17ü - v35 Luch fül- Mle
8
von vorn wieder anfangen — das war es, was sich
alles hineindrängte in meinen Aufschrei.
Erstaunt blickte sich der französische Polizeibeamte
nach mir um. „Ist das Ihre Gattin?"
„Nein, sie ist es nicht! Das ist Betrug, das ist
Komödie!" schäumte ich auf. „Er spielt ein elendes
Gaukelspiel mit mir, er lässt eine andere ihre Rolle
spielen!"
Lessen lachte nur malitiös.
Der Kommissär zog die Klingel. „Ist das die-
selbe Dame, mit welcher der Herr angekommen ist?"
wandte er sich an den Kellner.
„Das ist sie."
Dieselbe Frage legte er dem Zimmermädchen,
dem Portier und dem Oberkellner vor.
„Sie sehen, daß es ein Irrtum ist," sagte der
höfliche Franzose in mitleidigem Tone zu mir. „Sie
waren auf einer falschen Fährte — das kommt
häufig vor."
Er bat um Entschuldigung und zog sich zurück.
Ich folgte ihm, von einer ironischen Verbeugung
Lessens verabschiedet. Ich wankte wie ein Be-
trunkener durch die Straßen meinem Hotel zu. In
meinem Zimmer angelangt, gebärdete ich mich wie
ein Rasender. Ich warf meine Kleider wild von
mir, fuchtelte
mit den Ar-
men, stöhnte,
schrie, schluchz-
te, warf mich
auf den Bo-
den, raufte
mein Haar,
wühlte mit
den Händen
im Teppich —
es war der
Paroxismus
meiner Ver-
zweiflung und
zugleich ihr
letzter Aus-
bruch! Die
Reaktion trat
ein, zuerst in
Gestalt einer
Erschöpfung,
wie ich sie noch
nie gefühlt,
und dann in
Gestalt —
neuer Hoff-
nung !
Wie ich von
Paris nach
Dresden ge-
langtbin, weiß
ich nicht. Ich
bin mir nur
dunkel und
dumpf der Ei-
senbahnfahrt
bewußt, mir
war, als sei ich
ein Traumwandler, obgleich ich dachte und handelte
und mit den Leuten mich unterhielt, wenn es nicht
anders ging. Ja, ich dachte auch, ich fragte mich,
wer denn die Fremde sein könne, wenn sie nicht
Irmgard war, ich suchte mir Rechenschaft darüber
abzulegen, wie ich dazu gekommen, Lessen und sie
über Länder und Meere zu verfolgen, ich quälte
mich mit der Frage: wo ist Irmgard, wenn sie nicht
bei ihm ist? Ich hatte viele Wochen daran gewendet,
das Rätsel ihrer Flucht zu lösen, und als ich die
Lösung gefunden zn haben glaubte, da ward das
Rätsel mit einem Male größer und geheimnisvoller
als zuvor! Wo war Irmgard?
Die Hoffnung schwand wieder. Neue Zweifel
tauchten auf. War ich wieder in eine Falle ge-
raten? Befand fie sich doch bei ihm und war von
ihm nur an einem anderen Orte untergebracht wor-
den, während er mit dieser Pseudo-Irmgard, viel-
leicht einer von ihm für sie gemieteten Zofe, mich
und die Polizei hinters Licht führte?
So konnte, so mußte es sein! Eine andere Er-
klärung schien mir nicht denkbar. Ich berente meine
rasche Abreise. Ich hätte den Entführer sollen be-
obachten lassen, ihm folgen auf Schritt und Tritt!
Jetzt war es zu spät! Ich besaß die Kraft nicht mehr,
zu handeln, nachdem mein Leben wochenlang eine
ununterbrochene Reihe von Aufregungen gewesen
war! Alles schoß mir nur traumhaft wirr durch den
Kopf, auch die Erkenntnis meiner Torheit. Es war,
als wäre ich mir selbst ein Fremder geworden oder
als beträfe dies alles einen anderen als mich, als
mangle mir das Bewußtsein der Identität zwischen
mir und dem Opfer all dieser Leiden und Ent-
täuschungen.
