Z47
Unzähligc Papageien flogen krächzend nnd pfeifend
von Ufer zn Ufer, die von schreienden Wasservögeln
stark belebt waren. Unzählige Affen kletterten nnd
sprangen mit lantem Lärm in den Bäumen umher,
und aus dem Urwald hervor ertönte Brummen,
Summen, Zirpen, Krächzen nnd Schreien. Jubelnd
begrüßte die Tierwelt den jungen Tag.
Immer wieder zuckte es mir in den Fingern,
die Büchse zu heben, nm ein oder das andere Wild,
welches mir wertvoll für meine Sammlung er-
schien, zu erlegen. Prächtig war ein großer Reiher,
welcher am Ufer gravitätisch ans einem Bein stand
und ohne Scheu zu uns herüberschaute. Herrlich
war das bunte Gefieder einiger Papageien, die sich
soeben auf die mit allerlei Schlingpflanzen über-
wucherten, hoch emporgestreckten Äste eines in
den Fluß gestürzten mächtigen Urwaldriefen fetzten.
Einen sicheren Schuß boten verschiedene Affen auf
einem sich weit über den Wasserspiegel neigenden
Baum, unter dem unser Boot hinwegfuhr. Doch die
Kugeln in der Büchse galten heute einem anderen,
bedeutenderen Wild, dem zu begegneu mein Herz
nut fieberhaftem Verlangen entgegenschlug.
Aber meine Geduld wurde doch noch eine geraume
Zeit auf die Probe gestellt. Wohl zwei Stunden
ging es zwischen den Urwaldmauern stromabwärts.
Das Geräusch der Tierwelt verstummte nach und
nach, je böher die Sonne stieg, deren sich im Wasser
blendend spiegelnde Strahlen sich bald bei den unauf-
haltsam Rudernden fühlbar machten; in bellen
Tropfen rann ihnen der Schweiß von der Stirn.
Endlich trat der Wald mehr und mehr zurück;
statt dessen waren die Ufer nun mit niedrigen Büschen
und Gras bewachsen. Wir näherten uns der Stelle,
wo am Tage vorher die Flußpferde von den Ein-
geborenen gesehen worden waren. Nach einiger Zeit
verschwand auch das Buschwerk, und hohes Gras
nnd Schilf allein bedeckte weite Strecken, in weiter
Ferne erst vom Urwalde begrenzt. Jetzt zeigten sich
in dem Grase breite, tiefe Fährten, welche die
mächtigen Dickhäuter beim Erklettern des teilweise
steilen, sandigen Ufers zurückgelafsen hatten. Einige
der Fährten erschienen noch frisch, doch war es aus-
geschlossen, daß die Flußpferde sich auf dem Lande
befanden, da sie nur Nachts dort ihr Futter suchen,
wie ich von unterrichteter Seite erfahren hatte,
und was mir auch die Abokumleute bestätigten.
Schon seit einer Weile hatte ich Befehl gegeben,
langsam zu fahren. Dicht am Ufer glitten wir dahin.
Unhörbar tauchten die Leute, anscheinend selbst
auf das höchste gespannt, die Ruder in das Wasser,
indem sie ihre Blicke forschend umherschweifen ließen.
Nachdem der Fluß eine kurze Biegung gemacht
hatte, dehnte er sich gleich darauf zu einer un-
geheuren Breite aus. — Um den Leuten eine
Erholung zu gönnen, ließ ich halten; doch die Rast
sollte nur von kurzer Dauer sein, denn während ich
mit dem Feldstecher die Ufer rings umher absuchte,
entdeckte ich in weiter Ferne aus dem Flusse empor-
steigende Wasserstrahlen, die durch die schräg darauf
fallende Sonne in Regenbogenfarben erglänzten.
„Dort sind sie, Massa!" flüsterte mir mein Unter-
offizier, der sich zu mir gesetzt und dessen scharfes Auge
die Wasserstrahlen gleichfalls gesehen hatte, leise
zu, als köune ein lautes Wort die Dickhäuter in der
Ferne verscheuchen.
Es war nicht nötig, die Leute aufzufordern,
unser Fahrzeug wieder in Bewegung zu setzeu.
