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Hans-Hennings Zimmer wurde von Hilde mit
liebevoller Sorgfalt zurechtgemacht. All feine Bilder
und Reiſeerinnerungen ſtellte ſie auf. Die großen
Photographien des erbprinzlichen Paares, mehrere
Bilder von Sitta nahmen einen kleinen Ecktiſch voll-
kommen ein.

Karola beſah die Bilder mit großem Intereſſe.
„Wie wunderſchön muß die Erbprinzeß ſein!“ Sie
hielt Sittas Photographie hoch.

„Das iſt nicht die Erbprinzeß — das iſt ihre
Hofdame,“ berichtigte Hilde.

„So. Von der beſitzt Hans-Henning aber viele
Bilder!“

„Bei Hof mag es wohl Mode ſein, daß man
ſich oft Photographien ſchenkt.“

Karola wunderte ſich. Mindeſtens ſechs ver-
ſchiedene Aufnahmen der ſchönen Hofdame gab es
hier zu bewundern. Sitta ım Ball-, Promenaden—,
Reitkleid. Sitta mit und ohne Hut, als Rokoko-
ſchäferin und italieniſches Bauernmädchen. Aber
wenn es Hofſitte war, ſich gegenſeitig ſo reich mit
Bildern zu bedenken, ſo ließ ſich natürlich nichts
dagegen ſagen!

Noch viel mehr Intereſſe wie dieſe Bilder er-
regte Hans-Hennings Photographie, die Karola auf
Hildes Schreibtiſch ſah. Beſonders eine Aufnahme
zu Pferde in Uniform entzückte ſie. „Er muß bild-
hübſch ſein!“ meinte ſie mit naiver Bewunderung.

„Ähnlich ſo hat Vater gewiß als Leutnant aus-
geſehen.“

„Wahrſcheinlich. Hans-Henning gleicht unſerem
verſtoxbenen Vater. Es iſt dasſelbe Kröchertſche
Familiengeſicht bei allen dreien.“

Sie hätten ſich mit dem Einräumen mehr Zeit
laſſen können. Hans-Henning traf ſpäter ein, wie
Hilde erwartete. Ein Brief von ihm brachte die
überraſchende Nachricht, daß Hilmar und Ilſe in
Berlin heiraten und von dort aus ſofort ihre
Schweizexreiſe antreten wollten. Er bleibe als Trau-
zeuge. Wenn Hilde kommen wolle, möge ſie ſich
dazu in Berlin einfinden.

Er tadelte den Entſchluß des jungen Paares
nicht. Der Brief erwähnte nur kurz und kühl dieſe
Abſicht, von der Hilde ſich aber ſo bittex gekränkt
fühlte, daß ſie beſchloß, nicht zur Hochzeit nach
Berlin zu reiſen.

Wenn Ilſe ſich ſo völlig von ihnen losſagte,
dann mußte man eben warten, bis ſie einmal nach
den Geſchwiſtern verlangte.

Selbſt ein ſehr liebevoller Brief von der erſten
Reiſeſtation des jungen Paares beruhigte ſie keines-
wegs. Aber je tiefer ſie ſich von der Schweſter ver-
letzt fühlte, umſo liebevoller ſchlug ihr Herz dem
Bruder entgegen, auf den jetzt allein die ganze Liebe
ihres reichen Herzens ausſtrömen mußte.

Sie fand ihn mager geworden, abgeſpannt aus-
ſehend, mit tiefen Schatten unter den Augen und
einer ſenkrechten Falte auf der Stirn. Kein Wunder
— er hatte ja auch gar zu viel durchgemacht in der
letzten Zeit!

Etwas ängſtlich fragend ſah ſie in ſein Geſicht,
als er nach ſeiner Ankunft mit ihr durch die Zimmer
ging. „Ich hab's ſo gut gemacht, wie ich konnte,
Hans-Henning!“ entſchuldigte ſie ſich.

„Iſt ja auch alles ſehr gut ſo!“ antwortete er
gleichgültig. Er ſchien es nicht zu bemerken, mit
wie viel Mühe und Arbeit dieſe kleinen häßlichen
Stuben wohnlich gemacht worden waren.

„Hans-Henning, wird Rotenwalde ſehr verändert
durch die Fabrik?“ fragte ſie ſtockend.

