Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 44.1909

DOI Heft:
Heft 23
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.60740#0511
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
512

„Ich werde Ihre begreifliche Wißbegier selbst-
verständlich befriedigen, aber nicht unterwegs. Wir
haben daheim noch vollauf Zeit. Rauchen Sie?"
„Je mehr, desto lieber."
Der Baron lachte und reichte dem Musensohne
seine Zigarrentasche. Es war ein kalter, finsterer
Abend, kein Stern am Himmel zu sehen, und der
Baron zog fürsorglich die schwere Decke bis zu seiner
und seines Gefährten Brust herauf.
„Die sonst so anmutigen Ufer des Sees verbergen
sich heute für uns," plauderte er behaglich. „Ich
bedaure das in Ihrem Interesse. Mir selbst ist die
heutige Dunkelheit aber willkommen, weil ich nicht
wünsche, daß Ihre Anwesenheit allzusehr bemerkt
und mit den Zuständen auf meiner Besitzung in
Verbindung gebracht wird."
Darauf begann er von anderen Dingen zu reden.
Er fragte nach diesem und jenem und wußte die
Unterhaltung bald in so flotten Fluß zu bringen,
daß fein Begleiter gänzlich vergaß, auf die Um-
gebung zu achten und selber das wenige nicht davon
sah, was ihm die herrschende Finsternis überhaupt
zu sehen verstattete. Nur einigemal warf er einen
Seitenblick nach rechts oder links, und endlich, als
er glaubte, es sei eine weit längere Zeit verflossen,
als man für die Fahrt angesetzt, fragte er, ob sie
nicht bald am Ziele seien.
„Sogleich," erwiderte der Baron. „Wir biegen
innerhalb zwei Minuten links in die Schlucht, die
nach dem Vorsprung hinaufführt, auf welchem Villa
Morrison liegt. — Sehen Sie, da ist sie schon," fügte
er nach einer Pause hinzu, und wirklich machte in
diesem Augenblicke der Wagen eine scharfe Wendung
und raffelte zwischen zwei engen, steilen Felsen-
wänden dahin.
„Wo ist denn das Schloß? Ich begreife gar nicht,
wo hier ein Haus Platz finden kann."
„Dort oben sehen Sie bereits die Lichter," ent-
gegnete d'Almont. „Sehen Sie — dort rechts auf
der Höhe!"
„Richtig. Das scheint ja ein stattlicher Bau zu
sein."
„Ist es auch," bejahte stolz der Eigentümer von
Morrison.
Bald hielten sie vor dem altertümlichen Portal
eines großen Gebäudes, das in der herrschenden
Finsternis einen so düsteren Eindruck machte wie
ein Gefängnis. Es kam Robert sogar vor, als sei
der Wagen über eine Art Zugbrücke gefahren, und
er bemerkte mit einem etwas befremdeten Blick
auf die starken Mauern und den ziemlich hohen Turm,
das Schloß sehe ja wie eine mittelalterliche Burg aus.
„Der Erbauer wollte dem Gebäude offenbar
diesen Charakter verleihen," versetzte der Baron,
„und eben um seines Aussehens willen nennen die
Bewohner der Umgegend es hartnäckig ein Schloß,
während es im Grunde nur eine geräumige Villa
ist. Es ist übrigens noch gar nicht alt, es steht kaum
dreißig Jahre, nur ist es unter dem früheren Besitzer
stark vernachlässigt worden, und ich habe noch nicht
Zeit gefunden, es wieder zu restaurieren — wenig-
stens nicht äußerlich. Innen werden Sie alles kom-
fortabel und angenehm finden. Bei Tageslicht ist
auch der Eindruck ein viel heiterer als Abends. Da
sieht man unten die Dörfer und Villen liegen und
blickt direkt auf den wunderbaren Seespiegel. —
Doch kommen Sie, junger Freund, Sie werden
hungrig und durstig sein."
In einem gut durchheizten, freundlich erhellten
Zimmer mit recht hübscher und bequemer, aber alter-
tümlicher Ausstattung erwartete den Reisenden ein
reichbesetzter Tisch, bei dessen Anblick ihm Herz und
Augen lachten. Sein Begleiter bat ihn, es sich be-
quem zu machen und tüchtig zuzulangen, er werde
in einer Viertelstunde wieder da sein und wolle nur
seine Kleidung wechseln.
