Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 2.

Da s Buch für Alle.

59



ich rufe, werden die Scharen des Prairiewolfs bis auf

_ den letzten den Meinen folgen, wohin ich sie auch
Fh! res ſtutzte, und auch Palacio und Dolores ver-
mochten eine Bewegung des Erſtaunens nicht zu unter-
drücken... (

„Das iſt eine überraſchende Neuigkeit, “ nahm der
Diktator das Wort. „Apachen und Comanchen unter
einer Führung ~ fürwahr, ich hätte eher geglaubt,
der Himmel würde über uns einstürzen !“

„Was woillſt du, Juarez?" entgegnete der Häupt-
ling; „einigen ſich nicht häufig die erbittertſten Gegner,
wenn es gilt, einen gemeinſamen Feind zu bekämpfen?"

Palacio hielt den Atem an; Juarez neigte sich weit
zu Asſſawoum herüber, und ſein Blick ſchien in den Augen
des Alten leſen zu wollen. „Und dieser gemeinſame
Feind,“ stieß er hervor, ,„iſt auch für euch ~

„Der Kaiſer von Mexiko,“ vollendete Aſſawoum
gleichmütig. Einen Augenblick schwieg er, als wolle
er den beiden Zeit laſſen, die ungeheure Tragweite
dieser Eröffnung in Erwägung zu ziehen. Dann fuhr
er mit seiner sanften, wohlklingenden Stimme fort:
„Hört zu, weshalb! Durch alle unſere Völker geht eine
uralte Sage, daß dereinſt ein weißer Mann kommen,
der sie aus Sklaverei und Erniedrigung zu alter Frei-
heit und Größe führen würde. Als Maximilian Ein-
zug hielt in Mexiko, da jubelten ihm die Indianer

" entgegen und ſcharten ſich um ihn, denn sie glaubten,

er wäre der, der ihnen verheißen worden sei. Ich aber
weiß es beſſer. Ich weiß, daß jene Sage aus den
Zeiten stammt, da die ersten Weißen bei uns erſchienen,
und daß sie von da ab nur künstlich genährt und auf-
recht erhalten worden ist, damit immer und allezeit im
Herzen des indianischen Volkes der Gedanke an das
Üebergewicht der weißen Raſſe lebendig und rege bleibe.
Es giebt eine Stelle innerhalb der Grenzen eures Reiches,
da liegen ungeheure Schätze vergraben. Seit Jahr-
hunderten ſchlummern sie unter Felsgeſtein, und. mein
Auge allein hat sie seit der Zeit erblickt, als der erſte
Eroberer dieſes Landes ſeine Beute dort verbarg, um
ſie nach seiner Rückkehr mit in die Heimat zu nehmen.
Aber er kehrte nicht wieder, und seine Schätze blieben
Ir C mi trwecldschg tief in vir Ertnnsruns he:
graben hat. Eine Denksäule war es, mannshoch, aus
reinem Golde, von wunderlicher Form und mit ſelt-
samen Zeichen bedeckt. Aber ich kannte dieſe Zeichen,
die vielleicht auch die großen Gelehrten eurer Städte
nicht einmal zu entziffern vermöchten. Ich kannte sie,
weil mein Vater sie mich gelehrt hatte, weil es die
Schrift meiner Sippe war, von Geſchlecht zu Geſchlecht
übernommen, die Verständigungszeichen derer, die von
den alten Beherrſchern des Landes noch übrig geblieben
waren. Und ſseltſam ~ da ich eines Tages Atuka,
den Comanchenhäuptling, den man den Prairiewolf
nennt, obſchon er mehr ein Lamm iſt, als ein reißen-
des Tier, zu einer Beſprechung in seinem fernen Wig-
wam auſſuchte, ergab es der Zufall, daß auch er jene
Schriftzeichen verſtand. Da ſtürzte er vor mir nieder
und rief die Großen seines Stammes herbei und gab
mir das Beil seiner Häuptlingſchaft in die Hand. So
wurden aus den alten Todfeinden Brüder, wie ehe-
î mals, vor undenklichen Zeiten, ehe der erſte Weiße
seinen Fuß an unsere Küſte setzte.“ :

Der alte Indianer atmete auf und führte wieder
die Pfeife zum Munde.
der eigentümlichen Erzählung deſſen gelauſcht hatte,
mit dem sie durch eine wunderliche Verkettung von
Ereigniſſen in naher Blutsverwandtſchaft ſtand, ſprang
empor und reichte ihm Feuer.