Etwa zwölfhundert Meter mochten wir von der
Stelle entfernt sein, wo sich die Dickhäuter im Wasser
tummelten. In einer bedeutend südlicheren Richtung,
von dem Unteroffizier gesteuert, schoß das Boot
über die Wellen dahin. Die Männer gebrauchten
ihre ganze Kraft, um dasselbe so schnell wie möglich
fortzubewegen; man sah, wie ihre Muskeln sich
spannten, sobald sie die Ruder in das Wasser tauchten.
Ich will nicht leugnen, daß ich eine gewisse Er-
regung fühlte, wie sie eben jeder Jäger empfindet,
sobald er sich seiner Beute nähert. In sieberhafter
Aufregung aber befanden sich der Pflanzer Stolzen-
berg und mein Boy. Letzterer lag zitternd am Boden
und verfolgte mit seinen dunklen Augen aufmerksam
die in der Ferne bald hier, bald dort cmporsprühen-
den Wasserstrahlen. Der Pflanzer faß so unruhig in
dem schwanken Fahrzeug, daß ich ihn verschiedentlich
fest auf seinen Sitz niederzudrücken versuchte.
„Nur langsam, alter Freund!" sagte ich zuletzt
ernstlich zu ihm, als ich sah, daß meine Bemühungen
wenig Erfolg hatten. „Wenn Ihr es so weitertreibt,
fallt Ihr noch über Bord oder bringt gar das Boot
zum Kentern."
„Zum Henker!" erwiderte Stolzenberg mit vor
Erregung bebender Stimme, die Büchse schon schuß-
bereit in den Händen. „Wenn wir nur erst am Ziel
wären! Und dann — darum möchte ich Euch bitteu —
überlaßt mir den erstenSchuß. — O, ich kann schießen
und treffen! Zwar habe ich hier in Afrika bis jetzt
nur Papageien geschossen, aber ich Warin der Heimat
schon zweimal Schützenkönig." Er warf sich stolz
in die Brust. „Schützenkönig! Versteht Ihr? Das
will doch etwas sagen und beweist, daß ich mit
der Büchse umzugehen und mein Ziel zu treffen
verstehe. — Für mein Leben gern schösse ich jetzt
svlch ein gewaltiges Tier. Verlaßt Euch darauf,
daß ich es niederstrecke, wie ich daheim auf der
Scheibe das Zentrum traf. Das erlegte Flußpferd
mögt Ihr nachher behalten; mir liegt nichts daran.
Nur es zur Strecke bringen, wie die Jäger es nennen,
das ist mein Wunsch. Ihr erweist mir daher wirk-
lich einen Freundschaftsdienst, wenn Ihr mir den
ersten Schuß überlaßt. — Es sind, wie es scheint,
dort drüben ja noch mehr von den Tieren vorhanden;
da bleibt für Euch schon auch noch etwas übrig."
Lächelnd erklärte ich mich einverstanden. „Ehre,
wem Ehre gebührt," sagte ich. „Ich will sie Euch
als Schützenkönig nun auch hier in Afrika zu teil
werden lassen."
Dankbar drückte er mir die Hand. „Ich werde
Euch zeigen, was ich im Schießen leisten kann."
„Zwei Bedingungen stelle ich jedoch," erwiderte
ich, „und zwar, daß Ihr Euch vorerst im Boot ruhig
verhaltet, und zweitens, daß Ihr nachher nicht
früher schießt, bis ich Euch ein Zeichen gebe."
Er nickte gönnerhaft. „Soll geschehen, lieber
Freund! Soll geschehen! Wenn wir nur erst so-
weit wären." Fester umklammerte er seine Waffe,
und unverwandt starrte er nach dem Tummelplatz
der Dickhäuter.
Wir erreichten etwa fünfhundert Meter unter-
halb derselben das Ufer und fuhren, gedeckt durch
das an diesem in dichten Massen wachsende Schilf,
vorsichtig und langsam bis auf ungefähr dreihundert
Meter an das Wild heran. Dann landeten wir be-
hutsam. Stolzenberg, mein Boy und ich stiegen
aus, ebenso der Unteroffizier und zwei Soldaten,
denen ich winkte, uns zu folgen.
Geräuschlos schlichen wir am Ufer entlang weiter,
und bald hatten wir uns bis auf hundert Meter
der Stelle genähert, wo sich die Flußpferde auf-
hielten. Vorsichtig bogen wir dort das Schilf aus-
einander und konnten jetzt den ganzen Fluß über-
sehen, auf dessen glatter Fläche sich die glühend
heiß vom Himmel herniederbrennenden Sonnen-
strahlen blendend brachen. — Nur bisweilen unter-
brach der Schrei eines Reihers die Stille. Sonst
hörte man allein das leise Summen, Schwirren
und Singen der emsig tätigen Jnsektenwelt.
