Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mitgift heimführt, der ſucht den Tod nicht. Aber
— da gäbe es allenfalls noch immer eine Lücke,
meinen Sie. Es gibt jedoch keine Lücke. Das Um-
wechſeln der Wertpapiere, welche Lansky bei ſich
gehabt hat, füllt dieſe Lücke aus. Ein Mord allein
wäre rätſelhaft geweſen. Der Raub, der da begangen
worden iſt, klärt das Rätſel auf. Doch nehmen wir an:
ihr wolltet es beim Raub bewenden laſſen, ihr habt
die Eheleute nur betäuben wollen, denn es geht ja
nicht leicht einer mit der Abſicht zu morden um,
wenn es mit einem Raube abgetan werden kann.
Allein es geht eben nicht immer ſo glatt ab, als
man möchte. Lansky wird einfach zu früh erwacht
ſein, auf Kampf und Gegenwehr durftet ihr es nicht
ankommen laſſen, da habt ihr den noch Halbbetäubten
eben hinausgeworfen. Das iſt ja auch viel rein-
licher, als Blut zu vergießen. — Ah, mein lieber
Rank, bei den belangloſeſten Handlungen kommt
zuweilen ganz Unerwartetes vor! Wer kann immer
ſagen, warum etwas gerade ſo und ſo geſchehen iſt.
Es iſt genug, wenn man weiß, daß es geſchehen iſt.“

„Daß es geſchehen iſt!“ wiederholte Rank, ſtarr
vor ſich hinſehend, dann fuhr er ſich durch die Haare
und lachte laut auf.

„Und dann die Brieftaſche,“ ſagte der Staats-
anwalt, „Lauskys Brieftaſche, die man, freilich ſchon
geleert, in Ihrem Beſitze fand.“ Er legte bei dieſen
Worten den erwähnten Gegenſtand, den er aus einer
der Schreibtiſchladen genommen, vor Rank hin.

Der Schauſpieler lachte wieder rauh auf und
ballte die Hände. „Dieſe verwünſchte Brieftaſche!“
murmelte er zwiſchen geſchloſſenen Zähnen. Und
dann war er plötzlich wieder ruhig und ſagte mit
einem ſchmerzlichen Lächeln: „Dieſe Brieftaſche iſt
das Tüpferl auf dem i. Herr Staatsanwalt, ich
muß zugeben, es ſtimmt alles!“

„Sogar auffallend!“ ergänzte der Beamte ſeelen-
ruhig. „Jetzt möcht' ich nur wiſſen, warum Sie
noch immer leugnen? Der Ermordete iſt, wie Sie
ſchon wiſſen, gefunden. Daß er beraubt wurde,
iſt auch erwieſen. Alles weiſt, wie Sie ſelber zu-
geben müſſen, auf Sie als auf einen der Täter hin,
und Sie haben doch immer noch die Marotte, rein
wie eine Lilie daſtehen zu wollen! Wenn das nicht
geradezu kindiſch iſt, ſo —“

„Ja, es iſt kindiſch!“ ſagte ſehr ernſt der Ge-
ſangene. „Abex trotzdem alles gegen mich ſpricht,
bin ich doch unſchuldig!“

„Gehn's zu!“ Jetzt lachte Herr v. Rohn ärger-
lich.

©& wahr ©a —— —U

„Sie, den lieben Gott laſſen Sie freundlichſt aus
dem Spiel.“

„Und er wird mir doch helfen!“

„Hoffentlich! Er wird Sie früher oder ſpäter
zur Reue führen.“

„Was zu bereuen iſt, das habe ich bereits bitter
bereut. Aber leider kann ich es nicht mehr ändern.“

Nein, die Toten ſtehen nicht mehr auf.“

Da blitzte es in Ranks Augen plötzlich auf.
Tiefe Bläſſe und beängſtigendes Rot wechfelten auf
ſeinen Wangen, und jeder Muskel ſeines Geſichtes
war geſpannt. Rohn ſah es ganz deutlich, daß des
Schauſpielexs Stixne, ja ſein ganzes Geſicht, wie
mit Tauperlen beſät war, und daß ès keine Komödie
ſein konnte, wenn er ſich mit dem Taſchentuch über
die Stirne und die Wangen ſtrich.

Was für eine mächtige Erregung trug wohl
daran die Schuld?