Ich betrat mein Haus, als käme ich von einem
kurzen Ausgang zurück, sprach kaum einige Worte
mit Marie und ging auf mein Zimmer, wohin sie
mir mit der Lampe leuchtete, denn es war Abend.
Als sie die elektrische Beleuchtung in Kraft ge-
setzt, nahm sie ein zusammengefaltetes Papier vom
Tische und sagte: „Dieses Telegramm ist schon gestern
für Sie gekommen, Herr Heger. Es scheint sehr
wichtig, denn es ist als dringlich aufgegeben."
Ich nickte und winkte ihr, sich zu entfernen. Erst
nach einer Weile griff ich, aber ohne jede Neugier,
nach der Depesche, entfaltete sie und las die inhalt-
schweren Worte: „Sie sind auf einer falschen Spur.
Ihre Frau ist gefunden. Kommen Sie sofort.
Steinert, Polizeikommissär."
12.
War es möglich, war es denkbar?
Zunächst stand ich starr, regungslos, unfähig zu
jeder Bewegung da. Dann versuchte ich langsam
die Bedeutung der Nachricht zu fassen, ich las die
Depesche immer und immer wieder, aber die Buch-
staben tanzten vor meinen Augen, die Worte ver-
loren ihren Sinn in meinem Geiste. Endlich raffte
ich all meine Kraft zusammen, um einen klaren
Gedanken fassen zu können, und ein wildes Gefühl
des Triumphes zog in mein Herz ein.
Ich begriff später nicht, warum dies mein erstes
Empfinden bei dem Empfang der Botschaft war.
Was bedeutete es mir denn, daß meine Gattin
wiedergsfunden war? Für mich und mein Glück
gar nichts, denn für mich blieb der Fall unverändert.
Sie war von mir gegangen, weil sie mich nicht liebte,
sie hatte mir jenen von Haß und Verachtung gegen
mich diktierten Brief geschrieben, und war ihre Flucht
nicht das Resultat einer Leidenschaft für Lessen, so
liebte sie doch mich auch nicht! Trotzdem triumphierte
ich im ersten Augenblick, als hätte ich eine herrliche
Glückskunde erhalten!
Nun — die freudige Aufwallung erlosch schnell
wieder. An ihrer Stelle blieb nur ein Gefühl der
Erlösung, daß ich nun von der bangen Ungewißheit
befreit werden sollte. Freilich mußte ich auf der
Stelle wieder abreisen, aber ich fühlte plötzlich wieder
Kraft in mir und beschloß, unverzüglich dem Rufe
des Kommissärs zu folgen. Nur kurz schrieb ich an
meine Mutter und meinen Freund Horst. Ich teilte
ihnen die Erfolglosigkeit meiner Reise nach Paris
und den Inhalt der eben erhaltenen Depesche mit.
Während der Fahrt kam mir zuerst der tröstliche
Gedanke, daß Irmgard, wenn sie mit der Person
nicht identisch war, die Lessen in Berlin besucht hatte,
auch nicht die gesuchte Mörderin sein könne. Daran
hatte ich ja überhaupt keinen Augenblick gezweifelt,
aber die Gewißheit tat mir doch wohl. Wenigstens
so lange, bis mir wieder neue Bedenken kamen.
Könnte nicht meine Frau doch mit Lessen im Bunde
gewesen und von ihm anderswo verborgen worden
sein, während er die Komödie mit seiner Begleiterin
in Szene setzte, um mich zu täuschen? Die vor-
herigem Beziehungen Irmgards zu dem Abenteurer,
sein Besuch in meinem Hause, der gepflogene Brief-
wechsel — alles lieferte unwiderlegliche Beweise für
das Einverständnis der beiden. Nur so gab es über-
haupt eine Erklärung für ihre Handlungsweise. So-
bald ich indessen diese Voraussetzung aufstellte, be-
hielt auch der Verdacht des Kommissärs seine frühere
Geltung.