Da — kaum hundertundzwanzig Meter entfernt
— tauchte der mächtige Kopf eines Flußpferdes aus
der Flut. Hoch blies es das Wasser empor, holte
schnaubend Atem — und fort war es wieder. Ein
starker Strudel bezeichnete die Stelle, an der es
hinabgetaucht war.
Ich hatte, als der Kopf sichtbar wurde, dem
Pflanzer einen Wink gegeben, zu schießen. Er
brachte auch sofort seine Büchse zum Anschlag,
schaute mich dann aber ganz verblüfft an, als das
Tier so schnell wieder verschwunden war. — Aber
schon tauchte aufs neue ein Kopf waffersprühend
empor, um fchaubend nach kaum fünf Sekunden
wieder zu verschwinden, ohne daß mein Gefährte
auch jetzt znm Schuß kam, und das wiederholte sich
noch mehrfach.
„Zum Henker! So schießt doch!" raunte ich ihm
ärgerlich zu, und schon bereute ich es, daß ich ihm
den ersten Schuß überlassen hatte. Mehrere Male
hatte eines dec Flußpferde — es schienen vier oder
fünf Stück zu sein — ein derartig vorteilhaftes
Ziel geboten, daß ich es zweifellos getroffen haben
würde.
Stolzenberg nickte, unruhig die Büchse an- und
wiederabsetzend. „Sofort — sofort! Die verflixten
Biester lassen einem aber ja gar keine Zeit! Da-"
Jetzt endlich krachte der Schuß aus seiner Waffe,
bald nachdem soeben wieder ein Flußpferd znm
Vorschein gekommen war; doch die Kugel schlug
mindestens zwanzig Meter vor dem hinabtauchenden
Kopfe des Dickhäuters ein.
„Viel zu kurz!" flüsterte ich dem Gefährten zu,
der mich fcagend anstarrte, als wolle er von mir er-
fahren, ob er getrosfen habe oder nicht.
Wieder schoß er und abermals zn kurz. — Die
dritte Kugel schlug weit hinter dem verschwindenden
Tiere ein, die vierte seitlich rechts, die fünfte seitlich
links.
Jetzt riß mir die Geduld, umsomehr, da ich be-
merkte, daß mein Gefährte am ganzen Leibe
zitterte, und die Büchse in seinen bebenden Händen
auf- und niederflog. Ich fiel ihm in den Arm, als
er soeben wieder schießen wollte. „Halt, Freund!"
stieß ich ärgerlich hervor. „Ich überließ Euch den
ersten Schuß; nun fehlt nur noch einer am halben
Dutzend. Mit Eurer Knallerei jagt Ihr nur die
Tiere fort. Schützenkönig könnt Ihr hier nicht
werden; das sehe ich."
Kaum gesprochen, bereute ich die letzten Worte,
denn der Mann schaute, noch immer zitternd, mich
wie ein geprügelter Schulbube an.
Doch es blieb mir jetzt keine Zeit, meine Derbheit
wieder gut zu machen. Ein Blick auf den Wasser-
spiegel belehrte mich, daß von den fünf Flußpferden,
welche ich zuletzt gezählt hatte, vier, wahrscheinlich
durch das wiederholte Schießen beunruhigt, ver-
schwunden waren. Nur ein einziges, aber besonders
mächtiges Tier zeigte sich noch. Anscheinend gereizt
über die Störung, stieß es, sobald es an die Ober-
fläche kam, halb röchelnde, halb brüllende Töne aus,
die unheimlich die rings umher herrschende Stille
unterbrachen.
Eine förmliche Angst erfaßte mich, daß auch
dieses Tier das Weite suchen und mir somit meine
Beute vielleicht entgehen könne. Es schien mir
unbedingt nötig, dichter an das Tier heran zu
kommen.
„Nur Mut!" wandte ich mich an den Pflanzer,
der noch immer verlegen vor sich niedersah, „viel-
leicht bietet sich Euch doch noch einmal Gelegenheit,
zu schießen und — zu treffen. Vorwärts! Kommt
nur mit ins Boot!"
