter und edelſter Rasse.

Es war ein Mann, der vielleicht ſchon an der
Schwelle des Greiſenalters stand, denn sein Antlitz
h! ts rurhtac h. ry u hte qutcligÜten hravnen
Aber dieſer Greis war ein Rieſe, hochgewachſen, mit
breiten Schultern und einer Gestalt, die nur aus Sehnen
und Muskeln zu beſtehen schien. Ein leuchtendes
Augenpaar stand unter der Stirn; in ſcharfem Bogen
trat die Naſe aus dem Profil hervor, mit feinen Flü-
geln, die unablässig vibrierten wie die Nüſtern eines
edlen Hengſtes. Der Mund war ſchmal geſchnitten,
das Kinn breit und ſtark, von eminenter Willenskraft
Pitten crſtelt st t t,5 tuts Kinſltätte vat
Häuptling der Apachenſtämme, der Reformator der
yetzumerilantihen Indianer, verachtete dergleichen

arbareien. :

Auch sein Begleiter ~ das zeigte ein erſter Blick
in das kupferfarbene Geſicht ~ konnte seine Abstam-
mung von den Indianern nicht leugnen. Er that es
auch nicht, wenigstens nicht, wenn die politiſchen In-
tereſſen es erforderten, seine persönliche Eitelkeit zu
unterdrücken. Benito Juarez, der ehemalige Präſident
der Republik Mexiko, war keine imponierende Erſchei-
nung. Neben der Rieſengeſtalt des Häuptlings erſchien
z! tler h Eht preité Narbe quer uber rie echt:
noch häßlicher erscheinen, doch wurde es von klugen,
durchdringenden Augen belebt. Juarez ſah ſeiner
ganzen äußeren Haltung und der Lebendigkeit ſeiner
Bewegungen nach wie ein Mann Ende der Vierziger
aus; thatſächlich aber hatte er bereits das ſechzigſte
Lebensjahr überſchritten.

Während er mit einigen liebenswürdigen Worten
Dolores begrüßte, war der Apachenhäuptling ſchwei-

. gend an der Thür stehen geblieben. Seine dunklen

Augen ruhten mit eigentümlichem Ausdruck, in dem
niedergekämpfte Rührung mit einer gewiſſen Neugier
ſich paarten, auf dem jungen Mädchen, das mit ſicht-
licher Verlegenheit kämpfte.

Juarez merkte es und lächelte. „Nun, Häuptling,"
sagte er, seine Hand vertraulich auf die Schulter des



Heft 2.
flohen legend, ,„haſt du kein Wort für dein Enkel-

In dieſem Augenblick hob Dolores den tief ge-
senkten Kopf und stürzte dann mit dem ſchluchzenden
Aufſchrei: „Großvater!“ dem alten Indianer zu Füßen,
Path eier Rechten haſchend, um sie mit Küſſsen zu
edecken.

Etwas Seltſames mußte im Herzen des Häuptlings
t VU GUU4 oy Enriuuen heth . iet
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feucht. Er neigte sich über Dolores und hob ſie auf.
Einige Sekunden lag sie an seiner Bruſt, dann ſchob
er ſie mit ſachter Bewegung von ſich.

„Nun geh," sagte er in reinem, accentfreiem Spa-
niſch. „Hier haben Männer zu reden.“

Palacio, der unter leiſem Plaudern mit Juarez in
eine Fensterniſche getreten war, wandte sich um.

„Vergieb, Assawoum, “ bemerkte er, „ich möchte,
daß Dolores der Unterredung beiwohnt. Sie ist in
alle meine Pläne eingeweiht, sozuſagen mein Sekretär
~ jedenfalls die einzige Perſönlichkeit meiner Um-
gebung, der ich unbedingt trauen kann. Ich dente,
auch du, Juarez, wirſt nichts dawider haben ?"

„Ich habe noch nicht vergeſſen, welch großen Dienſt
uns Dosa Dolores im Vorjahr durch ihren Bericht
über die Vorgänge am Hofe Marimilians geleiſtet hat,“
erwiderte der Diktator mit leichter Verneigung. ,Sie
gehört zu unſeren getreueſten Bundesgenossen. “

Der alte Indianer ſchaute finster vor sich nieder.
Die ererbte Nichtachtung vor den Fähigkeiten des
Weibes ließ sich nicht ſo leicht unterdrücken.