Kommissär Steinert kannte mich sofort wieder.
„Ich hatte Sie schon eher erwartet," sagte er.
Ich teilte ihm mit, daß ich eben erst von Paris
zurückgekommen sei. „Sie haben also meine Frau
gefunden?" fragte ich dann in unerhörter Spannung.
„Wo?"
„An einem Orte, an dem niemand sie vermutet
hätte. Lassen Sie mich Ihnen zunächst wiederholen,
daß Sie einer ganz falschen Fährte gefolgt find.
Ihre Gattin ist nicht mit jenem Lessen entflohen."
„Nicht?" stammelte ich zitternd.
„Nein. Sie ist von Ihnen geflohen, um — in
den Tod zu gehen."
„Irmgard wollte —"
„Den Grund kenne ich nicht. Vielleicht liebte
sie tatsächlich
jenen Men-
schen, und es
bestand ein
Konflikt in
ihr, aus dem fie
keine andere
Rettung und
Löfungfand."
„Es muß
fo fein!" rief
ich erschüttert
und lieh den
Kopf auf die
Brust finken.
„Was muß fie
gelitten ha-
ben!"
Er neigte
das Haupt
zum Zeichen
der Zustim-
mung. „Alles
Nähere nach-
her," fetzte er
hinzn.„Erzäh-
len Sie mir
erst alles, was
Sie inzwi-
schen getan
haben. Ich
habe ein eben-
so großes In-
teresse an Ih-
rer Geschichte,
wie Sie ander
meinen. Ha-
ben Sie Lessen
gefunden?"
„Jawohl," entgegnete ich und hob den Kopf.
„Wo?"
„In Paris." Ich gab einen gedrängten Bericht
meiner Erlebnisse und fruchtlosen Bemühungen. „Es
erscheint mir fast unmöglich, daß ich mich getäuscht
haben soll," bemerkte ich am Schlüsse. „Alle Tat-
sachen, die mir entgegentraten, bestärkten mich in
meiner Überzeugung."
„Eben weil es eine Überzeugung war. Wer von
etwas überzeugt ist, erblickt in allen Dingen nur
die Bestätigung seiner Meinung, wie derjenige, der
zweifelt, stets nur seinen Zweiseln neue Nahrung
zuführt."
„Aber der Steward, dem ich das Porträt zeigte,
sagte mir die Identität auf den Kopf zu."
„Eine Ähnlichkeit genügte, ihn zu täuschen.
Obendrein hatte er bereits während der Fahrt ver-
mutet, daß jene Dame nicht Lessens Schwester sei.
So war er, als man ihn nach ihr fragte und ihm
ein Bild zeigte, ohne weiteres der Überzeugung, es
sei dieselbe. Wenn Sie Kriminalist wären, Herr
Heger, so würden Sie noch ganz andere Beispiele
erleben. Die Beobachtungsfehler der Zeugen bilden
eines der kläglichsten Zeugnisse für die Unzulänglich-
keit der menschlichen Rechtsprechung."
„Zugegeben, Herr Kommissär, doch Sie werden
verstehen, daß ich jetzt —"
„Daß Sie auf einer geistigen Folter liegen —
sehr wohl. Sie sollen alles wissen. Vor allem, daß
Sie mich durch Ihre Erzählung ebenfalls auf eine
ganz irrige Fährte geleitet haben."
„Wieso?"
„Sie waren der Flucht Ihrer Gemahlin in Ge-
meinschaft mit jenem Lessen so gewiß, daß ich an
öepamertes llutomodN für vsfüiere Im teld. (8.175)
sUustraUonsprobe aus »Vas Neue Universum- Nb. 28. 8tuttgsri, Union veuische verlagsgeseNschast.
