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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 6
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136

Das Buch für Alle.

Obwohl die Baronin unter anderen Umständen
die Leitung der Hochzeitsfeier, wobei ihr die bedeut-
same Rolle der Brautmutter zufiel, nicht aus den
Händen gegeben haben würde, fügte sie sich diesmal
dem Vorschläge Maximilian Trachbergs, das Fest-
mahl, welches der Landesfürst durch seine Gegen-
wart auszeichnen wollte, im Palais des Grafen statt-
finden zu lassen, wodurch ihr alle Ehren vorbehalten
blieben und nur die Sorge abgenommen wurde.
In diese Zeit fiel auch die Rangerhöhung des
Majoratsherrn. Marie Antonie hatte die sichere
Anwartschaft, eine erlauchte Dame zu werden, worüber
sie eine kindliche Freude empfand, ohne eigentlich zn
wissen, weshalb.
Sie freute sich stets, von einem Tage zum anderen.
Daneben weilte sie immer dankbarer und zärtlicher
an ihres Vaters Seite, den sie durchaus nicht von
sich scheiden sehen wollte.
„Wenn wir unsere Hochzeitsreise gemacht haben,
Papa," raunte sie ihm zu, „und in Holdenberg unseren
festen Wohnsitz genommen haben, dann kommst du
zu Besuch. Das mußt du mir versprechen. Und
wenn du da bist, dann bin ich wieder ganz deine
Tochter. Ich bringe dir auch das Schönste mit von
der Reise, dir und Tante Tina auch. Denn denke
nur, wenn Taute Tina damals nicht zu uns herein-
geschneit wäre, ivie hätte ich Maximilian je kennen
gelernt?"
„Ehen werden im Himmel geschlossen," warf der
Vikomte trocken ein. „Indessen magst du ihr immer
erkenntlich bleiben."
Wären die Beweggründe Frau v. Lüttmigs
weniger selbstsüchtig gewesen, hätte Marie Antonie
allerdings vollauf Ursache gehabt, die unermüdliche
Dame mit Dankbarkeit zu überschütten. Vom Kranken-
bett ihrer Tochter fort stürzte sie sich in die Mode-
magazine. Doktor, Schneider, Wärterin und Modistin,
alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander, nm so
mehr, als ihr der bewährte Rat ibre'- Tollster diesmal
nicht zur Verfügung sta.ch. Mit Hilfe eines halben
Dutzend Sachverständiger war endlich die schwierige
Wahl der Hochzcits- und Reisetoilette der zukünftigen
Erlaucht getroffen. Marie Antonie hatte weiter nichts
dabei zu thun gehabt, als ihr schönes Auge über eiue
unerschöpfliche Fülle von buntem Sammet, Seide und
Wollenstoffen schweifen zu lassen. Ihr gefiel alles.
Es erstaunte sie auf das liebenswürdigste, daß man
von ihrer Person plötzlich so viel Aufhebens machte,
aber cs gefiel ihr. Sie sonnte sich darin. Alles,
was sie jetzt erfuhr, waren die Ausstrahlungen der
großen Sonne an ihrem Lebenshimmel, Maximilians
Liebe.
Eines Tages, kurz vor ihrer Vermählung, traf
sie im Salon den Iustizrat an, welcher Herrn v. De-
bellaire den ausgefertigten Ehevertrag vorzulegen ge-
kommen war.
Hurtig eilte Marie Antonie zu ihm und reichte
ihm die Hand.
„Sagen Sie, was macht Ihr Neffe? Ich habe
so lange nichts von ihm gehört. Weshalb kommt er
nicht einmal wieder auf Besuch zu Ihnen? Er war
so lustig." Sic dachte an den eingewickelten Groschen
und lachte hell auf. „Was er für Einfälle hat!
Wenn er Ihnen das erzählen wollte!"
„Es wird meinem Neffen sehr schmeichelhaft sein,"
sagte der alte Herr, verbindlich die Finger der Vikom-
teffe an seine Lippen ziehend, „daß die gnädigste Kom-
tesse sich seiner erinnert. Indessen so ganz unbedingt
darf ich das Lob, welches seiner heiteren Lebensauf-
fassung soeben erteilt ward, nicht annehmen."
„Wieso?" fragte sie neugierig.
