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waren lauter Effekte, für welche ihm das Publikum
ſicher applaudiert hätte, hätte die Verhandlung einige
Breitegrade näher dem Aquator ſtatkgefunden.

So begnügten ſich die meiſten der anweſenden
Damen damit, im ſtillen entzückt zu ſein, und die
meiſten der anweſenden Herren wünſchten ſich, eben-
falls ganz im ſtillen, daß auch ſie auf Frauenherzen
ſo mirfen möchten, wie der Angeklagte.

Eine Perſon aber befand ſich im Saale, welche
ein höheres Intereſſe als alle anderen an dem An-
geflagten nahm, und die während der wenigen Stun-
den der Verhandlung etwas begreifen lerute, was
ihr vorher niemals in den Sinn gewollt. Dieſe eine
Perſon war der Fabrikant Weidmann, welchex als
Zeuge jetzt Gelegenheit hatte, dieſem Franz Rank,
den ſeine Tochter liebte, in das ſtille Geſicht zu
ſchauen. Er begriff es jetzt ohne weiteres, daß Lina
ſich um dieſen Mann fo tief bekümmern konnte, daß
ſie in wenigen Wochen faſt zum Sterben elend ge-
worden war.

Weidmann war froh, als er nach dem Aufruf
der Zeugen wieder abtreten mußte.

Der kleine Leo Brandl ſchluchzte laut auf, als
er gegen ſein Ideal ausſagen mußte, und ſelbſt
Breuner war dewegt, als er ſeine Ausſagen dem
Angeklagten gegenüber wiederholte.

In weniger als drei Stunden war die Beweis-
aufnahme abgeſchloſſen, denn von all den Beweiſen, die
gegen ihn vorlagen, beſtritt Rank nicht einen einzigen.

Er lächelte nur zuweilen ſchmerzlich, und wenn
ſein Verteidiger das Wort ergriff, wurde er un-
ruhig und warf ihm warnende Blicke zu.

Kein Menſch verſtand, was zwiſchen den beiden
war, aber jeder verſtand, daß dem Verteidiger die
Zunge gebunden ſei.

Noch einmal über den Mann im Gummimantel
befragt, ſagte Rank kurz, er wiſſe nichts, gar nichts
über dieſen auszuſagen. Über die Frauensperſon
befragt, welche er nach Hamburg begleitet hatte,
weigerte er ſich entſchieden, den Namen zu nennen.

„Daß ſie nicht wußte, woher ich das Geld nahm,
das ſie zur Reife brauchte, hat ja dieſer Herr er-
horcht,“ gab er ruhig an, indem er auf Breuner
wies, der darüber ſchon ausgeſagt hatte.

„Warum haben Sie es geleugnet, daß Sie am
24. März in Brünn waren?“ fragte der Präſident.

Er ſchwieg. Das war ja Antwort genig —
eine ihn ſehr belaſtende Antwort, denn ſie kam faſt
einem Geſtändnis gleich.

Die Brieftaſche, welche zweifellos Eigentum
Lanskys geweſen war, blieb zudem die gewaltigſte
Zeugin für ſeine Schuld. Dieſer Zeugenfchaft ver-
ſuchte er auch gar nichts entgegenzufeßen.

Klinger hatte ſich während der ganzen Verhand-
lung recht merkwürdig benommen! Er war nicht
mehr ſo blaß wie bei ſeinem Eintritt in den Saal.
Ganz im Gegenteile färbte ſpäter eine tiefe Röte
ſein hübſches Geſicht. Aber man merkte, daß er am
Schluſſe ſeine Rede ohne Vertrauen in ihre Wir-
kung begann. Leiſe, zaghaft, unſicher hob er zu
ſprechen an. Man mar fehr enttäuſcht. Man hatte
einen glänzenden Redner erwartet, man hatte gehört,
daß Klinger in den freilich noch wenigen Prozeſſen,
in denen er als Verteidiger fungiert, außexordent-
lich ſchneidig aufgetreten, und daß er ſeinen Klienten
ein tüchtiger Helfer geweſen ſei. Und hier gab er
ſich ſo matt und unbeholfen, ſo nach Worten ſuͤchend,
wo ſein Herz allein ſchon gegen alle Schwächen der
Anklage fiegreiche Waffen hätte finden ſollen? Das
alſo war die künftige forenſiſche Berühmtheit, die
ſich unter dem Vorgeben, eineni Freunde nützen zu
wollen, hier eingedrängt hatte?