Abwehrend streckte aber Stolzenberg die Hand
gegen mich aus. „Nein; das tue ich nicht," erwiderte
er hastig. „Nicht sür vieles Geld! Hier vom Lande
aus-lasse ich mir die Sache gefallen; aber dort auf
dem Wasser — niemals! Solch ein Vieh wirft
den Kahn um, und ich danke bestens, in der Nähe
der Untiere ein Bad zu nehmen. — Ich habe es
überhaupt satt — ganz satt," meinte er und streifte
sich den rinnenden Schweiß von der Stirn.
„So bleibt hier mit dem Boy," versetzte ich,
und schnell eilte ich mit dem Unteroffizier nnd den
beiden Soldaten nach dem Boot zurück.
Voll Schrecken schauten die in demselben zurück-
gebliebenen Abokumleute zu mir auf, als sie meine
Absicht begriffen, nach dem, wie ich zu meiner
Freude bemerkte, soeben wieder emportauchenden
Flußpferde zu fahren; dann sprangen sie hastig an
das Land und waren, trotzdem ich ihnen Fleisch und
Tabak versprach, nicht zu bewegen, sich an der Fahrt
zu beteiligen. — Auch meine Soldaten waren, wie
sich deutlich erkennen ließ, nicht sonderlich erbaut
von meinem Plane; aber sie gehorchten ohne
weiteres, als ich vorn im Boot Platz genommen hatte
und ihnen befahl, auf den Fluß hinauszurudern.
Etwa hundertundsünfzig Meter vom Ufer entfernt
ließ ich halten, und nun hingen meine Augen voll
wachsender Spannung an dem Wasserspiegel. Jetzt
galt es! Gelang es uns, dichter an das Tier heran-
zukommen, so konnte ich mein Ziel unmöglich ver-
fehlen, und dann war die Beute, wenn mit dem
Ganzmantelgeschoß in meiner Büchse gut und somit
auch tödlich getroffen, mein.
Da zeigte sich das Tier aufs neue. Gleich darauf
war es wieder verschwunden, und nun gab ich Befehl,
mit allen Kräften nach der Stelle zu fahren, wo
das Flußpferd hinabgetaucht war. Wie ein Pfeil
schoß das Boot, in welchem ich mich, meine Büchse
schußbereit in den Händen, aufrichtete, durch das
Wasser dahin, und kaum waren wir an der von
mir bezeichneten Stelle angelangt, da kam der
rosarote Kopf des Flußpferdes, keine fünfzig Meter
von uns entfernt, auch schon wieder zum Vorschein.
Ungewöhnlich lange hielt sich das Tier über dem
Wasser und peitschte dasselbe unter furchtbarem
Brüllen mit den Vorderbeinen. Offenbar hatte es
uns bemerkt. Rasch zielte ich auf das linke Auge
und gab Feuer.
In demselben Augenblicke schnellte das Un-
getüm, wie man das Tier mit seinem gewaltigen,
unförmigen Kopfe wohl bezeichnen konnte, fast
senkrecht mit dem halben Körper aus dem Wasser
und überschlug sich. — Viel fehlte nicht, so wäre
ich infolge der hastigen Bewegung, mit welcher
meine Leute das Boot herumwarfen, um schleunigst
dem Ufer zuzurudern, über Bord gefallen.
Meine Ruhe hatte mich nun auch verlassen.
Laut pochte mein Herz, und die Büchse bebte in
meinen Händen. Es war ein überwältigender An-
blick, das kolossale Tier mit dem Tode ringen zu
sehen. Immer wieder überschlug es sich im Wasser,
welches schäumend hohe Wellen warf, während es
sich mehr und mehr dem Lande näherte. Wunderbar
war es, mit welcher Leichtigkeit sein plumper Körper
alle Bewegungen ausführte. Schließlich verschwand
es wenige Sekunden in den wirbelnden Fluten;
dicht unter dem Schilf am Ufer tauchte es wieder
empor, dann raste es plötzlich die steile Böschung
hinauf.