Ein Diener hatte im Flur Mantel, Hut und Stock
des Studenten in Empfang genommen und bediente
ihn jetzt auch bei der Mahlzeit. Robert Fahrenkamp
hätte ihn gern ein wenig ausgehorcht wegen des
Spukzimmers, er wußte jedoch nicht, ob er damit
im Sinne des Barons handeln würde, und schwieg
daher umso lieber, als der Diener überhaupt ein
verschlossener, zugeknöpfter Mensch zu sein schien,
der bei aller Höflichkeit nicht zehn Worte sprach.
Der Baron kehrte bald zurück, um ihm beim
Essen Gesellschaft zu leisten. Außer ihm und dem
Diener bekam der junge Student während des Abends
niemand zu Gesicht, ja er erfuhr nicht einmal, ob
das Schloß noch von anderen Menschen bewohnt sei.
Doch er war zu jung und besaß auch viel zu viel
Vertrauen auf seine Kraft, um sich irgendwelchen
Bedenken hinzugeben. Die Mahlzeit war vorzüg-
lich, der Wein großartig, die Zigarren von außer-
ordentlich feinem Geschmack, der Baron liebens-
würdig und zuvorkommend — Robert hatte sich
lange nicht so behaglich befunden. Er dachte auch
schon kaum mehr an die Absicht, die ihn hierher-

" i Vas Luch sül- MIe ...'n
geführt, als der Baron plötzlich nach der Uhr sab,
und dann mit ernster Miene begann: „Es scheint
an der Zeit, Sie näher über das Abenteuer zu unter-
richten, das zu bestehen Sie gekommen sind, Herr
Fahrenkamp."
Robert lachte und meinte, er sei in der Tat be-
gierig, näheres zn vernehmen.
Der ernste Ausdruck in den Zügen des Besitzers
von Morrison verschärfte sich zu einem förmlich ver-
weisenden. „Behandeln Sie die Sache nicht so
leicht, junger Mann," ließ er sich vernehmen. „Ich
schrieb Ihnen schon, daß ich, obwohl selber ungläubig,
nicht recht weiß, was ich von der Sache halten soll.
Man muß nicht von vornherein etwas aus dem
einzigen Grunde leugnen, weil man noch keine be-
züglichen Erfahrungen gemacht hat. Ich habe mit
Absicht unser Gespräch auf alle möglichen Einzel-
heiten Ihres Lebens gelenkt, auf Ihre Erziehung,
selbst Ihre Kinderstreiche, um mich zu überzeugen,
ob Ihr Charakter in der Tat das Resultat der An-
schauung, die ich aus Ihrem Schreiben und aus
Grund Ihrer ersten Erscheinung gewonnen habe,
bestätigt. Das war nun erfreulicherweise der Fall.
Ich halte Sie wirklich für einen Mann von starkem
Herzen, der sich der Aufgabe, die er übernommen,
gewachsen zeigen wird. Ich möchte aber nicht, daß
der Mut, mit welchem Sie diesem Abenteuer von
so ganz besonderer Natur entgegengehen, lediglich
in der Überzeugung von der Unmöglichkeit solcher
Ereignisse wurzelt, wie sie in dem bewußten Zimmer
vor sich gehen sollen. Sie könnten sonst recht un-
angenehm enttäuscht werden."
„Ich versichere Ihnen, Herr Baron: mein Mut
hält sowohl psychischen als physischen Kräften stand.
Selbst wenn ich die Überzeugung hätte, es mit
Geistern oder anderen Wesen seltsamer, übernatür-
licher Art aufnehmen zu müssen, so würde ich ihre
Bekanntschaft nicht scheuen, sondern suchen. Ich
würde die Gelegenheit, zu einem Urteil über diese
geheimnisvolle Materie zu gelangen, mit Freuden
ergreifen."
„Herr Fahrenkamp, ich hege keinen Zweifel an
Ihrem Mut in Bezug auf physische Gefahren, die
Tatsachen, die Sie mir berichteten, sprechen laut
genug. Ganz anders liegt jedoch unsere Angelegen-
heit. Hier handelt es sich um psychische Gefahren, an
denen Ihre Entschlossenheit und Unerschrockenheit
zu erproben Ihnen bisher jede Gelegenheit gefehlt
hat. Sie wissen noch nicht, wie Sie sich ihnen gegen-
über Verhalten werden, denn man kann niemals mit
voller Sicherheit den Besitz von Eigenschaften be-
haupten, die man noch nicht erprobt hat."
