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Heft t6. Ikckustvierte Famibien-Deitung. Mrg m>


Eine Lebellssütlde.
Kotitätl veil llck. voll der Elbe.

zu ihrem Schreibtisch, schloß eine Schublade aus, wühlte
mit zitternden Händen zwischen Briespaketen und kam
mit einem zerknitterten Blatte zu ihrem vorigen Platz,
dem Sohn gegenüber, zurück.
„Hier ist der Bries, der mir damals aus meines

genaue Erkundigungen eingezogen. Vermutlich bist Du
auch längst selbst der albernen Entführungsgeschichte
überdrüssig. Deine Schöne ist gewöhnt, im Laden zu
stehen, sie wird sich leicht durchschlagen."
Helene ließ das Blatt sinken, das sie auch heute

(Zlvrtsehung.)

treulosen Gatten Rocktasche entgegenfiel. Er stammt
von Pauls Vater und scheint die Antwort zu sein auf

noch iit ihrer Hand zerdrückte, und sah den L-ohn mit
leerem Blicke an.

eine reumütige Bitte um Vergebung von seiten des
Flüchtlings. Höre, was der alle Herr schreibt:
„Da Du eingesehen, welch dummen Streich Du
gemacht hast, will ich Gnade vor Recht ergehen lassen
und Dich wieder in unserem Kreise nufnehmen. Ich
bin klug genug gewesen, Deine thörichte Flucht als eine
Studienreise zu bezeichnen, um ausländische Hospitäler
kennen zu lernen. Deine Geliebte mußt Du natür-
licherweise dort lassen, wo sie ist. Gegen solche Frauen-
zimmer, die mit einem jungen Manne durchgehen, hat
man keine Verpflichtungen. Ich wiederhole noch ein-
mal, daß Ms Kind einer Vorkosthändlerin, die Schwe-
ster eines Zuchthäuslers, nie die Ehre haben kann,
meine Schwiegertochter zu heißen. Du siehst, ich habe

„Du begreifst, Robert, daß ich aufs neue außer
mir, daß ich vernichtet war. Ich schleudere dies
schändliche Blatt in die Ecke des Zimmers. Ich sinke
in die Kniee, schlage mit der Stirn auf einen Stuhl
und breche in ein wildes Schluchzen aus. Es ist mir
klar geworden, daß er unsere rechtmäßige Ehe — von
vornherein auf einen feigen Rückzug bedacht — vor
den Seinen verheimlicht hat und daß ich in deren
Augen nichts bin, als eine leichtfertige Person.
Bei dieser Erkenntnis, mein Sohn, riß ich, unter
strömenden Thränen und wahren Todesschmerzen, die
Liebe zu dein Unwürdigen, die ich für unzerstörbar ge-
halten, aus meinem zuckenden Herzen. Ich beschloß,
für ihn tot sein zu wollen, sein. Andenken mit aller
Kraft, die ich besaß, auszulöschen. Diesct
Entschluß, so sonderbar es dir erscheinen
mag, stählte meinen Mut, so daß ich mich
aus meiner Zerschlagenheit aufzuraffen ver-
mochte.
Gegen Abend besuchte mich meine gütige
Hausgenossin. Sie wollte nachsehen, wes-
halb ich nicht wiedergekommen sei, und fand
mich in einem elenden Zustande ratloser Er-
starrung.
Vor ihrem mütterlichen Zureden schmolz
das Eis, das sich um meine Seele gelegt
hatte, und ich beichtete ihr alles — alles —
meine ganze trostlose Lage. Ja, ich holte
sogar dies zerknüllte Blatt aus dem Winkel
hervor und ließ es sie lesen. Ihren liebe-
vollen Trostworten öffnete sich mein Herz,
und ich erkannte, daß ich im fremden Lande
eine Freundin besitze. Sie beredete mich, am
anderen Morgen wieder in ihr Geschäft zu
kommen, und ich fühlte, daß die Arbeit für
mich ein wirklicher Segen war.
Paul ließ nichts wieder von sich hören:
aber zwei andere Ereignisse drängten sich
herzbewegend in mein Leben.
Es wurde mir zur Gewißheit, daß ich
Mutter werden sollte. Du kannst dir denken,
daß ich damals die Aussicht auf dieses Glück
mit sehr zwiespältigen Empfindungen aus-
nahm. Auch jetzt ward meine alte Freundin
mir zu einer wahren Stütze; sie schlug mir
vor, ich solle ganz zu ihr kommen, ganz
ihre liebe Tochter sein, und endlich wollte
sie mich sogar als solche mit allen Rechten
eines Kindes adoptieren.
Der Gedanke, den Namen des verhaßten
Mannes, der mich so namenlos beschimpft
hatte, ein für allemal abzuschütteln und somit
auch jede Spur, auf der er mir folgen und
mich wiederfinden könne, hinter mir zu ver-
wischen, veranlaßte mich, mit Freuden auf
den Vorschlag der Frau Boström einzugehen.