Auch Palacio hatte, während Aſſawoum ſprach,
keinen Blick von dem starren braunen Gesicht des
Häuptlings gelaſſen. Am tiefsten aber ſchienen Aſsga-
woums Mitteilungen auf Juarez zu wirken. Er stammte,
wie schon erwähnt, ſelbſt aus indianiſchem Geblüt und
wußte, daß in vereinzelten Indianerſtämmen Sagen
von einer herrlichen Vergangenheit noch lebendig waren.
Ihm war bekannt, daß man noch heute bei den Rot-
häuten in Texas, in Honduras, Yucatan und Guate-
mala vielfach auf Sprachreſte stößt, die unwiderleglich
darthun, daß dieſe kupferbraunen Wilden von jenen
alten Tolteken abſtammen, die im ſechſten Jahrhundert
aus dem Norden Amerikas in das ſpätere aztekiſche
Gebiet einwanderten, um hier für die nachfolgenden
Brudervölker Vermittler und Träger einer hohen Kultur
zu werden. Er entſann sich auch gar wohl der Mythe
von einem fabelhaften Schatze aus der Aztekenzeit, der
an geheimnisvoller Stelle der Erde anvertraut und
nie gehoben worden ſein sollte. Anfangs der fünfziger

Jahre hatte ſogar der damalige Präſident Arista zwei
sranzöſiſchen Abenteurern aus edlem Geblüt, den Grafen
Charles de Pindray und Raouſſet-Boulbon, die Er-
laubnis erteilt, mit raſch geworbenen Freibeuterſchwär-
men in das Indianergebiet einzubrechen, um nach jenen
kcihen Schätzen zu forſchen, was jedoch vergeblich ge-

ieben war.

Nun kam der alte Apachenhäuptling und be-
hauptete, mit eigenen Augen diesen Schatz geſehen

Dolores, die mit Spannung



zu haben! Juarez hatte, ehe er sich mit Aſſawoum
in Verbindung gesett, genaue Erkundigungen über
dieſen einziehen laſſen. Sie bestätigten das, was er
selbſt bereits über ihn gehört hatte. Schon seine Groß-
eltern waren für die Ziviliſation gewonnen worden
und führten den ſspaniſchen Namen Cavallos. Der
Vater Aſſawoums war Beamter in der Grenzfeſtung
Mason gewesen und hatte seinen Sohn über ſeinen
Stand hinaus erziehen laſſen. Aber von Jugend auf
war dieſer Sohn ein wilder, unbändiger Burſche, von
tollem Thatendrang erfüllt und zugleich von einer
glühenden Liebe zu seinen bedrückten und niedergetre-
tenen Stammesgenoſſen. Gerade in Arizona, das erſt
Anfang der fünfziger Jahre durch Kaufvertrag mit
Mexiko zur amerikaniſchen Union geschlagen wurde,
hatten die Indianer ein bedauernswertes Schickſal.
Aſssawoum oder wie er damals noch hieß, Juan Ca-
vallos, setzte ſich an die Spitze der Empörer; die Flam-
men des Aufstandes ſchlugen in der ganzen Provinz
empor, und mit unmenſchlicher Grauſamkeit wütete
Juan mit seinem Bruder Jacinto ~ demſelben, der
ſpäter durch den Opatahäuptling Taori erſchlagen wurde
~ gegen die Unterdrücter ihrer Raſſe. Jahrelang
währte der mit wechſelndem Glück geführte Krieg.
Längſt hatte Juan seinen früheren Namen aufgegeben
und nannte sich nunmehr Aſsſawounm,, d. i. „Der fliegende
Pfeil‘. Anfänglich hatte ihn nur der kleine Stamm
der Mekrelis zum Häuptling erwählt, aber Aſſawoum
hatte Tyrannenblut in den Adern; unter seiner Hand
einigten sich die gesamten AÄpachenſtämme. Er kehrte
nie wieder in bürgerliche Verhältniſſe zurück. Anfäng-
lich durfte er es nicht wagen, sich in den Städten zu
zeigen, denn über seinem Haupte ſchwebten nicht weniger

als sechs Todesurteile. Späterhin, als Amnestien und

Verjährung ihn frei gemacht hatten, verſchmähte er
es, vor den Siegern zu Kreuze zu kriechen ~ vielleicht
wußte er auch, daß trotz aller Begnadigung der Strick
für ihn dennoch bereit lag. Er blieb in der Wildnis,

schlug seine Zelte auf, wo es ihm beliebte, und führte

das regelloſe Jägerleben der Apachen, deren Führer er
war. Als ſolcher freilich war er der König seiner
Völker, die ihn vergötterten und deren Nationalheld
er geworden. Wundergeſchichten wußten die Zeitungen
von ihm zu erzählen, von seiner grauſamen Strenge,
doch auch seiner weiſen Klugheit. Was den Eroberern
nicht gelungen war, glückte ihm; er trug den Geiſt der
Ziviliſation in seine roten Völker. Allerdings nicht
immer auf eine Art und Weise, die den Regierungen

in Waſhington und in Mexiko gefiel: er weckte in den

Yrdietern das Nationalgefühl, das sie nicht haben
urften. :