„Mein Neffe ist ursprünglich ein sehr ernst an-
gelegter Mensch und noch nicht reif, das heißt er-
fahren genug, um mit philosophischem Lächeln die
großen Mängel und Mühen eines Lebens zu be-
leuchten. Er kämpft hart, aber er hat angefangen
zu siegen. Nur die heitere Huld einer so liebens-
würdigen Dame kann es gewesen sein, die ihn über
sein eigenes Naturell erhob."
„Wahrhaftig? Das hätte ich aber wirklich nicht
von ihm geglaubt," sagte Marie Antonie lebhaft.
„Jetzt gerade," fuhr der alte Herr scherzend fort,
„scheint er sich der heiteren Muse ganz abgewendet
zu haben. In seinem letzten Briefe klang etwas wie
Trauertöne durch. Vielleicht ist ihm in seinen Be-
strebungen um das Wohl der leidenden Menschheit ein
wissenschaftlicher Riegel vorgeschoben worden, viel-
leicht hat der reizende kleine Gott der Jugend ihm
eine schmerzende Pfeilwnnde beigebracht, für welche
die ersten Autoritäten seines Faches noch nicht die
richtigen Heilmittel gefunden haben."
„Sie glauben, er habe sich verliebt?" fragte Marie
Antonie mit allerliebster Sachverständigkeit.
„Ich habe in diesem Fache leider kein Urteil,"
scherzte Geisler mit galanter Verneigung gegen die
strahlende Braut.
„Wenn Sie ihn sehen — ach so. Sie sehen ihn
ja jetzt nicht," unterbrach Marie Antonie sich lachend

— „also, wenn Sie an ihn schreiben, grüßen Sie
ihn von mir. Und — halt! sagen Sie ihm, er solle
nicht zu ernst und zu fleißig sein, das Leben sei ja
so schön, so wunderschön, viel zn schön, um nicht
stets vergnügt zu sein."
„Ich werde es wörtlich ausrichten. Und mein
Nesse müßte ein Barbar sein, wollte er eine solche
Mahnung aus solchem Munde nicht beherzigen. Bei
solcher Verstocktheit müßte ich ihm die Freundschaft
kündigen."
„O, Sie!" Marie Antonie reichte ihm zum Ab-
schied rasch die Hand. „Sie haben Ihren — wie
heißt er mit Vornamen doch? — Bruno? — Ihren
Bruno ja viel zu lieb. Nicht wahr? — Da ist Papa!"
Und damit eilte sie lachend aus der Thür. —
Dann kam ein Abend, ein stiller Abend im Bou-
doir der Baronin, an dessen verhangenen Scheiben
der Februarwind rüttelte und das lodernde Feuer im
Kamin mit unsichtbarer Gewalt vom Rost aufjagte.
Niemand war anwesend als die beiden, die morgen
eins werden sollten in Liebe und Leid.
Die Baronin weilte bei ihrer Tochter, und der
Vikomte saß hinter dem geschlossenen Vorhang im
Salon, anscheinend lesend, in Wahrheit mit seinen
trauernden Gedanken kämpfend.
Wo der rote Lichtschein aus der Höhe über eiu
trauliches Ecksofa siel, saß Marie Antonie neben
ihrem Bräutigam. Er hatte den Arm um sie ge-
legt, und sie die Hände um seinen Hals geschlungen.
Die Bedingungslosigkeit ihrer Hingabe erfüllte ihn
mit Befriedigung Einzig darin sah er die Bürg-
schaft einer sturmlosen Zukunft.
Aber von Marie Antoniens Seite hinweg zogen
ihn häßliche Erinnerungen an Bettys Leidensstätte.
Das wußte er, daß morgen, wenn sie zur Stunde
noch ein Verständnis dafür besaß, ihr Herz aber-
mals Dolchstiche erlitt. Und während er die süßen
Atemzüge keuscher Liebe an seiner Wange wehen
fühlte, erfaßte ihn plötzlich ein finsteres Gelüst, das
Grab geschaufelt zu sehen für die, welche ihn zum
Mitschuldigen ihrer Leidenschaft gemacht hatte.
Er drückte seinen Mund fester auf Marie Antoniens
Lippen.
Wo fand er Mittel und Wege, das Geschehene
von sich abzuthnn?