Gellendes Schreien meines Boy erinnerte
mich daran, daß es zufälligerweise an der Stelle
geschah, wo der Knabe nnd Stolzenberg zurück-
geblieben waren. Schon kam das Flußpferd in
dem hohen Grase wieder znm Vorschein, aber gleich
darauf stürzte es sich auss neue in den Fluß, um
abermals im Wasser zu verschwinden. Etwa hundert
Unzähligc Papageien flogen krächzend nnd pfeifend
von Ufer zn Ufer, die von schreienden Wasservögeln
stark belebt waren. Unzählige Affen kletterten nnd
sprangen mit lantem Lärm in den Bäumen umher,
und aus dem Urwald hervor ertönte Brummen,
Summen, Zirpen, Krächzen nnd Schreien. Jubelnd
begrüßte die Tierwelt den jungen Tag.
Immer wieder zuckte es mir in den Fingern,
die Büchse zu heben, nm ein oder das andere Wild,
welches mir wertvoll für meine Sammlung er-
schien, zu erlegen. Prächtig war ein großer Reiher,
welcher am Ufer gravitätisch ans einem Bein stand
und ohne Scheu zu uns herüberschaute. Herrlich
war das bunte Gefieder einiger Papageien, die sich
soeben auf die mit allerlei Schlingpflanzen über-
wucherten, hoch emporgestreckten Äste eines in
den Fluß gestürzten mächtigen Urwaldriefen fetzten.
Einen sicheren Schuß boten verschiedene Affen auf
einem sich weit über den Wasserspiegel neigenden
Baum, unter dem unser Boot hinwegfuhr. Doch die
Kugeln in der Büchse galten heute einem anderen,
bedeutenderen Wild, dem zu begegneu mein Herz
nut fieberhaftem Verlangen entgegenschlug.
Aber meine Geduld wurde doch noch eine geraume
Zeit auf die Probe gestellt. Wohl zwei Stunden
ging es zwischen den Urwaldmauern stromabwärts.
Das Geräusch der Tierwelt verstummte nach und
nach, je böher die Sonne stieg, deren sich im Wasser
blendend spiegelnde Strahlen sich bald bei den unauf-
haltsam Rudernden fühlbar machten; in bellen
Tropfen rann ihnen der Schweiß von der Stirn.
Endlich trat der Wald mehr und mehr zurück;
statt dessen waren die Ufer nun mit niedrigen Büschen
und Gras bewachsen. Wir näherten uns der Stelle,
wo am Tage vorher die Flußpferde von den Ein-
geborenen gesehen worden waren. Nach einiger Zeit
verschwand auch das Buschwerk, und hohes Gras
nnd Schilf allein bedeckte weite Strecken, in weiter
Ferne erst vom Urwalde begrenzt. Jetzt zeigten sich
in dem Grase breite, tiefe Fährten, welche die
mächtigen Dickhäuter beim Erklettern des teilweise
steilen, sandigen Ufers zurückgelafsen hatten. Einige
der Fährten erschienen noch frisch, doch war es aus-
geschlossen, daß die Flußpferde sich auf dem Lande
befanden, da sie nur Nachts dort ihr Futter suchen,
wie ich von unterrichteter Seite erfahren hatte,
und was mir auch die Abokumleute bestätigten.
Schon seit einer Weile hatte ich Befehl gegeben,
langsam zu fahren. Dicht am Ufer glitten wir dahin.
Unhörbar tauchten die Leute, anscheinend selbst
auf das höchste gespannt, die Ruder in das Wasser,
indem sie ihre Blicke forschend umherschweifen ließen.
Nachdem der Fluß eine kurze Biegung gemacht
hatte, dehnte er sich gleich darauf zu einer un-
geheuren Breite aus. — Um den Leuten eine
Erholung zu gönnen, ließ ich halten; doch die Rast
sollte nur von kurzer Dauer sein, denn während ich
mit dem Feldstecher die Ufer rings umher absuchte,
entdeckte ich in weiter Ferne aus dem Flusse empor-
steigende Wasserstrahlen, die durch die schräg darauf
fallende Sonne in Regenbogenfarben erglänzten.
„Dort sind sie, Massa!" flüsterte mir mein Unter-
offizier, der sich zu mir gesetzt und dessen scharfes Auge
die Wasserstrahlen gleichfalls gesehen hatte, leise
zu, als köune ein lautes Wort die Dickhäuter in der
Ferne verscheuchen.
Es war nicht nötig, die Leute aufzufordern,
unser Fahrzeug wieder in Bewegung zu setzeu.