Alles das wußte Juarez ~ auch, daß Aſſawoum
ſich schließlich ein Weib genommen hatte, daß ſeine
einzige Tochter von einem mexikaniſchen Abenteurer
entführt worden war, und daß jene tragiſchen Geſcheh-
niſſe tief in das Seelenleben des Häuptlings eingegriffen
hatten. Aber das kümmerte den Diktator wenig; viel
wichtiger waren für ihn die Eröffnungen, die Aſsſa-
su u! is ht ai ~ Troy eines gewissen
rhetoriſchen Schwungs, den der alte Häuptling sich in
einem Menſchenalter ſtändigen Verkehrs mit den Sei-
nen angewöhnt, hatte er doch klar und logiſch ge-
sprochen. Es war nur die Frage, ob der verſchmittte
Indianer nicht Hintergedanken hatte –~ ob er nicht
log oder absichtlich übertrieb. Vielleicht war die Ge-
schichte von dem fabelhaften Schatte und dem Tolteken-
denkstein, den er entdeckt haben wollte, eine solche Ueber-
treibung, um ſseine plötzliche rätſelhafte Freundſchaſt
mit dem Comanchenführer zu rechtfertigen. Gleichviel
~ beſtand dieſe Freundſchaft in der That, und waren
die vereinigten Apachen und Comanchen bereit, der
Juarisſtiſchen Sache zu dienen, so mußte der Diktator
die iht gereichten Hände feſthalten ~ koste es, was
es wolle.

„Soweit ich dich verſtehe, Aſſawoum, “ sagte er,
„Jlaubſt du, daß auch die Comanchen dem großen
Athabaskavolke angehören, dem ihr entſtammt, und daß
die Wurzeln ihres Urſprungs und des euren die gleichen
ſind. Hat dir die Inſchrift auf der goldenen Säule,
die du unter den Schätzen des Cortez gefunden haſt,
darüber Aufschluß gegeben?"

„Gewiß,“ entgegnete der Häuptling, „denn sie kann
nur dem verſtändlich sein, in deſſen Geſchlecht, wie in
dem meinen, der Wortſchat und die alte Bilderſchrift
des Toltekenſtammes noch aufbewahrt wird."

„Und was besagt jene Inſchrift?“

„Sie straft die Sage von der Errettung der roten
Rasse aus Not und Elend durch einen weißen Mann
Lügen. Es iſt eine Prophezeiung aus Priestermund,
die von ſchwerer Fremdherrſchaft spricht, von einer
Ueberflutung der Sonnenlande durch Feinde, die weit:
her über das Meer kommen, und deren Herrſchaft die
Völker weichen müssen, die zum Quetalcoatl beten.
Aber, so heißt es weiter, wenn die Fremden auf der
Höhe ihrer Macht stehen, wird ein Nachkomme derer,
die von ihnen unterdrückt worden ſind, sie ſtürzen und
ihre Stärke brechen."



_ Juarez stützte den Kopf in die Hand. Das war
eine von jenen Prophezeiungen, wie sie zu allen Zeiten
und unter allen Völkern in ähnlicher Form lebendig
Paten: het Ausdruck der sſehnenden Menſchheit nach
eſſeren Tagen. : ;

„Es iſt zweifellos,“ sagte er, „daß der Gedanke,
den jene Inſchriſt ausſpricht, eine ungeheure Begeiſte-
rung unter den Indianern entfachen würde, wenn man
ihn geſchickt zu verwerten verſtände. Wen aber, Aſſa-
woum““ ~ und ſein dunkles Auge ſenkte sich tief in

das des Häuptlings – „wen ſFoll man ihnen als den
von Gott erwählten Führer nennen, der berufen ſien

würde, der roten Raſſe zu altem Glanz und alter Herr-

lichkeit zu verhelfen?"

„Wen anders als dich, Juarez?“ erwiderte Aſſa-
woum langſam. „In deinen Adern fließt das Blut
unſerer Raſſe, und schon einmal standeſt du an der
Spitze des Reichs. Willst du, so sind binnen heute
und acht Tagen die geſamten Stämme der Apachen
und Comanchen, sind an fünfzigtauſend tapfere Männer
bereit, deinem Schwert Kraft zu verleihen und dich
zum Siege zu führen.“ :

Juarez erwiderte kein Wort ~ er ſchaute noch
immer sinnend vor ſich hin. Aber Dolores sprang
auf, mit sprühenden Augen und bebender Lippe. Sie
pri rot den Händen Aſſawoums und preßte ſie in
en ihren.