„So bleibe das Kind,“ sagte er endlich.

Palacio klingelte nach dem Mayordomo, befahl ihm,
für die nächſte Stunde niemand auch nur in die Nähe
des Zimmers zu laſſen und ließ Wein bringen. AMa-
woum lehnte ihn ab, zog aber ſeine Thonpfeife hervor
und begann zu rauchen. Auch Juarez hatte sich mit
Erlaubnis von Dolores eine Zigarre angesteckt.

Man hatte endlich Platz genommen.

„Zunächst einige Worte über unsere Lage, “ begann
der Diktator, nach seiner Gewohnheit raſch mit der
flachen Hand über seine Augen ſtreichend. „Am wich-
tigîten für den Augenblick iſt uns der unbeschränkte
Beſit, der Sonora. Der Hafen von Guaymas beherrſcht
den ganzen Kaliforniſchen Meerbuſen. Noch liegt die
französſiſche Flotte daſelbſt, aber ich habe sichere Nach-
richten, daß sie bereits vor Beginn des Frühjahrs ab-
segeln wird: Bazaine hat seine guten Gründe, den kaiser-
lichen Präfekten in Guaymas fallen zu laſsen, deſſen
Geldnot so groß geworden iſt, daß er zu einer Zwangs-
anleihe seine Zuflucht nehmen mußte, die eine gänzliche
Stockung des Handels hervorgerufen und viele Hun-
derte an den Bettelſtab gebracht hat. Der Besitz der
Sonora iſt aber hauptſächlich deshalb so wichtig für
uns, weil hier Ortega seine feſteſte Stütze hat. Aus
diesem Grunde habe ich eine Verſtändigung mit Aſsſa-
woum geſucht, dem einzigen Feinde, der den neuen
Verbündeten der Kaiserlichen, Taori und seinen India-
nern, Respekt einzuflößen versteht.“

Der Sprechende ſchwieg, wohl nur, um eine kurze
Ruhepauſe eintreten zu laſſen und sich durch einen
Schluck Wein zu kräftigen. Diese kleine Pauſe aber
benutzte Palacio, ſich direkt an den Apachenhäuptling zu
wenden, der ſchweigend im Seſſel hockte und Zug um
Zug aus seiner Thonpfeife rauchte.

„Wir wissen wohl, Aſsawoum, “ sagte der Hacien-
dero, „daß deine Völker keine unmittelbaren Interessen
an der politiſchen Ausgestaltung Mexikos haben. Ihr
wohnt an den Grenzen des Reichs, und die meiſten
deiner Stämme ſtehen unter dem Schutze der Ver-
einigten Staaten, einem besſeren, als ihn die Regierung
Maximilians gewähren kann. Aber die Indianer der
Sierra, vor allem die Opatas, sind von alters her
eure erbittertſten Feinde gewesen. Die Sippe Taoris
hat mit der deinen, so sagt man, ſeit einem Jahr-
hundert und darüber in blutiger Fehde gelebt; Taori
ſelbſt war es, der deinen Bruder erſchlug und seinen
Skalp monatelang am Gürtel trug. War's ſo, Aſga-
woum?" j

„Es war ſo,“ ſagte der Häuptling nickend.

„In allen euren Kämpfen,“ fuhr Palacio fort,
„ſtanden Taoris Krieger auf ſeiten eurer Gegner. Als
die Leute von Arizona ohne jede Veranlaſſung eure
Dörfer niederbrannten, stürmten ihnen die Opatas zu
Hilfe – und wenn ihr wieder einmal das Kriegsbeil
gegen eure grimmigsſten Rivalen ausgraben werdet,
gegen die Comanchen ~ die Opatas werden den alten
Hader vergeſſen, der ſie von den Kriegern des Prairie-
wolfs trennt, und sich ihnen zugesellen, um euch ver-
nichten zu helfen. Glaub mir's, Aſſawoum!“
Mudhé' V. 'rcſe Chapel ' ſarte s ſfſhutehch.
in dem ruhigen, gleichmäßigen Tonfall, der den In:
dianern eigen iſt, aber ohne die blumenreiche Um-
schreibung, die sie lieben. „Du irrſt: Apachen und
Comanchen sind fürderhin keine Feinde mehr. Wenn
 
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