Die Juriſten im Saale ſahen einander ſpöttiſch
lächelnd an. Die Geſchworenen blieben kühl bis ans
Herz hinan.

Schließlich ging ein Murmeln der Verwunderung
durch den Saal. Es geſchah, als der Verteidiger
ſagte: „Hoher Gexichtshof! Meine Herren Ge-
ſchworenen! Ich fühle, daß ich den Platz, auf
welchem ich jetzt ſtehe, niemals hätte einhehmen
ſollen, denn ich kaun auf ihm nicht leiſten, was zu
leiſten meine ganze Seelé verlangt — ich kaun
den Freund nicht retten. Und zwär — ſo glaube
ich in dieſex Stunde im tiefſten Herzen — kann ich
ihn nur deshalb nicht vetten, weil ich ſein Vertranen
nicht mehr beſitze, weil irgend ein Geheimnis, ein
ſchreckliches Geheimnis zwiſchen uns ſteht, weil er,
von irgend einer unſeligen Idee beherrſcht, auch mir
nicht die Möglichkeit bietet das Nebß der Schuld-
heweiſe zu zerxeißen und ſeine Richter davon zu
überzeugen, daß jene, trotz allen Scheines der Echt-
heit, doch nichts als Scheinheweiſe ſind. Und weil
er nicht gerettet ſein will, kann ich nichts tun, als
ſeinen ausgeſprochenen Wunſch zu erfüllen und bitten,
daß das Urteil raſch erfolgen möge?

Klingers Stimme war zum Schluſſe heiſer ge-
worden, und als er ſich geſetzt hatle, mußte er fich
den Schweiß von der Stirne wiſchen.

— 171 —

„Mir ſcheint, wir tun dem Prager Kollegen un-
recht, wenn wir ſeine gerühmten Fähigkeiten be-
zweifeln,“ ſagte einer der Advokaten, welche der
Verhandlung beiwohnten. „Mir ſcheint, der weiß
ſehr gut, mas er will. Der will die Geſchworenen
verwirren. Er will auch durch ſein eigenes Be-
nehmen den Eindruck hervorrufen, als ob da nicht
alles ſo klipp und klar ſei, wie es doch wirklich iſt.
Die zwei ſpielen nicht übel zufammen. Jedenfalls
hat Klinger ſich und dem Rank die Rolle vorgeſchrie-
ben. Kein übler Trick, wenn man gar nicht mehr
aus und ein weiß. Man kann ſich ihn merken.“

Auf dieſen Herrn hatte alſo Klingers Redeſchluß
keinen günſtigen Eindruck gemacht.

Der Präfident, welcher nun zum Worte kam,
fand es in der Tat für gut, ſich kurz zu faſſen; es
lag ja in Bezug auf den einen Schuldigen, den man
haltẽ, alles ſo klar, daß es da nichts mehr zu klären,
zu erklären und zu beleuchten gab. Franz Rank war,
wie der Präſident ausführte, zweifellos in jener
Nacht mit noch einem Unbekannten in demſelben
Wagen geweſen in welchem das wiederum zweifel-
los geſchehene Verbrechen vorgefallen war. Den
Leichnam Lanskys hatten zwar die damals ſo ſtür-
miſchen Fluten der Zwittawa fortgetragen und der
March überliefert, aber dieſe hatte ihn an das ein-
ſame Ufer getragen, wo noch einmal Verbrecher-
hände fich mit ihm zu ſchaffen machten, aber ihm
doch nicht alles nehmen konnten, was ihn als den
erkennen ließ, deſſen Hochzeitsreiſe zur Todesfahrt
geworden war. Lanskys Uhr, ſeinen Hut und ſeinen
Havelock hatte man gefunden, und ſeine Hrieftaſche
war mit Franz Rank nach Kuxhaven gereiſt, wohin
ſich jener kaum in Brünn angekommen, wandte,
nachdem er dort, noch furchtbar erregt von dem
nächtlichen Vorkommnis, mit jenem Weibe zuſammen-
getroffen war. Warum diefes Mädchen oder diefe
Frau verſchwinden mußte, und warum Rank. jede
Aufklärung über ſeinen Mitſchuldigen verweigerte
— das würde ſchon ſeine Gründe haben. „Es bleibt
ja faſt in jedem Prozeſſe irgend etwas unaufgeklärt,


Schuldige es aufklären könnte, es aber in ſeinem
Intereſſe liegt, dies nicht zır tun. Franz Rank hat
aus Schweigen einen Wall um ſich erbaut; er mag
dahinter bleiben, die Gerechtigkeit trifft ihn auch dort,
und will er allein büßen, ſo kann ihn keiner hin-
dern daran.“

So klang das Schlußwort des Präſidenten aus Die
Geſchworenen zogen ſich zurück. Was vorauszuſehen
war, trat ein Sie ſtimmten für ſchuldig, wenn
auch mit mildernden Umſtänden.