8
von vorn wieder anfangen — das war es, was sich
alles hineindrängte in meinen Aufschrei.
Erstaunt blickte sich der französische Polizeibeamte
nach mir um. „Ist das Ihre Gattin?"
„Nein, sie ist es nicht! Das ist Betrug, das ist
Komödie!" schäumte ich auf. „Er spielt ein elendes
Gaukelspiel mit mir, er lässt eine andere ihre Rolle
spielen!"
Lessen lachte nur malitiös.
Der Kommissär zog die Klingel. „Ist das die-
selbe Dame, mit welcher der Herr angekommen ist?"
wandte er sich an den Kellner.
„Das ist sie."
Dieselbe Frage legte er dem Zimmermädchen,
dem Portier und dem Oberkellner vor.
„Sie sehen, daß es ein Irrtum ist," sagte der
höfliche Franzose in mitleidigem Tone zu mir. „Sie
waren auf einer falschen Fährte — das kommt
häufig vor."
Er bat um Entschuldigung und zog sich zurück.
Ich folgte ihm, von einer ironischen Verbeugung
Lessens verabschiedet. Ich wankte wie ein Be-
trunkener durch die Straßen meinem Hotel zu. In
meinem Zimmer angelangt, gebärdete ich mich wie
ein Rasender. Ich warf meine Kleider wild von
mir, fuchtelte
mit den Ar-
men, stöhnte,
schrie, schluchz-
te, warf mich
auf den Bo-
den, raufte
mein Haar,
wühlte mit
den Händen
im Teppich —
es war der
Paroxismus
meiner Ver-
zweiflung und
zugleich ihr
letzter Aus-
bruch! Die
Reaktion trat
ein, zuerst in
Gestalt einer
Erschöpfung,
wie ich sie noch
nie gefühlt,
und dann in
Gestalt —
neuer Hoff-
nung !
Wie ich von
Paris nach
Dresden ge-
langtbin, weiß
ich nicht. Ich
bin mir nur
dunkel und
dumpf der Ei-
senbahnfahrt
bewußt, mir
war, als sei ich
ein Traumwandler, obgleich ich dachte und handelte
und mit den Leuten mich unterhielt, wenn es nicht
anders ging. Ja, ich dachte auch, ich fragte mich,
wer denn die Fremde sein könne, wenn sie nicht
Irmgard war, ich suchte mir Rechenschaft darüber
abzulegen, wie ich dazu gekommen, Lessen und sie
über Länder und Meere zu verfolgen, ich quälte
mich mit der Frage: wo ist Irmgard, wenn sie nicht
bei ihm ist? Ich hatte viele Wochen daran gewendet,
das Rätsel ihrer Flucht zu lösen, und als ich die
Lösung gefunden zn haben glaubte, da ward das
Rätsel mit einem Male größer und geheimnisvoller
als zuvor! Wo war Irmgard?
Die Hoffnung schwand wieder. Neue Zweifel
tauchten auf. War ich wieder in eine Falle ge-
raten? Befand fie sich doch bei ihm und war von
ihm nur an einem anderen Orte untergebracht wor-
den, während er mit dieser Pseudo-Irmgard, viel-
leicht einer von ihm für sie gemieteten Zofe, mich
und die Polizei hinters Licht führte?
So konnte, so mußte es sein! Eine andere Er-
klärung schien mir nicht denkbar. Ich berente meine
rasche Abreise. Ich hätte den Entführer sollen be-
obachten lassen, ihm folgen auf Schritt und Tritt!
Jetzt war es zu spät! Ich besaß die Kraft nicht mehr,
zu handeln, nachdem mein Leben wochenlang eine
ununterbrochene Reihe von Aufregungen gewesen
war! Alles schoß mir nur traumhaft wirr durch den
Kopf, auch die Erkenntnis meiner Torheit. Es war,
als wäre ich mir selbst ein Fremder geworden oder
als beträfe dies alles einen anderen als mich, als
mangle mir das Bewußtsein der Identität zwischen
mir und dem Opfer all dieser Leiden und Ent-
täuschungen.