Deshalb wünschte er Betty aus den Reihen der
Lebenden gestrichen. Dann war's vorbei mit allem
erzwungenen Beisammensein, dem sie beide nicht ent-
gehen konnten. Fürchtete er auch nichts von ihrer
angedrohten Rache, von ihrer Leidenschaft fürchtete
er desto mehr.
Der Tod allein war mächtiger als diese. Darum
sollte er mit seinem verlöschenden Hauch über sie
Hinwegstreichen, versenken, was nicht schlafen wollte.
Maximilian empfand eine grollende Ungeduld
gegen die Saumseligkeit des Schicksals.
„An was dachtest dir eben jetzt?" fragte Marie
Antonie, seine gefaltete Stirn liebkosend. „An unser
Glück?"
Er nickte. Das warme Leben, das in diesem
Augenblick an ihm ruhte, ausgehend in ihm und
seiner Liebe, verschärfte sein Mißbehagen, statt es zu
lindern. Er sprang auf und zog Marie Antonie mit
sich empor. „Morgen" — flüsterte er ihr zu —
„morgen gehörst du mir ganz. Ich wünschte, wir
hätten erst alles hinter uns und wären dieser lästigen
Neugier, dieser ganzen zudringlichen Nichtigkeit ent-
flohen." Er wollte zärtlich sprechen, aber seine Stimme
klang mehr herrisch als einschmeichelnd unter dem
Einfluß seiner düsteren Gedanken. „Du sollst mir
von deinem Glück noch einen Teil schenken, ich habe
an dem meinen nicht genug."
„Nimm's!" flüsterte sie lächelnd.
„Ja, dich nehme ich — dich," fuhr er erregt fort,
ihr Haupt in beide Hände fassend, „also auch deine
Seele. Wir verschmelzen uns — du nnd ich!" Er
zog sie an sich.
„Du und ich " hauchte sie entzückt. Das war
alles, was sie herausgehört und mitempfunden hatte. —
Am anderen Morgen, als Fran v. Lüttmig noch
einen gesunden Schlaf genoß, schritten der Vikomte
und seine Tochter Arm in Arm im Salon umher,
dessen Mitte jetzt eine mächtige Tafel voll der kost-
barsten Hochzeitsgeschenke cinnahm. Sie achteten nicht
darauf. Es war in letzter Zeit so viel Pracht und
Glanz über Marie Antonie zusammengeflossen, daß
sie ihre kindliche Freude daran bereits eingebüßt
hatte.
„Wenn du je eines Rates bedarfst außer dem
Rate deines Mannes," sagte der Vikomte, „so wende
dich an mich — an niemand sonst. Und auch an
mich nur ini dringendsten Falle. Ich weiß, daß ich
mich darin ans dich verlassen kann. Fahre fort, mir
eine gute Tochter zu sein, indem du deiner Herkunft
mit keinem Wort und keiner Handlung etwas ver-
giebst. Du bringst deinem Manne nichts zu als
deinen Familiennamen, ein kostbares, seltenes und
rein erhaltenes Kleinod. Stütze dich auf dieses Be-

Hest «.
wußtsein, so wirst du immer auf der Höhe der
Situation bleiben."
„Ich werde es nie vergessen, Papa," flüsterte
Marie Antonie. „Schon deshalb nicht, weil ich es
meinen Vorfahren täglich danken muß, Maximilians
Fran werden zu können."
„Sehr richtig! Wenn du dir stets die Thatsache
vor Augen hältst, daß in deinen Adern ein Blut
rollt, welches das Blut mancher Fürstenhäuser au
Alter und Reinheit übertrifft, so wirst du nie das
Gefühl des Empfangens, sondern stets das angenehme
Bewußtsein des Gebens empfinden. Und nun lebe
wohl, mein Kind. Wahre dein Glück. Vergiß nicht
mich und deine Kindheit!"
Sie sank ihm weinend in die Arme.
Der Vikomte bezwang die Thränen, welche er aus
seinem heftig erregten Herzen aufsteigen fühlte, mit
einem dankbaren Gefühl der Erleichterung. Was
hatte es jetzt noch für Not mit seinem Scheiden aus
dieser Welt, da er sie wohlgeborgen im Arm der
Liebe zurückließ!
„Wenn du aber je krank sein solltest, Papa,"
raunte ihm Marie Antonie innig zu, „bloß unwohl,
dann rufst du mich, nicht wahr? Und ich bin bei
dir wie der Wind. Das versprich mir noch."