Etwa zwölfhundert Meter mochten wir von der
Stelle entfernt sein, wo sich die Dickhäuter im Wasser
tummelten. In einer bedeutend südlicheren Richtung,
von dem Unteroffizier gesteuert, schoß das Boot
über die Wellen dahin. Die Männer gebrauchten
ihre ganze Kraft, um dasselbe so schnell wie möglich
fortzubewegen; man sah, wie ihre Muskeln sich
spannten, sobald sie die Ruder in das Wasser tauchten.
Ich will nicht leugnen, daß ich eine gewisse Er-
regung fühlte, wie sie eben jeder Jäger empfindet,
sobald er sich seiner Beute nähert. In sieberhafter
Aufregung aber befanden sich der Pflanzer Stolzen-
berg und mein Boy. Letzterer lag zitternd am Boden
und verfolgte mit seinen dunklen Augen aufmerksam
die in der Ferne bald hier, bald dort cmporsprühen-
den Wasserstrahlen. Der Pflanzer faß so unruhig in
dem schwanken Fahrzeug, daß ich ihn verschiedentlich
fest auf seinen Sitz niederzudrücken versuchte.
„Nur langsam, alter Freund!" sagte ich zuletzt
ernstlich zu ihm, als ich sah, daß meine Bemühungen
wenig Erfolg hatten. „Wenn Ihr es so weitertreibt,
fallt Ihr noch über Bord oder bringt gar das Boot
zum Kentern."
„Zum Henker!" erwiderte Stolzenberg mit vor
Erregung bebender Stimme, die Büchse schon schuß-
bereit in den Händen. „Wenn wir nur erst am Ziel
wären! Und dann — darum möchte ich Euch bitteu —
überlaßt mir den erstenSchuß. — O, ich kann schießen
und treffen! Zwar habe ich hier in Afrika bis jetzt
nur Papageien geschossen, aber ich Warin der Heimat
schon zweimal Schützenkönig." Er warf sich stolz
in die Brust. „Schützenkönig! Versteht Ihr? Das
will doch etwas sagen und beweist, daß ich mit
der Büchse umzugehen und mein Ziel zu treffen
verstehe. — Für mein Leben gern schösse ich jetzt
svlch ein gewaltiges Tier. Verlaßt Euch darauf,
daß ich es niederstrecke, wie ich daheim auf der
Scheibe das Zentrum traf. Das erlegte Flußpferd
mögt Ihr nachher behalten; mir liegt nichts daran.
Nur es zur Strecke bringen, wie die Jäger es nennen,
das ist mein Wunsch. Ihr erweist mir daher wirk-
lich einen Freundschaftsdienst, wenn Ihr mir den
ersten Schuß überlaßt. — Es sind, wie es scheint,
dort drüben ja noch mehr von den Tieren vorhanden;
da bleibt für Euch schon auch noch etwas übrig."
Lächelnd erklärte ich mich einverstanden. „Ehre,
wem Ehre gebührt," sagte ich. „Ich will sie Euch
als Schützenkönig nun auch hier in Afrika zu teil
werden lassen."
Dankbar drückte er mir die Hand. „Ich werde
Euch zeigen, was ich im Schießen leisten kann."
„Zwei Bedingungen stelle ich jedoch," erwiderte
ich, „und zwar, daß Ihr Euch vorerst im Boot ruhig
verhaltet, und zweitens, daß Ihr nachher nicht
früher schießt, bis ich Euch ein Zeichen gebe."
Er nickte gönnerhaft. „Soll geschehen, lieber
Freund! Soll geschehen! Wenn wir nur erst so-
weit wären." Fester umklammerte er seine Waffe,
und unverwandt starrte er nach dem Tummelplatz
der Dickhäuter.
Wir erreichten etwa fünfhundert Meter unter-
halb derselben das Ufer und fuhren, gedeckt durch
das an diesem in dichten Massen wachsende Schilf,
vorsichtig und langsam bis auf ungefähr dreihundert
Meter an das Wild heran. Dann landeten wir be-
hutsam. Stolzenberg, mein Boy und ich stiegen
aus, ebenso der Unteroffizier und zwei Soldaten,
denen ich winkte, uns zu folgen.
Geräuschlos schlichen wir am Ufer entlang weiter,
und bald hatten wir uns bis auf hundert Meter
der Stelle genähert, wo sich die Flußpferde auf-
hielten. Vorsichtig bogen wir dort das Schilf aus-
einander und konnten jetzt den ganzen Fluß über-
sehen, auf dessen glatter Fläche sich die glühend
heiß vom Himmel herniederbrennenden Sonnen-
strahlen blendend brachen. — Nur bisweilen unter-
brach der Schrei eines Reihers die Stille. Sonst
hörte man allein das leise Summen, Schwirren
und Singen der emsig tätigen Jnsektenwelt.