Er nickte. „Ja — vollkommen verändert. Die
Fabrikgebäude bauen ſie bis dicht an Vaters Grab.
Die Bäume im Park ſind ſämtlich geſchlagen worden,
auch im Hauſe wird alles umgeſtaltet, ſie nehmen
Mauern heraus — ach, wir wollen nicht davon
ſprechen.“

Er ging ein paarmal ſchnell durchs Zimmer.

„Ich hatte den Herren ſchon alles übergeben,
Hilde,“ fing er nach einer Weile wieder an, „Roten-
walde gehörte uns nicht mehr. Da bin ich noch ein-
mal zurückgelaufen — hinauf in mein altes Zimmer.
Es mar ganz leer, kahle Wände, nur dex Efen hing
in langen Ranken herein. Ich hab' auf dem alten
Fenſtertritt gelegen und geheult wie ein Weib. —
So, nun iſt's heraus — brauchſt es aber niemand
weiter zu erzählen.“

Hilde trocknete die Augen. „Und wie wirſt du
es hier aushalten, Hans-Henning? Du biſt ſolch
anderes Leben gewöhnt.““

— — 109 e CL C C
werde arbeiten, den Tag über ſo ſchwer arbeiten,
daß ich Nachts ſchlafen kann — mehr will ich nicht.
Fürs erſte ſind mir noch von Onkel Heinrichs Gnade
abhängig Aber, Hilde, das ſoll nicht lange dauern
— verlaß dich drauf.“

„Ich werde auch mein Teil tun, Hans-Henning.“
„Das weiß ich. Morgen früh um fünf Uhr gehl's
los.“

Cr trat an den Tiſch, auf dem die vielen Bilder
aus Glückſtadt ſtanden Cr ſah lange darauf nieder.
„Wir wallen ſie lieber wegftellen,“ fagte ex dann
Ca 3C paſſen jetzt nicht mehr in mein Leben
hinein?

„Wirſt du das können? Ich meine, ſie auch aus
der Erinnerung verbannen?“

Er zuckte zuſammen.„Verſuchen werd' ich's!“

Dann ſtellte er Sittas Bilder weg. Hilde ſah,
daß ſeine Hand zitterte.

Siebentes Kapitel.

Das blinkende Eiſen der Pflugſchar riß tiefe
Furchen in die weichen braunen Ackerſchollen. Die
Staxe ſammelten ſich ſchon. Wie eine ſchnell ſegelnde
Wolke hoben ſich die ſchwarzen Vögel von dem ſtahl-
blauen Herbſthimmel ab. Von den Ebexeſchenbäumen
* * Chauſſee hingen die gelbroten Beerentrauben
jerab.

Die Knechte klatſchten mit langer Peitſche hinter
den langſam den Pflug vorwärtsziehenden Pferden.
Hans-Henning ſtand mit ſchmutzbeſpritzten hohen
Stiefeln im Acker. Er ſah aufmerkſam den pflügen-
den Knechten zu. Manchmal ergriff er ſelbſt die
Zügel eines Geſpanns. Der Knecht grinſte, wenn
ſich die ſchlanke Geſtalt des Herrn weit zurückbog,
um das Gleichgewicht herzuſtellen oder zu hemmen,
wenn die Pferde zu ſcharf anzogen. Hans-Henning
wollte von der Pike auf dienen und wußte, daß
man vom Zuſehen allein nicht lernt. Jede, auch
die geringſte Arbeit machte er darum ſelber mit
durch.

Der alte Inſpektor aus Malchow war ſtolz auf
ſeinen Schüler. Er konnte nicht genug ſeinen Eifer
und ſchnelles Erfaſſen loben. Heinrich v. Kröchert
hörte mit glücklichem Geſicht dieſe Lobeshymnen an.
Er kam auch oft nach Hinrichshagen und überzeugte
ſich ſelbſt davon, daß der Inſpektor nicht zu viel
ſagte. Es kam dem Alten ſogar oft ſo vor, als ob
Hans-Henning zu viel arbeite Es lag etwas Über-
haſtetes in dieſer Art von Tätigkeit, wie wenn er
damit in ſich etwas zum Schweigen bringen, be-
täuben wolle.

Ob das nur der Kummer über den Verluſt von
Rotenwalde ſein mochte? Dieſer Grund erſchien
dem alten Märker nicht recht ſtichhaltig, denn ſein
Neffe mußte ſich hier doch wohl fühlen in ſeiner
alten, rechten Heimat. Hier lagen die Wurzeln des
Stammbaums ihrer Familie ſeit Jahrhundexten.

