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Jahrg. 1904.

Drei Seſchwiſter.

Roman von Renriette v. Heerheimb.
(Fortfebung.)

— Machdruck verboten.)

«® ür euch ſitzt der „deutſche Dichter“ immer
; v noch im Schlafrock in ſeiner kalten Dach-

/ — 24 und * * 4 los,

; / was ihm gerade einfällt, ſchreibt von
— Dingen, die er nie 4 erzählt Er-
lebniſſe, die ihm nie widerfahren ſind,“ fuhr Ilſe
erregt zu ihrem Bruder gewandt fort. „Das ſind
aber alles Träume und Phantaſien. Jetzt verlangt
man ganz was anderes, nämlich _
Selbſtgeſchautes, Erlebtes, Erlitte-
nes — Wahrheit, vor allen Dingen
Wahrheit, keine Unnatur mehr.
Hilmar mußte, um Balladenſtoffe zu
finden, um die Balladen kulturhiſto-
riſch treu zu geſtalten, weite Reiſen
machen, Land und Leute, Geſchichte
und Koſtüme ſtudieren.“

„Und er lebt alſo vom Balladen-
dichten, wenn ich fragen darf, will-
daraufhin heiraten?“ erwiderte Krö-
chert. ;

— Jehreubit mu Iunea, n
Künſtlerkreiſen iſt er ein vielgenann-
ter Schriftſteller. Übrigens iſt er mit
ſeinem Vater längſt ausgeſöhnt.
Hilmar verdient ſo viel, um völlig
ſelbſtändig leben zu können — und
der Erfolg entſcheidet und macht
alles gut.“

„Trotzdem iſt er kein Mann für
dich, Ilſen Wenn Hilmar auch aus
unſerem Stande iſt, ſo lebt er jetzt
doch in ganz anderen Kreiſen. Du
würdeſt dich nach kurzer Zeit ſehr
unglücklich fühlen.“

„Meinſt du? Ich würde — nein

ich werde — denn ich ſetze meinen
Willen doch noch durch, in einer
Ehe leben, in der eine völlige ſeeli-
ſche Gemeinſamkeit herrſcht Ich
werde ſeine Arbeiten verſtehen, mit
genießen, in ihnen leben wie er.
Was iſt denn für eine Gemeinſam-
feit üır euren Ehen? Jedes geht
ſeinen Weg — bei den Mahlzeiten
treffen ſie zufällig zuſammen.“
„Wo haſt du denn Hilmar ge-
ſehen, Ilſe? unterbrach ſie Haus-
Henning. „Seitdem dır erwachſen
biſt, iſt er doch kaum bei ſeinem Va-
ter geweſen?“

Ich habe ihn in Berlin kennen
gelernt, als ich damals einen Win-
ter dort Muſikſtunden nahm. Seit-
dem er mit ſeiner Familie verſöhnt
iſt, hab' ich ihn ſauch manchmal

XIX

1904,

bei Bodenhauſens getroffen. Jetzt iſt natürlich, da
Papa ſeinen Antrag zurückwies, der Verkehr abge-
brochen. Wir ſchreiben uns aber.“

„So. Na, dann werde ich einmal mit Herrn
Hilmar reden.“

„Das wirſt du bleiben laſſen. Darum hab' ich
dir nicht alles anvertraut, damit du mir neue Schwie-
rigkeiten machſt! Hans-Henning, würdeſt du von
deiner Liebe laſſen, nur weil deine Verwandten deine
Wahl mißbilligen?“

Das iſt ganz etwas anderes. . Ich bin ein
Mann und muß ſelbſt entſcheiden, was für mich
gut iſt.“

„Nun, dieſe Freiheit will ich mix auch nehmen.“

Kröchert antwortete nicht. Sie fuhren lange
Zeit ſtillſchweigend weiter. Er ſah nachdenklich über

die Gegend hin. Immer dasſelbe Bild: verwüſtete
Felder, verſchlammte Wege, eingeſunkene Häuſer
und Scheunen. Troſtlos! Hans-Hennings Geſicht
wurde immer ernſter. Die furchtbare Ausdehnung
des Unglücks durch dieſe letzte Kberſchwemmung
wurde ihm jetzt erſt völlig klar. Ein häßlicher Ge-
ruch erfüllte die Luft. Die Waſſermaſſen ſchwemm-
ten manches an, das mit halbreifen Feldfrüchten
und allerhand anderen Dingen zuſammen vermoderte
Es roch nach Verweſung, faulem Waſſer, Schlamm
und Unrat. Sr ſeufzte ünwillkürlich. Armes Roten-
walde, wie ſchwer war es getroffen worden! Und
der Vater tat ihm auch leid. Wirklich — einen
ungünſtigeren Moment für ſeine und Ilſes Heirats-
pläne konnte man nicht wählen!

„Was ſagt denn Hilde zu deinen Ideen, Kleines?“
wandte er ſich noch einmal an Ilſe.

„Ach, Hilde! Sie bedauert mich,

verwöhnt mich — begreift mich aber
kein bißchen. Ich hoffte auf dich,
Hans-Henning, wie es ſcheint ver-
gebens.“

Sie bogen von der Chauſſee ab
in einen Waldweg.

Hochgewachſene Buchen und
Eichen wechſelten mit rötlich ſchim-
mernden Fichtenſtämmen ab. Da-
zwiſchen lagen Tannenſchonungen,
eine kleine Waldlichtung, auf deren
grüne Wieſe Abends das Wild her-
austrat. Bläuliche Fliegen mit
metalliſch glitzernden Flügeldecken
ſchwärmten über das lange Gras
oder ſtanden ſekundenlang regungslos
in der Luft, um beim Herannahen des
Wagens die Pferde zu umkreiſen.

Hans-Henning wies auf die vie-
len abgehauenen Baumſtümpfe, an
denen ſie vorbeikamen. „Vater hat
viel ſchlagen laſſen, ſeit ich nicht hier
war?“

„Ja, er will aber noch viel mehr
ſchlagen.“

Hans-Henning runzelte die Stirn.
„Das kommt mir ebenſo praktiſch
vor, wie wenn einer ſeine Kuh
ſchlachtet, ſtatt die Milch zu ver-
kaufen.“

Der Wald lichtete ſich immer
mehr, ging endlich in gutgehaltene
Raſenplätze mit einigen ſchönen
Baumgruppen über — ſie waren
im Park des Herrenhauſes angelangt.
Eine Allee breitäſtiger Kaſtanien
führte nach dem Schloß. Hans-Hen-
nings Augen leuchteten auf, als er
die ſtattliche Faſſade des Hauſes
durch die grünen Zweige ſchimmern
ſah. Wie oft ſchon ſchlug ſein Herz
höher beim Anblick dex Heimat,
wenn er als Schüler, ſpäter als
Student und Offizier die bekannten


Ein Sruß. nach einem Semälde von P. Felgentreff.

Mauern und Türme vor ſich auf-
tauchen ſah.
 
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