„Dank dir, Großvater!“ rief ſie aus. „Du haſt das
Rechte getroffen, und dächten alle Indianer so wie du
und deine Genossen, dann wäre es nie möglich ge-
wesen, daß mit Hilfe der Schergen Napoleons ein
Yeſtettsichet den alten heiligen Thron Montezumas be-
tiegen hätte!“

Ein raſcher Blick des Diktators ſtreifte die ſchöne
Schwärmerin. „Brava, Dosa Dolores,“ ſagte e;
„ich sehe, daß man mir nicht zu viel von Ihnen und
Ihrem lodernden Patriotisnus erzählt hat. Wir
brauchen Frauen wie Sie. Ich höre, daß Sie in dem
Kloſter der grauen Schwestern in Mexiko erzogen
worden und eine intime Freundin der Oberin, der
trefflichen Doña Teresſa, ſind. Ist sie nicht eine
Schwester des Oberſten Miguel Lopez, des Flügel-
adjutanten Maximilians?" :

„Ja, Excellenza, und durch die Gattin Bazaines
auch mit dieſem verwandt.“

„Hm = das dünkt mich vortresflich, aber man ſagt,
_Uq Gemahlin Lopez’ stände der Kaiſerin Charlotte
nahe?“

„Auch das iſt richtig, doch ſie besitzt keinerlei Ein-
fluß auf ihren Mann, bekümmert sich auch wenig um
politiſche Dinge." :

„Um so beſſer. Ich glaube, Doña Dolores, ich
werde im Intereſſe unserer Sache ſehr bald Ihre Dienſte
in Anspruch nehmen müssen.“ .

„Es würde mich freuen, Excellenza, wenn auch ich
mit meinen beſcheidenen Kräften dem Vaterlande dienen
dürfte. Wär’ ich ein Mann und hätte zu befehlen ~

Juarez lächelte, aber ſchon im nächſten Augenblice
wurde ſein Geſicht wieder ernſt. „Glaubst du, Häupt-
ling, " wendete er ſich zu Aſſawoum, „glaubſt du, daß
die Indianer unserer Territorien, wenn man ihnen
gewisſe Zugeständniſſe macht, dem Beiſpiel der Apachen
und Comanchen folgen werden?"

„Nein,“ erwiderte Aſſawoum offen, „aber wir we.

den sie besiegen und unterwerfen.“ |

Der Diktator zog die Unterlippe zwischen die Zähne.Ô.
Die Gedanken wirbelten durch sein Hirn. Die Frage,
die er auf der Zunge hatte, wurde ihm ſchwer, aus-

zuſsprechen, denn er fürchtete ihre Beantwortung. Aber .

es half nichts ~ es mußte geſchehen.

„Es iſt ſelbſtverſtändlich, Aſſawoum, “ sagte er,
„Daß mir dein Vorſchlag, wenn deſſen Anregung ur-
ſprünglich auch von mir ſelbſt und von meinem Freunde
Palacio ausgeht, außerordentlich genehm kommt. Die
Macht der vereinten Apachen- und Comanchenstämme
iſt in unſerem Feldzuge kein zu unterſchätender Faktor,
und ich glaube auch, im Gegenſatz zu deiner Ansicht,

daß ſich manche, uns vorderhand noch feindlich geſnnen.

mexikaniſchen Stämme uns anſchließen werden, wenn
sie erst ſcehen, daß eure Völker zu den UnſJeren zählen.
Dennoch kann ich dein Anerbieten nicht annehmen, ehe
ich nicht weiß, was du für Gegenleistungen beanspruchſt. "

Der Häuptling legte ſeine Pfeife neben sich auf den
Tiſch. „Ich verlange viel, Juarez,“ antwortete er,
„und doch auch wieder wenig. Ich verlange nichts als
ein Versprechen. “

„Und welches, Aſſawoum?“"

„Für den Fall, daß du durch meine Hilfe Sieger
und unumſchränkter Herr Mexikos wirst, verlange ich
von dir das Verſprechen der Begründung eines großen
indianiſchen Reichs."

Juarez fuhr zurück, und Palacio erhob ſich ſchnell
und trat an das nächſte Fenſter. Nur Dolores ſchien
ein gewiſſes Verſtändnis für die Forderung Aſsſawoums
zu haben. Sie war schweigend am Tiſche ſiten ge-
Uichert das große glänzende Auge ſtarr auf den Indianer
gerichtet.

Assawoum griſf wieder nach ſeiner Pfeife und drückte
 
Annotationen