Dieſe Erregung teilte ſich auch dem Staats-
anwalt mit. Er ſtand auf und legte ſeine Hand
auf des jungen Mannes Achſel. „Rank,“ ſagte er
eindringlich, „reden Sie ſich die Laſt, die Sie ja ſo
ſichtlich bedrückt, von dex Seele. Geſtehen Sie offen
Ihren Anteil an der Schuld, Sie werden die Milde
Ihrer Richter damit erkaufen. Nennen Sie uns den,
der Ihr Helfer war oder deſſen Helfer Sie waren,
auf daß der Gerechtigkeit ihr Recht werde.“

Wie es in Ranks Zügen arbeitete! Wie ſein ganzer
Köxper geſchüttelt murde, wie unheimlich ſeine Augen
glänzten und wie er die Lippen aufeinanderpreffen
mußte, damit die Gedanken, welche jetzt ſeinen Kopf
erfüllten, nicht den Weg über die Zunge finden
konnten!

KRank! Um der Rechtlichkeit willen, die ja noch
nicht erſtorben iſt in Ihnen, reden Sie! Sie haben
Bott angerufen. Er hat Sie erſchüttert Laſſen
Sie dieſe Stunde nicht ungenützt vorübergehen.
Ich kann Ihnen dann ein milder Ankläger, und die
— — können dem Reuigen milde Richter
2

Rohns Stimme war plötzlich kühl geworden.
Den letzten Sag hatte ex wohl nur der Ordnung
wegen vollendet. Sein Herz, ſein gutes, warmes
Herz hatte da nicht mehr mitgeredet, Und er märe
einfach ſchwach geweſen, wenn ſich jetzt ſein Be-
nehmen nicht geändert hätte. Dies mar eben die
ſelbſtverſtändliche Folge von Ranks Benehmen.

— 170 —

Dex hatte offenbar gar nicht auf des wohl-
wollenden Beamten Worte geachtet. Der mar nur
mit ſeinen eigenen Gedanken beſchäftigt, und dieſe
mußten, wie heftig ſie wogten, jetzt ſogar irgend
etwas Humoriſtiſches einſchließen, denn wiewohl
Rank unzweifelhaft mächtig erregt war, lachte er
doch plötzlich laut auf. Dann fuhr er ſich wieder
über die Stirne und ſann einen Moment lang nach.

„Ich möchte jetzt allein ſein,“ ſagte er rauh und
erhob ſich ohne alle Umſtände.

„Bitte !” — Herr v. Rohn verbeugte ſich ironiſch.
„Sie arbeiten vermutlich an einem neuen Märchen.
Viel Glück dazu. Möge Ihnen endlich etwas wenig-
ſtens halbwegs Wahrſcheinliches einfallen.“

Ein Druck auf die elektriſche Glocke, und der
Wärter trat ein.

„Führen Sie den Häftling ab.“

Rauk ging. Er grüßte nicht einmal, grüßte
wenigſtens nicht ſogleich.

Erſt auf der Schwelle fiel es ihm ein, dieſer
Sitte Genüge zu tun, aber der Staatsanwalt ge-
wahrte dieſen ſtillen Gruß nicht, der ſah nicht, daß
Rauk einen Augenblick lang zögerte, daß Ranks
Blicke unruhig auf ihm hafteten.

Rohn war tief verſtimmt an das Fenſter ge-
treten und ſchaute in den düſteren Hof hinunter.
„Iſt er wirklich ſchon ein ſo großer Cyniker? Oder
rappelt es vielleicht bei ihm?“ fragte er ſich.

Inzwiſchen ging der, dem dieſe Fragen galten,
langſam vor dem Gefängniswärter her. Langſam,
ja ganz langſam, mit ſo unſicheren Schritten, als
wandle er in tiefer Finſternis auf unbekannten
Pfaden.

Er war offenbar ſo ganz in ſein tiefes Nach-
ſinnen verſunken, daß er die Gegenwart und den
Ort, an dem er ſich befand, vollſtändig vergeſſen
hatte.

Neuntes Kapitel.

Es waren erſt vier Wochen ſeit dem Verſchwin-
den Lanskys vergangen, und ſchon konnten die
Blätter melden, daß der Prozeß gegen Franz Rank,
geweſenen Schauſpieler, welchen man der Mitſchuld
an dem Morde bezichtigte, in den nächſten Tagen
ſeinen Abſchluß finden würde.