Sonntags, wenn Hans-Henning und Hilde ihn
in Malchow beſuchten, führte er ſie mit Stolz übexall
herum. Alles war ordentlich, einfach aber tadellos
gehalten.

„Siehſt du, mein Junge, ein kleines Gut, aber
ohne einen Pfennig Schulden drauf — das loh' ich
mir!“ ſagte Heinrich v. Kröchert oft nach ſolchem
Rundgang. „Iſt das nicht beſſer, wie ein groß-
artiges Schloß, das einen mit Anſprüchen und
Schulden erdrückt?“

„Gewiß, Onkel!“
ruhig.

„Na, ſiehſt du wohl. Ich merke ſchon, ich kann
dir Malchow einmal mit vollem Vertrauen hinter-
laſſen, beſonders wenn du mal 'ne vernünftige,
wirtſchaftliche Frau heixateſt.“

Sein Blick folgte Karola, die ohne Hut oder
Sonnenſchirm, ihr zartroſiges Geſicht unbekümmert
den Sonnenſtrahlen ausſehend, hinker ihren jungen
Hühnern herlief.

„Heiraten — ich?“ Hans-Henning lachte etwas
gezwuͤngen. „Wie kann ich in meiner Lage an
Heiraten denken?“

„Warum nicht, wenn das betreffende Mädchen
Geld hat.“ Kröchert ſtreifte das Geſicht ſeines Neffen
mit ſcharfem Blick. Er konnte aber nichts anderes
entdecken, als den ernſten, ein wenig traurigen Aus-
druck, der jetzt immer über ſeinen Zügen lag! „Willſt
du morgen mit Karola reiten?“ fragte er ſchnell.

Viel Begabung zur Diplomatie beſaß der alte
Herr nicht, aber Hans-Henning war zu ſehr exfüllt
von ſeiner Liebe für Sitta, um des Onkels Pläne
zu durchſchauen. *

Er mochte Karola fehr gern. Sie erinnerte ihn
an Ilſe. Er behandelte auch ſie immer wie ein
Kind „Morgen? Ja, morgen hab ich Zeit Ich
werde dich um neun Uhr ſrüh abholen, Karola.“

Sie ließ ihre Schürze mit den letzten Futter-
körnern fallen und kam raſch angelaufen. Ihre
Augen glänzten. „Wie prachtvoll! Ich reite „Grane!,
— ⏑

„Wenn Hans-Henning acht gibt, und du ſehr
verſtändig reiten willſt“

„Natuͤrlich — ganz verſtändig Nur ein paar
Gräben und das niedrige Koppelriet ſpringen wir.
Ach, ſo gegen ein Hindernis anxeiten — was Schöne-
ves'gibt' nicht! Da gehört einem die ganze Welt.

antwortete Hans-Henning

Und dann in langem Galopp über die Stopvyehn i
den Wald 4 *

„Ein Genick haſt du unux, Karola.“ Heinrich
v. Kröchert faßte das junge Mädchen um den Hals
und ſchüttelte ſie ein bißchen, wobei ſie das Knurren
und Schnappen eines biſſigen Hundes mit viel Talent
nachahmte.

— @& er e Kacdhend 103 „ Madh,
daß du ins Haus fommft und koͤch uns Kaffee.“
S el geſchehen men 909e Da C
fnickfte tief. „Hans-HGenning, iſt das fo ein richtiger
Hofknicks?“

„Ausgezeichnet!“ bewunderte er.

Eie lachte hel auf und lief MS Haus Die
blonden Flechten flimmerten in der Sonne.

„Das iſt ein Leben ” Der alıe Mannn 100 09ı
nach „ Das tollt und jauchzt von früh au e in
die Nacht hinein. Gott behüls!“ 2
„Ja, ſie iſt ein reizendes Kind!“ beſtätigte Hans-
Henning.

Der Alte ſchob ſeinen Arm unter den des Neffen.
„Komm, nun trinken wir eine Taſſe Kaffee und
rauchen eine gute Zigarre. Zum Abendbrot kommt
unſer Paſtor, dann fpielen wir Whiſt mit einem
Strohmann. Denn Damen ſpielen immer ſchlecht
Whiſt und ſchwatzen beſtändig dabei. Du biſt zwar
kein großer Held, aber du ſſchnatterſt wenigſtens
nicht fortwährend.“ -

Des Onkels Urteil, Hans-Hennings mittelmäßiges
Spiel betreffend, beſtätigte ſich heute abend. Er
ſpielte wirklich ſehr unaufmerkſam. Seine Gedanken
waren in Glückftadt. Wie oft mußten er und Sitta
die erbprinzlichen Herrſchaften anı Whiſttiſch des
alten Herzogs ablöſen.