Der Student dachte einige Zeit über die Worte
seines Gastgebers nach. „Ihre Unterscheidungen
sind mir zu fein," äußerte er kopfschüttelnd.
„Ich will damit nur ausdrücken, daß Sie im
voraus gar nicht wissen können, ob Sie sich heute
fürchten werden oder nicht. Sie befinden sich zum
ersten Male in Ihrem Leben in einer Lage, in wel-
cher Ihr Geist an die ernsthafte Prüfung jener
Fragen herantreten muß, welche die Gemüter vieler
Menschen infolge Überhitzung ihrer Phantasie be-
schäftigen. Statt Märchen und Spukgeschichten wirkt
die Tatsache der seltsamen Untersuchung, zu der Sie
bestellt sind, selbst auf Sie ein, sowie die Umgebung,
in der Sie sich befinden. Das ist's, was ich Ihnen
ins Gedächtnis rufen will, denn ich möchte keinerlei
Verantwortung übernehmen."
„Ich entbinde Sie ausdrücklich von jeder Ver-
antwortung, Herr Baron. Ich erkläre Ihnen noch
einmal: ich hege nicht die mindeste Furcht! Ich
glaube an keine anderen Erscheinungen, als die im
Rahmen der Naturgesetze gegebenen. Noch weiß ich
nicht, welcher Art der angebliche Spuk von Morrison
sein mag, ich bin jedoch im voraus überzeugt, es
kann sich entweder nur um albernen Aberglauben
oder um böswillig ins Werk gesetzten Unfug handeln,
wie solcher schon so oft entlarvt worden ist, fei es
nun, daß man ein Haus zu entwerten oder dem
Besitzer zu verleiden oder Narretei zu treiben oder
gar ein Verbrechen zu decken beabsichtigt."
Der Baron zuckte die Achseln und sagte dann
ruhig: „In unserem Fall ist die Möglichkeit eines
böswilligen und absichtlichen Unfugs ausgeschlossen.
Was im übrigen an dem Gerücht ist, sollen Sie ja
eben prüfen. Der Geist, um den es sich auf Schloß
Morrison handelt, spukt bereits seit vielen Jahren.
Er ist auch nicht, wie es meist der Fall ist, weib-
lichen Geschlechts, es ist ein Mann, und zwar der
Vater des Erbauers und ersten Besitzers dieses
Schlosses, eines amerikanischen Millionärs, der auf
geheimnisvolle Weise in eben jenem Zimmer, welches
sein Schlafzimmer war, ermordet worden ist. Man
fand den alten Herrn eines Morgens mit mehreren
Wunden tot auf dem Fußboden liegen. Der Mörder
ist niemals entdeckt worden, doch vermutete man
einen Racheakt, da Mister Allan, der Ermordete, sein
großes Vermögen wohl nicht eben durch die ein-

Heft 2Z
wandfreiesten Spekulationen erworben hatte. Seit
dem Tage des Mordes nun soll es in dem Zimmer
des Toten gar greulich spuken. Nach der allgemeinen
Annahme kann der Ermordete, weil sein Tod un-
gesühnt geblieben ist, keine Ruhe im Grabe finden
und kehrt allnächtlich auf den Schauplatz der blutigen
Tat zurück, wo er allerlei Lärm und Gepolter erregt,
etwa im Zimmer befindliche Personen bedroht und
belästigt, weil er sie anscheinend als Eindringlinge
ansieht, oder vielleicht gar im Verdacht hat, seine
Mörder zu sein."
Robert unterdrückte mit Mühe ein Lachen. „Ist
denn der Spuk von glaubwürdigen Personen wahr-
genommen worden, oder beruht die ganze Wissen-
schaft davon auf dem Gewäsch der Dienstboten?"
„Durchaus nicht. Er ist sogar die Ursache, daß
das Haus so häufig den Besitzer wechseln mußte.
Niemand konnte es auf die Dauer hier aushalten.