überlasse mich einer maßlosen Verzweiflung. :
Kraft, außer sich zu sein und zu wüten,
hat man, wenn man jung ist.
Erst nach Stunden finde ich Thränen,
komme ich dazu, seine kühlen Abschiedsworte
wieder und wieoer zu lesen. Er schrieb mir,
da er sich vergeblich abmühe, und ihm hier
nicht Glück noch Stern lächle, wolle er sein
Heil anderwärts suchen. Mir sei es ja ge-
lungen, eine Beschäftigung zu finden, die
meinen Gewohnheiten entspreche und die mir
eine sichere Existenz biete. Er könne nicht
umhin, unsere Verbindung als einen Irr-
tum zu erkennen, den auszugleichen die höchste
Zeit sei, un^ nicht völlig daran zu Grunde
Kst gehen. So scheide er denn, unter den

zu gehen. «Lo scheide er denn, unter den
besten Wünschen für mein Wohl, sür dieses
Leben von mir."
Die Erzählerin sprang, von innerer Er-
regung ergriffen, empor, es litt sie nicht
mehr in der Ruhe. Die entsetzliche Erinne-
rung trieb sie hin und her.
„Der Elende!" rief Robert. „Und dieser
treulose Verräter, der dich so hinterlistig im
Dtich ließ, ivar er wirklich mein Vater?"
Helene stand totenbleich, mit gerungenen
Händen vor dem Sohn. „Ja, er war es!—-
Wenn ich an jene Zeit denke, jene fürchter-
lichen stunden und Tage, nachdem er mir
feige den Rücken gewandt, schütteln mich noch
heute Grimm und Entsetzen.
Ohne Trost, voll hilflosen Jammers, irrte
ich in meinen beiden Räumen umher. Sein
Hausrock hing am Nagel, ich reiße ihn her-
unter, in einem Anfall von blinder Wut
zerzause und zerdrücke ich ihn. Eben als ich
ihn verächtlich von mir werfe, fällt ein Brief
aus der Brusttasche. Ich greife danach, mehr
in der Unruhe, etwas zu thun, als in der
Erwartung Aufklärung zu finden. Aber welch
ein grelles Licht sollte mir daraus entgegen-
leucht,n." "
Die Sprecherin ging mit hastigen Schritten

(Nachdruck verboten.)
elene stockte einen Augenblick in ihrer Er-
zählung, seufzte rind fuhr dann hastig zu
ihrem Sohne fort: „Ich hebe den Brief
auf, Pauls, meines Gatten Handschrift!
Als ich das Couvert abreiße, flattert eine
Hundertdollarnote zur Erde. Ich bin so tödlich er-
schrocken, ^so voll schwerer Ahnungen, daß ich auf den
nächsten Stuhl sinke. Nur mühsam sammle ich mich,
seine Zeilen zu lesen, zu begreifen — daß mich ver-
lassen hat.^ Zuerst bin ich starr, dann schreie ich in
tödlichem Schmerz auf, werfe mich über mein Bett und
M welche
 
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