Da — kaum hundertundzwanzig Meter entfernt
— tauchte der mächtige Kopf eines Flußpferdes aus
der Flut. Hoch blies es das Wasser empor, holte
schnaubend Atem — und fort war es wieder. Ein
starker Strudel bezeichnete die Stelle, an der es
hinabgetaucht war.
Ich hatte, als der Kopf sichtbar wurde, dem
Pflanzer einen Wink gegeben, zu schießen. Er
brachte auch sofort seine Büchse zum Anschlag,
schaute mich dann aber ganz verblüfft an, als das
Tier so schnell wieder verschwunden war. — Aber
schon tauchte aufs neue ein Kopf waffersprühend
empor, um fchaubend nach kaum fünf Sekunden
wieder zu verschwinden, ohne daß mein Gefährte
auch jetzt znm Schuß kam, und das wiederholte sich
noch mehrfach.
„Zum Henker! So schießt doch!" raunte ich ihm
ärgerlich zu, und schon bereute ich es, daß ich ihm
den ersten Schuß überlassen hatte. Mehrere Male
hatte eines dec Flußpferde — es schienen vier oder
fünf Stück zu sein — ein derartig vorteilhaftes
Ziel geboten, daß ich es zweifellos getroffen haben
würde.
Stolzenberg nickte, unruhig die Büchse an- und
wiederabsetzend. „Sofort — sofort! Die verflixten
Biester lassen einem aber ja gar keine Zeit! Da-"
Jetzt endlich krachte der Schuß aus seiner Waffe,
bald nachdem soeben wieder ein Flußpferd znm
Vorschein gekommen war; doch die Kugel schlug
mindestens zwanzig Meter vor dem hinabtauchenden
Kopfe des Dickhäuters ein.
„Viel zu kurz!" flüsterte ich dem Gefährten zu,
der mich fcagend anstarrte, als wolle er von mir er-
fahren, ob er getrosfen habe oder nicht.
Wieder schoß er und abermals zn kurz. — Die
dritte Kugel schlug weit hinter dem verschwindenden
Tiere ein, die vierte seitlich rechts, die fünfte seitlich
links.
Jetzt riß mir die Geduld, umsomehr, da ich be-
merkte, daß mein Gefährte am ganzen Leibe
zitterte, und die Büchse in seinen bebenden Händen
auf- und niederflog. Ich fiel ihm in den Arm, als
er soeben wieder schießen wollte. „Halt, Freund!"
stieß ich ärgerlich hervor. „Ich überließ Euch den
ersten Schuß; nun fehlt nur noch einer am halben
Dutzend. Mit Eurer Knallerei jagt Ihr nur die
Tiere fort. Schützenkönig könnt Ihr hier nicht
werden; das sehe ich."
Kaum gesprochen, bereute ich die letzten Worte,
denn der Mann schaute, noch immer zitternd, mich
wie ein geprügelter Schulbube an.
Doch es blieb mir jetzt keine Zeit, meine Derbheit
wieder gut zu machen. Ein Blick auf den Wasser-
spiegel belehrte mich, daß von den fünf Flußpferden,
welche ich zuletzt gezählt hatte, vier, wahrscheinlich
durch das wiederholte Schießen beunruhigt, ver-
schwunden waren. Nur ein einziges, aber besonders
mächtiges Tier zeigte sich noch. Anscheinend gereizt
über die Störung, stieß es, sobald es an die Ober-
fläche kam, halb röchelnde, halb brüllende Töne aus,
die unheimlich die rings umher herrschende Stille
unterbrachen.
Eine förmliche Angst erfaßte mich, daß auch
dieses Tier das Weite suchen und mir somit meine
Beute vielleicht entgehen könne. Es schien mir
unbedingt nötig, dichter an das Tier heran zu
kommen.
„Nur Mut!" wandte ich mich an den Pflanzer,
der noch immer verlegen vor sich niedersah, „viel-
leicht bietet sich Euch doch noch einmal Gelegenheit,
zu schießen und — zu treffen. Vorwärts! Kommt
nur mit ins Boot!"