„Die Abwicklung dieſes Prozeſſes,“ ſo ſchrieb
eine der verbreitetſten Wiener Zeitungen, „wird
nicht viel Zeit in Anſpruch nehmen, denn das Be-
weismaterial iſt erdrückend. Nicht ohne Intereſſe
für unſexe Leſer dürfte es ſein, zu erfahren, daß ein
auswärtiger Juriſt den Angeklagten verteidigen
wird. Doktor Herbert Klinger, ein junger, ſehr
ſchneidiger Prager Anwalt, hat ſich die Erlaubnis
erwirkt, den Angeklagten verteidigen zu dürfen. Es
iſt dies eine Freundestat. Doktor Klinger und Franz
Rank waren ſchon im Gymnaſium und dann auf
der Univerſität unzertrennliche Freunde, und dieſes
Freundſchaftsgefühl muß, wenigſtens von Seite
Klingers, ein ungewöhnlich tiefes ſein, denn nur
ſo läßt es ſich erklären, daß der hochgeachtete Sohn
eines hochgeachteten Vaters, des Oberſten a. D.
Klinger, ſich nicht einmal durch den ſchmachvollen
Verdacht, unter welchem Franz Rank jetzt ſteht, in
ſeiner Freundſchaft wankend machen läßt.“

Wohl intereſſierte der Fall allgemein. Denn wer
reiſt heute nicht? Und hat nicht doch mancher mit-
unter ſo viel Geld oder Geldeswert bei ſich, daß
ein Verbrechen ſich darum lohnte? Es konnte ſich
alſo jeder in des unglücklichen Lanskys Situation
hineindenken und das Gruſeln empfinden, welches
ein ſolcher Eiſenbahnmord in halbwegs illuſions-
fähigen Menſchen wachruft.

Doktor Klinger hatte mit Weidmann in einem
der vornehmſten Hotels der Stadt Quartier ge-
nommen und war zu Anfang ſeines Wiener Aufent-
haltes recht leicht zugänglich geweſen, hatte es jedem,
der es hören wollte, geſagt, daß Rank ſein Freund,


deren man ihn verdächtigte, einfach unfähig wäre.
Wenn der Doktor ſo frei und herzlich redete, und
wenn ſein helles Geſicht, ſeine freundlichen Augen
förmlich leuchteten dabei, da mußte man ihm glau-
ben, da war man doppelt neugierig auf die Beweiſe,
mit denen die Anklage Rank „erdrücken“ wollte,
und doppelt geſpannt auf die Verteidigungsrede
dieſes von der Schuldloſigkeit ſeines Klienten ſo bis
ins Innerſte überzeugten Juriſten.

Zu Aufang ſeines Wiener Aufenthaltes alſo
war der junge, hübſche Doktor Klinger ſehr leicht
zugänglich und recht geſprächig geweſen. Aber das
hatte ſich bald geändert. Er wurde zurückhaltender
und verſchloß ſeine Tür endlich ganz den Bericht-
erſtattern, welchen mit Einzelheiten aus dem Leben
der beiden im Vordergrunde des öffentlichen Inter-
eſſes ſtehenden Freunden ſo ſehr gedient geweſen
wäre.

Dieſe Wandlung in ſeines Verteidigers Benehmen

ſchadete Rank natürlich in den Augen derer, welche
darum wußten. Und bald wußten ziemlich viele
darum, denn wenn ſich jemand danach erkundigte,
ob der Herr Doktor zu ſprechen ſei, ſo fagtees
ihm vom Portier bis zum betreffenden Zimmer-
kellner jeder, daß der Herr Doktor für niemand zu
ſprechen ſei, denn er waͤre ſo gedrückter Stimmung,
daß er ſogar ſeine Abende nirgends anders mehr
als in ſeinem Zimmer verbringe!

Derlei verbreitete ſich raſch. Auf welche Art?
Das weiß vielleicht niemand, aber ſchließlich wiſſen
eine Menge Leute, daß es ſich mit einer gewiſſen
Perſon oder Sache fo und ſo verhält.

Auch in dieſem Falle war es fo.

Es gereichte dem Verhafteten in der öffentlichen
Meinung ſehr zum Schaden, daß ſein Verteidiger
nicht beſſer Herr über ſeine Gemütsſtimmung mar.
Und doch war es wieder nur natürlich, daß ein
Menſch, deſſen Herz ſo in Mitleidenſchaͤft gezogen
wurde, nicht wie ein Fremder gleichmütig bleiben
konnte, wenn er nach und nach die Gewißheit er-
langte, daß es um den Angeklaͤgten ſchlimm ſtehe.