Auch mir erschien die Mitteilung zuerst unsinnig, ich
ließ mich also von der Erwerbung nicht abhalten,
bin aber jetzt schon nicht mehr mit meinem Ent-
schlüsse zufrieden. Das Dienstpersonal will nicht
aushalten, selbst meine Frau und Kinder fürchten
sich."
„Aber von Angesicht zu Angesicht hat noch nie-
mand den fleischlosen Störenfried gesehen?"
„Doch — der vorige Besitzer wählte anfangs
selber das Gemach zur Schlafstätte, erklärte aber
bereits nach der ersten darin verbrachten Nacht, es
nie wieder betreten zu wollen. Ich habe das Zim-
mer bei meinem Einzuge untersuchen, neu tapezieren
und ausstatten lassen, trotzdem —"
Der Schloßherr hielt gedankenvoll inne.
„Sie können von meiner Dienerschaft die Be-
stätigung vernehmen, man erzählt mir fast jeden
Morgen von neuen Taten des geheimnisvollen
Gastes."
Ohne eine Antwort abzuwarten, klingelte er nach
dem Diener.
„Franz," redete er ihn an, „haben Sie nicht selber
wiederholt die merkwürdigen Vorgänge im roten
Zimmer belauscht?"
„Gewiß, Herr Baron. Erst vorgestern faßten
der Gärtner und ich uns ein Herz, als wir gegen
Mitternacht unser Lager aufsuchten. Wir wagten
uns bis an die Tür und horchten einige Minuten.
Das Gepolter war ganz entsetzlich. Es klang, als
wenn jemand den Tisch hin und her rücke, den
Kommodenkasten aufziehe, mit einer Kette rassele
und anderes mehr. Wir machten uns eiligst aus
dem Staube."
„Es ist gut, Franz." Der Diener entfernte sich
auf einen Wink seines Herrn, und letzterer fuhr fort:
„Da hören Sie selbst. Franz ist ein äußerst nüch-
terner, kaltblütiger Mensch, der sich nicht so leicht
ins Bockshorn jagen läßt."
„Den Versuch, in dem Zimmer die Nacht zuzu-
bringen, hat seit Ihrem Vorgänger niemand wieder
gewagt?"
„Doch — einer der Knechte des vorigen Besitzers,
ein handfester Kerl, der nicht an die Darstellung seines
Herrn glauben wollte. Der Arme soll es gewagt
haben, dem Gespenst entgegenzutreten, es zu packen.
Er griff jedoch nur in die Luft, während ihn seiner-
seits das Gespenst umschlang, ihn auf das Bett
niederdrückte und ihn fast erwürgte. Nach einer
Stunde stürzte er aus dem unheimlichen Gelaß an
allen Gliedern zitternd und kaum imstande zu
sprechen. Damals mischte sich auch die Polizei ein,
sie nahm eine sorgfältige Durchsuchung vor, und
mehrere Beamte wurden beordert, in dem Zimmer
zu wachen."
„Da ließ sich natürlich der Poltergeist nicht
blicken?"
„ Oh, er fürchtete sich durchaus nicht vor der Polizei.
Die Leute sollen schon nach der ersten Nacht erklärt
haben, sie wollten lieber ihre Stellen verlieren, als
auch nur noch eine Stunde in dem verwünschten
Raum verweilen."
Der Student begann doch ein wenig erregt zu
werden. Er setzte sein noch bis zum Rande mit
Burgunder gefülltes Glas an die Lippen und leerte
es bis zum Grunde.
„Ich schenke Ihnen am besten nicht wieder ein,"
meinte der Baron, „denn ich wünsche, daß Sie ganz
Herr Ihrer selbst sind, wenn Sie sich in dem Zimmer
befinden."
„Nun, ich kann schon eine gute Portion ver-
tragen," lachte Robert.
„Davon bin ich überzeugt. Ich habe auch nichts
dagegen, daß Sie durch einige Glas Wein Ihre
Energie ein wenig stärken. Doch meine ich, das ist
hinreichend geschehen. Würden Sie den Versuch in
berauschtem Zustande machen, so wäre er für mich
wertlos, da Sie möglicherweise einen Todesschlaf
schliefen, aus dem selbst dieses Gespenst Sie nicht
aufzuschrecken vermöchte. Mir liegt aber an Ge-
wißheit."
 
Annotationen