Ich betrat mein Haus, als käme ich von einem
kurzen Ausgang zurück, sprach kaum einige Worte
mit Marie und ging auf mein Zimmer, wohin sie
mir mit der Lampe leuchtete, denn es war Abend.
Als sie die elektrische Beleuchtung in Kraft ge-
setzt, nahm sie ein zusammengefaltetes Papier vom
Tische und sagte: „Dieses Telegramm ist schon gestern
für Sie gekommen, Herr Heger. Es scheint sehr
wichtig, denn es ist als dringlich aufgegeben."
Ich nickte und winkte ihr, sich zu entfernen. Erst
nach einer Weile griff ich, aber ohne jede Neugier,
nach der Depesche, entfaltete sie und las die inhalt-
schweren Worte: „Sie sind auf einer falschen Spur.
Ihre Frau ist gefunden. Kommen Sie sofort.
Steinert, Polizeikommissär."
12.
War es möglich, war es denkbar?
Zunächst stand ich starr, regungslos, unfähig zu
jeder Bewegung da. Dann versuchte ich langsam
die Bedeutung der Nachricht zu fassen, ich las die
Depesche immer und immer wieder, aber die Buch-
staben tanzten vor meinen Augen, die Worte ver-
loren ihren Sinn in meinem Geiste. Endlich raffte
ich all meine Kraft zusammen, um einen klaren
Gedanken fassen zu können, und ein wildes Gefühl
des Triumphes zog in mein Herz ein.
Ich begriff später nicht, warum dies mein erstes
Empfinden bei dem Empfang der Botschaft war.
Was bedeutete es mir denn, daß meine Gattin
wiedergsfunden war? Für mich und mein Glück
gar nichts, denn für mich blieb der Fall unverändert.
Sie war von mir gegangen, weil sie mich nicht liebte,
sie hatte mir jenen von Haß und Verachtung gegen
mich diktierten Brief geschrieben, und war ihre Flucht
nicht das Resultat einer Leidenschaft für Lessen, so
liebte sie doch mich auch nicht! Trotzdem triumphierte
ich im ersten Augenblick, als hätte ich eine herrliche
Glückskunde erhalten!
Nun — die freudige Aufwallung erlosch schnell
wieder. An ihrer Stelle blieb nur ein Gefühl der
Erlösung, daß ich nun von der bangen Ungewißheit
befreit werden sollte. Freilich mußte ich auf der
Stelle wieder abreisen, aber ich fühlte plötzlich wieder
Kraft in mir und beschloß, unverzüglich dem Rufe
des Kommissärs zu folgen. Nur kurz schrieb ich an
meine Mutter und meinen Freund Horst. Ich teilte
ihnen die Erfolglosigkeit meiner Reise nach Paris
und den Inhalt der eben erhaltenen Depesche mit.
Während der Fahrt kam mir zuerst der tröstliche
Gedanke, daß Irmgard, wenn sie mit der Person
nicht identisch war, die Lessen in Berlin besucht hatte,
auch nicht die gesuchte Mörderin sein könne. Daran
hatte ich ja überhaupt keinen Augenblick gezweifelt,
aber die Gewißheit tat mir doch wohl. Wenigstens
so lange, bis mir wieder neue Bedenken kamen.
Könnte nicht meine Frau doch mit Lessen im Bunde
gewesen und von ihm anderswo verborgen worden
sein, während er die Komödie mit seiner Begleiterin
in Szene setzte, um mich zu täuschen? Die vor-
herigem Beziehungen Irmgards zu dem Abenteurer,
sein Besuch in meinem Hause, der gepflogene Brief-
wechsel — alles lieferte unwiderlegliche Beweise für
das Einverständnis der beiden. Nur so gab es über-
haupt eine Erklärung für ihre Handlungsweise. So-
bald ich indessen diese Voraussetzung aufstellte, be-
hielt auch der Verdacht des Kommissärs seine frühere
Geltung.