Der junge Juriſt machte in dieſen Tagen die
Erfahrung, daß uns das Herz ſehr oft nur im Wege
iſt, wenn wir geliebten Perſonen Gutes tun wollen.
Der beſte Arzt zittert, wenn ex das eigene Weib
operieren ſoll, und der beſte Pädagog macht Fehler
bei der Erziehung ſeiner eigenen Kinder. Es ſoll
auch ein Freund dem anderen nicht Verteidiger ſein
wollen, denn dazu bedarf es nur des Geiſtes und
allenfalls der allgemeinen Menſchenliebe, ein per-
ſönliches Empfinden aber iſt da nur hinderlich.

Jene Tage kurz vor der Verhandlung waren nicht
nur für Rank, ſie waren auch für ſeinen Freund
qualvoll.

Täglich verbrachte Klinger etliche Stunden bei
Rank, und täglich gab es heftige Auseinander-
ſetzungen zwiſchen ihnen. Meiſt ging der Doktor
mit rotem Geſicht und ſorgenvoller Stirn aus dem
Unterſuchungszimmer, darin der einſtige Schauſpieler
ihn empfangen mußte, und wenn dann der Grimm
in ihm verglomm, traten an deſſen Stelle eine tiefe
Niedergeſchlagenheit und eine heftige Unruhe, die
den ſonſt eher leichtherzigen jungen Mann wie eine
ſchwere Krankheit befallen hatten, ſeit er dieſe —
das wußte er jetzt ſchon — nutzloſe Verteidigung
übernommen hatte.

Als er ſchließlich an dem Platze ſtand, von dem
aus er für ſeinen Freund zu den Geſchworenen und
zu dem Gerichtshofe reden ſollte, da war er ſo bleich,
und da ſchlug ſein Herz ſo wild, als ſei er ſelbſt
es, über welchen Gericht gehalten werden ſollte.

Zu Rank hinüberzuſehen, das wagte er zuerſt
nur verſtohlen, denn er fürchtete den Anblick des
Unglücklichen.

- e — © war MDDE — ZLOUZ HULE
ſah heute viel weniger unglücklich aus als damals,
da er die erzwungene Reiſe machte. Wohl mar
er auch ſehr bleich, aber nicht Mutloſigkeit und auch
nicht das Bewußtſein der Schande drückten ſich in
ſeinen Zügen aus. Eher war etwas wie Trotz und
Bitterkeit darin.

Für Klinger hatte er nicht einen Blick mehr,
nachdem er ihn gleich beim Eintreten mit einem
wehmütigen oder wenigſtens wehmütig ausſehenden
Lächeln begrüßt hatte.

„Er ſchauſpielert,“ ſagte eine der Damen, welche,
wie bei jedem ſenſationellen Fall, auch heute zahl-
reich ihren Platz auf der Galerie einnahmen.

Zu gleicher Zeit fällte am andexen Ende des
Saales ein junger Mime dasſelbe Urteil. Cr war
mit einem Kollegen Studienzwecke halber hieher ge-
kommen, und wohl auch, weil der ehemalige Kunſt-
genoſſe als Naubmörder ihn beſonders intereſſierte.
Der junge Menſch ſagte ehrlich begeiſtert: „Du,
hör, der foll nichts gekonnt haben? Ich möcht' mur
einmal ſo den Undurchdringlichen ſpielen können,
wie DL“

Und ähnliche Urteile fielen noch eine Menge. Es
war merkwürdig, welche Anerkennung Franz Rank,
oder vielmehr Leo Raneck, an dieſem Orke als Schau-
ſpieler fand, *

Man ſah es aber guch ganz deutlich, daß er eine
Rolle ſpielte, eine Rolle, aus welchex er auch nicht
für einen Augenblick fiel, ehen die Rolle des „Un-
durchdringlichen“, des „Rätſelhaften“, der mur hie
und da die Schültern zuckt, halb vexborgen lächelt
und halb verboxgen zuweilen tief Atem holt, als
mangle es ihm hier an Luft. Er führte dieſe inter-
eſſante Rolle, wie geſagt, ausgezeichnet durch, und
ſie ſtand ihm auch ausgezeichuet, Seine feine und doch
ganz und gar männliche Schönheit, die vornehme
Haltung der eleganten Geſtalt, dexen faſt hochmütige
Steifheit. alles Häßliche, das an ihn herankam, von
vornhexein abwehren zu wollen ſchien, Jein eiſiges
Schweigen und endlich die auf die, bezügliche An-
frage des Präſidenten mit angenehm belegter Stimme
geſprochenen Worte: „Ich bin unſchuldig!“ das
 
Annotationen