Er lächelte matt. „Du weißt, daß deine erste
Pflicht deinem Manne angehört, und daß kein Grund
vorliegt, um mich besorgt zu sein."
Daß ihm ein erstickendes Angstgefühl in diesem
Augenblick fast den Atem benahm, sagte er nicht,
um keinen Schatten auf die Klarheit ihres Glückes
zu werfen. —
War's nicht ein Traum, ein süßer, seliger Traum,
der nunmehr begann, seine tauschenden Schleier uni
Marie Antoniens Stirn zu winden? Erlebte sie das
alles in Wirklichkeit, was mit ihr und um sie her
vorging?
Mit einem Gefühl, als seien ihr Flügel gewachsen,
die sie hoch über die Erde emportrugen in eine neue
Welt voll fremder Wunder, streckte die junge Er-
laucht ihre Arme dem Geliebten entgegen, als er
kam, sie zur Trauung zu führen.
Sie war in ihrem Brautschmuck so wunderbar
schön, daß die Baronin, welche sich gar nicht genug
thuu konnte vor Zärtlichkeit und Rührung, mit wirk-
licher Betrübnis ihrer Tochter Aeußeres diesem Bilde
der Jugendpracht verglich.
„Lieber Gott, Vetter," flüsterte sie hinter ihrem
Taschentuch dem Vikomte zu, „was ist aus Betty ge-
worden! Ein Gespenst. Wenn sie mal die Allgen
aufschlägt, ist es viel. Es ist gerade, als wäre die
Welt für sie tot, und wir alle mit. Keine Silbe des
Dankes für irgend jemand, es ist entsetzlich, nm sie
zu sein. Glauben Sie es mir! Aber wofür ist man
Mutter? Ich werde nie aufhören, auch an Ihrer
Tochter Mutterstelle zu vertreten, Better."
Er reichte ihr die Hand. „Kann ich mich darauf
verlassen, Cousine?" fragte er tief bewegt. „Auch
wenn ich —"
„Marie Antonie wird mir als Frau noch mehr
ans Herz gewachsen sein, als jetzt."
„Auch wenn — wenn ich nicht mehr sein werde?"
fuhr Herr v. Debellaire leiser fort, einen langen Blick
auf das strahlende Antlitz seiner Tochter heftend.
„Dann erst recht, Vetter! Wissen Sie, daß solche
Frage ganz außerhalb meines Fassungsvermögens
liegt?"
Das junge Paar trat näher.
Verbindlich und kühl wie immer sagte Trachberg
der Baronin einige Dankesworte, wofür diese Marie
Antonie überschwenglich in die Arme schloß.
„Segen mit dir, Liebling! Mögest du mir, deiner
treuesten Freundin, immer dein Herz zuwenden, wie
du stets in mir die zuverlässigste Freundin finden
wirst. Lieber Gott, daß Betty heute nicht im stände
ist, euch wenigstens einen Glückwunsch zu senden."
„Meine liebe, gute Taute Tina," ohne Rück-
sicht auf ihr bräutlich geschmücktes Haupt lehnte die
junge Erlaucht ihr Gesicht einen Moment gegen die
Wange der Baronin, „ich segne den Augenblick,
da du in unser Zimmer tratest. Laß mich dir dies
eine noch schnell sagen, dann weißt du alles!"
„Das nenne ich ein goldenes Herz!" schluchzte
Frau v. Lüttmig in ihrer erhofften Eigenschaft als
einflußreichste Persönlichkeit in Holdenberg, während
der Vikomte, seiner Tochter den Arm reichend, Marie
Antonie zur Thür hinausführte.
Draußen stand der Galawagen, welchen der Graf
bestimmt hatte, die Braut nebst ihren Vater zur
Kirche zn führen, während er selbst mit der Baronin
in einer zweiten Equipage Platz nahm.
Von jetzt an verschmolzen Bilder, Zeit und Orte
zn traumhafter, aber himmlischer Verworrenheit im
Haupt des jungen Weibes, dessen Kinderglück an
der Kirchenschwelle für immer zurückblieb, indes sie
vorwärts eilte, einer verhüllten Zukunft entgegen.
Die Trauung selbst verlief mit dem Glanze und
der Feierlichkeit, welche dem hohen Range und dem
 
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