Kommissär Steinert kannte mich sofort wieder.
„Ich hatte Sie schon eher erwartet," sagte er.
Ich teilte ihm mit, daß ich eben erst von Paris
zurückgekommen sei. „Sie haben also meine Frau
gefunden?" fragte ich dann in unerhörter Spannung.
„Wo?"
„An einem Orte, an dem niemand sie vermutet
hätte. Lassen Sie mich Ihnen zunächst wiederholen,
daß Sie einer ganz falschen Fährte gefolgt find.
Ihre Gattin ist nicht mit jenem Lessen entflohen."
„Nicht?" stammelte ich zitternd.
„Nein. Sie ist von Ihnen geflohen, um — in
den Tod zu gehen."
„Irmgard wollte —"
„Den Grund kenne ich nicht. Vielleicht liebte
sie tatsächlich
jenen Men-
schen, und es
bestand ein
Konflikt in
ihr, aus dem fie
keine andere
Rettung und
Löfungfand."
„Es muß
fo fein!" rief
ich erschüttert
und lieh den
Kopf auf die
Brust finken.
„Was muß fie
gelitten ha-
ben!"
Er neigte
das Haupt
zum Zeichen
der Zustim-
mung. „Alles
Nähere nach-
her," fetzte er
hinzn.„Erzäh-
len Sie mir
erst alles, was
Sie inzwi-
schen getan
haben. Ich
habe ein eben-
so großes In-
teresse an Ih-
rer Geschichte,
wie Sie ander
meinen. Ha-
ben Sie Lessen
gefunden?"
„Jawohl," entgegnete ich und hob den Kopf.
„Wo?"
„In Paris." Ich gab einen gedrängten Bericht
meiner Erlebnisse und fruchtlosen Bemühungen. „Es
erscheint mir fast unmöglich, daß ich mich getäuscht
haben soll," bemerkte ich am Schlüsse. „Alle Tat-
sachen, die mir entgegentraten, bestärkten mich in
meiner Überzeugung."
„Eben weil es eine Überzeugung war. Wer von
etwas überzeugt ist, erblickt in allen Dingen nur
die Bestätigung seiner Meinung, wie derjenige, der
zweifelt, stets nur seinen Zweiseln neue Nahrung
zuführt."
„Aber der Steward, dem ich das Porträt zeigte,
sagte mir die Identität auf den Kopf zu."
„Eine Ähnlichkeit genügte, ihn zu täuschen.
Obendrein hatte er bereits während der Fahrt ver-
mutet, daß jene Dame nicht Lessens Schwester sei.
So war er, als man ihn nach ihr fragte und ihm
ein Bild zeigte, ohne weiteres der Überzeugung, es
sei dieselbe. Wenn Sie Kriminalist wären, Herr
Heger, so würden Sie noch ganz andere Beispiele
erleben. Die Beobachtungsfehler der Zeugen bilden
eines der kläglichsten Zeugnisse für die Unzulänglich-
keit der menschlichen Rechtsprechung."
„Zugegeben, Herr Kommissär, doch Sie werden
verstehen, daß ich jetzt —"
„Daß Sie auf einer geistigen Folter liegen —
sehr wohl. Sie sollen alles wissen. Vor allem, daß
Sie mich durch Ihre Erzählung ebenfalls auf eine
ganz irrige Fährte geleitet haben."
„Wieso?"
„Sie waren der Flucht Ihrer Gemahlin in Ge-
meinschaft mit jenem Lessen so gewiß, daß ich an
öepamertes llutomodN für vsfüiere Im teld. (8.175)
sUustraUonsprobe aus »Vas Neue Universum- Nb. 28. 8tuttgsri, Union veuische verlagsgeseNschast.