Als der Gerichtshof, der ſich zur Ausmeſſung
der Strafe zurückgezogen hatte, wieder erſchien, und
Rank wieder in den Saal geführt wurde, wankte er
ein wenig Er war jetzt aſchfahl im Geſichte.

Der Präſident gab einem der Aufſeher einen
Wink, worauf dieſer dem Angeklagten einen Stuhl
hinſchob. Aber Rank ſetzte ſich nicht. Er legte nur
die linke Hand auf die Lehne des Stuhles. Nun
wurde das Urteil verleſen.

„Acht Jahre Zuchthaus,“ wiederholte der Ver-
urteilte ziemlich laut.

Im ſelben Augenblicke zerbrach die Lehne des
Stuhles, die er umfaßt gehabt hatte.

„Der Menſch muß eine Rieſenkraft haben,“ ſagte
einer der Advokaten, „man hat gar keine Bewegung
an ihm wahrgenommen.“

Die übliche Frage, ob der Angeklagte von dem
Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeſchwerde Gebrauch
machen wolle, wurde von Rank nur mit einem Kopf-
ſchütteln beantwortet.

Er hatte gleich danach mit ſeinem Verteidiger
eine längere Unterredung.

Als Doktor Klinger dann das Gerichtsgebäude
verließ, mar er ſehr bleich.

Weidmann wartete unten in einem Fiaker auf ihn.

Die beiden reichten einander ſtumm die Hände.

„Gott ſei Dank, daß Lina in Prag vernommen
werden konnte. Die wäre mir ja hier ganz zu Grunde
gegangen,“ ſagte Weidmann nach einer Weile.
„Wiſſen Sie, daß ich es jetzt begreife, daß ſie von
dieſem Menſchen nicht frei werden kann?“

Jetzt erſt ſchaute Klinger au „ Cal ſagte er
bitter, „begreifen Sie das endlich? Es wäre für
alle beſſer geweſen, wenn Sie das ſchon früher be-
griffen hätten.“

Der Fabrikant ſchwieg. Er mußte dem Doktor
recht geben. Aber anderſeits — einer, der ſich
vom Verdachte, eine ſolche Tat begangen zu haben,
nicht reinwaſchen konnte, der war ja doch kein
Schwiegerſohn für ihn. Zedenfalls wollte Weid-
mann den Doktor jetzt nicht reizen, deshalb redete
er lieber gar nichts mehr.

Und auch Klinger ſchwieg.

Erſt auf der Stiege des Hotels wurde er wieder
lebhaft. „Wir reiſen doch miteinander ab? Ich
habe vor, morgen ſchon zu Hauſe zu ſein,“ ſagte

er, zerſtreut die beiden Stubenmädchen grüßend,
welche die Treppe herunterkamen.

Vor ſeinem Zimmer angekommen, reichte er
Weidmann die Hand und ſagte noch einmal: „Alſo
heute abend reifen wir mit dem Schnellzug!“

Es ging ſoeben der Zimmerkellner vorüber.

Weidmann wunderte ſich ein bißchen über des
Doktors lautes Sprechen.

Er ſah ihn auch nicht mehr bis zur Abfahrt.
Aber zum Nachtſchnellzug traf Klinger pünktlich
ein.

In den Abendblättern wurde über die Verhand-
lung gegen den Schauſpieler Rank berichtet, und
dieſe Sache ſchien damit abgetan zu ſein.

Aber ſie war noch nicht abgetan.

Zwei Tage ſpäter brachten die Zeitungen wieder
eine ſenſationelle Nachricht.

„Wir haben,“ ſo hieß es, „die Komödie ganz
richtig aufgefaßt, welche der geweſene Schauſpieler
Franz Rank dem Gerichtshofe vorſpielte. Wir haben
fogleich geſagt, daß es ſich früher oder ſpäter auf-
klaͤren werde, aus welcher Urfache Rank ſo gar nichts
über ſeinen Mitſchuldigen zu wiſſen ſchien. Wir haben
ſchon immer angedeutet, daß er für ſein Schweigen
von dem Manne im Gummimantel gelegentlich wohl
bezahlt werden würde. Nun — die Gegenleiſtung iſt
bereits erfolgt. Franz Nanl wurde auf dem
Tranſport nach dem Strafhauſe befreit!