Glückſtadt! Konnte er denn nie ſeine Gedanken
von dort freimachen? Jetzt mußten ſie bald die
italieniſche Reiſe antreten. Sitta würde ohne ihn
in der klaſſiſchen Siebenhügelſtadt umherwandern,
unter den ſilbergrauen Pinien und grünen Palmen
ſtehen, die weiche Luft atmen, die ſie umgebende
Schönheit genießen — ohne einen Gedanken an ihn
zu verſchwenden. Und er lebte, arbeitete hier wie
ein Bauer, kam müde, hungrig, verdroſſen nach
Hauſe, um in einen bleiernen Schlaf zu verfallen
aus dem ihn im erſten Morgengrauen das Horn
des Nachtwächters weckte.

„Du mußt geben, Hans-Henning,“ ſchrie der
Onkel ihn an. Der Paſtor zog die Stirn in ſorgen-
volle Falten, weil ſein Partner ſtets die verkehrte
Farbe anſpielte. Hilde und Karola plauderten im
Nebenzimmer, bis das Eſſen wieder alle vereinte
und die Geſchwiſter gegen neun Uhr nach Hinrichs-
hagen zurückfuhren. ;

So verging ein Sonntag wie der andere Dieſe
endlos langen Sonntage lagen Hans-Henning am
ſchwerſten auf der Seele. Alltags hatte er keine
Zeit zum Nachdenken, da war er ein ſtummer, flei-
Biger Arbeiter, ohne einen anderen Wunſch als den
nach Ruhe und Schlaf, aber Sonntags, in der freien
Zeit, erwachten alle totgeglaubten Hoffnungen zu
neuem, qualvollem Leben.

Hilde dagegen fühlte ſich befriedigt. Sie gehörte
zu den Maturen, die immer in anderen aufgehen
müſſen. Die Sorge um den Bruder füllte ihre
Zeit, ihre Gedanken pvollſtändig aus.

Zlſe ſchrieb von Berlin aus hHäufig; ihre Briefe
machten Hilde einen etwas zerfahrenen Eindruck
Theaterpremieren, Urteile über neue Bücher und
Schauſpiele, wahrſcheinlich Hilmäxs Mund entſtam-
mend, Klagen über Mangel an Zeit widerſprachen
einigen Ausrufen übex vieles Alleinſein, da Hilmar
fleißig arbeite. Das bildete unverandexlich den In-
hall der Schreiben. Man konnte ſich keinen rechten
Begriff von ihrem Lehen aus dieſen Schilderungen
machen. Hilde ſchüttelte oft ſorgenvoll den Kopf.

Das iſt ja diesmal eine dicke Epiſtel!“ Hans-
Henning entnahm der Mappe des Briefträgers einen
dicken Brief, Poſtſtempel Berlin.

„Soll ich ihn dir vorleſen, Hans Henning?

Ja — Ilſes kreuz und quer geſchriebene Hiero-
glyphen kann ich ſchlecht entziffern“

Hans-Henning ſetzte ſich in die Sofaecke und
zog Peters ſeidenweiche Ohren durch die Finger,
wäs Männe zu einem eiferſüchtigen Knurren ver-
anlaßte. Ilſes Teckel kamen vor einigen Wochen
in einer Kifte in Hinrichshagen an; fie konnten ſich
an das Berliner Straßenleben, den Maulkorbzwang
und andere Unannehmlichkeiten nicht gewöhnen.
Hilmar ſtörte auch das piele Klaffen. So kamen die
Hunde als „Vorläufer“ von Ilſe, an wie Hans-
Henning meinte, denn wenn auch nicht Schnfucht
Fach den Geſchwiſtern, nur nach den geliebten
Teckeln werde Ilſe bald hertreiben. ;

onl Ich ſehne mich ſchmerzlich nach
Ilſe,Fhab' ihr Engſt alles vergeben,“ ſagte Hilde
und faltete den Brief auseinander.

„Liebſte Hilde! Dieſen einſamen Abend daz
heißt Hilmar iſt zu Hauſe, aber er arbeitet und
 
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