Abwehrend streckte aber Stolzenberg die Hand
gegen mich aus. „Nein; das tue ich nicht," erwiderte
er hastig. „Nicht sür vieles Geld! Hier vom Lande
aus-lasse ich mir die Sache gefallen; aber dort auf
dem Wasser — niemals! Solch ein Vieh wirft
den Kahn um, und ich danke bestens, in der Nähe
der Untiere ein Bad zu nehmen. — Ich habe es
überhaupt satt — ganz satt," meinte er und streifte
sich den rinnenden Schweiß von der Stirn.
„So bleibt hier mit dem Boy," versetzte ich,
und schnell eilte ich mit dem Unteroffizier nnd den
beiden Soldaten nach dem Boot zurück.
Voll Schrecken schauten die in demselben zurück-
gebliebenen Abokumleute zu mir auf, als sie meine
Absicht begriffen, nach dem, wie ich zu meiner
Freude bemerkte, soeben wieder emportauchenden
Flußpferde zu fahren; dann sprangen sie hastig an
das Land und waren, trotzdem ich ihnen Fleisch und
Tabak versprach, nicht zu bewegen, sich an der Fahrt
zu beteiligen. — Auch meine Soldaten waren, wie
sich deutlich erkennen ließ, nicht sonderlich erbaut
von meinem Plane; aber sie gehorchten ohne
weiteres, als ich vorn im Boot Platz genommen hatte
und ihnen befahl, auf den Fluß hinauszurudern.
Etwa hundertundsünfzig Meter vom Ufer entfernt
ließ ich halten, und nun hingen meine Augen voll
wachsender Spannung an dem Wasserspiegel. Jetzt
galt es! Gelang es uns, dichter an das Tier heran-
zukommen, so konnte ich mein Ziel unmöglich ver-
fehlen, und dann war die Beute, wenn mit dem
Ganzmantelgeschoß in meiner Büchse gut und somit
auch tödlich getroffen, mein.
Da zeigte sich das Tier aufs neue. Gleich darauf
war es wieder verschwunden, und nun gab ich Befehl,
mit allen Kräften nach der Stelle zu fahren, wo
das Flußpferd hinabgetaucht war. Wie ein Pfeil
schoß das Boot, in welchem ich mich, meine Büchse
schußbereit in den Händen, aufrichtete, durch das
Wasser dahin, und kaum waren wir an der von
mir bezeichneten Stelle angelangt, da kam der
rosarote Kopf des Flußpferdes, keine fünfzig Meter
von uns entfernt, auch schon wieder zum Vorschein.
Ungewöhnlich lange hielt sich das Tier über dem
Wasser und peitschte dasselbe unter furchtbarem
Brüllen mit den Vorderbeinen. Offenbar hatte es
uns bemerkt. Rasch zielte ich auf das linke Auge
und gab Feuer.
In demselben Augenblicke schnellte das Un-
getüm, wie man das Tier mit seinem gewaltigen,
unförmigen Kopfe wohl bezeichnen konnte, fast
senkrecht mit dem halben Körper aus dem Wasser
und überschlug sich. — Viel fehlte nicht, so wäre
ich infolge der hastigen Bewegung, mit welcher
meine Leute das Boot herumwarfen, um schleunigst
dem Ufer zuzurudern, über Bord gefallen.
Meine Ruhe hatte mich nun auch verlassen.
Laut pochte mein Herz, und die Büchse bebte in
meinen Händen. Es war ein überwältigender An-
blick, das kolossale Tier mit dem Tode ringen zu
sehen. Immer wieder überschlug es sich im Wasser,
welches schäumend hohe Wellen warf, während es
sich mehr und mehr dem Lande näherte. Wunderbar
war es, mit welcher Leichtigkeit sein plumper Körper
alle Bewegungen ausführte. Schließlich verschwand
es wenige Sekunden in den wirbelnden Fluten;
dicht unter dem Schilf am Ufer tauchte es wieder
empor, dann raste es plötzlich die steile Böschung
hinauf.
Gellendes Schreien meines Boy erinnerte
mich daran, daß es zufälligerweise an der Stelle
geschah, wo der Knabe nnd Stolzenberg zurück-
geblieben waren. Schon kam das Flußpferd in
dem hohen Grase wieder znm Vorschein, aber gleich
darauf stürzte es sich auss neue in den Fluß, um
abermals im Wasser zu verschwinden. Etwa hundert