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Illuſtrirte Familien-Zeitung.

Jahrg. 1899.





Das DorfkKingd.

von

Gerorg Hartwig.

(Fortſezung.)

(Nachdruck verboien.)
Vierzebntes Kapitel.

laf Harmſſen hatte in dieſer Nacht den

4° tiefen Schlaf nicht finden können, dessen er

ſich ſonſt erfreute. ;

Die Ueberraſchung war zu groß ge-
weſen. Je mehr er ihr nachſann, desto
wunderbarer erſchien ſie ihm. .

Der perſönliche Eindruck, welchen die
bezaubernde Güte und Anmut der jungen
Frau ihm hinterlaſſen, wirkte verſtärkt in ihm fort.

Die Erkundigungen, welche er durch einen
befreundeten Polizeilieutenant über die Fa-
milie Tronkstein eingezogen hatte, waren nicht
danach angethan, ihm Gretas Eintritt in
dieſes Haus wünſchenswert erſcheinen zu
laſſen. „Schlechte Wirtſchaft und launen-
hafte Behandlung, “ lautete der Bericht.

Gegen zehn Uhr vormittags war Olaf
auf dem Wege zur Penſion.

„Frau Ehlers hat ſchon mehrmals naeh
Ihnen gefragt,“ wurde ihm beim Eintritt
dort geſagt.

ff! M ent Kinde ſchlug ihm das Herz
vor Freude. Zaudernd und doch ungeduldig
klopfte er an die ihm bezeichnete Thür.

Hatte Gretas Stimme „,Herein!“ ge-
rufen? Er drückte leiſe die Klinke nieder
und blieb einen Moment betroffen an der
Schwelle stehen; dann ſchloß er die Thür
haſtig hinter sich und ſchritt zum Sopha.

„Frau Greta! Was iſt dem?“. . |

Sie hob das Antlißg aus den Kissen,
noch feucht von vergoſſenen Thränen, ſah ihn
an, sprang auf und rang die Hände. (

„OD mein Freund! Mein Freund!“ Die
Stimme versagte ihr. „Jn dieſes Haus —
und n1üßte ich Hungers ſterben ~ in dieses
J4reslche entsetliche Haus gehe ich niemals,
niemals !“

Sie war außer ſich. Ihre Wangen glüh-

ch h tiefe Blau ihrer Augen strahlte faſt
dunkel.
„Ich bitte Sie, “ sagte Olaf nicht frei von
Argwohn gegen ihre Zurechnungsfähigkeit.
„Es kann ja niemand einen Zwang auf
Ihren Entſchluß ausüben. Dafür ſtehe ich
gut. - :

Sie atmete tiefer und tiefer, als quäle
ſich jedes Wort mühſam aus ihrer Brutt her-
vor. „Niemand = niemand !“ flüſterte sie,
zu Boden ſchauend. „Das sagen Sie so
ruhig, ſo nüchtern. Aber wüßten Sie,

©





wen ich in diesem Hauſe traf, wen ich sah, wer mir
folgte crs Antlitz verfärbte ſich. Er klemmte die Unter-
lippe zwiſchen die Zähne. „Wer?" forſchte er, Gretas
Hand drückend. „Wer war der Elende? Klauſſen doch
u Ihre Stimme brach. Sie ſchluchzte auf.
geber Sie?“ fragte Olaf gepreßt, ihre Han freie

Zucken wie ein Aufleuchten. über ihr reizendes Antlitz

flog. „Ihn zu ſehen,“ murmelte ſie gedankenverloren,

„der meine Welt geworden war, den Vater meines
Kindes – die Augen, die mir ins Herz ſtrahlten ~
ihn, deſſen Nähe ich mit banger Freude empfand, deſſen
Verrat –~
Sie ſchreckte empor. [
„Er selber, “ fuhr sie mit klarer Stimme fort, ihr
blondes Haar aus der Stirn ſtreichend, „den ich in
meiner Seele begraben wähnte ~ Jo tief, wie ſeines
armen Kindes Staub in der Erde.“ Sie preßte die



Kapikän zur See Faul JIaeſchke,
der neue Gouverneur von Kiautſchou. (S. 234)

Sie starrte vor ſich nieder, indes ein eigentümliches

innigem Druck.



Hände ineinander. „Und nun stand er vor mir ~
bleich, wirr, mir fremd und“ = ihre Lippen bebten
heftiger ~ „doch so wohlbekannt. O, mein Freund,
was da auf mich einſtürmte bei seinem Anblick!“

„Ist's Ihre Schuld, daß das Verhängnis Sie
dieſen Weg führte?“ warf Olaf beſchwichtigend ein.
„gh zweifle, daß Sie ihn freiwillig gegangen ſein
würden.“

„Fliehen!“ flüsterte Greta, ihm fest ins Auge ſehend.
„Fliehen war mein erſtes Gefühl, mein erſter bewußter
Gedanke; fliehen, so weit der Himmel blau iſt und
Menschen wohnen, unter denen ich mein Elend bergen
kann." Sie umſchloß Olafs Rechte mit feſtem,
„Aber was könnte meine Flucht
tt. Ich kann mir keinen inneren Gewinn davon
verſprechen. “

pt tze Sie den Schuldigen fliehen,“ sagte Olaf
feſt. „Fühlt er kein Bedürfnis, Ihnen aus dem Wege
zu gehen, Ihnen sollte es doch wohl leichter werden,
ein und dieſelbe Luft mit ihm zu atmen, = leichter
wenigstens als ihm, meine ich.“

Sie wandte ſich ab und lehnte einen Mo: .

ment ihre Stirn gegen die kühlen Scheiben.
Als sie ſich umkehrte, war ihre Haltung zu-
versſichtlich und feſt.

„Sie müſſen Geduld mit mir haben. Das
einzige Gefühl, das ich jetzt empfinde, ist
Dankbarkeit, daß ich in Ihnen, dem Freunde,
einen Schützer besize. Glauben Sie, daß
Klauſſen es wagen könnte, dem flüchtigen
: Besegnen it jenem Hauſe irgend welche Folge
u geben?"
hu ves liegt in Ihrer Hand, sich davor zu
ſichern. Die zweite Stellung, von der, Sie
gestern sprachen ~ :

â jet§!ltorioſtal vierzehn, “ fiel Greta leb-
aft ein.
„J. Er ſtutte. „Etwa eine Treppe hoch?“

„Ja, eine Treppe! Architekt Winter!“

Er lachte. „Verzeihen Sie,“ sagte er,
ſeinen Vollbart streichend. „Aber das Zu-
ſammentreffen iſt doch drollig. Juſt diese
Stelle wollte ich Ihnen namhaft machen.
Die Familie iſt mir eng befreundet. Und
was die Hauptsache iſt, man wird Sie dort
als Familienmitglied betrachten. Zum Be-
weiſe deſſen werden Sie die Dame ſelbſt.
bei ſich erſcheinen sehen, Sie abzuholen. “

Heute noch?“ fragte Greta mit weicher
Stimme.

„Zweifellos. Hier zu hausen, macht
Us wohl keinen besonderen Spaß, dente
ich.
. Sie ſprang auf. „Und was" ihr
. eizendes Antlit färbte ſich warm vor Freude
~ „was kann ich thun ~

„Wem? Mir?“ kam er ihrem Zaudern
zu File. Ist das zu
viel?" ';

. nZU viel?" flüsterte sie lächelnd. „Was
mir selbſt Freude macht!“

„Dann iſt's gerade das Rechte, " sagte
er, ihre Hand kräftig ſchüttelnd. „Und darum

„Vertrauen haben.
 
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