Natürlich waren dabei fremde Hände im Spiele,
und es kann wohl kaum ein Zweifel darüber herr-
ſchen, weſſen Hände dies geweſen ſind — ſelbſt-
verſtändlich diejenigen des Mannes, der mit Rank
zur Zeit der Tat zweifellos beiſammen war, der zu-
erſt in ſeinem Gummimantel und ſpäter in der
Wechſelſtube durch ſeinen Schmuck die Aufmerkſam-
keit auf ſein Außeres lenkte, und welcher alsdann
ſpurlos verſchwunden iſt. Wir zweifeln nicht im
geringſten daran, daß die Zukunft uns recht geben
wird Auf welche Weiſe Rank befreit wurde, iſt
uns bis jetzt nicht bekannt geworden. Wir werden
aber unſeren Leſern vielleicht morgen ſchon Näheres
mitzuteilen in der Lage ſein.“

Mı einem der nächſten Tage erfuhr es zwax
nicht das ganze Publikum, aber es wurde doch
einigen der Sache näher ſtehenden Perſonen bekannt,
wie es Rank hatte gelingen können, ſich die Frei-
heit zu verſchaffen. Er hatte zwei Helfex gefunden.
Der Zug, mittels welchem er in die Strafanſtalt
beförderl werden ſollte, hatte ſoeben auf einer größe-
ren Station gehalten, als es auf der Seite des
Stationsgebäudes einen Knall und danach eine
gewaltige Verwirrung gab. Es war ſehr natürlich,
daß Ranks Tranſporteur, mit dem jener ſich allein
in einem Abteil dritter Klaſſe befand, das Fenſter
eilig herunterließ und den Kopf hinausſteckte.
Weniger ſelbſtverſtändlich war es ſchon, daß ſich
ganz zur ſelben Zeit die entgegengeſetzte Tür des
Wageus auftat, und der Schauſpieler, der ſchon
ſeit ſeiner Abfahrt von Wien dicht nehen ihr
faß, trotz ſeiner gefeſſelten Hände hinausſchlüpfte,
worauf die Tür ebenſo leiſe, als ſie aufgegangen
war, wieder geſchloſſen wurde. Als dies geſchah,
war Rank ſchon hinter einem der vielen Hüter-
ſchuppen der Station verſchwunden. Eine Minnte
fpäter, gerade als der Begleiter des Veruxteilten
einen Schreckensſchrei ausſtieß, beſtieg ein Mann,
der einen langen, lichten Mantel und einen breit-
krämpigen Hut trug, ein Wägelchen, welches hinter
den Güterſchuppen auf der Landſtraße gewartet
hatte.

Es war ein leichter Wagen, das Pferd überaus
ſchnell, der Kutſcher ließ es tüchtig ausgreifen, und
die Straße war gut.

In weniger als fünf Minuten hatte der Wagen
eine Stelle erreicht, an welcher der Wald bis an
die Straße herantrat. Bis dorthin ſah der Ent-
führte oftmals hinter ſich. Aber die Straße blieb
leer. Als der Wald zwiſchen ihm und der Station
lag, rief er den Kutſchierenden an. Der aber wandte
ſich ihm auch jetzt nicht zu, ſondern feuexte durch
teife Zurufe und leichte Hiebe mit der Peitſche das
Pferd zu größter Eile an. Und ſo flog das Ge-
fährt wohl nöch eine halbe Stunde dahin, bis es
endlich vor einem einſamen Wixtshauſe hielt. Dort
fliegen ſie ab. Der Wirt führte ſchweigend das
Pferd in den Stall und kümmerte ſich nicht weiter
um die beiden Fremden, welche raſch querfeldein
gingen.

Es war nicht eine Silbe gewechſelt worden.

Aber der bäuerliche Wirt mußte mit dem ge-
machten Geſchäfte recht zufrieden ſein und auch zu-
frieden mit feiner Pfiffigkeit. Auch konnte der Mieter
des Wagens ſich auf das Schweigen des Wirtes
verlaffen. Er wäre über diefen Punkt, falls er
deshalb überhaupt unruhig war, ganz bexuhigt ge-
weſen, wenn er des Mannes Selbſtgeſpräch be-
lauſcht hätte.
 
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